Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_50/2024
Urteil vom 8. Mai 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Métral,
Gerichtsschreiber Wüest.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Christine Fleisch,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Revision),
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. November 2023 (IV.2023.00497).
Sachverhalt:
A.
Die 1963 geborene A.________ ist fünffache Mutter und arbeitete zuletzt in einem Teilzeitpensum als Reinigungsangestellte. Am 7. Dezember 2015 meldete sie sich wegen Kniebeschwerden beidseits bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zum Leistungsbezug an. Diese tätigte in der Folge medizinische und erwerbliche Abklärungen. Mit Verfügung vom 10. April 2017 verneinte sie einen Leistungsanspruch. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen geführte Beschwerde mit Urteil vom 29. Juni 2018 gut und wies die Sache zu weiteren Abklärungen und neuem Entscheid an die IV-Stelle zurück. Diese holte in der Folge unter anderem ein polydisziplinäres Gutachten der Swiss Medical Assessment- and Business-Center AG (SMAB) vom 22. Oktober 2020 ein. Mit Verfügung vom 6. September 2019 sprach sie A.________, wie mittels Vorbescheid angekündigt, eine vom 1. Dezember 2016 bis zum 30. Juni 2017 befristete Dreiviertelsrente zu.
B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 30. November 2023 in dem Sinne gut, dass es die Verfügung vom 6. September 2013 aufhob und feststellte, die Versicherte habe (schon) ab 1. September 2016 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente. Es wies die Sache zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die IV-Stelle, es sei das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 30. November 2023 aufzuheben und die Verfügung vom 6. September 2023 teilweise zu bestätigen. Es sei festzustellen, dass kein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen bestehe und der Versicherten eine vom 1. September 2016 bis 30. Juni 2017 befristete Dreiviertelsrente zustehe. Die IV-Stelle beantragt zudem, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Während A.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichten die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen Endentscheide, welche das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG), und gegen Teilentscheide im Sinne von Art. 91 BGG. Zwischenentscheide sind - abgesehen von Entscheiden über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 BGG) - nur dann (ausnahmsweise) anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können, oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde ( Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG ).
1.2. Das kantonale Gericht hat die Verfügung der IV-Stelle vom 6. September 2019 aufgehoben und festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin ab 1. September 2016 Anspruch auf eine Dreiviertelsrente habe. Es hat zudem die Sache zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurückgewiesen. Den vorinstanzlichen Erwägungen ist zu entnehmen, dass die Beschwerdegegnerin nicht auf den Weg der Selbsteingliederung verwiesen werden könne. Die Rentenaufhebung sei daher so lange nicht gerechtfertigt, bis die Beschwerdeführerin die erforderlichen Eingliederungsmassnahmen an die Hand genommen habe. Mithin habe die Beschwerdegegnerin einstweilen weiterhin Anspruch auf eine Dreiviertelsrente. Damit hat das kantonale Gericht unter Verneinung einer zumutbaren Selbsteingliederung die Prüfung und allfällige Durchführung von Eingliederungsmassnahmen als eine Voraussetzung für die Rentenaufhebung qualifiziert (vgl. SVR 2015 IV Nr. 19 S. 56, 8C_446/2014 E. 4.2.4; Urteil 8C_582/2017 vom 22. März 2018 E. 6.4). Diese Voraussetzung hat es im vorliegend massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 6. September 2019 (vgl. hierzu BGE 148 V 321 E. 7.3.2) als nicht erfüllt erachtet und daher auch die verfügte Renteneinstellung für unzulässig befunden. Beim vorliegenden Rückweisungsentscheid handelt es sich somit um einen Endentscheid gemäss Art. 90 BGG (vgl. Urteile 9C_84/2021 vom 2. August 2021 E. 1.2; 9C_396/2019 vom 2. März 2020 E. 2.2 mit Hinweis auf J OHANNA DORMANN, Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels in sozialversicherungsrechtlichen Verfahren, SZS 2019 S. 257). Auf die Beschwerde der IV-Stelle ist einzutreten.
2.
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat. Solche Mängel sind in der Beschwerde aufgrund des strengen Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 144 V 50 E. 4.2; Urteil 8C_537/2023 vom 17. April 2024 E. 1.1).
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie entschieden hat, dass die Beschwerdegegnerin nicht auf den Weg der Selbsteingliederung verwiesen werden könne und sie deshalb einstweilen weiterhin Anspruch auf eine Dreiviertelsrente habe.
3.2. Im angefochtenen Urteil ist die Rechtsprechung zur analogen Anwendung der Revisionsbestimmungen bei der rückwirkenden Zusprechung einer abgestuften oder befristeten Rente zutreffend dargelegt (BGE 148 V 321 E. 7.3.2; 145 V 209 E. 5.3; 133 V 263 E. 6.1; 130 V 343 E. 3.5.2). Richtig wiedergegeben sind auch die Grundsätze zur Beurteilung des Eingliederungsbedarfs, wenn eine Herabsetzung oder Aufhebung des Rentenanspruchs von über 55-jährigen Versicherten resp. nach mehr als 15 Jahre dauerndem Rentenbezug im Raum steht (BGE 145 V 209 E. 5.1; Urteil 8C_84/2019 vom 29. August 2019 E. 7). Darauf wird verwiesen.
4.
4.1. Die Vorinstanz stellte fest, die Beschwerdegegnerin sei seit 23. September 2015 in der angestammten Tätigkeit als Reinigungsangestellte zu 100 % arbeitsunfähig. In einer leidensangepassten Tätigkeit bestehe seit April 2017 - mit einem kurzen Unterbruch - wieder eine 70 %ige Arbeitsfähigkeit (8,5 Stunden mit Leistungsminderung von 30 %). Sie bestätigte sodann den von der IV-Stelle berechneten Invaliditätsgrad von 62 % resp. von 7 % (ab Juli 2017), wobei sie den Rentenbeginn in Abweichung von der Verfügung der IV-Stelle auf den 1. September 2016 festsetzte. Dabei setzte sie den Status der Beschwerdegegnerin auf 50 % Erwerb und 50 % Haushalt fest.
4.2. Weiter stellte das kantonale Gericht fest, die Beschwerdegegnerin sei im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung vom 6. September 2023 über 55-jährig gewesen, weshalb ihr nach der Rechtsprechung die Selbsteingliederung grundsätzlich nicht zumutbar sei. Das gelte auch im hier zu beurteilenden Fall, zumal keine nicht invaliditätsbedingte arbeitsmarktliche Desintegration vorliege und die Beschwerdegegnerin nicht besonders agil sei oder über breite Berufserfahrung oder Ausbildungen verfüge.
Die Vorinstanz hielt sodann fest, der Beschwerdegegnerin seien nach ihrer Anmeldung zum Leistungsbezug und insbesondere im Zusammenhang mit der nun in Frage stehenden Rentenaufhebung keine Eingliederungsmassnahmen angeboten worden. Den medizinischen Akten lasse sich zwar eine deutliche Krankheitsüberzeugung, nicht aber ein fehlender Eingliederungswille entnehmen. Berufliche Massnahmen könnten unter anderem gerade dazu dienen, subjektive Eingliederungshindernisse im Sinne einer Krankheitsüberzeugung der versicherten Person zu beseitigen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegnerin stets als Reinigungsangestellte tätig gewesen sei und somit nicht über Arbeitserfahrungen in einer ihrem Leiden angepassten Tätigkeit verfüge. Vor diesem Hintergrund sei nachvollziehbar, dass sie sich - ohne Unterstützung der Beschwerdeführerin - nicht vorstellen könne, welche andere (angepasste) Tätigkeit sie ausüben könnte.
5.
5.1. Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, bei der Beschwerdegegnerin sei keine Motivation für Eingliederungsmassnahmen ersichtlich. So habe sie gegenüber den medizinischen Experten und im Rahmen der internistischen Untersuchung durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) durchgängig geäussert, sich nicht mehr arbeitsfähig zu fühlen. Nicht einmal eine sitzende Tätigkeit sei für sie vorstellbar.
Den von der Beschwerdeführerin erwähnten medizinischen Akten ist zu entnehmen, dass die Beschwerdegegnerin anlässlich der internistischen Untersuchung durch die RAD-Ärztin angab, sie könne sich nicht vorstellen, jemals wieder zu arbeiten. Im Rahmen der neuropsychologischen Exploration führte sie zudem aus, sie würde gerne weiterhin als Raumpflegerin arbeiten. Das sei ihr aber nicht möglich. Vor zwei bis drei Jahren habe sie es noch einmal versucht. Sie habe aber nach einem Arbeitstag überall Blockaden bekommen. Auch eine sitzende Tätigkeit sei ihr nicht gut möglich wegen der Rückenschmerzen. Der Vorinstanz ist die sich hieraus ergebende deutliche Krankheitsüberzeugung der Beschwerdegegnerin nicht entgangen. Sie ist aber zum Schluss gelangt, dass sich den Akten darüber hinaus kein fehlender Eingliederungswille entnehmen lasse. Inwiefern sie damit in Willkür verfallen sein soll, ist nicht ersichtlich (vgl. E. 2.2 hiervor). Wie die IV-Stelle selber vorbringt, ist in der interdisziplinären Gesamtbeurteilung des SMAB-Gutachtens denn auch lediglich von einer fraglichen Motivation der Beschwerdegegnerin für die berufliche Wiedereingliederung die Rede. Mit Blick auf diese Formulierung erscheint es zumindest vertretbar, wenn das kantonale Gericht einen fehlenden Eingliederungswillen der Beschwerdegegnerin als nicht erstellt erachtet hat. Die gutachterliche Einschätzung hätte viel eher dazu Anlass geben sollen, die Bereitschaft der Beschwerdegegnerin für Eingliederungsmassnahmen näher abzuklären (vgl. Urteil 8C_235/2019 vom 20. Januar 2020 E. 3.2.3).
5.2. Auch wenn der Beschwerdegegnerin ferner in erster Linie noch Hilfsarbeiten zumutbar sind, ändert dies nichts daran, dass sie sich - bei eingeschränktem Zumutbarkeitsprofil - beruflich neu orientieren muss. Wenn die Vorinstanz feststellte, es sei nachvollziehbar, dass sich die Beschwerdegegnerin keine andere Arbeit vorstellen könne, da sie stets als Reinigungsangestellte erwerbstätig gewesen sei, und sie diesem Umstand im Rahmen der Gesamtwürdigung Rechnung trug, so erscheint auch dies nicht offensichtlich unrichtig (vgl. E. 2.2 hiervor).
5.3. Wie das kantonale Gericht überzeugend dargelegt hat, hätte die Beschwerdegegnerin aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und der fehlenden breiten Berufserfahrungen und Ausbildungen nicht auf den Weg der Selbsteingliederung verwiesen werden dürfen. Es kann der Beschwerdegegnerin daher - ungeachtet der Vorbringen der IV-Stelle - nicht vorgeworfen werden, sie habe nicht ansatzweise versucht, die seit April 2017 bestehende Restarbeitsfähigkeit von 70 % zu verwerten. Dies gilt umso mehr, als diese Arbeitsfähigkeit erst seit Erstattung des SMAB-Gutachtens am 22. Oktober 2020 bekannt ist (vgl. Urteil 8C_348/2022 vom 22. November 2022 E. 6.2.2 mit Hinweisen) und die Beschwerdegegnerin in der Folge eine gesundheitliche Verschlechterung geltend machte. Die behandelnde Ärztin bekräftigte im Übrigen die Einschätzung der Beschwerdegegnerin, indem sie selbst eine ideal angepasste Tätigkeit als nicht mehr zumutbar beurteilte (vgl. Bericht der Dr. med. B.________ vom 11. Dezember 2022).
5.4. Schliesslich hat das Bundesgericht bereits klargestellt, dass sich die Frage der Selbsteingliederung bei fortgeschrittenem Alter schon bei vergleichsweise kurzer Rentenbezugsdauer stellt (BGE 145 V 209 E. 5.3 am Ende mit Hinweis auf Urteil 9C_304/2018 vom 5. November 2018 E. 5.2.3; vgl. auch Urteil 8C_348/2022 vom 22. November 2022 E. 6.2.3). Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, es habe lediglich während sieben Monaten (richtig: zehn Monaten) ein Rentenanspruch bestanden, verfängt demnach auch dieser Einwand nicht.
5.5. Zusammenfasend lassen die Einwendungen der Beschwerdeführerin weder die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich unrichtig, als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen, noch zeigen sie sonst wie eine Bundesrechtsverletzung auf. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Rentenherabsetzung von vorgängigen Eingliederungsmassnahmen abhängig gemacht hat. Die Beschwerde ist unbegründet.
6.
Mit diesem Urteil wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdegegnerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. Mai 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Wüest