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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4C.101/2002/rnd 
 
Urteil vom 8. August 2002 
I. Zivilabteilung 
 
Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, 
Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler, 
Gerichtsschreiber Dreifuss. 
 
A.________, 
Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Fürsprecher Marc Renggli, Nidaugasse 28, Postfach 3172, 2500 Biel/Bienne 3, 
 
gegen 
 
Baugenossenschaft "X.________", c/o Alfred Steinmann, 
E. Ganguillet-Weg 2, 2503 Biel/Bienne, 
Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Fürsprecher Ludwig Schmid, Falknerstrasse 26, Postfach 160, 4001 Basel. 
 
Genossenschaft; Nichtigkeit der Beschlüsse der Generalversammlung, 
 
Berufung gegen den Entscheid des Appellationshofs des Kantons Bern, I. Zivilkammer, vom 14. Dezember 2001. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.________ (Kläger) ist Mitglied der Baugenossenschaft X.________ (Beklagte). Diese wurde am 26. Februar 1947 mit dem statutarischen Zweck gegründet, ihren Mitgliedern gesunde und billige Wohnungen zu beschaffen (Art. 2 Gründungsstatuten). Nach Art. 3 der revidierten Statuten vom 25. August 1971 (Statuten 1971) steht die Mitgliedschaft in der Genossenschaft jeder mündigen Person offen. Der Eintritt ist an ein Eintrittsgeld geknüpft. Für den Entscheid über die Aufnahme ist der Vorstand zuständig. Dieser hielt seit der Genossenschaftsgründung die Praxis aufrecht, pro Wohnung nur einen Genossenschafter aufzunehmen und jeweils ein Pflichtdarlehen von Fr. 5'000.-- zu verlangen. 
 
An der Generalversammlung vom 1. März 2000 beschloss die Genossenschaft über eine Revision der Statuten. In Art. 6 Ziff. 1 Statuten wurde unter dem Titel "Mitgliedschaft" neu festgehalten, dass jede natürliche Person Mitglied werden kann, die mindestens einen Anteilschein in der Höhe von Fr. 1'000.-- erwirbt. Nach Art. 6 Ziff. 4 setzt das Mieten einer Genossenschaftswohnung den Beitritt von Mieterin und/oder Mieter zur Genossenschaft voraus. In diesem Zusammenhang legte der Vorstand der Generalversammlung am 3. Mai 2000 unter dem Titel "Konsultativabstimmung" die folgende Frage vor: "Wollt ihr, dass der Vorstand max. 2 Mieter/innen pro Wohnung auf deren Antrag hin als Genossenschafter/innen aufnimmt?" Ausser dem Kläger haben alle Genossenschafter der entsprechenden Praxisänderung zugestimmt. 
B. 
Am 8. Januar 2001 gelangte der Kläger an den Gerichtspräsidenten 3 des Gerichtskreises II Biel-Nidau. Er beantragte unter anderem die Feststellung der Nichtigkeit von Art. 6 Ziff. 4 der Statuten in der Fassung vom 1. März 2000 sowie der Beschlüsse der Generalversammlung vom 3. Mai 2000 hinsichtlich der Möglichkeit, zwei Mieter pro Wohnung als Genossenschafter aufzunehmen; eventuell sei der Beschluss der Generalversammlung vom 3. Mai 2000, mit welchem dem Vorstand die Befugnis zur Aufnahme von zwei Mietern pro Wohnung als Genossenschafter erteilt wurde, aufzuheben. Der Gerichtspräsident wies die Klage mit Urteil vom 4. Juli 2001 ab. Gleich entschied der Appellationshof des Kantons Bern, I. Zivilkammer, am 14. Dezember 2001 auf Appellation des Klägers hin. 
C. 
Der Kläger beantragt mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Appellationshofs vom 14. Dezember 2001 sei aufzuheben und die Klage hinsichtlich der vorstehend erwähnten Anträge gutzuheissen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Kläger begründete seine im kantonalen Verfahren gestellten Rechtsbegehren, die er vorliegend nicht vollumfänglich aufrechterhalten hat, im Wesentlichen damit, dass die Stimmkraft von allein stehenden Genossenschaftern in der Generalversammlung durch die Aufnahme von mehr als einem Genossenschafter pro Wohnung unter Verletzung des Gleichbehandlungsgebots ausgehöhlt werde. Ferner würden die Vermögensrechte der allein stehenden Genossenschafter verletzt, indem ihr potentieller Liquidationsteil nahezu halbiert werde. Es kann offen bleiben, inwieweit darin eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 44 OG liegt oder eine vermögensrechtliche (Art. 46 OG; vgl. BGE 118 II 528 E. 2c S. 531; zur Frage bei genossenschaftsrechtlichen Streitigkeiten: BGE 114 II 435 E. 1; 98 II 221 E. 1; 80 II 71 E. 1). Der Kläger beziffert den Streitwert für den letzteren Fall in Übereinstimmung mit den kantonalen Instanzen auf mindestens Fr. 65'000.--. Davon abzuweichen besteht kein Anlass. Die Streitsache ist somit auf jeden Fall berufungsfähig. 
2. 
Der Kläger gibt in seinem Rechtsbegehren den Wortlaut von Art. 6 Ziff. 4 der Statuten vom 1. März 2001, dessen Aufhebung er verlangt, unrichtig wieder. Da diesbezüglich ein klares Versehen vorliegt und der Kläger offensichtlich die Nichtigerklärung von Art. 6 Ziff. 4 der Statuten in ihrem wahren Wortlaut verlangen will, schadet ihm dies nicht. 
3. 
Nach Art. 891 Abs. 1 OR kann jeder Genossenschafter von der Generalversammlung gefasste Beschlüsse beim Richter mit Klage gegen die Genossenschaft anfechten. Gegenstand der Prüfung ist einzig, ob die Beschlüsse rechtmässig sind, d.h. mit dem objektiven Recht, namentlich dem Gesetzesrecht, und mit dem körperschaftsinternen Recht (Statuten) übereinstimmen. Eine Zweckmässigkeitsprüfung findet nicht statt (vgl. Riemer, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im schweizerischen Gesellschaftsrecht, Bern 1998, Rz. 76 f. mit Verweisen). Das Anfechtungsrecht erlischt, wenn die Klage nicht spätestens zwei Monate nach der Beschlussfassung angehoben wird (Art. 891 Abs. 2 OR). Unabhängig von der Einhaltung der Anfechtungsfrist kann ein Genossenschafter die Nichtigkeit von Beschlüssen gerichtlich feststellen lassen, die mit schwerwiegenden formellen oder inhaltlichen Fehlern behaftet sind (Riemer, a.a.O., Rz. 252, 258 ff., 285 ff.; Reymond, Die Genossenschaft, Schweizerisches Privatrecht, VIII/5, S. 187). Materiellrechtlich ergeben sich keine unterschiedlichen Folgen, ob ein Beschluss nichtig erklärt (Feststellungsurteil) oder wegen Anfechtbarkeit aufgehoben wird (Gestaltungsurteil; vgl. Riemer, a.a.O., Rz. 312). Es ist daher in einem ersten Schritt bloss zu prüfen, ob die Beschlüsse vom 1. März und vom 3. Mai 2000 rechtswidrig sind. Erst wenn dies feststeht, stellt sich die Frage, ob der Beschluss vom 1. März 2000, der nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht innert zwei Monaten angefochten wurde, unter so schweren Mängeln leidet, dass er nichtig wäre. 
4. 
Die Berufungsbegehren wenden sich ausschliesslich gegen die - durch die beanstandeten Beschlüsse angeblich neu geschaffene - Möglichkeit (oder Verpflichtung), mehr als einen Genossenschafter pro vorhandener Genossenschaftswohnung aufzunehmen. Inwiefern darin eine Rechtswidrigkeit liegen soll, ist nicht ersichtlich: 
4.1 In Art. 6 Ziff. 1 und 4 der am 1. März 2000 beschlossenen Statuten wurde implizite die Möglichkeit vorgesehen, mehr als einen Genossenschafter pro Wohnung aufzunehmen. Allerdings haben die Statuten diese Möglichkeit, wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat und unbestritten ist, nie ausgeschlossen. Sie haben insbesondere nie eine Beschränkung enthalten, wonach bloss ein Genossenschafter pro Wohnung aufgenommen werden darf. Die als Grundlage dienenden, bisherigen Statuten 1971 knüpften die Möglichkeit des Erwerbs der Mitgliedschaft im Gegenteil nicht an den Abschluss eines Mietvertrags, sondern liessen sie allen mündigen Personen offen (Art. 3). Die Mitgliedschaft erlosch mit der Beendigung des Mietverhältnisses nicht automatisch (vgl. Art. 5). Ebenso wenig bestand in der Beendigung des Mietverhältnisses ein Ausschlussgrund (vgl. Art. 8). Der Kläger räumt denn auch ein, dass das Prinzip, wonach nur ein Mieter pro Wohnung in die Genossenschaft aufgenommen werden darf, in den bisherigen Statuten nicht verankert war, sondern lediglich in der Praxis des Vorstands so gelebt wurde. 
 
Damit fällt ein Verstoss des Inhalts des am 1. März 2000 erlassenen Artikels 6 der Statuten gegen eine andere Statutenbestimmung, die nicht ohne Zustimmung des Klägers abänderbar wäre, ausser Betracht. 
4.2 Sodann ist nicht zu sehen, weshalb der Generalversammlungsbeschluss vom 3. Mai 2000, mit dem eine Änderung der langjährigen Vorstandspraxis abgesegnet wurde, statutenwidrig sein könnte. Der Kläger macht in diesem Zusammenhang geltend, die langjährige Vorstandspraxis beruhe auf der Rechtsüberzeugung sämtlicher Genossenschafter und des Vorstandes und sei damit ebenso bindend wie eine entsprechende statutarische Grundlage. Weshalb aber der Vorstand aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Generalversammlung, wie er am 3. Mai 2000 in Übereinstimmung mit den Statuten gefällt wurde, nicht berechtigt sein sollte, seine Praxis zu ändern, legt der Kläger nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. 
4.3 Es kann sich demnach nur fragen, ob die Beschlüsse vom 1. März und vom 3. Mai 2000 gegen Gesetzesrecht oder ungeschriebenes Körperschaftsrecht verstossen, weil sie inhaltlich die Möglichkeit vorsehen, zwei statt nur einen Genossenschafter pro Wohnung in die Genossenschaft aufzunehmen. Inwiefern dies der Fall sein soll, ist indessen unerfindlich. 
4.3.1 Die Ausführungen des Klägers, dass eine Genossenschaft in Einschränkung des Prinzips der offenen Tür (Art. 828 Abs. 1 und Art. 839 OR) berechtigt ist, "Aussenseitern" im Hinblick auf den Genossenschaftszweck den Eintritt in die Selbsthilfeorganisation zu verwehren, gehen an der Sache vorbei. Zwar können die Statuten an sich bestimmen, dass nur Mieter Genossenschafter sein können und dass nur ein Mieter pro vorhandener Wohnung Genossenschafter werden darf (Art. 839 Abs. 2 OR; dazu Forstmoser, Berner Kommentar, N. 28 zu Art. 839 OR; allgemein zur stark relativierten Bedeutung des Prinzips der offenen Tür: Reymond, a.a.O., S. 80 f.). Das heisst aber nicht, dass die Beklagte automatisch gegen das Gesetz verstösst, indem sie von diesen Möglichkeiten der Beitrittsbeschränkung keinen Gebrauch macht. Von einer Gesetzwidrigkeit der beschlossenen Möglichkeit, zwei in einer Wohnung lebende Mieter in die Genossenschaft aufzunehmen, kann keine Rede sein, zumal sie zu einer Weiteröffnung der Eingangstüre führt und damit dem Geist des Genossenschaftsrechts entspricht. Inwiefern ein zweiter Wohnungsmieter in einer Wohnbaugenossenschaft ein Aussenseiter sein soll, dem zur Erreichung des Genossenschaftszwecks der Beitritt verwehrt werden müsste, ist nicht nachvollziehbar. 
4.3.2 Der Kläger macht sinngemäss geltend, die beanstandeten Beschlüsse verletzten das Gebot der Gleichbehandlung der Genossenschafter (Art. 854 OR), weil damit das Stimmrecht von allein stehenden Genossenschaftern, die eine Genossenschaftswohnung allein bewohnen, ausgehöhlt werde; durch die Aufnahme weiterer Genossenschafter verliere deren Stimme in der Generalversammlung wesentlich an Stimmkraft. Angesichts der daraus resultierenden Diskriminierung von allein stehenden Genossenschaftern hätte die Generalversammlung das Prinzip der offenen Tür einschränken müssen. 
 
Diese Rüge ist unbegründet. Nach Art. 885 OR hat jeder Genossenschafter in der Generalversammlung unabhängig von seiner Kapitalbeteiligung oder der Benutzung der genossenschaftlichen Einrichtungen eine Stimme. Damit wird für das Stimmrecht in der Genossenschaft zwingend die absolute Gleichheit aller Gesellschafter statuiert (BGE 128 III 375 E. 3.1 und 3.2; 72 II 91 E. 3 S. 103 f.; 67 I 262 E. 2 S. 267 f.; Gutzwiller, Zürcher Kommentar, N. 2 zu Art. 885 OR; Moll, Basler Kommentar, N. 1 zu Art. 885 OR; Reymond, a.a.O., S. 176; Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 8. Aufl., Bern 1998, S. 484). Vorliegend hatte die bisherige Praxis des Vorstands, nur einen Mieter pro Wohnung als Genossenschafter aufzunehmen, faktisch zur Folge, dass die Benutzer einer Wohnung in der Generalversammlung mit je einer Stimme vertreten waren. Der Kläger verkennt, dass ihm das Gesetz keinen Anspruch darauf gibt, dass seine relative Stimmkraft erhalten wird, indem weiterhin nicht mehr als ein Genossenschafter pro Wohnung als Mitglied aufgenommen wird. Soweit er geltend macht, das Gegenteil komme einem teilweisen Entzug des Stimmrechts gleich, läuft seine Argumentation darauf hinaus, dass das Stimmrecht in der Genossenschaft nach der Benutzung der genossenschaftlichen Einrichtungen in Wohneinheiten bzw. nach der Kapitalbeteiligung an der Genossenschaftsliegenschaft bemessen werden müsste. Dies widerspräche indessen der Bestimmung von Art. 885 OR, die eine Bemessung der Stimmkraft der Genossenschafter nach solchen Kriterien in Abweichung vom Kopfstimmrecht verbietet. 
4.3.3 Der Kläger rügt, die Aufnahme von zwei Mitgliedern pro Wohnung führe zu einer unzulässigen Beeinträchtigung seiner Anwartschaft im Falle einer Liquidation des Genossenschaftsvermögens. Er räumt zwar ein, dass nach den geltenden Statuten vom 1. März 2000 kein Anspruch mehr auf Ausrichtung eines Anteils am Liquidationsüberschuss besteht, da Art. 37 die Verwendung eines solchen zu genossenschaftlichen Zwecken oder zur Förderung gemeinnütziger Bestrebungen vorsieht. Indessen macht er geltend, ein solcher Anspruch könne ohne weiteres wieder statuiert werden. 
 
In diesem Falle müsste indessen nicht zwingend bestimmt werden, dass ein Liquidationsüberschuss - wie dies Art. 38 der Statuten 1971 vorsah - nach Köpfen zu verteilen ist (Art. 913 Abs. 3 OR; Meier-Hayoz/Forstmoser, a.a.O., S. 484). Nur wenn in einer künftigen Statutenänderung eine Verteilung nach diesem Schlüssel vorgesehen würde, hätte die Aufnahme weiterer Genossenschafter überhaupt einen direkten Einfluss auf die Höhe der einzelnen Liquidationsüberschussanteile. Ein entsprechender Generalversammlungsbeschluss könnte zudem angefochten werden. Von einer aktuellen und konkreten Beeinträchtigung der Vermögensinteressen von allein stehenden Genossenschaftern durch die Beschlüsse vom 1. März und vom 3. Mai 2000 kann damit nicht die Rede sein (vgl. zu dieser Anforderung Riemer, a.a.O., Rz. 78 mit Hinweis auf BGE 117 II 291 E. 6a/b). 
5. 
Die Berufung ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist die Gerichtsgebühr dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat die Beklagte überdies für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, I. Zivilkammer, vom 14. Dezember 2001 bestätigt. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Kläger auferlegt. 
3. 
Der Kläger hat die Beklagte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationshof des Kantons Bern, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 8. August 2002 
Im Namen der I. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: