Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.102/2005 /bri 
 
Urteil vom 8. Juni 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Parteien 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 5001 Aarau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
X.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Studer, 
 
Gegenstand 
Aufschub des Strafvollzugs (Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Ober-gerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, vom 24. Februar 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ handelte im Zeitraum vom Frühling 1997 bis zum Frühling 2001 in grossem Umfang mit Kokain und Ecstasy. Er war selber in diesem Zeitraum in mittelschwerem Grade kokainabhängig. Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte ihn am 24. Februar 2005 im Berufungsverfahren wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu zwei Jahren Zuchthaus und zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Zugleich ordnete es eine ambulante suchtspezifische Behandlung an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe für die Dauer dieser Massnahme auf. 
B. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt, es sei das Urteil des Obergerichts vom 24. Februar 2005 aufzuheben und die Sache an diese Instanz zur Anordnung einer vollzugsbegleitenden suchtspezifischen Behandlung zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung des von der Staatsanwaltschaft erhobenen Rechtsmittels. 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist im Strafpunkt rein kassatorischer Natur (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit die Beschwerdeführerin mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt, ist daher auf ihr Rechtsmittel nicht einzutreten. 
2. 
Streitgegenstand bildet allein die Frage, ob der Aufschub des Strafvollzugs im Interesse der angeordneten ambulanten suchtspezifischen Behandlung mit dem Bundesrecht vereinbar ist. 
2.1 Nach Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 6 StGB kann der Richter einen drogensüchtigen Täter in eine Heilanstalt einweisen, um die Gefahr künftiger Verbrechen oder Vergehen zu verhüten, wenn die von ihm begangene Tat mit der Sucht im Zusammenhang steht. In diesem Fall schiebt er den Vollzug der Freiheitsstrafe auf (Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1 StGB). Der Richter kann auch eine ambulante Behandlung anordnen. Diese kann während des Strafvollzugs oder bei dessen Aufschub in Freiheit des Täters erfolgen (BGE 107 IV 20 E. 4a S. 22). 
 
Die Vorinstanz gelangt gestützt auf die psychiatrische Begutachtung des Beschwerdeführers zum Schluss, dass eine stationäre Behandlung seiner Drogensucht nicht notwendig sei. Hingegen sei eine ambulante suchtspezifische Behandlung von mindestens ein bis zwei Jahren erforderlich. Dementsprechend fragt sich, ob diese ambulante Massnahme während des Strafvollzugs erfolgen könne oder dieser zugunsten der Massnahme aufzuschieben sei. 
2.2 Nach Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ist für die Beurteilung der aufgeworfenen Frage Art. 43 Ziff. 2 StGB entsprechend anwendbar. Nach der Rechtsprechung zu der zuletzt genannten Bestimmung ist der Strafaufschub anzuordnen, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Allerdings darf die ambulante Massnahme nicht dazu missbraucht werden, den Vollzug der Strafe zu umgehen oder auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Denn Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB sieht den Strafaufschub weder zwingend noch als Regelfall vor, und es gibt keinen Vorrang der ambulanten Massnahme gegenüber dem Vollzug der ausgefällten Strafe. Der Aufschub rechtfertigt sich daher nur, wenn die ambulante Therapie ausserhalb des Strafvollzugs im konkreten Fall aktuelle und günstige Bewährungsaussichten eröffnet, die durch den Strafvollzug zunichte gemacht oder erheblich vermindert würden. In diesem Fall überwiegt nach dem Willen des Gesetzgebers der Resozialisierungszweck der ambulanten Massnahme die Ziele der Generalprävention bzw. des gerechten Schuldausgleichs durch den Strafvollzug (BGE 129 IV 161 E. 4.1 und 4.3 S. 162 f. und 165). 
 
Die Vorinstanz stellt gestützt auf das eingeholte Ergänzungsgutachten vom 29. Dezember 2004 fest, dass die erforderliche ambulante Suchtbehandlung auch während des Strafvollzugs durchgeführt werden könne. Abstinenzmotivation und Behandlungsbereitschaft könnten allerdings während des Strafvollzugs abnehmen. Weiter sei im Hinblick auf die Rückfallsgefahr die Zugänglichkeit psychotroper Substanzen in den Gefängnissen und die im Strafvollzug eingeschränkte Möglichkeit, Versuchungssituationen aus dem Weg zu gehen, ungünstig. Diese Einschätzung des Gutachtens führt die Vorinstanz zum Schluss, dass die Erfolgschancen der ambulanten Therapie bei einem gleichzeitigen Vollzug der Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würden, weshalb sich dessen Aufschub rechtfertige. 
 
Wie die Beschwerdeführerin zu Recht darlegt, sind die Gründe, welche nach Ansicht der Vorinstanz gegen den Vollzug der Strafe sprechen, allgemeiner Natur und könnten dementsprechend in jedem Fall geltend gemacht werden. Würde bereits die notorische Zugänglichkeit von Drogen in Strafanstalten, eine allfällig sinkende Motivation und auch sonst nicht in jeder Hinsicht günstige Therapiebedingungen ausreichen, um den Strafaufschub nach Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB zu rechtfertigen, könnte der Strafvollzug in Fällen, in denen eine ambulante Behandlung erforderlich ist, kaum noch je angeordnet werden. Dies widerspräche dem Willen des Gesetzgebers, der den Aufschub wie erwähnt nur zulassen will, wenn im konkreten Fall aufgrund besonderer Verhältnisse der Vollzug der Strafe die Erfolgschancen der Therapie erheblich vermindern würde. Allgemeine Schwierigkeiten, wie sie mit dem Strafvollzug stets verbunden sind, reichen demgegenüber für die Anordnung des Aufschubs nicht aus. 
 
Im vorliegenden Fall hält die Gutachterin die erforderliche ambulante Behandlung während des Strafvollzugs für durchführbar. Sie verweist lediglich auf die erwähnten allgemeinen Nachteile, die der Strafvollzug für die Therapiebedürftigen mit sich bringt, nennt aber keine spezifischen Gründe, die gegen dessen Anordnung sprächen. Insbesondere findet sich im Gutachten kein Hinweis darauf, dass die Erfolgschancen der Behandlung bei einem Aufschub ganz wesentlich besser wären als bei der Anordnung des Strafvollzugs. Unter diesen Umständen lässt sich der Aufschub des Strafvollzugs mit Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB nicht vereinbaren. 
3. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist aus diesen Gründen in dem Umfang, in dem auf sie einzutreten ist, gutzuheissen und Ziff. 2c des angefochtenen Entscheids aufzuheben. 
 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist gutzuheissen, da die Voraussetzungen gemäss Art. 152 OG erfüllt sind. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Ziff. 2c des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 24. Februar 2005 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an diese Instanz zurückgewiesen. 
2. 
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege des Beschwerdegegners wird gutgeheissen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Rechtsanwalt Rudolf Studer wird für das bundesgerichtliche Verfahren als Rechtsvertreter des Beschwerdegegners bezeichnet und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. Juni 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: