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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_61/2018  
 
 
Urteil vom 8. Mai 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Soziale Dienste der Stadt Zürich, Sozialversicherungsrecht, 
Hönggerstrasse 24, 8037 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 13. November 2017 (IV.2016.00889). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Nach dem erfolgreichen Abschluss beruflicher Massnahmen (Mitteilung vom 21. Mai 2010) meldete sich der 1961 geborene A.________ im Juni 2012 erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügungen vom 20. Juni 2016 eine halbe Invalidenrente ab 1. Februar 2013, eine ganze Rente ab 1. April 2014 und wiederum eine halbe Rente ab 1. April 2015 zu. 
 
B.   
Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren ersuchte A.________ um weitere Abklärungen, während die IV-Stelle eine reformatio in peius im Sinne eines fehlenden Rentenanspruchs beantragte. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich bestätigte die Verfügungen vom 20. Juni 2016 mit Entscheid vom 13. November 2017. 
 
C.   
Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, der Entscheid vom 13. November 2017 sei aufzuheben und die Verfügungen vom 20. Juni 2016 seien dahingehend abzuändern, dass kein Rentenanspruch bestehe. Zudem ersucht sie um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. 
A.________ lässt auf Abweisung des Rechtsmittels schliessen und unentgeltliche Rechtspflege verlangen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1.  
 
2.1.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).  
Geht es um psychische Erkrankungen wie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein damit vergleichbares psychosomatisches Leiden (vgl. BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3 S. 13 f.) oder depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur (BGE 143 V 409 und 418), sind für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit systematisierte Indikatoren beachtlich, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen einzuschätzen (BGE 141 V 281 E. 2 S. 285 ff., E. 3.4-3.6 und 4.1 S. 291 ff.). Gemäss altem Verfahrensstandard (z.B. BGE 130 V 352) eingeholte Gutachten verlieren nicht per se ihren Beweiswert. Vielmehr ist im Rahmen einer gesamthaften Prüfung des Einzelfalls mit seinen spezifischen Gegebenheiten und den erhobenen Rügen entscheidend, ob ein abschliessendes Abstellen auf die vorhandenen Beweisgrundlagen vor Bundesrecht standhält (BGE 141 V 281 E. 8 S. 309). 
 
2.1.2. Im Hinblick auf die Beurteilung, ob ein psychisches Leiden invalidisierend wirkt, zählen als Tatsachenfeststellungen, welche das Bundesgericht nur eingeschränkt überprüfen kann, alle Feststellungen der Vorinstanz, die auf der Würdigung von ärztlichen Angaben und Schlussfolgerungen betreffend Diagnose und Folgenabschätzung beruhen. Als Rechtsfrage frei überprüfbar ist hingegen, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der rechtserheblichen Indikatoren auf Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) schliessen lassen (BGE 141 V 281 E. 7 S. 309).  
 
2.2. Die Vorinstanz hat dem interdisziplinären Gutachten der MEDAS Interlaken Unterseen vom 3. März 2015 (samt Stellungnahme vom 26. August 2015) Beweiskraft beigemessen. Gestützt darauf und auf Berichte behandelnder Ärzte hat sie für angepasste Tätigkeiten eine Arbeitsfähigkeit von 50 % (spätestens) ab Ablauf des Wartejahres (Februar 2013; vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG), von 0 % ab Januar 2014 und von 66 % ab Januar 2015 festgestellt. Folglich hat sie (unter Berücksichtigung von Art. 88a IVV [SR 831.201]) den Rentenanspruch gemäss Verfügungen vom 20. Juni 2016 bestätigt.  
Die IV-Stelle bestreitet einzig die invalidenversicherungsrechtliche Relevanz der im MEDAS-Gutachten diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung resp. der deswegen attestierten Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. 
 
2.3. Das kantonale Gericht hat u.a. festgestellt, bereits im Austrittsbericht der Klinik B.________ vom 13. November 2007 sei von einer länger dauernden depressiven Reaktion die Rede gewesen. Ab Mitte Januar 2011 habe sich der Versicherte für drei Monate einer stationären Rehabilitation u.a. des psychischen Leidens unterzogen. Er befinde sich in regelmässiger psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung. Laut dem psychiatrischen MEDAS-Experten sprächen Art, Dosis und Intensität der Psychopharmakotherapie für ein relevantes psychisches Leiden, und sei das depressive Erleben, insbesondere was die Antriebsstörung und den sozialen Rückzug betreffe, nicht einfach mit dem Willen überwindbar. Die medizinischen Schlussfolgerungen seien vom Psychiater des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) als plausibel bezeichnet worden. Auch bei beruflichen Massnahmen habe sich gezeigt, dass keine volle Arbeitsfähigkeit im ersten Arbeitsmarkt bestehe.  
 
Dass diese Feststellungen offensichtlich unrichtig sein oder auf einer Rechtsverletzung beruhen sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Sie bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 1). 
 
2.4. Die vorinstanzliche Rentenzusprechung stellt im Lichte der Rechtsprechung gemäss BGE 143 V 409 und 418 sowie von BGE 141 V 281 (vgl. E. 2.1.1 oben) keine Verletzung von Bundesrecht dar. Eine Indikatorenprüfung ist anhand der verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen (E. 2.3) und des psychiatrischen MEDAS-Teilgutachtens möglich. Daraus ergibt sich klar die Krankheitswertigkeit der (unvollständig remittierten) rezidivierenden depressiven Störung. Insbesondere bezeichnete der Experte die Antriebshemmung als "total". Sodann spricht die anhaltende regelmässige Behandlung für einen erheblichen Leidensdruck, und angesichts der Arbeitslosigkeit, der finanziellen Probleme und erfolglosen Bewerbungsbemühungen sowie des weitgehenden sozialen Rückzugs sind auch wesentliche Ressourcen zurückgegangen. Ausserdem erscheint das Aktivitätenniveau im Bereich der Freizeitgestaltung mit den beruflichen Restriktionen vereinbar. Schliesslich attestierte der Gutachter die Einschränkung explizit unter Ausschluss der Alkoholproblematik. Entgegen der Beschwerdeführerin bestehen somit keine hinreichenden Gründe, von der gutachterlichen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit (zuletzt 66 % für angepasste Tätigkeiten) abzuweichen. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
3.   
Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
4.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdegegner wird durch einen Mitarbeiter der Sozialen Dienste der Wohngemeinde vertreten. Dass ihm dadurch Kosten erwachsen sein sollen, ist nicht ersichtlich (vgl. §§ 11-13 des zürcherischen Sozialhilfegesetzes vom 14. Juni 1981 [SHG; ZH-Lex 851.1]) und wird auch nicht geltend gemacht. Er hat daher keinen Anspruch auf Parteientschädigung (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 126 V 11 E. 5 S. 13). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. Mai 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann