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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
U 202/03 
 
Urteil vom 8. April 2004 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin Bucher 
 
Parteien 
K.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern, 
 
gegen 
 
1. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
2. IV-Stelle Nidwalden, Stansstaderstrasse 54, 6371 Stans, 
Beschwerdegegnerinnen 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Stans 
 
(Entscheid vom 2. Dezember 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 27. Oktober 1997 erhöhte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) die dem 1949 geborenen K.________ seit dem 1. September 1990 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 20 % gewährte Invalidenrente mit Wirkung ab 1. April 1996, indem sie dieser neu eine Erwerbsunfähigkeit von 35 % zugrunde legte. Diese Verfügung bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 3. September 1999. 
B. 
Der Versicherte liess hiegegen beim Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der Einspracheentscheid sei aufzuheben und die SUVA zu verpflichten, ihm eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 70 % auszurichten. 
Nachdem die vom Verwaltungsgericht anfangs 2000 verfügte Sistierung des Verfahrens am 20. März 2002 aufgehoben worden war, ersuchte die SUVA in ihrer Beschwerdeantwort vom 23. April 2002 das Gericht, unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 27,04 % eine reformatio in peius vorzunehmen. 
In einer Eingabe vom 2. Mai 2002 liess der Versicherte ausführen, er verzichte zugunsten der Verfahrensbeschleunigung auf eine formelle Replik. Indessen werde der bereits in der Beschwerde erhobene Beweisantrag auf eine umfassende medizinische Begutachtung erneuert, was sich insbesondere im Hinblick auf die von der SUVA beantragte reformatio in peius aufdränge. Zur Einreichung einer Duplik eingeladen, hielt die SUVA am 4. Juli 2002 ihrerseits an ihrem Rechtsbegehren, welchem sich die vom Gericht beigeladene IV-Stelle Nidwalden angeschlossen hatte, fest. 
Mit Entscheid vom 2. Dezember 2002 (versandt am 1. Juli 2003) wies das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, die Beschwerde ab und veranschlagte in Vornahme einer reformatio in peius den Satz der von der SUVA auszurichtenden Invalidenrente auf 27,04 %. Es hatte den Versicherten nicht über die beabsichtigte Schlechterstellung informiert. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ beantragen, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die SUVA habe ihm ab 1. April 1996 eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 70 % auszurichten. 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Versicherte beanstandet zunächst, die Vorinstanz habe eine reformatio in peius - eine Schlechterstellung des Beschwerdeführers - vorgenommen, ohne eine solche formell angekündigt zu haben. Diese Rüge ist vorab zu behandeln, da deren Begründetheit zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides aus formellen Gründen führen müsste (BGE 122 V 168 Erw. 3). 
2. 
2.1 Der vorinstanzliche Entscheid datiert vom 2. Dezember 2002 und erging damit vor dem am 1. Januar 2003 erfolgten In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000. Daher ist dessen die reformatio in peius betreffender Art. 61 lit. d auf die Frage, ob die formellen Voraussetzungen einer solchen beachtet wurden, nicht anwendbar; massgebend ist diesbezüglich vielmehr der bis zum 31. Dezember 2002 in Kraft gestandene Art. 108 Abs. 1 lit. d UVG (vgl. BGE 129 V 115 Erw. 2.2, 127 V 467 Erw. 1 und Urteil M. vom 13. Februar 2004, C 259/03, Erw. 2). 
2.2 Nach dieser Bestimmung ist das Gericht an die Begehren der Parteien nicht gebunden; es kann eine Verfügung zu Ungunsten der Beschwerde führenden Person ändern oder dieser mehr zusprechen, als sie verlangt hat, wobei es den Parteien vorher Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Allgemein hat nach der auf den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; früher Art. 4 aBV) gestützten Rechtsprechung eine Behörde, die beabsichtigt, auf ein Rechtsmittel hin zu einer reformatio in peius zu schreiten, die betroffene Partei vorgängig darauf aufmerksam zu machen und ihr zum einen Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen und sie zum andern auf die Möglichkeit des Beschwerderückzugs hinzuweisen (BGE 122 V 167 Erw. 2a und b). 
3. 
3.1 Die SUVA vertritt die Auffassung, die erwähnte Rechtsprechung sei auf Situationen zugeschnitten, in denen ein Leistungsansprecher ohne professionelle juristische Unterstützung ein Rechtsmittel eingereicht und/oder die beschwerdegegnerische Partei nicht auf eine reformatio in peius geschlossen habe. Die Einhaltung der erwähnten formellen Voraussetzungen einer reformatio in peius sei indessen dann nicht zwingend erforderlich, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Beschwerde führende Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, die Beschwerdegegnerin eine reformatio in peius beantragt und der beschwerdeführerische Rechtsvertreter im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels Gelegenheit erhalten habe, sich zu diesem Antrag zu äussern. Von einem im Anwaltsregister eingetragenen berufsmässigen Rechtsvertreter dürfe erwartet werden, dass er sowohl um die Bedeutung einer reformatio in peius als auch darum wisse, dass er dieser mit einem Rückzug der Beschwerde entgehen könne. 
3.2 Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Auch ein Rechtsanwalt kann allein aufgrund dessen, dass die Gegenpartei in der Beschwerdeantwort eine reformatio in peius beantragt und ihm das Gericht eine Frist zur Einreichung einer Replik ansetzt, nicht wissen, ob dieses tatsächlich beabsichtigt, in Übereinstimmung mit dem beschwerdegegnerischen Rechtsbegehren eine reformatio in peius vorzunehmen. Es kann auch von einem Anwalt nicht verlangt werden, ein Rechtsmittel einzig wegen eines beschwerdegegnerischen Antrags auf eine reformatio in peius gegebenenfalls zwecks Vermeidung einer Schlechterstellung rein vorsorglich zurückzuziehen, ohne zu wissen, ob das Gericht selbst eine solche für angezeigt erachtet, und so Gefahr zu laufen, eine Beschwerde zurückzuziehen, die - wenn er daran festhielte - gutgeheissen würde. Auch bei einer anwaltlich vertretenen versicherten Person und bei Vorliegen eines Antrags der Gegenpartei auf Vornahme einer reformatio in peius darf sich ein Gericht deshalb, wenn es eine Schlechterstellung beabsichtigt, nicht damit begnügen, die Beschwerde führende versicherte Person zur Stellungnahme zu den Argumenten des Versicherungsträgers aufzufordern, sondern ist verpflichtet, sie ausdrücklich auf die beabsichtigte Schlechterstellung aufmerksam zu machen und ihr Gelegenheit zu geben, darauf zu reagieren (vgl. für den Fall einer nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin Urteil C. vom 25. Juni 2003, I 831/02, Erw. 3.2). Indem die Vorinstanz anders vorging, hat sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sowie Art. 108 Abs. 1 lit. d UVG verletzt (vgl. erwähntes Urteil I 831/02, Erw. 3.2). Unter diesen Umständen lässt der Verzicht auf die Einreichung einer ausführlichen Replik, mit der mangels Information durch das Gericht nicht zu einer von diesem beabsichtigten, sondern nur zu einer von der Gegenpartei anbegehrten reformatio in peius hätte Stellung genommen werden können, die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobene Rüge, eine formelle Ankündigung der Schlechterstellung durch die Vorinstanz sei unterblieben, entgegen der Ansicht der SUVA nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. 
4. 
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid ohne Prüfung der weiteren Parteivorbringen aus formellen Gründen aufzuheben. Die Vorinstanz, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird vor einem neuen Entscheid, sofern sie nach wie vor eine Schlechterstellung für erforderlich hält, dem Beschwerdeführer die beabsichtigte reformatio in peius anzeigen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme dazu sowie zum Rückzug der Beschwerde geben. Nicht nur die Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme, sondern auch jene der Möglichkeit zum Beschwerderückzug, die beide eine Information über die beabsichtigte reformatio in peius voraussetzen, ist nun in Art. 61 lit. d ATSG ausdrücklich vorgesehen. Diese Vorschrift, die nicht zwischen anwaltlich vertretenen und anderen Beschwerdeführenden unterscheidet, ist auf das neue, nach In-Kraft-Treten des ATSG stattfindende kantonale Gerichtsverfahren anwendbar (vgl. Urteil M. vom 13. Februar 2004, C 259/03, Erw. 2, und für die Anwendbarkeit des ATSG im Bereich der Unfallversicherung Art. 1 UVG in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, vom 2. Dezember 2002 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Abteilung Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 8. April 2004 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin 
 
i.V.