Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_9/2022
Urteil vom 8. März 2022
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
nebenamtliche Bundesrichterin Truttmann,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Dezember 2021 (IV 2021/46).
Sachverhalt:
A.
A.a. Der 1974 geborene A.________ wurde erstmals im März 1980 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung angemeldet. In der Folge wurden ihm berufliche Eingliederungsmassnahmen im Sinne von Ausbildungs- und Umschulungsvorkehren zugesprochen.
Im Mai 2011 gelangte A.________ erneut an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen und ersuchte um Versicherungsleistungen. Nach vertieften medizinischen Abklärungen sprach ihm diese mit Verfügung vom 18. Juli 2014 eine ganze Invalidenrente rückwirkend ab 1. Januar 2012 zu.
Im Zeitraum zwischen August 2014 und Oktober 2016 beantragte A.________ abermals mehrfach die Ausrichtung beruflicher Massnahmen. Die entsprechenden Gesuche wurden jeweils abschlägig beschieden (Verfügung der IV-Stelle vom 25. Juni 2015, Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 7. Juli 2016, bundesgerichtliches Nichteintretensurteil 8C_569/2016 vom 4. Oktober 2016; Mitteilung der IV-Stelle vom 17. Juli 2017).
Nachdem A.________ im Januar 2018 wiederum bei der IV-Stelle vorstellig geworden war, trat die IV-Behörde auf sein Ersuchen mangels Glaubhaftmachung eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse seit der letztmaligen Ablehnung nicht ein (Verfügung vom 19. Januar 2018). Die dagegen gerichtete Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gut; es verpflichtete die IV-Stelle, auf die Neuanmeldung einzutreten und diese materiell zu beurteilen, da Art. 87 Abs. 3 IVV nicht analog auf Neuanmeldungen betreffend berufliche Eingliederungsmassnahmen angewendet werden könne (Entscheid vom 18. Dezember 2018). Auf die Beschwerde der IV-Stelle trat das Bundesgericht mit der Begründung nicht ein, der geltend gemachte nicht wieder gutzumachende Nachteil habe verfahrensrechtlichen Charakter, weshalb die Beschwerde unzulässig sei (Urteil 8C_91/2019 vom 16. April 2019).
Mit Verfügung vom 3. Februar 2020 wiederholte die IV-Stelle ihren ablehnenden Standpunkt bezüglich allfälliger Umschulungsmassnahmen von A.________. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die hiegegen angehobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 8. September 2020). Das Bundesgericht beurteilte die von A.________ eingelegte Beschwerde ebenfalls als nicht zulässig (Urteil 9C_616/2020 vom 19. Oktober 2020).
A.b. Am 3. November 2020 meldete sich A.________ erneut zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens trat die IV-Stelle auf das Ersuchen mit Verfügung vom 12. Februar 2021 nicht ein, da keine relevante Sachverhaltsveränderung glaubhaft gemacht worden sei.
B.
Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, soweit die materiellen Beschwerdeanträge betreffend, nicht ein. Im Übrigen hob es die angefochtene Nichteintretensverfügung auf und ersetzte diese durch einen verfahrensleitenden Eintretensentscheid; es wies die Sache zur materiellen Prüfung des Leistungsbegehrens vom 3. November 2020 an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 21. Dezember 2021).
C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Verfügung vom 12. Februar 2021 vollumfänglich zu bestätigen.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 380 E. 1 Ingress mit Hinweis).
2.
2.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Rückweisungsentscheid. Die IV-Stelle wird darin angewiesen, auf die Neuanmeldung des Beschwerdegegners einzutreten und betreffend berufliche Eingliederungsmassnahmen materiell zu prüfen.
2.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig, sofern - alternativ - der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache wie im vorliegenden Fall zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind grundsätzlich Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden können (BGE 140 V 282 E. 2 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 138 V 271).
3.
3.1. Der Eintretensgrund von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ohne Weiteres ausser Betracht und wird auch nicht geltend gemacht.
3.2.
3.2.1. Mit Blick auf das in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG festgehaltene Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gilt es folgende Konstellationen zu unterscheiden: Dient die Rückweisung einzig noch der Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten und verbleibt dem Versicherungsträger somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht - wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall - um einen Zwischenentscheid, gegen den ein Rechtsmittel letztinstanzlich bloss unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig ist, sondern um einen sowohl von der betroffenen versicherten Person wie auch von der Verwaltung anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Enthält der Rückweisungsentscheid demgegenüber Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum der Verwaltung zwar nicht gänzlich, aber doch wesentlich einschränken, stellt er einen Zwischenentscheid dar. Dieser bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die rechtsuchende Person ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich für den Versicherungsträger, da er durch den Entscheid gezwungen wird, eine seines Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Während er sich ausserstande sähe, seinen eigenen Rechtsakt anzufechten, wird die versicherte Person im Regelfall kein Interesse haben, einem zu ihren Gunsten lautenden Endentscheid zu opponieren. Der kantonale Rückweisungsentscheid könnte mithin nicht mehr korrigiert werden. Der irreversible Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG wird in diesen Fällen deshalb regelmässig bejaht. Das gilt aber nur, soweit der Rückweisungsentscheid materiellrechtliche Vorgaben enthält, welche die untere Instanz bei ihrem neuen Entscheid befolgen muss. Erschöpft sich der Rückweisungsentscheid darin, dass eine Frage ungenügend abgeklärt und deshalb näher zu prüfen ist, ohne dass damit materiellrechtliche Anordnungen verbunden sind, so entsteht der Behörde, an die zurückgewiesen wird, kein nicht wieder gutzumachender Nachteil. Die Rückweisung führt lediglich zu einer das Kriterium nicht erfüllenden Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens (BGE 140 V 282 E. 4.2 mit Hinweisen; Urteil 8C_91/2019 vom 16. April 2019 E. 2.2).
3.2.2. Zu präzisieren ist, dass vom Grundsatz der Nichtanhandnahme direkter Beschwerden gegen erwiesenermassen ungerechtfertigte Rückweisungsentscheide mangels Vorliegens der Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG eine Ausnahme gemacht werden kann, wenn sich zeigt, dass ein Gericht regelmässig in entsprechender Weise vorgeht (BGE 139 V 99 E. 2.5 mit Hinweis; Urteil 8C_503/2019 vom 19. Dezember 2019 E. 1.2 mit Hinweisen, in: SVR 2020 IV Nr. 30 S. 107). Dahinter steht die Überlegung, dass eine strikte Einzelfallbehandlung der Eintretensvoraussetzungen es verunmöglichen würde, eine Fehlpraxis zu korrigieren. Es verhält sich insofern ähnlich, wie wenn unter bestimmten Bedingungen auf das Eintretenserfordernis des aktuellen praktischen Interesses (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG) verzichtet wird, damit eine bestimmte Frage von allgemeinem Interesse überhaupt je einmal beurteilt werden kann (Urteil 9C_287/2020 vom 22. September 2020 E. 1.2.2 mit diversen Hinweisen; vgl. BGE 140 III 92 E. 1.1; 139 I 206 E. 1.1; 137 I 23 E. 1.3.1; 136 III 497 E. 1.1).
4.
4.1. Die beschwerdeführende IV-Stelle beruft sich zum einen auf den in E. 3.2.2 genannten Ausnahmefall. Das Bundesgericht habe auf die Beschwerde einzutreten, weil das kantonale Gericht mit Bezug auf die Eintretensfrage bei Neuanmeldung für berufliche Massnahmen eine bundesrechtswidrige Rechtspraxis verfolge und auch künftig daran festhalten werde. Nach vorinstanzlicher Auffassung sei auf ein Gesuch um Gewährung beruflicher Eingliederungsmassnahmen - entgegen diesbezüglich geltender ständiger Praxis - jederzeit einzutreten, unabhängig davon, ob eine relevante Veränderung seit der letzten rechtskräftigen Leistungsablehnung glaubhaft gemacht worden sei oder nicht.
4.2. Gemäss jahrzehntelanger Rechtsprechung ist eine Neuanmeldung nach vorangegangener Ablehnung eines Leistungsgesuchs (um Rente, Hilflosenentschädigung oder Eingliederungsmassnahmen) nur zu prüfen, wenn eine leistungsrelevante Änderung der tatsächlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht worden ist. Diese Gerichtspraxis soll verhindern, dass sich die IV-Stellen immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Leistungsgesuchen befassen muss (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 64 E. 5.2.3; 125 V 410 E. 2b; 117 V 198 E. 4b; 109 V 108 E. 2a, 119 E. 3a und 3b, 262 E. 3; Urteil 9C_287/2020 vom 22. September 2020 E. 1.3.1).
Anders als noch im erwähnten Urteil 9C_287/2020, in welchem betreffend die gleiche Konstellation (IV-Stelle, Vorinstanz, Rechtsfrage) erkannt worden war, anhand von drei Fällen könne (noch) nicht geschlossen werden, das kantonale Gericht übergehe die angeführte Rechtsprechung systematisch (vgl. dortige E. 1.3.2), beruft sich die Beschwerdeführerin nunmehr auf insgesamt sechs derartige Entscheide der Vorinstanz (samt dem hier angefochtenen). Wie es sich damit verhält respektive ob gestützt darauf nunmehr von der beschriebenen Ausnahmesituation bezüglich Eintretensvoraussetzung auszugehen wäre, braucht jedoch aus den nachstehend aufgeführten Gründen nicht abschliessend beurteilt zu werden.
5.
5.1. Die Vorinstanz ist im Sinne einer Eventualbegründung zum Schluss gelangt, dass selbst wenn das Eintreten auf die Neuanmeldung des Beschwerdegegners betreffend berufliche Eingliederungsmassnahmen die Glaubhaftmachung einer relevanten Sachverhaltsveränderung erfordert hätte, die angefochtene Nichteintretensverfügung vom 12. Februar 2021 infolge formaler Gründe aufzuheben wäre. Insbesondere ergebe sich aus dem in Art. 29 Abs. 2 ATSG vorgesehenen Formularzwang, dass die versicherte Person bei Neuanmeldung jeweils ausdrücklich auf die glaubhaft zu machende Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse hinzuweisen sei. Auch wenn der Beschwerdegegner also verpflichtet gewesen wäre, so die Vorinstanz abschliessend, eine relevante Sachverhaltsveränderung glaubhaft zu machen, hätte die IV-Stelle ihn nach dem Erhalt des diesbezüglich unvollständigen Anmeldeformulars dazu durch entsprechende Rückfrage auffordern müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei die angefochtene Nichteintretensverfügung rechtswidrig ergangen und bereits aus diesem Grund aufzuheben; sie sei durch einen verfahrensleitenden Eintretensentscheid zu ersetzen.
5.2. Die Vorgehensweise des kantonalen Gerichts - Ersetzen der angefochtenen Nichteintretensverfügung vom 12. Februar 2021 durch einen verfahrensleitenden Eintretensentscheid auf Grund formeller Mängel - bewirkt für die Beschwerdeführerin keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG. Sie wird dadurch lediglich angewiesen, dem Versicherten Gelegenheit zu geben, eine relevante Sachverhaltsveränderung glaubhaft zu machen. Der Rückweisungsentscheid enthält keine verbindlichen Anweisungen hinsichtlich der materiellrechtlichen Erledigung des Falls (vgl. E. 3.2.1 hiervor), weshalb der Beurteilungsspielraum der IV-Stelle nicht eingeschränkt wird (Urteile 9C_287/2020 vom 22. September 2020 E. 1.2.1, 8C_91/2019 vom 16. April 2019 E. 2.3 und 9C_898/2007 vom 24. Juli 2008 E. 2.1, in: SVR 2009 IV Nr. 14 S. 35).
Auf die Beschwerde der IV-Stelle gegen den kantonalen Entscheid vom 21. Dezember 2021 ist daher nicht einzutreten.
6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. März 2022
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl