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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_121/2010 
 
Urteil vom 8. Juli 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Kernen und Seiler, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Ausgleichskasse, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 17. Dezember 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1967 geborene A.________ arbeitete von Januar 1995 bis Ende Dezember 2007 bei der Firma P.________ GmbH, wobei sie vom 1. August 2006 bis 31. Dezember 2007 unbezahlten Urlaub bezogen hatte. Sie ist Mutter dreier Kinder. Nach der Geburt des dritten Kindes am 14. Januar 2008 meldete sie sich am 23. Januar 2008 für eine Mutterschaftsentschädigung an. Gestützt auf eine Auskunft des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) vom 21. April 2008 lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung mit Verfügung vom 5. Mai 2008 mangels ausreichender Beitragsdauer für den Bezug von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung ab, woran sie auf Einsprache von A.________ hin gestützt auf neuerliche Abklärungen beim Seco mit Entscheid vom 25. August 2008 festhielt. 
 
B. 
Die von A.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 17. Dezember 2009 ab. 
 
C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung anzuerkennen. Ferner ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung. 
Während die Ausgleichskasse auf eine Vernehmlassung verzichtet, schliesst das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das EOG regelt unter Ziff. IIIa., eingefügt durch Ziff. I des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 2003, in Kraft seit 1. Juli 2005, die Mutterschaftsentschädigung. Anspruchsberechtigt ist nach Art. 16b Abs. 1 EOG eine Frau, die während der neun Monate unmittelbar vor der Niederkunft im Sinne des AHVG obligatorisch versichert war (lit. a); 
in dieser Zeit mindestens fünf Monate lang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (lit. b); 
und im Zeitpunkt der Niederkunft: 
1. Arbeitnehmerin im Sinne von Art. 10 ATSG ist; 
2. Selbstständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG ist; oder 
3. im Betrieb des Ehemannes mitarbeitet und einen Barlohn bezieht (lit. c). 
Nach Abs. 3 regelt der Bundesrat die Anspruchsvoraussetzungen für Frauen, die wegen Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit: 
a. die Voraussetzungen von Absatz 1 lit. a nicht erfüllen; 
b. im Zeitpunkt der Niederkunft nicht Arbeitnehmerinnen oder Selbst ständigerwerbende sind. 
 
2. 
Die in Art. 16b Abs. 1 lit. a-c EOG genannten Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Die Mutterschaftsentschädigung ist grundsätzlich auf Frauen beschränkt, die im Zeitpunkt der Niederkunft erwerbstätig waren, d.h. die bei der Niederkunft noch in einem gültigen privat- oder öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis oder Lehrverhältnis stehen oder als Selbstständigerwerbende im Zeitpunkt der Niederkunft von der AHV als solche anerkannt sind (Art. 16b Abs. 1 lit. c EOG; BBl 2002 7543 f.; BGE 133 V 73 E. 4.1 S. 77 f.; Urteil 9C_171/2008 vom 28. Mai 2008 E. 4.2). Ausnahmen sollen nur dann gemacht werden, wenn eine Frau wegen Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Niederkunft nicht als erwerbstätig gilt (Art. 16b Abs. 3 EOG; BBl 2002 7544). Nach Art. 29 EOV hat eine Mutter, die im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist oder infolge Arbeitslosigkeit die erforderliche Mindesterwerbsdauer nach Art. 16b Abs.1 lit. b EOG nicht erfüllt, Anspruch auf Entschädigung, wenn sie bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezog (lit. a) oder am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG erforderliche Beitragsdauer erfüllt (lit. b). 
 
2.1 Gemäss Ingress von Art. 16b Abs. 3 EOG und Art. 29 EOV ist Voraussetzung für den ausnahmsweisen Leistungsanspruch trotz Fehlens einer Erwebstätigkeit, dass die Mutter im Zeitpunkt der Geburt arbeitslos ist. Nach Art. 10 Abs. 1 und 2 AVIG gilt als ganz bzw. teilweise arbeitslos, wer in keinem oder nur einem teilzeitlichen Arbeitsverhältnis steht und eine Vollzeit- bzw. eine weitere Teilzeitbeschäftigung sucht. Gemäss Art. 10 Abs. 3 AVIG gilt der Arbeitsuchende erst dann als arbeitslos, wenn er sich beim Arbeitsamt zur Arbeitsvermittlung gemeldet hat. Die Vorinstanz hat gestützt auf diese Bestimmung erwogen, die Beschwerdeführerin sei gar nicht arbeitslos, weil sie, was unbestritten ist, im Zeitpunkt der Geburt ihres Kindes nicht beim Arbeitsamt zur Arbeitsvermittlung gemeldet gewesen sei. Nach der Entstehungsgeschichte von Art. 16b Abs. 3 EOG soll allerdings nicht verlangt werden, dass eine Frau im Zeitpunkt der Niederkunft auch tatsächlich Arbeitslosenentschädigung bezieht. Ein Anspruch soll auch dann bestehen, wenn ohne Bezug von Arbeitslosenentschädigung im Zeitpunkt der Geburt eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug eröffnet ist, unabhängig davon, ob unmittelbar vor der Niederkunft Arbeitslosenentschädigung bezogen wird, oder wenn unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Niederkunft eine nach dem AVIG genügende Beitragszeit nachgewiesen ist oder ein Grund für die Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit vorliegt. Im Sinne einer konsequenten Leistungsabgrenzung und Koordination zwischen AVIG und EOG soll damit vermieden werden, dass sich Versicherte zur Wahrung ihrer Ansprüche auf Mutterschaftsentschädigung zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung anmelden müssen. Eine solche Anmeldung könnte angesichts des starren Rahmenfristensystems in der Arbeitslosenversicherung zu einer massiven Beeinträchtigung ihrer Ansprüche im Falle einer späteren Arbeitslosigkeit führen. Zudem verlangt das Gebot der Gleichbehandlung eine solche Regelung, weil ansonsten die Kategorie der beitragsfrei versicherten Personen ungleich behandelt würde, je nachdem, ob im Zeitpunkt der Niederkunft ein Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt worden ist oder nicht (BBI 2003 1121 f.; vgl. auch Amtl. Bull. 2003 S. 541). Nach diesen Ausführungen ist also der Begriff "arbeitslos" gemäss Art. 16b Abs. 3 EOG und Art. 29 EOV nicht im Sinne von Art. 10 Abs. 3 AVIG zu verstehen. Eine Abweichung ist jedoch nur vom formellen Erfordernis der Anmeldung beim Arbeitsamt zulässig. Materiell muss Arbeitslosigkeit vorliegen. 
 
2.2 Vorausgesetzt ist des Weiteren für die Mutter, die nicht bis zur Geburt ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezogen hat (Art. 29 lit. a EOV), dass sie am Tag der Geburt die für den Bezug eines Taggeldes nach dem AVIG erforderliche Beitragsdauer erfüllt (Art. 29 lit. b EOV). Umstritten ist, ob dieses Erfordernis im Falle der Beschwerdeführerin erfüllt ist. Fest steht, dass sie innerhalb der ordentlichen Rahmenfrist für die Beitragszeit von zwei Jahren vor der Geburt (Art. 9 Abs. 3 AVIG) nicht während mindestens 12 Monaten eine beitragspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG), da sie ab August 2006 keinen Lohn mehr bezog. Anrechnungen nach Art. 13 Abs. 2 lit. d AVIG werden nicht geltend gemacht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die massgebliche Rahmenfrist nach Art. 9b Abs. 2 AVIG verlängert werden kann. Dieser Bestimmung zufolge beträgt die Rahmenfrist für die Beitragszeit von Versicherten, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, vier Jahre, sofern zu Beginn der einem Kind unter zehn Jahren gewidmeten Erziehung keine Rahmenfrist für den Leistungsbezug lief. 
 
2.3 Nach dem Wortlaut von Art. 29 lit. b EOV ist nicht ohne weiteres klar, worauf sich die Beitragsdauer bezieht, d.h. in welchem Zeitraum sie erfüllt worden sein muss. Indessen ist die Verordnung gesetzeskonform auszulegen, mit Blick auf die in den neuen Bestimmungen des EOG zum Ausdruck kommende Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers, wonach nur erwerbstätige Frauen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung haben sollen. Diesen gleichgestellt sind Frauen, die wegen Arbeitslosigkeit (oder Arbeitsunfähigkeit) im Zeitpunkt der Niederkunft nicht erwerbstätig waren. Nur für diese Fälle ermächtigt Art. 16b Abs. 3 EOG den Bundesrat, von den in Abs. 1 genannten Voraussetzungen abzuweichen. Würde der Bundesrat die Anspruchsberechtigung auf weitere Fälle nicht erwerbstätiger Frauen ausdehnen, wäre die Verordnung gesetzwidrig (vgl. auch BBI 2003 1121). 
 
2.4 Wer wie die Beschwerdeführerin seit längerer Zeit keine bezahlte Erwerbstätigkeit mehr ausübt, ohne sich bei der Arbeitslosenversicherung anzumelden, ist nicht wegen Arbeitslosigkeit nicht erwerbstätig, sondern aus anderen, beispielsweise familiären Gründen. Eine gesetzeskonforme Auslegung der Verordnung führt daher dazu, dass unter Beitragsdauer im Sinne von Art. 29 lit. b EOV nur diejenige, die in der ordentlichen zweijährigen Rahmenfrist zurückgelegt wurde, verstanden werden kann. 
 
3. 
In sachverhaltlicher Hinsicht kritisiert die Beschwerdeführerin, die Annahme der Vorinstanz, sie sei im Zeitpunkt der Niederkunft nicht auf Stellensuche gewesen, sei willkürlich. Bei der dargelegten rechtlichen Ausgangslage ist diese Rüge irrelevant. 
 
4. 
Dem Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Prozessführung ist stattzugeben, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin wird jedoch darauf hingewiesen, dass sie der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 8. Juli 2010 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Widmer