Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
H 46/05
Urteil vom 8. Mai 2006
I. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Meyer, Lustenberger, Borella und Seiler; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold
Parteien
Z.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten durch die
UV-Treuhand Urs Vögele AG, Untere Bahnhofstrasse 19, 9500 Wil,
gegen
Ausgleichskasse Grosshandel und Transithandel, Schönmattstrasse 4, 4153 Reinach, Beschwerdegegnerin,
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 13. Januar 2005)
Sachverhalt:
A.
Z.________ betrieb als Einzelfirma lange Jahre einen Schweinehandel und war der Ausgleichskasse Grosshandel und Transithandel (nachfolgend: Ausgleichskasse) als Selbstständigerwerbender angeschlossen. Per 1. Januar 1997 verkaufte er den Schweinehandel an die Firma X.________ AG, bei welcher er in der Folge als Arbeitnehmer tätig war. Gemäss eigenen Angaben betrug sein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ab 1. Januar 1997 Fr. 0.-. Z._______ verzichtete auf die Unterstellung seines Nebenerwerbs unter die Beitragspflicht. Nachdem die kantonale Steuerverwaltung mit Steuermeldung vom 18. Oktober 2001 für 1997 ein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 611'792.- und für 1998 einen Verlust von Fr. 74'672.- gemeldet hatte, holte die Ausgleichskasse weitere Auskünfte bei der Steuerverwaltung sowie bei Z.________ ein. Mit Verfügungen vom 21. November 2002 setzte die Ausgleichskasse die Beiträge für 1997 auf einem beitragspflichtigen Einkommen von Fr. 611'700.-, für 1998 auf einem solchen von Fr. -74'700.- und für 1999 auf einem solchen von Fr. 268'500.- (Durchschnitt der beiden vorhergehenden Jahre) fest.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 23. Mai 2003 bezüglich der Beitragsverfügung für das Jahr 1997 ab; in Bezug auf die Beitragsverfügung für das Jahr 1999 hiess es die Beschwerde teilweise gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese die Beiträge nach erneuter Abklärung im Rahmen der Gegenwartsbemessung neu festsetze.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hiess die gegen die Beiträge für die Jahre 1997 und 1999 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 22. April 2004, H 224/03, in dem Sinne gut, als es den kantonalen Entscheid aufhob und die Sache an die Vorinstanz zurückwies, damit diese über die Qualifizierung des Sanierungsgewinns als Erwerbseinkommen befinde und neu entscheide.
B.
Nachdem die Beitragspflicht für 1999 gemäss Entscheid vom 23. Mai 2003 angepasst wurde, wies das kantonale Versicherungsgericht die Beschwerde gegen die einzig noch strittige Beitragsverfügung für das Jahr 1997 mit Entscheid vom 13. Januar 2005 ab.
C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid und die Beitragsverfügung vom 21. November 2002 bezüglich des Beitragsjahres 1997 aufzuheben; eventualiter sei das beitragspflichtige Einkommen für das Beitragsjahr 1997 auf Fr. 67'449.- zu reduzieren. Das kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (nachfolgend: BSV) und die Ausgleichskasse verzichten auf eine Stellungnahme.
D.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht forderte das BSV als Aufsichtsbehörde zu einer Vernehmlassung auf, welche am 6. Februar 2006 erstattet und den Parteien zur Kenntnisnahme sowie allfälligen Stellungnahme zugestellt wurde.
E.
Am 8. Mai 2006 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine parteiöffentliche Beratung durch.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der ausserordentliche Sanierungsgewinn von Fr. 544'343.- infolge Schuldenerlasses beitragspflichtiges Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit darstellt. Massgebend sind dabei gemäss den üblichen intertemporalrechtlichen Grundsätzen diejenigen Rechtssätze, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).
3.
Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ist jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt (Art. 9 Abs. 1 AHVG in der seit 1. Januar 1948 geltenden, unverändert gebliebenen Fassung). Darunter fallen laut Art. 17 AHVV (in der bis 31. Dezember 1994 gültig gewesenen Fassung) das in selbstständiger Stellung erzielte Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Handel, Gewerbe, Industrie und freien Berufen, einschliesslich eingetretene und verbuchte Wertvermehrungen und Kapitalgewinne von zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmungen (lit. d).
Gestützt auf diese Rechtslage hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im Jahr 1972 entschieden, dass anders als bei der Wehrsteuer, welcher das gesamte Einkommen einer steuerpflichtigen Person unterstellt war, nur das Erwerbseinkommen beitragspflichtiges Einkommen ist. Als solches gelten die Einkünfte, die der versicherten Person aus einer Tätigkeit zufliessen und dadurch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Die grundsätzliche Verbindlichkeit der Steuermeldung, welche auf Grund der rechtskräftigen Veranlagung über die direkte Bundessteuer erstattet wird (Art. 23 Abs. 4 AHVV), kann daher nur insoweit gelten, als überhaupt Erwerbseinkommen vorliegt, was die Ausgleichskasse ohne Bindung an die steuerliche Einschätzung zu prüfen hat. Ob der Erlass einer Geschäftsschuld beitragspflichtiges Einkommen darstellt, hängt davon ab, ob es sich um ein Entgelt für eine Tätigkeit des Schuldners im Interesse des verzichtenden Gläubigers handelt. Im konkreten Fall, wo der Schulderlass vor allem mit Rücksicht auf die voraussichtliche Uneinbringlichkeit der Forderung erklärt worden war, lag kein Entgelt für eine Tätigkeit und damit auch kein beitragspflichtiges Einkommen vor (BGE 98 V 186).
Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) am 1. Januar 1995 sind auch die Art. 17 ff. AHVV geändert worden (AS 1994 2163). Nach dem neuen Art. 17 gelten als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit alle in selbstständiger Stellung erzielten Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf sowie aus jeder anderen selbstständigen Erwerbstätigkeit, einschliesslich der Kapital- und Überführungsgewinne nach Art. 18 Abs. 2 DBG und der Gewinne aus der Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken nach Art. 18 Abs. 4 DBG; mit Änderung vom 1. März 2000 (AS 2000 1441) wurde Art. 17 AHVV insoweit ergänzt, als dass Einkünfte aus zu Geschäftsvermögen erklärten Beteiligungen nach Art. 18 Abs. 2 DBG vom beitragspflichtigen Einkommen ausgenommen wurden.
Mit Urteil H. vom 2. Dezember 2004, H 174/04, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass Vermögensänderungen, welche aus dem Forderungsverzicht eines Gläubigers resultieren, steuerbares und somit beitragspflichtiges Einkommen darstellen.
In seinem Urteil S. vom 6. Juli 2005, H 17/05, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Ausgleichskasse hinsichtlich der Qualifikationsfrage, ob überhaupt Erwerbseinkommen (und nicht beitragsfreier Kapitalertrag) vorliege, nicht an die steuerrechtliche Betrachtungsweise gebunden ist, so wenig wie in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Geschäfts- und Privatvermögen oder das Vorliegen selbstständiger oder unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Von diesen Ausnahmen abgesehen brachte das Gericht den Begriff des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit in Übereinstimmung mit dem steuerrechtlichen. Weiters schloss es daraus, dass der Forderungsverzicht zu Gunsten einer selbstständigerwerbenden Person immer dann beitragspflichtiges Erwerbseinkommen darstellt, wenn er eine Geschäftsschuld betrifft. Hingegen führt ein Schulderlass dann nicht zur Annahme eines selbstständigen Erwerbseinkommens, wenn es sich um eine Privatschuld handelt, die mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit in keinem Zusammenhang steht.
4.
Der von der Ausgleichskasse als beitragspflichtiges Einkommen qualifizierte Sanierungsgewinn setzt sich aus Forderungsverzichten mehrerer Banken gemäss Vereinbarung vom 9. Juli 1997 zusammen und wurde ordnungsgemäss verbucht (vgl. Geschäftsabschluss 1996/97). Wie sich aus der in Rechtskraft erwachsenen Veranlagung für die Steuerperiode 1999/2000 mit den Bemessungsjahren 1997/98 ergibt, wurde der Gesamtbetrag der erlassenen Schulden als steuerpflichtiges Einkommen qualifiziert (vgl. Auszug aus der Veranlagung 1999/2000 sowie Steuermeldung vom 18. Oktober 2001 und Bestätigung des Gemeindesteueramtes vom 13. Mai 2002). Diese Forderungsverzichte seitens der Banken stehen somit in Zusammenhang mit der geschäftlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und stellen demzufolge beitragspflichtiges Erwerbseinkommen im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung dar. Daran ändert auch der Einwand des Beschwerdeführers nichts, der Begriff "Sanierungsgewinn" könne nur bei juristischen Personen verwendet werden. Denn es kommt nicht auf die tatsächliche Bezeichnung, sondern vielmehr auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise an (vgl. etwa im Zusammenhang mit der Unterscheidung von selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit BGE 123 V 163 Erw. 1 mit Hinweisen); vorliegend ist der Sanierungsgewinn denn auch nicht das Ergebnis eines rein buchhalterischen Vorgangs, sondern erhöht offensichtlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers.
5.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hält an der Unzulässigkeit der periodenübergreifenden Verrechnung von Verlusten im Rahmen der AHV-Beiträge (EVGE 1960 S. 29 und seither ergangene Urteile, zuletzt Urteil R. vom 4. Dezember 2003, H 255/03) fest. Daran ändern weder die zum Teil wörtliche Übernahme steuerrechtlicher Normen in die AHVV noch die grundsätzlich angestrebte Harmonisierung zwischen Steuer- und AHV-Recht etwas. Denn Art. 18 AHVV enthält keinen uneingeschränkten Verweis auf das Steuerrecht. Die in Abs. 1 dieser Bestimmung genannten Begriffe "Ausscheidung" und "Ausmass" beziehen sich vielmehr darauf, welche zulässigen Abzüge und in welcher Höhe sie für die Festsetzung des beitragspflichtigen Einkommens zu berücksichtigen sind; den zeitlichen Rahmen, in welchem diese zulässigen Abzüge einkommensmindernd wirken sollen, erfasst der Verweis nicht. Demnach ist Art. 31 DBG ahv-rechtlich nicht anwendbar. Zu beachten ist stets auch, dass die Sozialversicherungsbeiträge auf Grund des aktuellen Erwerbseinkommens zu entrichten sind; die periodenübergreifende Verrechnung wäre ein Verstoss gegen diesen Grundsatz. Nicht ausser Acht gelassen werden können auch die unterschiedlichen Zweckbestimmungen von DBG (Bereitstellen der nötigen Finanzmittel zur Erfüllung staatlicher Aufgaben) und AHVG (Vorsorge für die Risiken Alter und Tod) und somit die allfälligen Folgen einer periodenübergreifenden Verlustverrechnung auf spätere Leistungen der AHV; denn anders als im Steuerrecht besteht im AHV-Bereich auf Grund des Vorsorgegedankens ein Konnex zwischen den entrichteten Beiträgen und den späteren Leistungen. Diese Überlegungen zum Einfluss der Verrechnung von Geschäftsverlusten auf spätere Renten lagen bereits EVGE 1960 S. 29 zu Grunde. Eine Rechtsprechungsänderung darf aber nur in Gesamtwürdigung ihrer Auswirkungen erfolgen.
6.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Leistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Der unterliegende Beschwerdeführer hat demnach die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 8. Mai 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: