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[AZA] 
U 167/99 Vr 
 
                      IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiberin Glanzmann 
 
  
             Urteil vom 8. Februar 2000  
 
  
                      in Sachen  
 
M.________, 1973, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat 
Z.________, 
  
                        gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, 
Beschwerdegegnerin, 
  
                         und  
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
  
A.- Der 1973 geborene M.________ war als Raumpfleger  
bei der Firma P.________ Reinigung AG tätig, als er am 
22. Dezember 1994 beim Fensterreinigen vom 1. Stockwerk 
eines Wohnhauses in die Tiefe stürzte. Dabei erlitt er eine 
Densfraktur (Anderson III) mit intermittierender Neuro- 
logie, welche operativ angegangen werden musste. Die 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) kam für 
die Heilbehandlung auf und erbrachte Taggeld. Mit Verfügung 
vom 19. Oktober 1995 stellte sie ihre Leistungen rück- 
wirkend ab 1. August 1995 ein, da keine Unfallfolgen mehr 
vorlägen; insbesondere könne das psychische Verhalten nicht 
auf das Unfallereignis vom Dezember 1994 zurückgeführt 
werden. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 
15. Januar 1996 fest. 
 
  
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozial-  
versicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 
31. März 1999). 
 
  
C.- M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde  
führen und beantragen, der kantonale Entscheid sei aufzu- 
heben und es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzu- 
sprechen. Eventuell sei die Sache zur Vornahme ergänzender 
Abklärungen und Neubeurteilung an das kantonale Gericht, 
subeventuell an die SUVA, zurückzuweisen. In formeller 
Hinsicht lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Ver- 
beiständung ersuchen. 
  
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-  
richtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung 
lässt sich nicht vernehmen. 
 
  
D.- Mit weiterer Eingabe vom 12. Januar 2000 lässt der  
Versicherte ein Gutachten des PD Dr. W.________, Augenarzt 
FMH, vom 12. Dezember 1999 und ein solches des Dr. 
A.________, Spezialarzt FMH für Otorhinolaryngologie, Hals- 
und Gesichtschirurgie, vom 6. Januar 2000 einreichen. Die 
SUVA erhielt davon Kenntnis. 
 
  
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
  
1.- Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu dem für  
die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten 
natürlichen (BGE 119 V 337 Erw. 1 mit Hinweisen) und adä- 
quaten (BGE 123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, je mit Hinwei- 
sen) Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesund- 
heitsschaden richtig wiedergegeben. Entsprechendes gilt für 
die Ausführungen zur Adäquanzbeurteilung bei psychischen 
Unfallfolgen (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6). Darauf kann ver- 
wiesen werden. 
 
  
2.- In ihrem Einspracheentscheid vom 15. Januar 1996  
ging die SUVA von einer funktionellen Paraplegie des Ver- 
sicherten aus, welche psychische Störung sie als (zumin- 
dest) teilweise kausal zum Unfallereignis vom 22. Dezember 
1994 anerkannte. Dagegen verneinte sie eine diesbezügliche 
Adäquanz; ebenso das kantonale Gericht. 
  
Der Beschwerdeführer seinerseits macht u.a. geltend,  
dass sein Leiden auch organischen Ursprungs sei. Ob und 
inwieweit dies der Fall ist, kann indessen offen bleiben, 
und eine Rückweisung der Sache zwecks Einholung eines wei- 
teren Gutachtens erübrigt sich. Denn der adäquate Kausal- 
zusammenhang ist auch bei rein psychogener Verursachung der 
geklagten Beschwerden zu bejahen, was nachfolgend zu zeigen 
ist. 
 
  
3.- a) Aus dem Rapport der Polizei Y.________ vom  
29. Dezember 1994 erhellt, dass der Beschwerdeführer, auf 
einer Alu-Blockleiter stehend, die Scheiben des Winter- 
gartens im 1. Stockwerk eines Wohnhauses reinigte, als er 
das Gleichgewicht verlor und rund 6-8 Meter auf den mit 
Bauschutt und Erde bedeckten Boden hinunter fiel. 
 
  
b) In dem in RKUV 1998 Nr. U 307 S. 448 veröffent-  
lichten Urteil K. vom 27. April 1998 hat das Eidgenössische 
Versicherungsgericht die bisherige Rechtsprechung zur Ein- 
teilung der Unfälle mit psychischen Folgeschäden, bei denen 
ein Sturz aus einer gewissen Höhe als Ursache auftritt, in 
leichte, mittelschwere und schwere Unfälle einlässlich dar- 
gelegt. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der hier zu be- 
urteilende Unfall vom 22. Dezember 1994 auf Grund des 
augenfälligen Geschehensablaufs und des dabei zugezogenen 
Halswirbelbruchs dem mittleren Bereich, aber - entgegen der 
Ansicht von Vorinstanz und SUVA - an der Grenze zu den 
schweren Fällen zuzuordnen. Für die Bejahung des adäquaten 
Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallgeschehen und dem 
(psychisch bedingten) Gesundheitsschaden genügt es daher, 
wenn ein einziges unfallbezogenes Kriterium erfüllt ist 
(BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb). 
  
Im vorliegenden Fall haben sich die somatischen Folgen  
des Unfallereignisses vom Dezember 1994 wohl sehr rasch 
zurückgebildet. So wurde in der Klinik für Unfallchirurgie 
des Spitals X.________, an welcher der Beschwerdeführer 
nach seinem Sturz operiert worden war, die Arbeitsfähigkeit 
ab Februar 1995 wieder auf 100 % geschätzt (Bericht des 
Spitals X.________ vom 12. Januar 1995). Dessen ungeachtet 
ist die erlittene Verletzung als erheblich einzustufen, 
zumal der Beschwerdeführer infolge der Fraktur des Dens 
axis mit dem Erscheinungsbild einer kompletten Tetraplegie 
ins Spital X.________ eingeliefert worden war. Entsprechend 
befürchtete der Beschwerdeführer, nicht mehr gehen zu 
können (Bericht der Psychiatrischen Poliklinik des Spitals 
X.________ vom 23. Dezember 1994). Es handelt sich somit um 
eine Verletzung besonderer Art, die erfahrungsgemäss als 
geeignet betrachtet werden kann, massive Ängste mit an- 
schliessender Konversionsstörung im Sinne eines Vermei- 
dungsverhaltens auszulösen. Unter diesen Umständen ist, 
ohne zusätzliche Prüfung der übrigen Kriterien, davon 
auszugehen, dass dem Unfall vom 22. Dezember 1994 nach dem 
gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebens- 
erfahrung für die Entstehung der psychischen Fehlentwick- 
lung eine massgebende Bedeutung zukommt (vgl. andere Fälle, 
in denen das Kriterium der Schwere oder besonderen Art der 
erlittenen Verletzung bejaht wurde: BGE 117 V 369 Erw. 7b; 
RKUV 1998 Nr. U 307 S. 450 Erw. 3b, Nr. U 297 S. 245 
Erw. 3c, 1995 Nr. U 221 S. 114 Ziff. 4; nicht veröffent- 
lichte Urteile Z. vom 25. September 1996, U 14/96, M. vom 
13. Juni 1996, U 233/95, Z. vom 17. März 1995, U 196/93, J. 
vom 26. Oktober 1994, U 137/93, J. vom 19. Dezember 1991, 
U 86/90, S. vom 2. April 1991, U 78/87, und S. vom 26. März 
1991, U 52/88). Damit ist die Adäquanz des Kausalzusammen- 
hangs gegeben. 
  
c) Die Sache ist daher an die SUVA zurückzuweisen,  
damit sie über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers 
neu verfüge. 
 
  
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer-  
  
den der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des  
  
Kantons Zürich vom 31. März 1999 und der Einsprache-  
  
entscheid der Schweizerischen Unfallversicherungs-  
  
anstalt vom 15. Januar 1996 aufgehoben, und es wird  
  
die Sache an diese zurückgewiesen, damit sie über den  
  
Leistungsanspruch des Beschwerdeführers neu verfüge.  
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat dem 
  
Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössi-  
  
schen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung  
  
von Fr. 2500.- zu bezahlen.  
 
IV.Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird 
  
über eine Parteientschädigung für das kantonale Ver-  
  
fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen  
  
Prozesses zu befinden haben.  
 
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-  
  
rungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für  
  
Sozialversicherung zugestellt.  
 
 
Luzern, 8. Februar 2000 
 
  
  
  
Im Namen des  
  
  
  
Eidgenössischen Versicherungsgerichts  
  
  
  
Der  
Präsident                                         
Die Gerichts-  
  
  
  
der IV.  
Kammer:                                         
schreiberin: