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1P.435/2001/bie
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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7. August 2001
Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung,
Bundesrichter Nay, Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiber Kölliker.
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In Sachen
E.________, Interkantonale Strafanstalt Bostadel, Postfach 38, Menzingen, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Jans, Poststrasse 18, St. Gallen,
gegen
Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
betreffend
Art. 9 BV, Rechtsverweigerung
(Wiederaufnahme; Erlass der Einschreibgebühr)hat sich ergeben:
A.- E.________ wurde mit Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 21. November 1995 wegen sexueller Handlung mit einem Kind zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Anstelle des Strafvollzuges ordnete das Gericht die Verwahrung an. E.________ stellte in der Folge mehrere Gesuche um Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Diese wurden vom Kantonsgericht entweder durch Prozessurteil erledigt oder unbeantwortet zu den Akten gelegt.
B.- Am 25. Mai 2001 liess E.________ beim Kantonsgericht ein weiteres Wiederaufnahmegesuch einreichen. Unter anderem beantragte er, es sei auf die Erhebung einer Einschreibgebühr zu verzichten.
Der Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts wies das Gesuch um Erlass der Einschreibgebühr mit Schreiben vom 15. Juni 2001 wegen offensichtlicher Unbegründetheit des Wiederaufnahmegesuchs ab und setzte eine zehntägige Notfrist zur Bezahlung der Einschreibgebühr an. Auf Intervention des Vertreters von E.________ bestätigte er diese Anordnung mit Schreiben vom 21. Juni 2001, welches als abweisende Verfügung zu betrachten sei.
C.- E.________ hat am 29. Juni 2001 eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er beantragt, es sei die Verfügung des Kantonsgerichts St. Gallen vom 21. Juni 2001 aufzuheben und das Gesuch um Erlass der Einschreibgebühr gutzuheissen.
Daneben ersucht er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, das Kantonsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen neuer Tatsachen und Beweismittel verneint. Dies stelle eine formelle Rechtsverweigerung dar und verletze Art. 9 BV.
D.- Das Kantonsgericht St. Gallen hat auf die Einreichung einer schriftlichen Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Grundsätzlich ist die staatsrechtliche Beschwerde einzig gegen letztinstanzliche Endentscheide kantonaler Behörden zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (Art. 87 OG). Entscheide betreffend die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gelten nach der Rechtsprechung als Zwischenentscheide, da sie das Verfahren in der Sache selber nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen. Sie haben für den Gesuchsteller namentlich dann einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge, wenn sie mit der Aufforderung zur Leistung eines Kostenvorschusses verbunden sind (BGE 111 Ia 276 E. 2b S. 278). Dies trifft vorliegend zu. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.- a) Nach Art. 225 des Strafprozessgesetzes des Kantons St. Gallen (StP) hat diejenige Person, die ein Rechtsmittel einlegt, eine Einschreibgebühr zu bezahlen (Abs. 1).
Wird die Einschreibgebühr trotz Ansetzung einer angemessenen Notfrist nicht bezahlt, gilt das Rechtsmittel als nicht eingelegt (Abs. 2). Der Präsident der Rechtsmittelinstanz kann auf Gesuch die Einschreibgebühr erlassen, wenn der Einleger bedürftig und das Rechtsmittel nicht aussichtslos ist (Abs. 3).
b) Mit dem angefochtenen Entscheid hat der Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts ein Gesuch des Beschwerdeführers um Erlass der Einschreibgebühr abgewiesen.
Dessen Gewinnaussichten im Hauptverfahren seien beträchtlich geringer als die Verlustgefahren und könnten deshalb nicht als ernsthaft bezeichnet werden. Das Wiederaufnahmegesuch sei deshalb im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 125 II 265 E. 4b S. 275; 124 I 1 E. 2a S. 2, 304 E. 2c S. 360) aussichtslos und damit als offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 225 Abs. 3 StP zu bezeichnen. Das Gesuch um Erlass der Einschreibgebühr sei daher abzuweisen.
c) aa) Nach Auffassung des Beschwerdeführers verstösst der angefochtene Entscheid gegen Art. 9 BV. Gemäss dieser Verfassungsbestimmung hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Entscheid nicht schon dann willkürlich, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst dann, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41, mit Hinweisen).
bb) Das Kantonsgericht St. Gallen stützte sich in seinem Urteil vom 21. November 1995 wesentlich auf die Aussagen des betroffenen Kindes sowie ein dazu eingeholtes Glaubwürdigkeitsgutachten. Das Gericht setzte sich in seiner schriftlichen Urteilsbegründung eingehend mit dieser Expertise auseinander. Zusammenfassend bezeichnete es die gutachterlichen Ausführungen sowohl hinsichtlich der Untersuchung der Persönlichkeit des Kindes als auch der Beurteilung seiner Aussagen als schlüssig und nachvollziehbar. Namentlich verneinte das Gericht, dass das Kind den Sachverhalt selber erfunden haben oder dieser ihm von seiner Mutter suggeriert worden sein könnte.
An diesen Schlüssen vermögen die vom Beschwerdeführer neu ins Recht gelegten Beweismittel offensichtlich nichts zu ändern. Weder der Vergleich vom 5./11. März 1996 noch die übrigen Unterlagen sind für sich selber oder gesamthaft geeignet, die Glaubwürdigkeit des Kindes bzw. seiner damaligen Ausführungen nachträglich ernsthaft zu erschüttern.
Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel beziehen sich mit einer Ausnahme auf die Glaubwürdigkeit anderer Belastungszeuginnen, deren Aussagen für die Urteilsfindung des Kantonsgerichts indessen nicht ausschlaggebend waren. Was der Beschwerdeführer zudem aus dem Umstand, dass das betroffene Kind bereits unter dem Scheidungsverfahren seiner Eltern psychisch litt, für die Beurteilung der Strafbarkeit seines eigenen Verhaltens herleiten will, ist nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen verletzt es Art. 9 BV nicht, wenn der Präsident der Strafkammer das eingereichte Wiederaufnahmegesuch als aussichtslos bezeichnet und das Gesuch des Beschwerdeführers um Erlass der Einschreibgebühr abgewiesen hat.
d) Soweit der Beschwerdeführer eine formelle Rechtsverweigerung geltend macht, ist nicht ganz klar, ob diese Rüge tatsächlich seinem Willen entspricht. Der Wortlaut der Beschwerde ("... eine klare Verletzung des Verbots der formellen Rechtsverweigerung ..., womit Art. 9 BV verletzt ist") legt den Schluss nahe, dass er einzig eine Verletzung von Art. 9 BV (Verbot der materiellen Rechtsverweigerung) behaupten wollte. Ob diese Annahme zutrifft, kann jedoch offen bleiben, denn auch die Rüge der formellen Rechtsverweigerung ist unbegründet. Eine solche liegt nach Lehre und Rechtsprechung nicht nur vor, wenn eine Behörde jedwelchen Entscheid verweigert, sondern auch, wenn sie zu Unrecht auf ein Rechtsmittel nicht eintritt, einzelne Begehren nicht beurteilt, ihre Kognition unzulässigerweise einschränkt, den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt oder das Verfahren in ungebührlicher Weise verschleppt (BGE 125 III 440 E. 2a S. 441 mit Hinweis; Thomas Merkli/ Arthur Aeschlimann/Ruth Herzog, Kommentar zum bernischen VRPG, Bern 1997, N. 64 zu Art. 49 VRPG). Derartige Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich und werden vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht; insbesondere ist noch kein Nichteintretensentscheid des Kantonsgerichts wegen Nichtbezahlens der Einschreibgebühr ergangen.
3.- Aus den dargestellten Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Mit vorliegendem Urteil wird das Gesuch des Beschwerdeführers um aufschiebende Wirkung hinfällig. Da sich die Beschwerde als aussichtslos erweist, sind die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht erfüllt (Art. 152 OG). Angesichts der offensichtlichen Uneinbringlichkeit rechtfertigt es sich, im vorliegenden Fall von der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.- Es werden keine Kosten erhoben.
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. August 2001
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: