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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_330/2021  
 
 
Urteil vom 8. Juni 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Abrecht, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Hardy Landolt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Graubünden, 
Ottostrasse 24, 7000 Chur, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 13. Oktober 2020 
(S 20 47). 
 
 
Sachverhalt:  
A. 
Der 1964 geborene A.________ meldete sich am 10. Juli 2002 bei der IV-Stelle des Kantons Glarus zum Leistungsbezug an. Diese gewährte ihm eine Umschulung zum Sozialpädagogen, welche er gemäss Verfügung vom 9. Februar 2009 erfolgreich abschloss. Am 24. Januar 2012 meldete sich A.________ erneut bei der IV-Stelle an. Mit Verfügung vom 9. November 2016 sprach diese ihm vom 1. Juni 2014 bis 31. August 2014 eine halbe und vom 1. September 2014 bis 31. Dezember 2015 eine ganze Invalidenrente zu. Dies bestätigten das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Urteil vom 10. April 2018 und das Bundesgericht mit Urteil 9C_367/2018 vom 20. August 2018. 
 
Am 18. August 2017 verlangte A.________ bei der IV-Stelle eine Neubeurteilung, da er am 13. Mai 2017 einen Herzinfarkt erlitten habe. Die IV-Stelle holte u.a. ein interdisziplinäres Gutachten der B.________ AG vom 12. Dezember 2019 ein. Mit Verfügung vom 18. März 2020 verneinte sie den Rentenanspruch, da der Invaliditätsgrad 35.5 % betrage. 
B. 
Die Beschwerde des A.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Urteil vom 13. Oktober 2020 ab. 
C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm eine ganze Rente, eventuell eine Dreiviertelsrente der IV zuzusprechen und die Sache in diesem Sinne zur Prüfung des Rentenbeginns an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der rechtsprechungsgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585). 
 
2.  
Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Verneinung des Rentenanspruchs für die Zeit ab 1. Februar 2018 bundesrechtskonform ist. 
 
Die Vorinstanz, auf deren Entscheid verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG), hat die für die Beurteilung des Leistungsanspruchs massgebenden rechtlichen Grundlagen richtig dargelegt. 
 
3.  
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, das interdisziplinäre (pneumologische, internistische, kardiologische, neurologische, psychiatrische und orthopädische) Gutachten der B.________ AG vom 12. Dezember 2019 erfülle die praxisgemässen Anforderungen an eine medizinische Beurteilungsgrundlage, weshalb darauf abzustellen sei. Gestützt darauf sei dem Beschwerdeführer die angestammte Tätigkeit nicht mehr zumutbar. In einer adaptierten Tätigkeit sei weiterhin eine 75%ige Arbeitsfähigkeit gegeben. Aufgrund der multiplen Beschwerden am Bewegungsapparat seien vermehrte Pausen in einer Grössenordnung von zwei Stunden täglich zuzubilligen, was in der reduzierten Arbeitsfähigkeit berücksichtigt sei. Das im Gesundheitsfall erzielbare Valideneinkommen betrage unbestrittenermassen Fr. 79'560.55 pro Jahr. Bei der Bemessung des trotz Gesundheitsschadens erzielbaren Invalideneinkommens habe die IV-Stelle auf den Zentralwert der monatlichen Bruttolöhne von Männern im Bereich "Total" des privaten Sektors, Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art), laut Tabelle TA1 der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2016 abgestellt. Hieraus habe nach Umrechnung auf die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit (41.7 Stunden) bei der zumutbaren 75%igen Arbeitsfähigkeit ein Jahreslohn von Fr. 51'313.80 resultiert. Für einen leidensbedingten Abzug bestehe kein Anlass, da der verminderten Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers mit der 25%igen Arbeitsunfähigkeit genügend Rechnung getragen worden sei. Andere Abzugsgründe bestünden ebenfalls nicht. Der Vergleich des Valideneinkommens von Fr. 79'560.55 mit dem Invalideneinkommen von Fr. 51'313.80 ergebe einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von gerundet 36 %. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, gemäss der Verfügung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 4. Dezember 2018 beziehe er für Kniebeschwerden als Folge eines Unfalls vom 25. März 1998 seit 1. Juni 2008 eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 13 %. Sein behandelnder Arzt habe diesbezüglich bei der Suva am 14. November 2018 sogar eine revisionsweise Rentenerhöhung verlangt. Diese 13%ige Erwerbsunfähigkeit hätten die Gutachter der B.________ AG und die Vorinstanz nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der Schulterbeschwerden rechts habe die Vorinstanz mit Urteil vom 11. Juni 2020 den Unfallversicherer verpflichtet, ihm ab 1. August 2015 eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von 14 % zu gewähren. Dies habe das Bundesgericht mit Urteil 8C_433/2020 vom 15. Oktober 2020 bestätigt. Unter Berücksichtigung dieser Teilinvaliditäten von insgesamt 27 % bestehe bei der zusätzlich wegen den pneumologischen Befunden bestehenden Erwerbsunfähigkeit von 36 % ein Gesamtinvaliditätsgrad von mindestens 63 %.  
 
4.2. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer weiterhin Renten der Unfallversicherung bezieht, ist irrelevant. Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts haben nämlich die IV-Stellen und der Unfallversicherer die Invaliditätsbemessung in jedem einzelnen Fall selbstständig vorzunehmen. Keinesfalls dürfen sie sich ohne weitere Prüfung mit der blossen Übernahme des Invaliditätsgrades des Unfallversicherers oder der IV-Stelle begnügen (BGE 133 V 549 E. 6.1, 126 V 288 E. 2d, je mit Hinweisen). Dieser Grundsatz gilt auch im (amtlichen) Revisionsverfahren und bei einer Neuanmeldung zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung, bei der die Grundsätze zur Rentenrevision analog Anwendung finden (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art. 87 Abs. 2 f. IVV; BGE 130 V 71 E. 3.2.3; Urteil 9C_135/2021 vom 27. April 2021 E. 2.1). Liegt ein Revisionsgrund vor, ist der Rentenanspruch in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht allseitig zu prüfen, wobei keine Bindung an frühere Beurteilungen, auch anderer Sozialversicherer, besteht (vgl. dazu BGE 141 V 9 E. 2.3). Diesen Vorgaben kam die IV-Stelle nach, indem sie den Rentenanspruch des Beschwerdeführers, unabhängig von den vom Unfallversicherer ausgerichteten Invalidenrenten, allseitig überprüfte und medizinisch durch das Medicore-Gutachten vom 12. Dezember 2019 abklären liess (vgl. auch Urteil 8C_430/2019 vom 5. Dezember 2019 E. 4.4).  
 
Wenn die Vorinstanz gestützt auf dieses Gutachten von einer 75%igen Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer leidensangepassten Tätigkeit ausging, erscheint dies weder als offensichtlich unrichtig noch anderweitig als bundesrechtswidrig. Da von weiteren medizinischen Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu erwarten sind, durfte die Vorinstanz willkürfrei darauf verzichten, ohne dabei den Gehörsanspruch oder den Untersuchungsgrundsatz zu verletzen (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5, 136 I 229 E. 5.3). 
 
5.  
Der Beschwerdeführer beanstandet weiter die vorinstanzliche Nichtgewährung eines Tabellenlohnabzugs. 
 
5.1. Hat die versicherte Person - wie hier - nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen, so können nach der Rechtsprechung die Tabellenlöhne gemäss der LSE herangezogen werden (BGE 143 V 295 E. 2.2). Praxisgemäss können persönliche und berufliche Merkmale der versicherten Person wie Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Nationalität oder Aufenthaltskategorie sowie Beschäftigungsgrad einen auf höchstens 25 % begrenzten Leidensabzug vom LSE-Tabellenlohn rechtfertigen, soweit anzunehmen ist, dass die trotz des Gesundheitsschadens verbleibende Leistungsfähigkeit infolge eines oder mehrerer dieser Merkmale auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem Einkommen verwertet werden kann (BGE 146 V 16 E. 4.1, 142 V 178 E. 2.5.7 i.f., 135 V 297 E. 5.2). Ob ein solcher Abzug vorzunehmen ist, ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (BGE 146 V 16 E. 4.2; Urteil 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 11.1).  
 
5.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, bei seiner Erwerbs- bzw. Arbeitsunfähigkeit von 63 % sei die Verwertbarkeit auf dem konkreten Arbeitsmarkt stark eingeschränkt. Mit dieser Einschränkung und seinem Alter von 57 Jahren werde ihn ein realistischer Arbeitgeber ablehnen, da es genügend jüngere und gesündere Personen gebe, die teilzeitlich arbeiteten. Dazu komme, dass in den Branchen, in denen er noch arbeiten könnte, erfahrungsgemäss keine Teilzeitstellen von 40 % oder weniger angeboten würden. Somit sei ihm ein Abzug von mindestens 10 % zu gewähren.  
 
5.3.  
 
5.3.1. Entgegen dem Beschwerdeführer ist für die Invaliditätsbemessung nicht massgebend, ob eine invalide Person unter den konkreten Arbeitsmarktverhältnissen vermittelt werden kann, sondern einzig, ob sie die ihr verbliebene Arbeitskraft noch wirtschaftlich nutzen könnte, wenn ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage nach Arbeitsplätzen bestünde (ausgeglichener Arbeitsmarkt, Art. 16 ATSG; BGE 138 V 457 E. 3.1, 110 V 273 E. 4b; Urteil 8C_783/2020 vom 17. Februar 2021 E. 7.3.1).  
 
5.3.2. Weiter ist beim Beschwerdeführer nicht von einer 37%igen Erwerbs- bzw. Arbeitsfähigkeit, sondern von einer 75%igen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit auszugehen (vgl. E. 4.2 hiervor). Auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt gibt es ein genügendes Angebot von entsprechenden Teilzeitstellen im dem Beschwerdeführer offenstehenden LSE-Kompetenzniveau 1 (einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art; siehe E. 3 hiervor).  
 
5.3.3. Zudem leuchtet es nicht ein und wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher begründet, dass er den ihm offen stehenden Arbeiten aufgrund seines Alters (Jahrgang 1964) nur noch mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg nachgehen könnte. Dies gilt namentlich angesichts der bis zum ordentlichen Pensionsalter von 65 verbleibenden Zeitspanne von - auch noch im Verfügungszeitpunkt - immerhin rund neun Jahren (vgl. zum Ganzen BGE 146 V 16 E. 7.2.1; Urteil 8C_151/2020 vom 15. Juli 2020 E. 6.3.3; zur weiterhin offenen Frage nach dem massgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung des altersbedingten Anspruchs auf einen Abzug vom Tabellenlohn vgl. BGE 146 V 16 E. 7.1).  
 
5.3.4. Insgesamt ist die vorinstanzliche Verneinung eines Abzugs beim Invalideneinkommen und damit des Rentenanspruchs bundesrechtskonform.  
 
6.  
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG erledigt. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 3. Kammer als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. Juni 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar