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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_218/2010 
 
Urteil vom 8. Juni 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, 
Gerichtsschreiber Boog. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X._________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Lämmli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Herrenacker 26, 8200 Schaffhausen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafzumessung; bedingter Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 29. Januar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen erklärte X._________ mit Urteil vom 29. Januar 2010 in zweiter Instanz der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes, der mehrfachen Tätlichkeiten, der Drohung sowie der Nötigung schuldig. Von der Anklage der Freiheitsberaubung sprach es ihn frei. Ferner ordnete es die Rückversetzung in den Strafvollzug an, aus welchem das Amt für Justiz und Gemeinden des Kantons Schaffhausen X._________ mit Verfügung vom 2. Dezember 2005 per 12. Dezember 2005 bedingt entlassen hatte (Reststrafe 5 Monate und 2 Tage). Für die Rückversetzung und die neue Strafe sprach das Obergericht eine Gesamtstrafe von 12 Monaten Freiheitsstrafe, unter Anrechnung von 2 Tagen Untersuchungshaft, und von Fr. 1'000.-- Busse, als Zusatzstrafe zum Strafbefehl des Amtsgerichts Lörrach vom 20. Dezember 2007 aus. Die Ersatzfreiheitsstrafe setzte es auf 10 Tage fest. Ferner entschied es über die Zivilforderung sowie über Einziehung und Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände und Geldbeträge. 
 
B. 
X._________ führt Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Festsetzung des Strafmasses zurückzuweisen. Eventualiter beantragt er, es sei eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten und eine Busse von Fr. 1'000.-- bei einer Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Tagen, subeventualiter eine Geldstrafe auszusprechen. Ferner sei ihm der bedingte Strafvollzug zu gewähren. Von der Rückversetzung in den Strafvollzug sei abzusehen. Überdies stellt er das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
C. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen beantragt unter Verzicht auf Stellungnahme die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen die Strafzumessung, die Wahl der Strafart, die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges sowie die Rückversetzung in den Strafvollzug. Im Schuldpunkt ficht der Beschwerdeführer das vorinstanzliche Urteil nicht an. 
 
1.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 49 StGB. Aus dem angefochtenen Urteil ergebe sich nicht, von welcher Einsatzstrafe die Vorinstanz bei der Bemessung der Gesamtstrafe für die mehreren Delikte ausgegangen sei. Es sei dementsprechend auch nicht ersichtlich, in welchem Ausmass sie die Strafe geschärft habe. Die ausgesprochene Strafe lasse sich daher im Ergebnis nicht überprüfen (Beschwerde S. 4). 
 
Ferner habe die Vorinstanz bei der Strafzumessung die übermässig lange Verfahrensdauer und sein Wohlverhalten seit dem letzten Delikt nicht angemessen strafmindernd berücksichtigt. Bei den Delikten zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau hätte die Vorinstanz zudem stärker zu seinen Gunsten gewichten müssen, dass er sich in einer Ausnahmesituation befand, zumal ihm das psychiatrische Gutachten einen eingeschränkten Mechanismus in der Konfliktlösung bei Trennungssituationen attestiert habe. Die ausgefällte Freiheitsstrafe von 10 Monaten sei daher unverhältnismässig hoch (Beschwerde S. 5 f.). 
 
1.2 Die Vorinstanz nimmt unter Verweisung auf die erstinstanzlichen Erwägungen an, das Verschulden des Beschwerdeführers wiege nicht leicht. Es belaste ihn schwer, dass er nach der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug und während der Probezeit aus reiner Gewinnsucht Marihuana verkauft und trotz einschlägiger Vorstrafen im Betäubungsmittelbereich weiter delinquiert habe. Zusätzlich fielen die Straftaten zum Nachteil seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau erschwerend ins Gewicht. Die von ihm geltend gemachte belastende Situation vermöchte ihn nicht zu entlasten. Er sei mehrfach gewalttätig geworden. Es könne daher nicht von einem einmaligen Vorgang gesprochen werden. 
 
Bei der Bemessung der Strafe geht die Vorinstanz von der auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe lautenden Strafdrohung der Tatbestände der Drohung, der Nötigung und der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz als schwersten Delikten aus. Durch die teilweise mehrfache Begehung derselben Delikte und das Verüben mehrerer strafbarer Handlungen erhöhe sich der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe bis zu 4 ½ Jahren oder Geldstrafe. Als straferhöhend wertet die Vorinstanz zudem die Straffälligkeit während der Probezeit. Auf der anderen Seite berücksichtigt sie die Drogenabhängigkeit in Bezug auf den Cannabiskonsum, die akzentuierte Persönlichkeit mit eingeschränkten Mechanismen zur Konfliktlösung in Trennungssituationen in Bezug auf die Gewaltdelikte und das teilweise Geständnis des Beschwerdeführers als strafmildernd. Angesichts dieser Umstände hält sie eine Strafe von 10 Monaten Freiheitsstrafe und Fr. 1'000.-- Busse für angemessen (angefochtenes Urteil S. 13 ff.). 
 
2. 
2.1 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). 
 
Bei der Bildung der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB ist nach der Rechtsprechung vorab der Strafrahmen für die schwerste Straftat zu bestimmen und alsdann die Einsatzstrafe für die schwerste Tat innerhalb dieses Strafrahmens festzusetzen. Schliesslich ist die Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips angemessen zu erhöhen. Der Richter hat mithin in einem ersten Schritt, unter Einbezug aller straferhöhenden und strafmindernden Umstände, gedanklich die Einsatzstrafe für das schwerste Delikt festzulegen. In einem zweiten Schritt hat er diese Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten zu einer Gesamtstrafe zu erhöhen, wobei er ebenfalls den jeweiligen Umständen Rechnung zu tragen hat (Urteile 6B_579/2008 vom 27.12.2008 E. 4.2.2, 6B_297/2009 vom 14. August 2009 E. 3.3.1 und 6B_865/2009 vom 25.3.2010 E. 1.2.2). 
 
2.2 Die Vorinstanz setzt bei der Strafzumessung keine Einsatzstrafe für das schwerste Delikt fest. Sie geht lediglich vom Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, wie er bei den Tatbeständen der Drohung, Nötigung und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz angedroht ist, aus und stellt fest, dass sich dieser Strafrahmen wegen der teilweise mehrfachen Begehung derselben Delikte und des Verübens mehrerer strafbarer Handlungen auf Freiheitsstrafe bis zu 4 ½ Jahren oder Geldstrafe erhöht. Damit folgt sie, wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, nicht dem von der Rechtsprechung vorgezeichneten methodischen Vorgehen. Doch lässt sich aufgrund der Erwägungen der Vorinstanz zu den einzelnen Faktoren der Strafzumessung die Bemessung der Gesamtstrafe und die Anwendung der Bestimmung von Art. 49 Abs. 1 StGB hinreichend nachvollziehen. Jedenfalls wirkt sich die Vorgehensweise der Vorinstanz im Ergebnis nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Es könnte daher im Einklang mit der Rechtsprechung zur Begründung der Strafzumessung auf die Aufhebung des Urteils in diesem Punkt verzichtet werden (BGE 127 IV 101 E. 2c, mit Hinweisen.). Da das angefochtene Urteil jedoch aus anderen Gründen aufgehoben werden muss (vgl. E. 3), wird die Vorinstanz in ihrem neuen Urteil das Versäumte nachholen und methodisch korrekt zunächst eine Einsatzstrafe für das schwerste Delikt festlegen müssen. Dabei wird sie für die neuen Delikte wiederum eine Zusatzstrafe gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB zu bestimmen haben (angefochtenes Urteil S. 16). Dass es sich beim Strafbefehl des Amtsgerichts Lörrach vom 20. Dezember 2007 um ein ausländisches Urteil handelt, steht dem nicht entgegen (BGE 132 IV 102 E. 8.2). Desgleichen wird sie neu das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit Begehung der strafbaren Handlungen und die durch den unverschuldeten Verteidigerwechsel bedingte (vgl. Untersuchungsakten act. 394 ff.) lange Verfahrensdauer des zweitinstanzlichen Verfahrens berücksichtigen müssen. 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet im Weiteren, die Vorinstanz habe zu Unrecht keine Geldstrafe in Erwägung gezogen. Für die Geldstrafe spreche insbesondere, dass er im August 2009 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Aufgrund der damit in Zusammenhang stehenden psychischen Probleme, würde ihn eine Freiheitsstrafe übermässig hart treffen (Beschwerde S. 4 f.). 
 
3.2 Nach dem revidierten Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches sind bei Strafen im Bereich von sechs Monaten bis zu einem Jahr als Sanktionen Geldstrafe (Art. 34 StGB) oder Freiheitsstrafe (Art. 40 StGB) möglich. Wichtigste Kriterien für die Wahl der Sanktion bilden ihre Zweckmässigkeit, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz. Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft. Im Vordergrund steht daher bei Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr die Geldstrafe, als gegenüber der Freiheitsstrafe mildere Sanktion (BGE 134 IV 97 E. 4.2.2; 134 IV 82 E. 4.1). Die Geldstrafe fällt auch für einkommensschwache Täter, d.h. für solche mit sehr geringem, gar unter dem Existenzminimum liegendem Einkommen in Betracht (BGE 134 IV 97 E. 5.2.3 und 5.2.4). Die eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters und seine voraussichtliche Zahlungsunfähigkeit sprechen nicht für sich allein schon für die Ausfällung einer Freiheitsstrafe (Annette Dolge, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, Art. 34 StGB N 25; Günter Heine, Das neue Strafensystem im Spiegel der Rechtsprechung, recht 2009, 12). Die Wahl der Sanktion muss im Einzelfall nachvollziehbar sein und im Urteil begründet werden (Art. 50 StGB). Der blosse Verweis auf die Schwere des Verschuldens und die Vorstrafen genügt den Begründungsanforderungen nicht (Urteil des Bundesgerichts 6B_721/2009 vom 18.2.2010 E. 4.2). 
 
Den Urteilen der kantonalen Instanzen lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen diese im zu beurteilenden Fall zur Aussprechung einer Freiheitsstrafe gelangt sind, und warum ihrer Auffassung nach eine Geldstrafe von vornherein ausser Betracht fällt. Dies wäre im Übrigen auch nicht ersichtlich, zumal jedenfalls in Bezug auf die zu beurteilenden Delikte zum Nachteil seiner ehemaligen Ehefrau nicht ein einschlägiger Rückfall aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe vorliegt, was aus Gründen der Spezialprävention die Anordnung einer Freiheitsstrafe nahelegen könnte. Ob sich der Vollzug einer allfälligen Freiheitsstrafe für den Beschwerdeführer aufgrund der gesundheitlichen Probleme infolge seines Arbeitsunfalls als übermässig hart auswirken würde, ist für die Wahl der Sanktion allerdings irrelevant. 
 
Die Anwendung des Bundesrechts lässt sich in diesem Punkt nicht überprüfen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Entscheid auch die Frage des bedingten Strafvollzuges erneut prüfen müssen. Je nach Art der ausgesprochenen Sanktion stellt sich schliesslich die Frage der Rückversetzung in den Strafvollzug und einer allfälligen Gesamtstrafe in neuem Licht. 
 
Bei diesem Ergebnis muss nicht geprüft werden, ob die Vorinstanz den Beschwerdeführer zu Recht in den Strafvollzug zurückversetzt hat. 
 
4. 
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG) und wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Der Kanton Schaffhausen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Die Entschädigung ist jedoch praxisgemäss dem Vertreter des Beschwerdeführers zuzusprechen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 29. Januar 2010 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Schaffhausen hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 8. Juni 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Boog