Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_742/2023
Urteil vom 8. April 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Bögli.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Eidgenössische Ausgleichskasse, Schwarztorstrasse 59, 3003 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Betreuungsentschädigung),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. Oktober 2023 (EO.2023.00004).
Sachverhalt:
A.
A.a. A.________ meldete sich im Februar 2022 bei der Eidgenössischen Ausgleichskasse EAK (nachfolgend: EAK) zum Bezug einer Betreuungsentschädigung für die Zeit vom 15. Februar bis zum 27. März 2022 für die Betreuung ihrer im Oktober 2018 geborenen Tochter B.________ an. Nachdem die EAK eine Stellungnahme des Spitals C.________ eingeholt hatte, verneinte sie mit Verfügung vom 21. März 2022 einen Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Einspracheentscheid vom 6. Mai 2022 ab. A.________ erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde, welche das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 21. Oktober 2022 guthiess und die Sache zur weiteren Abklärung und zu neuem Entscheid an die EAK zurückwies.
A.b. Die EAK verneinte mit Verfügung vom 30. Januar 2023 erneut einen Anspruch von A.________ auf eine Betreuungsentschädigung. Die am 10. Februar 2023 erhobene Einsprache wies sie nach Erkundigungen beim behandelnden Arzt Prof. Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Neurochirurgie, am 30. März 2023 ab.
B.
Mit Urteil vom 19. Oktober 2023 wies das Sozialversicherungsgericht die dagegen eingereichte Beschwerde ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Ausrichtung einer Betreuungsentschädigung für die Zeit vom 15. Februar bis zum 27. März 2022; eventualiter vom 15. Februar bis zum 7. März 2022.
Die EAK schliesst auf Abweisung der Beschwerde, ebenso das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2). Zudem legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, welchen die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, die vorinstanzlichen Feststellungen seien offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG).
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung oder Beweiswürdigung ist offensichtlich unrichtig, wenn sie sich als willkürlich erweist. Bei der Beweiswürdigung ist das der Fall, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Noch keine offensichtliche Unrichtigkeit liegt vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als plausibler erscheint. Sachverhaltsrügen sind auf Grund des strengen Rügeprinzips klar und detailliert in der Beschwerdeschrift aufzuzeigen. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid ist nicht einzugehen (BGE 144 V 50 E. 4.2; Urteile 9C_415/2022 vom 14. November 2022 E. 1.2; 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Betreuungsentschädigung verneint hat.
3.
3.1. Eltern eines minderjährigen Kindes, das wegen Krankheit oder Unfall gesundheitlich schwer beeinträchtigt ist, haben Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung, wenn sie die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen und im Zeitpunkt der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit entweder Arbeitnehmende im Sinne von Art. 10 ATSG oder Selbstständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG sind, oder im Betrieb des Ehemanns oder der Ehefrau mitarbeiten und einen Barlohn beziehen (Art. 16n EOG).
Ein Kind ist gemäss Art. 16o EOG gesundheitlich schwer beeinträchtigt, wenn:
- eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychischen Zustandes eingetreten ist (lit. a); und
- der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist (lit. b); und
- ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht (lit. c); und
- mindestens ein Elternteil die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen muss (lit. d).
3.2. Leichte Erkrankungen oder Unfallfolgen sowie mittelschwere Beeinträchtigungen können Spitalaufenthalte oder regelmässige Arztbesuche erforderlich machen und den Alltag erschweren. In diesen Fällen (z.B. Knochenbrüche, Diabetes, Lungenentzündung) kann jedoch mit einem positiven Ausgang oder mit einer kontrollierbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung gerechnet werden und es besteht daher kein Anspruch auf die Betreuungsentschädigung (Kreisschreiben des BSV über die Betreuungsentschädigung [KS BUE] vom 1. Juli 2021, N 1037.3; zur Bedeutung von Verwaltungsweisungen, welche für die Gerichte zwar nicht verbindlich, jedoch zu berücksichtigen sind, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen, vgl. BGE 148 V 385 E. 5.2; 145 V 84 E. 6.1.1; 142 V 442 E. 5.2). Der Gesetzgeber geht von einer Mindestdauer der ärztlichen Behandlung von einigen Monaten aus, um eine gesundheitliche Beeinträchtigung als schwer zu erachten (vgl. Botschaft vom 22. Mai 2019 zum Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung; BBl 2019 4103 ff., 4134).
4.
4.1. Das Sozialversicherungsgericht erwog im angefochtenen Urteil, die im Oktober 2018 geborene B.________ habe sich am 4. Februar 2022 bei einem Stolpersturz mit der Metallspitze eines Diabolostocks eine intrakraniell dislozierte Fraktur des Orbitadaches links mit einer perforierenden Verletzung des Oberlids links zugezogen. Nachdem zunächst abgewartet worden sei, ob sich das dislozierte Knochenfragment spontan repositionieren würde, sei B.________ - nachdem sich die Hoffnung nicht erfüllt hatte - am 9. Februar 2022 am Schädel operiert worden. Die Operation sei komplikationslos verlaufen und B.________ habe bei gutem klinischen Verlauf am 14. Februar 2022 unter Analgesie bei Bedarf nach Hause entlassen werden können.
Mit dem dem Anmeldeformular zum Leistungsbezug angehängten ärztlichen Attest vom 24. Februar 2022 habe Prof. Dr. med. D.________ durch Ankreuzen der Kästchen bei den entsprechenden Aussagen bestätigt, dass eine einschneidende Veränderung des körperlichen oder psychischen Zustandes von B.________ eingetreten, der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen sei und dass ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern bestehe. Hingegen habe er bei der Aussage, mindestens ein Elternteil habe die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrechen müssen, kein Kreuz gemacht. Mit E-Mail vom 14. März 2022 habe das Spital C.________ nach Absprache mit Prof. Dr. med. D.________ ausgeführt, die Behandlung habe sich nicht über längere Zeit erstreckt, der Verlauf oder Ausgang sei nicht schwer vorhersehbar und das Kind gesundheitlich nicht so schwer beeinträchtigt gewesen, dass es einer intensiven Betreuung bedurft habe. Bei der postoperativen Kontrolle seien ein sehr erfreulicher Verlauf und eine gute Erholung von der Operation ohne neurologische Defizite festgestellt worden.
Das kantonale Gericht kam zum Schluss, es könne gestützt auf den provisorischen Austrittsbericht vom 11. Februar 2022 ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Verlauf bei Austritt aus dem Spital am 14. Februar 2022 nicht mehr schwer vorhersehbar gewesen sei und auch nicht (mehr) mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder gar dem Tod habe gerechnet werden müssen. Zumindest Art. 16o lit. b EOG sei damit zum Zeitpunkt des Spitalaustritts nicht (mehr) erfüllt gewesen. Falls überhaupt ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Betreuungsentschädigung bestanden habe, so sei dieser spätestens am 15. Februar 2022 - und damit am ersten Tag, für den eine Entschädigung geltend gemacht worden sei - erloschen.
4.2.
4.2.1. Die Beschwerdeführerin rügt zum einen, alleine aus der Tatsache, dass ihre Tochter B.________ aus dem Spital entlassen worden sei, könne nicht auf eine positive Prognose geschlossen werden. Es verstehe sich von selbst, dass Patienten bei einem schlechten Verlauf im Spital bleiben müssten. Zudem würde Art. 16o lit. d EOG bei einer solchen Argumentationsweise obsolet, da nie ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern bestehen könnte, da ein Kind bei einem schlechten klinischen Verlauf immer im Spital bleiben müsste.
4.2.2. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass das kantonale Gericht nicht aus der Tatsache, dass ihre Tochter aus dem Spital entlassen wurde, auf eine positive Prognose geschlossen hat. Es hat diese Prognose hingegen mit dem Austrittsbericht vom 11. Februar 2022 begründet, in dem ein guter klinischer Verlauf festgehalten wurde. Soweit sie argumentiert, bei einem schlechten klinischen Verlauf sei eine Entlassung aus dem Spital nicht möglich, ist ihr zudem zu widersprechen. Gerade bei Erkrankungen ohne Aussicht auf Heilung oder Verbesserung ist eine Entlassung aus dem Spital nicht unüblich, solange keine durchgehende medizinische Behandlung notwendig ist.
4.3.
4.3.1. Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, das Sozialversicherungsgericht habe den Sachverhalt unrichtig festgestellt. Es habe rückblickend aus heutiger Sicht erwogen, der Verlauf sei zum Zeitpunkt des Spitalaustritts nicht mehr schwer vorhersehbar gewesen und es sei auch nicht mehr mit dem Tod oder einer bleibenden Beeinträchtigung zu rechnen gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei der Verlauf jedoch schwer vorhersehbar und alles andere als klar erschienen. Falls überhaupt, sei eine solche Einschätzung frühestens bei der Nachkontrolle vom 7. März 2022 möglich gewesen, was ja auch deren Sinn und Zweck sei.
4.3.2. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, weshalb die Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts offensichtlich unrichtig sein sollte (vgl. E. 1 hiervor), sondern stellt lediglich in appellatorischer Weise ihre Ansicht derjenigen der Vorinstanz gegenüber, was den Begründungsanforderungen bei Sachverhaltsrügen nicht zu genügen vermag. Insbesondere kann sie aus dem ärztlichen Attest des Prof Dr. med. D.________ vom 24. Februar 2022 diesbezüglich nichts zu ihren Gunsten ableiten. Vielmehr hat das Sozialversicherungsgericht erkannt, dass Prof. Dr. med. D.________ sich mit späteren Angaben widersprach und im Übrigen zu keinem Zeitpunkt die gleichzeitige Erfüllung aller vier Anspruchsvoraussetzungen bejaht hatte. Es ist nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht zur Ermittlung des Sachverhalts stattdessen auf die medizinischen Akten, insbesondere auf den provisorischen Austrittsbericht vom 11. Februar 2022, abgestellt hat. Dass es dabei den Bericht unrichtig gewürdigt haben sollte, macht die Beschwerdeführerin nicht substanziiert geltend.
5.
Zusammenfassend erweist sich die vorinstanzliche Feststellung, dass der Genesungsverlauf der Tochter B.________ zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Spital am 14. Februar 2022 nicht mehr unvorhersehbar gewesen sei und auch nicht mehr mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder gar dem Tod habe gerechnet werden müssen, nicht als offensichtlich unrichtig. Da die in Art. 16o EOG aufgezählten Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Betreuungsentschädigung kumulativ erfüllt sein müssen, erübrigt sich eine Prüfung der weiteren Anforderungen. Das Sozialversicherungsgericht hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem es einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Betreuungsentschädigung verneint hat.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. April 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Bögli