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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_366/2022  
 
 
Urteil vom 7. November 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, 
Gerichtsschreiberin Lang. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________ und B.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Sebastian Hünninger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, Hirschengraben 16, 6003 Luzern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Parteientschädigung, unentgeltliche Rechtspflege (vorsorglicher Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 14. April 2022 
(3H 22 12/3U 22 11). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.A.________ und B.A.________ sind die verheirateten Eltern von C.A.________ (geb. 2020). Für C.A.________ wird bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Region Entlebuch, Wolhusen und Ruswil (KESB) eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB sowie eine Kindesvermögensverwaltungsbeistandschaft nach Art. 325 Abs. 1 ZGB geführt.  
 
A.b. Auf Antrag der Berufsbeiständin vom 23. Dezember 2021 entzog die KESB den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht über C.A.________ superprovisorisch und platzierte das Kind in einem Kinderheim in U.________ (Entscheid vom 6. Januar 2022). Am 28. Januar 2022 bestätigte die KESB den vorsorglichen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sowie die Platzierung des Kindes.  
 
B.  
A.A.________ und B.A.________ gelangten hierauf mit Beschwerde an das Kantonsgericht Luzern. Dieses entzog der Beschwerde die aufschiebende Wirkung, hob den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Platzierung des Kindes aber mit Entscheid vom 14. April 2022 per 10. Mai 2022 auf. Zur Abklärung und Anordnung der notwendigen ambulanten Massnahmen wies das Kantonsgericht die Sache an die KESB zurück. Die Gerichtskosten gingen zu Lasten der Staatskasse. A.A.________ und B.A.________ verpflichtete das Kantonsgericht jedoch, die Entschädigung ihres Rechtsvertreters zu tragen, dies im Sinne der ihnen gleichzeitig erteilten unentgeltlichen Rechtspflege. Die Entschädigung legte es auf Fr. 1'410.-- fest, wobei das Kantonsgericht im Sinne der unentgeltlichen Rechtspflege den Betrag von Fr. 1'203.-- zu bezahlen habe. 
 
C.  
 
C.a. Mit elektronischer Eingabe vom 18. Mai 2022 gelangen A.A.________ und B.A.________ (Beschwerdeführer) mit Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Diesem beantragen sie, es sei der angefochtene Entscheid dahingehend abzuändern, als ihnen für das Verfahren vor der Vorinstanz eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 1'410.-- zugesprochen werde und der unterzeichnete Rechtsanwalt nicht als deren unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt werde. Ferner sei ihnen im Verfahren vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.  
 
C.b. Das Kantonsgericht verzichtete auf Vernehmlassung, beantragte aber die Abweisung der Beschwerde.  
 
C.c. Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten eingeholt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist der Entscheid einer oberen kantonalen Instanz in einem Kindesschutzverfahren; der Entscheid schliesst das Verfahren in Bezug auf den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Fremdplatzierung ab (Art. 91 BGG). Strittig ist vor Bundesgericht nur noch der Anspruch auf Parteientschädigung bzw. die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Vor der letzten kantonalen Instanz war jedoch nicht ausschliesslich die Kosten- und Entschädigungsfrage strittig, sodass sich das Rechtsmittel nach der Hauptsache richtet (vgl. BGE 137 III 47 E. 1.2). Dabei handelt es sich um eine Streitsache nicht vermögensrechtlicher Natur (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die Beschwerdeführer sind zur Beschwerde berechtigt, denn ihnen wurden die Kosten ihres unentgeltlichen Rechtsvertreters auferlegt (wenn diese auch einstweilen zulasten des Staates gingen), da ihnen ein Anspruch auf Parteientschädigung abgesprochen wurde (Art. 76 Abs. 1 BGG). Die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde in Zivilsachen erweist sich als zulässig. 
 
2.  
Strittig ist, ob die Beschwerdeführer für das vorinstanzliche Verfahren Anspruch auf eine Parteientschädigung haben. 
 
2.1.  
 
2.1.1. Der Bundesgesetzgeber hat die Regelung der Parteientschädigung im Verfahren vor der gerichtlichen Beschwerdeinstanz in Belangen des Kindes- und Erwachsenenschutzes (Art. 450 ff. i.V.m. Art. 314 Abs. 1 ZGB) den Kantonen überlassen (BGE 140 III 385 E. 2.3).  
 
2.1.2. Für den Kanton Luzern gilt diesbezüglich das Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRG, SRL 40), das die Vorinstanz auch zur Anwendung gebracht hat. Dieses unterscheidet betreffend Parteientschädigung zwischen Verfahren, an denen Parteien "mit gegensätzlichen Interessen" beteiligt sind, und den anderen Verfahren. In den ersteren hat die obsiegende Partei einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung zulasten jener Partei, die unterliegt oder Rückzug erklärt oder auf deren Begehren nicht eingetreten wird (§ 201 Abs. 1 VRG/LU). In den anderen Fällen ist eine angemessene Vergütung für die Vertretungskosten der obsiegenden Partei bloss geschuldet, wenn der Vorinstanz "grobe Verfahrensfehler" oder "offenbare Rechtsverletzungen" zur Last fallen (§ 201 Abs. 2 VRG/LU).  
 
2.1.3. Die Anwendung von kantonalem Recht kann das Bundesgericht nur auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte - namentlich auf Willkür hin - überprüfen.  
 
2.2. Unstrittig ist vorliegend, dass einzig § 201 Abs. 2 VRG/LU zur Anwendung gelangt. Das Bundesgericht hat denn auch bereits entschieden, dass es unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist, die KESB im Verfahren vor den gerichtlichen Beschwerdeinstanzen nicht als (Gegen-) Partei zu betrachten (BGE 140 III 385 E. 4.2).  
 
2.2.1. Das Bundesgericht hat die Bundesrechtskonformität dieser Regelung bereits mehrfach bejaht, allerdings auch Kritik an der Bestimmung geäussert (siehe dazu Urteil 1D_4/2020 vom 29. April 2021 E. 4.1 mit zahlreichen Hinweisen). § 201 Abs. 2 VRG/LU ist daher grundsätzlich eng auszulegen (zit. Urteil 1D_4/2020 a.a.O.).  
 
2.2.2. Die Vorinstanz führte aus, die Kosten des (unentgeltlichen) Rechtsvertreters gingen zulasten der Beschwerdeführer, weil der Vorinstanz weder ein grober Verfahrensfehler noch offenbare Rechtsverletzungen vorzuwerfen seien. Zuvor hatte sie ausgeführt, sie habe bereits in der Verfügung vom 1. März 2022 (betr. Entzug der aufschiebenden Wirkung) festgestellt, dass es aus Sicht des Kindeswohls keinen zwingenden Grund gegeben habe, das Kind superprovisorisch im Kinderheim zu platzieren und keine unmittelbare Gefährdung des Kindeswohls ersichtlich gewesen sei, auch nicht aus der Gefährdungsmeldung der Beiständin. Eine akute Kindeswohlgefährdung, welche eine Fremdplatzierung notwendig gemacht hätte, sei somit nicht erstellt. In der Verfügung vom 1. März 2022 führte die Vorinstanz zudem aus, allein erwartete Schwierigkeiten beim allfälligen Vollzug einer Fremdplatzierung berechtigten grundsätzlich nicht dazu, den Eltern die Parteirechte zu nehmen.  
 
2.2.3. Zu Recht bemängeln die Beschwerdeführer, die Ablehnung der Ausrichtung einer Parteientschädigung lasse sich unter Willkürgesichtspunkten nicht rechtfertigen: Korrekt weisen sie darauf hin, dass die Vorinstanz in ihrer publizierten Praxis selbst davon ausgeht, der Entzug der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf einen Entscheid über die Fremdplatzierung eines Kindes, obschon keine Dringlichkeit vorliegt, stelle einen groben Verfahrensfehler im Sinne von § 201 Abs. 2 VRG/LU dar, denn den vom Entscheid Betroffenen müsse die Möglichkeit offen stehen, den Entscheid über die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts vor der Rechtsmittelinstanz anzufechten und nur in dringlichen Fällen sei es angezeigt, das Kind zeitgleich mit dem Entscheid über den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu platzieren (LGVE 2020 II Nr. 7). Wie die oben wiedergegebenen Erwägungen des angefochtenen Entscheids zeigen, ging die Vorinstanz davon aus, dass es für den vorsorglich angeordneten Obhutsentzug keinen zwingenden Grund gegeben hat und insbesondere der Entzug der Parteirechte der Eltern grundsätzlich nicht berechtigt war. Wenn die Vorinstanz nun bereits beim Entzug der aufschiebenden Wirkung ohne Dringlichkeit von einem groben Verfahrensfehler im Sinne von § 201 Abs. 2 VRG/LU ausgeht, so muss das umso mehr für den Fall gelten, in dem ohne Grund der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und die Fremdplatzierung eines Kindes superprovisorisch angeordnet, die Eltern also nicht einmal vor dem entsprechenden Entscheid und der Fremdplatzierung ihres Kindes angehört wurden. Ohne nähere Begründung (siehe E. 2.2.2; diesbezüglich anders Urteil 5A_1000/2015 vom 19. Februar 2016 E. 5.1) auszuführen, der Erstinstanz könne kein grober Verfahrensfehler vorgeworfen werden und damit ohne ersichtlichen Grund von der eigenen, publizierten Rechtsprechung abzuweichen, hält dem Willkürverbot (Art. 9 BV) nicht stand (vgl. auch BGE 135 III 232 E. 2.4; Urteil 4A_75/2011 vom 26. Mai 2011 E. 2.4).  
 
3.  
Die Beschwerde ist folglich bereits aus diesem Grund begründet und es braucht nicht auf die von den Beschwerdeführern ebenfalls aufgeworfene Frage eingegangen zu werden, ob die Vorinstanz mit der Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung trotz inzwischen erfolgtem Rückzug dieses Antrags durch die Beschwerdeführer in Willkür verfallen ist. Nachdem die Vorinstanz die Höhe der Parteientschädigung in Anwendung des kantonalen Rechts im angefochtenen Entscheid bereits auf Fr. 1'410.-- festgelegt hat, rechtfertigt es sich, diesbezüglich reformatorisch zu entscheiden und die Beschwerde entsprechend antragsgemäss gutzuheissen. Dem unterliegenden Gemeinwesen werden keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 4 BGG); es hat die Beschwerdeführer aber für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG), wobei die Entschädigung praxisgemäss dem Anwalt auszurichten ist. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 2 des Urteils des Kantonsgerichts Luzern vom 14. April 2022 wird aufgehoben und Dispositiv-Ziffer 3 dahingehend abgeändert, dass den Beschwerdeführern für das Verfahren vor dem Kantonsgericht eine Parteientschädigung in Höhe von Fr. 1'410.-- zulasten des Staates zugesprochen wird. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Luzern hat Rechtsanwalt Sebastian Hünninger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. November 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lang