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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.32/2005 /gnd 
 
Urteil vom 8. Juni 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Borner. 
 
Parteien 
B.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Marc Kaeslin, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Verweigerung des bedingten Strafvollzugs; Widerruf einer bedingt ausgesprochenen Strafe, 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, 
vom 13. Dezember 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Bezirksgericht Baden sprach B.________ am 23. September 2003 schuldig der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Strassen-verhältnisse sowie Nichtbeherrschen des Fahrzeugs. Es verurteilte ihn zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von drei Monaten sowie Fr. 1'000.-- Busse und widerrief den bedingten Strafvollzug, den das Bezirksgericht Zürich am 2. Juli 1998 für eine Gefängnisstrafe von 45 Tagen wegen Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand (FiaZ) und Verletzung von Verkehrsregeln gewährt hatte. 
 
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 13. Dezember 2004 eine Berufung des Verurteilten ab. 
B. 
B.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur Neubeur-teilung des bedingten Strafvollzugs und des Widerrufsentscheids an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Vollzug einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufschieben, wenn Vor-leben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde auch durch eine bedingt vollziehbare Strafe von weiteren Delikten abge-halten. Der Richter hat also eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen. Dabei steht dem Sachrichter ein erhebliches Ermessen zu. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid auf, wenn die Vorinstanz nicht von rechtlich massgebenden Gesichts-punkten ausgegangen ist oder diese in Überschreitung oder Miss-brauch ihres Ermessens unrichtig gewichtet hat. Bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen (BGE 118 IV 97 E. 2b). Für die Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein Gesamtbild der Täterpersönlichkeit unerlässlich. Relevante Faktoren sind etwa strafrechtliche Vorbelastung, Soziali-sationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bin-dungen, Hinweise auf Suchtgefährdungen usw. (Wiprächtiger, Strafzu-messung und bedingter Strafvollzug, ZStrR 114/1996, S. 457, mit Hin-weisen). Dabei sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Entscheides mit einzubeziehen. Es ist unzulässig, unter den nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen einzel-nen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernach-lässigen oder überhaupt ausser Acht zu lassen (BGE 118 IV 97 E. 2b; 123 IV 107 E. 4a). Wie bei der Strafzumessung müssen die Gründe im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung des Bundesrechts überprüfen lässt (BGE 117 IV 112 E. 3a). Nach konstanter Rechtsprechung hebt der Kassationshof jedoch ein an einem Begründungsmangel leidendes Urteil nur auf, sofern der Mangel schwer wiegt und der Entscheid auch im Ergebnis Bundesrecht verletzt (vgl. BGE 127 IV 101 E. 2c mit Hinweisen; 123 IV 49 E. 2a; 121 IV 3 E. 1a, 193 E. 2a; 117 IV 112 E. 1 S. 114 f.; 116 IV 288 E. 2a). 
1.1 Der Beschwerdeführer rügt, bei der Beurteilung des bedingten Strafvollzugs habe die Vorinstanz keine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorgenommen, sondern der Tatsache, dass der Beschwerdeführer einschlägig vorbestraft ist, in unzulässiger Weise eine vorrangige Bedeutung eingeräumt. 
 
Auf den ersten Blick scheint die Kritik gerechtfertigt, weil die Vor-instanz den Argumenten des Beschwerdeführers fast durchwegs pau-schal mit dem Hinweis auf seine einschlägigen Vorstrafen (29. Januar 1998: Fr. 1'600.-- Busse wegen fahrlässiger Körperverletzung durch SVG-Widerhandlung, FiaZ, Geschwindigkeitsüberschreitung usw.; 2. Juli 1998: 45 Tage Gefängnis bedingt wegen FiaZ und Verletzung von Verkehrsregeln) und die neuerliche Unfallverursachung mit Todesfolge begegnet. Insbesondere der Einwand des Beschwerde-führers, er habe sein Suchtverhalten überwunden, hätte eine vertiefte Auseinandersetzung durch die Vorinstanz verdient. 
1.2 In der Berufung hatte der Beschwerdeführer vorgebracht, das Unfallereignis vom 5. April 2001 bilde insofern eine Zäsur, als er es zum Anlass genommen habe, den mit der Aufnahme von Therapien eingeschlagenen Weg konsequent fortzuführen. Er habe seinen Wohnsitz nach Italien verlegt, gehe erstmals seit Jahren wieder einer geregelten Arbeit nach und sei nicht mehr straffällig geworden. 
 
Dass der Beschwerdeführer nun seit längerem einer geregelten Arbeit nachgeht und sich in den letzten drei Jahren gesetzeskonform verhalten hat, davon geht auch die Vorinstanz aus. Letzteren Umstand leitet sie jedoch von der Tatsache ab, dass der Beschwerdeführer seit dem Unfall im Jahre 2001 kein Fahrzeug mehr lenken darf. Unter diesem Gesichtspunkt hat sie der deliktsfreien Zeit zu Recht nicht besonderes Gewicht beigemessen. 
 
Dass der Beschwerdeführer das Unfallereignis vom 5. April 2001 zum Anlass genommen haben soll, den mit der Aufnahme von Therapien eingeschlagenen Weg konsequent fortzuführen, dafür gibt es in den Akten keinerlei Anhaltspunkte. Der Beschwerdeführer begann 1997 in Basel eine ambulante Psychotherapie, die er vorzeitig abbrach. Im selben Jahr begab er sich für einen Entzug und eine viermonatige Therapie in eine Klinik in Rheinfelden. Im November 1998 folgte ein dreiwöchiger Entzug in einer Privatklinik in Italien. Von März bis Juni 1999 machte er einen Entzug in der KPK Königsfelden und bereitete sich auf die Entwöhnungsbehandlung in der Klinik für Suchtkranke "Im Hasel" vor, wo er vom 21. Juni 1999 bis 14. April 2000 stationär behandelt wurde (Austrittsbericht vom 15. April 2000, S. 1, und Résu-mé vom 27. September 1999, S. 3 f.). Die Diagnosen lauteten: 
- chronischer Alkoholismus vom Typus Gamma, mehrjährige Kokain-abhängigkeit, Benzodiazepine- und Cannabisabusus, Nikotinabhängig-keit, 
- pathologisches Spielen, 
- neurotische Entwicklungsstörung der Persönlichkeit mit narzisstischen, haltarmen und unreifen Zügen sowie 
- Immigranten Zweitgenerationenproblematik aufgrund kultureller Unter-schiede zwischen der Herkunftsfamilie und dem sozialen Umfeld (Résumé, S. 5). 
Der stationäre Aufenthalt war nur teilweise von Erfolg gekrönt. Insbe-sondere in der Einzeltherapie machte der Beschwerdeführer kaum Fortschritte, weshalb die Ärzte Hoffnung in die ambulante Weiter-behandlung setzten. Am 14. April 2000 trat er für mindestens 6 Monate in die hauseigene, therapeutische Aussenwohngruppe Reinach über. Zehn Tage darauf hatte er einen Rückfall mit Alkohol und Kokain, den er in verschiedenen therapeutischen Gefässen (Einzel, Gruppe) aufzuarbeiten versuchte (Austrittsbericht, S. 1-4). 
 
Seit dem Verlassen des geschützten Wohnheims hat der Beschwerdeführer keinerlei fachmännische Hilfe zur Überwindung seiner Sucht- und Persönlichkeitsproblematik mehr in Anspruch genommen. So hat er z.B. nie vorgebracht, sich in Italien einer Psychotherapie zu unterziehen beziehungsweise sein Suchtverhalten ärztlich kontrollieren zu lassen. Vielmehr hat er in der Berufung selbst ausgeführt, der Aufenthalt in der Klinik "Im Hasel" "habe den Abschluss einer ganzen Reihe von freiwilligen Klinik- und Therapie-aufenthalten gebildet" (Berufung, S. 15 f. Ziff. 35). Bei dieser Sachlage hatte die Vorinstanz keinen Anlass anzunehmen, der Beschwerde-führer habe die diagnostizierte Sucht- und Persönlichkeitsproblematik überwunden. Wenn sie in der Folge die gegenteiligen Beteuerungen des Beschwerdeführers nicht übernahm, liegt darin keine Verletzung von Bundesrecht. 
1.3 Wie der Beschwerdeführer zutreffend festhält, hat der Richter bei der Beurteilung der Prognose auch die Wirkung eines Führeraus-weisentzugs mitzuberücksichtigen. 
 
Der Beschwerdeführer wurde am 4. Januar 1996 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verwarnt (aArt. 16 Abs. 2 SVG). Am 27. Februar 1997 erfolgte aus demselben Grund eine weitere Ver-warnung. Im Jahre 1998 wurde dem Beschwerdeführer der Führer-ausweis unter anderem wegen FiaZ für die Dauer von fünf Monaten entzogen. Einen weiteren Führerausweisentzug von fünf Monaten setzte es im Jahre 1999 wegen FiaZ und Geschwindigkeits-überschreitung ab (Akten des Bezirksgerichts Baden, Verurkundete Beilagen zur Person Dossier 1, ADMAS-Auszug, S. 2). Trotz dieser vier Massnahmen verursachte der Beschwerdeführer unter anderem wegen nicht angepasster Geschwindigkeit einen schweren Unfall. Nachdem somit selbst zwei mehrmonatige Führerausweisentzüge das spätere Verhalten des Beschwerdeführers nicht zu beeinflussen vermochten und bei ihm die Sucht- und Persönlichkeitsproblematik nach wie vor nicht aufgearbeitet sind (E. 1.2), ist zumindest fraglich, ob der jetzige Sicherungsentzug den Beschwerdeführer nachhaltig beeindrucken wird. Unter diesen Umständen kann der Vorinstanz im Ergebnis keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden, wenn sie den Führerausweisentzug bei der Frage des bedingten Strafvollzugs nicht erwähnte. 
1.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seit einiger Zeit einer regelmässigen Berufsarbeit nachgeht und er sich seit dem Unfall im Jahre 2001 keine Delikte mehr hat zuschulden kommen lassen. Demgegenüber sprechen seine deliktische Vergan-genheit insbesondere im Lichte der weiterhin bestehenden Sucht- und Persönlichkeitsproblematik gegen eine günstige Prognose. Deshalb hat die Vorinstanz jedenfalls im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, als sie dem Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug verweigerte. 
2. 
Im Zusammenhang mit dem Widerruf des bedingten Strafvollzugs beanstandet der Beschwerdeführer, die Vorinstanz sei auf seine Ausführungen in der Berufung, weshalb die einschlägigen Vorstrafen besonders beurteilt werden müssten und ihm insbesondere auch eine gute Prognose zu stellen sei, in keiner Weise eingegangen. 
 
Das Bezirksgericht hatte unter Hinweis auf die einschlägigen Vor-strafen begründet, weshalb die Tat vom 5. April 2001 nicht mehr einen leichten Fall im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB darstelle (Bezirksgerichtsurteil, S. 21 Ziff. 3). In der Berufung erwähnte der Beschwerdeführer zwar den Widerrufsentscheid, verwies dabei jedoch ausschliesslich auf Ausführungen über die Prognose beim bedingten Strafvollzug (Berufung, S. 17 Ziff. 38 bzw. Ziff. 33 - 37). Zum Tat-bestandsmerkmal des leichten Falles äusserte er sich nicht. Da er somit diese kumulative Voraussetzung für einen Verzicht auf den Widerruf nicht in Frage stellte, durfte die Vorinstanz unter Hinweis auf den erstinstanzlichen Entscheid die bedingt ausgesprochene Strafe widerrufen. Darin liegt keine Verletzung von Bundesrecht. 
3. 
Nach dem Gesagten ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 3. Straf-kammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. Juni 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: