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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1456/2021  
 
 
Urteil vom 7. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jörg E. Wilhelm, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Erster Staatsanwalt, Sennhofstrasse 17, 7000 Chur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einsprache gegen einen Strafbefehl; Säumnis an der Hauptverhandlung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts von Graubünden, II. Strafkammer, vom 22. November 2021 (SK2 21 69). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Kantonspolizei Graubünden übermittelte A.________ am 1. April 2019 eine Verfügung, wonach am 27. März 2019 mit einem auf ihn zugelassenen Personenwagen die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, nach Abzug der Toleranz von 5 km/h, um 4 km/h überschritten wurde. Dem Fahrzeughalter A.________ wurde eine Busse von Fr. 40.-- auferlegt. 
Mit Schreiben an die Kantonspolizei Graubünden vom 29. April 2019 erklärte A.________, er sei zwar Halter des Fahrzeugs, habe dieses am 27. März 2019 aber nicht gelenkt. Das Fahrzeug sei von einem Staatsangehörigen von U.________ gefahren worden, der sich damals in Europa aufgehalten habe, inzwischen jedoch wieder nach U.________ zurückgekehrt sei. A.________ bezahlte die Busse von Fr. 40.-- nicht. 
 
B.  
Mit Strafbefehl vom 8. Oktober 2019 verurteilte die Staatsanwaltschaft Graubünden A.________ wegen Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse von Fr. 40.-- und auferlegte ihm die Verfahrenskosten von Fr. 230.--. 
Gegen diesen Strafbefehl erhob A.________ am 17. Oktober 2019 Einsprache. Zur Begründung erklärte er im Wesentlichen, das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt nicht gelenkt zu haben, wobei er nicht preisgeben wollte, wer sonst am Steuer sass. 
Die Staatsanwaltschaft hielt mit Überweisungsverfügung vom 27. Januar 2020 am Strafbefehl fest. 
 
C.  
 
C.a. Das Regionalgericht Prättigau/Davos lud A.________ mit prozessleitender Verfügung vom 11. März 2020 auf den 4. Juni 2020 zur Hauptverhandlung vor. Am 17. März 2020 ersuchte dieser um Dispensierung von der Verhandlung und gab "gezwungenermassen" die Personalien des Lenkers bekannt.  
Mit Verfügung vom 1. April 2020 sistierte das Regionalgericht das Verfahren zwecks Ermittlung des Lenkers durch die Staatsanwaltschaft. Allerdings liess sich der angebliche Lenker unter den von A.________ angegebenen Koordinaten nicht ausfindig machen. Auf eine Aufforderung der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung der Angaben reagierte A.________ nicht. 
 
C.b. Da die Nachforschungen der Staatsanwaltschaft erfolglos blieben, lud das Regionalgericht A.________ auf den 25. März 2021 erneut zur Hauptverhandlung vor. A.________ beantragte die Verschiebung der Verhandlung, worauf das Regionalgericht diese mit Schreiben vom 26. Januar 2021 unter Verweis auf die Pandemielage absagte und eine neue Vorladung in Aussicht stellte.  
 
C.c. Mit prozessleitender Verfügung vom 28. Juni 2021 wurde A.________ abermals zur Hauptverhandlung vorgeladen, diesmal auf den 2. September 2021. Am 27. August 2021 ersuchte er einmal mehr um Verschiebung. Dieses Gesuch lehnte das Regionalgericht am 30. August 2021 schriftlich ab, was A.________ am Vortag der Hauptverhandlung auch telefonisch mitgeteilt wurde. Dennoch erschien er nicht zur Hauptverhandlung.  
 
D.  
Mit Beschluss vom 2. September 2021 schrieb das Regionalgericht das Verfahren infolge Rückzugs der Einsprache als erledigt ab. Es stellte fest, dass der Strafbefehl vom 8. Oktober 2019 rechtskräftig sei und auferlegte A.________ die Verfahrenskosten von Fr. 1'650.--, bestehend aus den Untersuchungsgebühren und Auslagen der Staatsanwaltschaft von Fr. 1'050.-- und den Gerichtsgebühren von Fr. 600.--. 
 
E.  
Gegen diesen Beschluss erhob A.________ am 12. September 2021 Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden. 
Dieses wies die Beschwerde am 22. November 2021 ab. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 800.-- auferlegte es A.________. 
 
F.  
A.________ beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen, die Verfügung des Kantonsgerichts vom 22. November 2021 sei unter gleichzeitiger Aufhebung des Beschlusses des Regionalgerichts vom 2. September 2021 aufzuheben. 
Das Kantonsgericht Graubünden beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Die Staatsanwaltschaft Graubünden beantragt ebenfalls die kostenfällige Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Die Vernehmlassungen wurden dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Er nimmt hierzu seinerseits Stellung und erhebt ausserdem die Einrede der Verjährung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in Strafsachen ist in erster Linie ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die Beschwerdeschrift muss grundsätzlich einen Antrag in der Sache enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Aufhebungsanträge oder Anträge auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung allein genügen nicht, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte. Dies ist vorliegend der Fall. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; 141 IV 305 E. 1.2; je mit Hinweisen).  
 
2.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anwendung der Rückzugsfiktion gemäss Art. 356 Abs. 4 StPO
 
2.1. Die beschuldigte Person kann bei der Staatsanwaltschaft schriftlich Einsprache gegen den Strafbefehl erheben (Art. 354 Abs. 1 lit. a StPO). Wird Einsprache erhoben, so nimmt die Staatsanwaltschaft die weiteren Beweise ab, die zur Beurteilung der Einsprache erforderlich sind (Art. 355 Abs. 1 StPO). Nach Abnahme der Beweise entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie am Strafbefehl festhält (Art. 355 Abs. 3 lit. a StPO), das Verfahren einstellt (lit. b), einen neuen Strafbefehl erlässt (lit. c) oder Anklage beim erstinstanzlichen Gericht erhebt (lit. d). Entschliesst sich die Staatsanwaltschaft, am Strafbefehl festzuhalten, so überweist sie die Akten unverzüglich dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens. Der Strafbefehl gilt als Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO).  
Bleibt die Einsprache erhebende Person der Hauptverhandlung unentschuldigt fern und lässt sie sich auch nicht vertreten, so gilt ihre Einsprache als zurückgezogen (Art. 356 Abs. 4 StPO). Hat die Verfahrensleitung die beschuldigte Person zum persönlichen Erscheinen verpflichtet, gilt die Rückzugsfiktion von Art. 356 Abs. 4 StPO nach der Rechtsprechung auch, wenn die beschuldigte Person der Hauptverhandlung fernblieb und lediglich deren Verteidigung zur Verhandlung erschien (vgl. Urteile 6B_1201/2018 vom 15. Oktober 2019 E. 4.3.1; 6B_1298/2018 vom 21. März 2019 E. 3.1; 6B_1297/2018 vom 6. Februar 2019 E. 1.1; 6B_802/2017 vom 24. Januar 2018 E. 2.3; 6B_167/2017 vom 25. Juli 2017 E. 2.2.1; 6B_7/2017 vom 5. Mai 2017 E. 1.4). 
Der Strafbefehl ist mit der verfassungsrechtlichen Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) und dem konventionsrechtlichen Anspruch auf Zugang zu einem Gericht mit voller Überprüfungskompetenz (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) nur vereinbar, weil es letztlich vom Willen des Betroffenen abhängt, ob er diesen akzeptieren oder mit Einsprache vom Recht auf gerichtliche Überprüfung Gebrauch machen will. Angesichts dieser fundamentalen Bedeutung der Einsprache darf ein konkludenter Rückzug gegen den Strafbefehl nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Betroffenen der Schluss aufdrängt, er verzichte mit seinem Desinteresse am weiteren Gang des Strafverfahrens bewusst auf den ihm zustehenden Rechtsschutz. Der vom Gesetz an das unentschuldigte Fernbleiben geknüpfte (fingierte) Rückzug der Einsprache setzt deshalb voraus, dass sich der Beschuldigte der Konsequenzen seiner Unterlassung bewusst ist und er in Kenntnis der massgebenden Rechtslage auf die ihm zustehenden Rechte verzichtet (BGE 142 IV 158 E. 3.1 ff.; 140 IV 86 E. 2.6; 140 IV 82 E. 2.3; Urteile 6B_1298/2018 vom 21. März 2019 E. 3.1; 6B_1297/2018 vom 6. Februar 2019 E. 1.1; 6B_365/2018 vom 5. Juli 2018 E. 3.1; 6B_1143/2017 vom 1. Juni 2018 E. 1.2; je mit Hinweisen). Zu verlangen ist daher, dass der Betroffene hinreichend über die Folgen des unentschuldigten Fernbleibens in einer ihm verständlichen Weise belehrt wird (Art. 201 Abs. 2 lit. f StPO; BGE 140 IV 86 E. 2.6; Urteile 6B_1143/2017 vom 1. Juni 2018 E. 1.2; 6B_167/2017 vom 25. Juli 2017 E. 2.2.2; je mit Hinweis). 
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Vorinstanz stellt fest, dass die Erstinstanz den Beschwerdeführer dreimal zur Hauptverhandlung vorlud und ihn stets auf die Säumnisfolgen nach Art. 356 Abs. 4 StPO hinwies. Für den ersten Verhandlungstermin beantragte der Beschwerdeführer sowohl seine Dispensierung als auch dessen Verschiebung. Die Dispensation erübrigte sich, da das Verfahren sistiert wurde. Der zweite Verhandlungstermin wurde auf Antrag des Beschwerdeführers wegen der Pandemie abgesagt. Am 28. Juni 2021 wurde der Beschwerdeführer zum dritten Mal zur Hauptverhandlung vorgeladen und der Verhandlungstermin auf den 2. September 2021 festgesetzt. Am 27. August 2021 ersuchte der Beschwerdeführer abermals um Verschiebung. Dieses Gesuch lehnte das Regionalgericht am 30. August 2021 schriftlich ab. Da der schriftliche Entscheid am Nachmittag des 1. September 2021 gemäss Sendungsverfolgung noch nicht zugestellt worden war, teilte die verfahrensleitende Richterin dem Beschwerdeführer den Inhalt auch noch telefonisch mit. Die telefonische Mitteilung der Ablehnung seines Verschiebungsgesuchs nahm der Beschwerdeführer "ohne Kommentar zur Kenntnis".  
 
2.2.2. Die Vorinstanz erwägt, spätestens nach der telefonischen Mitteilung habe der Beschwerdeführer gewusst, dass sein Verschiebungsgesuch abgelehnt worden war. Der Beschwerdeführer behauptet, er habe an der Hauptverhandlung teilnehmen wollen und sich um eine Reiseverbindung bemüht. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist schwer nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei diesen Bemühungen nichts über den Lokführerstreik erfahren haben soll. Die Vorinstanz stellt fest, der Streik sei bereits Ende August 2021 in den Medien thematisiert worden. Sie schliesst daraus in vertretbarer Weise, dass der Beschwerdeführer bereits vor dem Tag der Hauptverhandlung davon wusste. Zudem weist sie überzeugend darauf hin, dass man sich vor einem Gerichtstermin über die genaue und rechtzeitige Anreise informiert und auch allfällige Eventualitäten mitberücksichtigt. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer erst am Verhandlungstag vom Streik erfahren haben sollte, erklärt die Vorinstanz überzeugend, er hätte die Erstinstanz zumindest telefonisch kontaktieren können, um über seine Verhinderung zu informieren. Dass der Beschwerdeführer dies getan hätte, macht er nicht geltend und ist gemäss Vorinstanz auch nicht aktenkundig. Unter diesen Umständen lässt sich seine Abwesenheit nicht entschuldigen (vgl. Urteil 6B_302/2012 vom 24. Mai 2012 E. 1).  
 
2.2.3. Der Beschwerdeführer rügt indes zu Recht, dass er nicht verpflichtet war, einer schweizerischen Vorladung zu einer Hauptverhandlung in der Schweiz Folge zu leisten.  
Die Erstinstanz hat die dem in V.________ wohnhaften Beschwerdeführer zugestellte Vorladung mit Hinweis auf Art. 356 Abs. 4 StPO mit der Androhung versehen, dass die Einsprache als zurückgezogen gelte, wenn er der Hauptverhandlung fernbleibt und sich auch nicht vertreten lässt. Die Verknüpfung der Vorladung mit einer solchen Androhung stellt eine Zwangsmassnahme dar. Gemäss einhelliger Lehre und bundesgerichtlicher Rechtsprechung beschränkt sich die schweizerische Staatsgewalt auf das hiesige Staatsgebiet. Die schweizerischen Strafbehörden dürfen daher unter den gesetzlichen Voraussetzungen Zwang auf den sich hier befindenden Beschuldigten ausüben, nicht dagegen auf den sich im Ausland befindenden. Tun sie dies, verletzen sie die Souveränität des ausländischen Staates (BGE 146 IV 36 E. 2.2; 133 I 234 E. 2.5.1 S. 239; HANS SCHULTZ, Male captus bene iudicatus?, SJIR 24/1967 S. 70 und 77 f.). Was die sich dort aufhaltenden Personen zu tun oder zu unterlassen haben, bestimmt jener Staat. Darin dürfen sich die schweizerischen Behörden nicht einmischen. Wollen sie auf den sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten zugreifen, dürfen sie dies nur unter Mitwirkung und Zustimmung des ausländischen Staates tun. Sie müssen diesen also um Rechtshilfe ersuchen (SCHULTZ, a.a.O.). 
Vorladungen dürfen die schweizerischen Behörden dem sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten mithin zwar zukommen lassen. Zwangsandrohungen dürfen sie damit aber nicht verbinden. Die Vorladungen stellen damit, wie im Schrifttum zutreffend ausgeführt wird, in der Sache Einladungen dar, denen der Beschuldigte folgen kann oder - ohne Nachteil - nicht. Zwang androhen dürfen die schweizerischen Behörden dem im Ausland ansässigen Beschuldigten, wenn er sich, anders als im vorliegenden Fall, freiwillig in die Schweiz begibt und ihm die Vorladung hier zugestellt werden kann (BGE 140 IV 86 E. 2 mit Hinweisen). Darf der Beschwerdeführer demnach wegen seines Fernbleibens an der Hauptverhandlung keine rechtlichen oder tatsächlichen Nachteile erleiden, kann die Rückzugsfiktion gemäss Art. 356 Abs. 4 StPO nicht zur Anwendung gelangen. Richtigerweise hätte die Erstinstanz ein Abwesenheitsverfahren einleiten müssen. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer erhebt replicando die Einrede der Verjährung. Er stellt sich auf den Standpunkt, er habe am 3. April 2019 von der Kantonspolizei ein Schreiben erhalten, womit ihm der Vorhalt der Geschwindigkeitsüberschreitung gemacht worden sei, verbunden mit einer Geldbusse von Fr. 40.--. Dies unter der Androhung, dass die Akten an die Staatsanwaltschaft überwiesen würden, wenn innert 30 Tagen weder die Busse bezahlt noch die verantwortliche Person bekanntgegeben werde. Eine von ihm durch Unterlassen allfällig begangene Straftat wäre somit am 3. Mai 2022 verjährt. 
 
3.1. Der Eintritt der Verfolgungsverjährung ist von Amtes wegen in allen Stadien des Verfahrens zu beachten (MATTHIAS ZURBRÜGG, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019 N. 61 zu Vor Art. 97-101 StGB, GILBERT KOLLY, in: Commentaire Romand, Code pénal I, N. 77 ff. zu Art. 97 StGB).  
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Übertretung. Mit Bezug auf diese verjähren die Strafverfolgung und die Strafe in drei Jahren (Art. 109 StGB). Die Verfolgungsverjährung beginnt zufolge Art. 98 lit. a StGB mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Tätigkeit ausführt. Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen, so tritt die Verjährung nicht mehr ein (Art. 97 Abs. 3 StGB). Dies gilt gemäss Art. 104 StGB auch für Übertretungen, zumal die diesbezüglichen Bestimmungen keine abweichenden Anordnungen enthalten. 
Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt einem Entscheid im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB verjährungsbeendende Qualität zu, wenn in einem kontradiktorischen Verfahren über die Straftat entschieden wird (BGE 147 IV 274 E. 1.7 mit Hinweis). Dazu zählen verurteilende und freisprechende Erkenntnisse. Denkbar ist auch ein Prozessentscheid, z.B. eine Einstellungsverfügung, wenn erstinstanzlich in einem kontradiktorischen Verfahren festgestellt wird, dass eine Strafbarkeitsvoraussetzung nicht erfüllt ist, etwa ein Strafantrag fehlt. Diese Prozessentscheide betreffen indessen die Straftat als solche. Demgegenüber wird im Fall einer erstinstanzlichen Abschreibungsverfügung in Anwendung der Rückzugsfiktion nicht in einem kontradiktorischen Verfahren über die Straftat entschieden, sondern lediglich die Säumnis der beschuldigten Person sanktioniert. Es wird ein Rückzug der Einsprache gegen den Strafbefehl fingiert und der Strafbefehl erwächst in Rechtskraft. Eine kontradiktorische Beurteilung der Straftat findet nicht statt. Mit einer allfälligen Aufhebung der Abschreibungsverfügung lebt die Einsprache gegen den Strafbefehl wieder auf. Wird somit, wie vorliegend, gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben, so fällt dieser dahin und es liegt kein die Verjährung beendender erstinstanzlicher Entscheid im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB vor (BGE 142 IV 11 E. 1.2.2; 147 IV 274 E. 1.5). Dies deckt sich im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammenhang mit Abwesenheitsurteilen (vgl. BGE 146 IV 59). Das Abwesenheitsurteil knüpft ebenfalls an die Säumnis der beschuldigten Person an. Erwirkt diese in der Folge eine erstinstanzliche Neubeurteilung, fällt das erste erstinstanzliche Urteil dahin und zeitigt keine verjährungsbeendende Wirkung. Dies muss umso mehr gelten für ein infolge der Rückzugsfiktion erstinstanzlich abgeschriebenes Verfahren. Anders als bei Abwesenheitsurteilen fand in einem solchen Fall kein kontradiktorisches Verfahren statt. 
 
3.2. Die hier zu beurteilende Geschwindigkeitsüberschreitung wurde am 27. März 2019 begangen. Sie ist somit mittlerweile verjährt, da die Verfolgungsverjährungsfrist von 3 Jahren (oben E. 3.1) abgelaufen ist. Nach dem in der vorstehenden Erwägung Gesagten stellt der erstinstanzliche Beschluss, womit das Regionalgericht das Verfahren infolge fingierten Rückzugs der Einsprache als erledigt abschrieb und den Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls feststellte, kein die Verjährung beendendes Erkenntnis im Sinne von Art. 104 i.V.m. Art. 97 Abs. 3 StGB dar. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer gegen den Strafbefehl vom 8. Oktober 2019 Einsprache erhoben hat. Zudem fand aufgrund der Abschreibung kein kontradiktorisches Verfahren statt und es wurde nicht über die Straftat entschieden.  
Das Verfahren ist infolge Verjährung einzustellen. 
 
3.3. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers braucht nicht eingegangen zu werden.  
 
4.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und das Verfahren ist infolge Eintritts der Verjährung einzustellen. Die Sache ist zur Festlegung der Kostenfolgen im kantonalen Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausgangsgemäss sind keine Gerichtskosten zu erheben und hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung (Art. 66 Abs. 1 und 4, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und das Verfahren wird infolge Eintritts der Verjährung eingestellt. Die Sache wird zur Festlegung der Kostenfolgen im kantonalen Verfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Graubünden bezahlt dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren Fr. 3'000.-- Parteientschädigung. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt