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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_167/2014  
   
   
 
 
 
Urteil vom 8. August 2014  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Frésard, Maillard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Rüegg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich,  
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. Januar 2014. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ reiste am 15. September 2003 von der Türkei zu ihrem bereits in der Schweiz wohnhaften Ehemann ein. Am 25. Mai 2004 gebar sie einen Sohn). Sie meldete sich am 10. Januar 2012 wegen verschiedenen gesundheitlichen Problemen, darunter einer seit Juli 2007 bestehenden mittelschweren depressiven Episode mit Angst und Panikattacken bei familiären und finanziellen Belastungen sowie chronisch rezidivierenden Lumbalgien, bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, zum Bezug einer Rente an. Diese traf Abklärungen über die berufliche) und gesundheitliche Situation der Versicherten. Mit Vorbescheid vom 28. Juni 2012 kündigte die IV-Stelle an, das Leistungsbegehren werde abgewiesen werden, da bei A.________ seit ihrem 25. Lebensjahr psychische Erkrankungen bestünden und sie bereits mit einem Gesundheitsschaden in die Schweiz eingereist sei. In einem Schreiben vom 19. Juli 2012 schilderte die Versicherte die schwierige finanzielle Situation der Familie und bat um Beratung und Unterstützung unter Berücksichtigung der Gesamtsituation. In der Folge erliess die IV-Stelle am 15. August 2012 eine dem Vorbescheid im Ergebnis entsprechende Verfügung). Mit Schreiben vom 22. August 2012 bat ein inzwischen mandatierter Rechtsvertreter der Versicherten um Zustellung der Akten. Zusätzlich brachte er vor, seine Mandantin sei ohne Gesundheitsschaden in die Schweiz eingereist. Die IV-Stelle informierte den Rechtsvertreter mit Schreiben vom 5. September 2012, dass über die Sache bereits verfügt worden sei und nur noch der Beschwerdeweg offen stehe. 
 
B.   
Die gegen die Verfügung vom 15. August 2012 erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ die Aufhebung der Verfügung und Rückweisung zu weiteren Abklärungen beantragen liess, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Januar 2014 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. Des Weitern ersucht sie für das Verfahren vor Bundesgericht um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteile 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 1 und 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.1).  
 
2.   
Die Beschwerdeführerin lässt zuerst vorbringen, ihr rechtliches Gehör sei durch die IV-Stelle verletzt worden, da diese nach Eröffnung des Vorbescheides noch vor Ablauf der - durch einen Fristenstillstand verlängerten - 30tägigen Antwortfrist verfügt habe. Der angefochtene Entscheid sei daher bereits aus formellen Gründen aufzuheben. 
 
Wie das kantonale Gericht bereits richtig erwog, hatte sich die Versicherte auf den Vorbescheid mit ihrer Eingabe vom 19. Juli 2012 geäussert. Diesem Schreiben konnte nicht entnommen werden, dass mit einer weiteren Stellungnahme zur Sache gerechnet werden musste. Im Gegenteil schloss sie mit den Worten: "Gerne erwarte ich Ihren Bericht". Gemäss angefochtenem Entscheid durfte die Beschwerdegegnerin in der Folge davon ausgehen, dass sich die Versicherte damit abschliessend zum Vorbescheid geäussert hatte. Die Beschwerdeführerin erklärt nicht, inwiefern diese vorinstanzliche Feststellung rechtswidrig sein sollte. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da sich die Versicherte zur vorgesehenen Verfügung hatte vernehmen lassen können und dies auch getan hat. Damit ist nicht weiter zu prüfen, ob eine - nicht besonders schwer wiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als ausnahmsweise geheilt gelten könnte. 
 
3.   
In materieller Hinsicht ist streitig und zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Invalidenrente hat; insbesondere ob im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles die versicherungsmässigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente der Invalidenversicherung erfüllt waren. In diesem Zeitpunkt muss die Beschwerdeführerin die Voraussetzung der mindestens dreijährigen Beitragszeit erfüllt haben (Art. 36 Abs. 1 IVG in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung). 
 
3.1. Vorinstanz und Verwaltung verneinen den Anspruch auf eine ordentliche Rente der schweizerischen Invalidenversicherung mit der Begründung, die Beschwerdeführerin sei bei der Einreise in die Schweiz bereits invalid gewesen. Sie habe daher die erforderliche Mindestbeitragsdauer bis zum Eintritt der Invalidität nicht erfüllt.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, nach dem Suizid eines Bruders habe sie zwar in der Türkei während kurzer Zeit an psychischen Beschwerden gelitten, indessen sei sie dort immer als Schneiderin arbeitsfähig gewesen und beschwerdefrei in die Schweiz eingereist.  
 
4.   
Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat (Art. 4 Abs. 2 IVG); hier somit bei Entstehung des Rentenanspruchs (BGE 137 V 417 E. 2.2.1 S. 421), also wenn die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig Art. 6 ATSG) gewesen und nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % bleibend oder für längere Zeit erwerbsunfähig (Art. 7 und 8 ATSG) ist. 
 
5.   
Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 195 E. 2, 122 V 158 E. 1a, je mit Hinweisen; vgl. BGE 130 I 183 E. 3.2). 
 
Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264 E. 3b mit Hinweisen). 
 
Die Beweislast, dass der leistungsspezifische Invaliditätsfall erst nach dreijähriger Beitragszahlung eingetreten ist oder noch eintreten wird, liegt bei der Beschwerdeführerin (vgl. Urteil I 51/05 vom 14. September 2005 E. 3 mit Hinweis). 
 
6.  
 
6.1. Das kantonale Gericht stellte in Würdigung der medizinischen Akten zunächst fest, die Beschwerdeführerin leide an keinen somatischen Gesundheitsstörungen mit Auswirkungen auf ihre Arbeitsfähigkeit oder ihre Tätigkeit im Haushalt. Weiter erwog es gestützt auf die Arztberichte der Dr. med B.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 30. Januar 2012 und vom 4. März 2013, die rezidivierende depressive Störung, die Panikstörung und die Somatisierungsstörung der Beschwerdeführerin habe bereits in der Türkei bestanden. Sie sei mithin bereits bei der Einreise in die Schweiz in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen.  
 
6.2. Vorab ist festzustellen, dass es generell und namentlich bei psychischen Störungen schwierig ist, rückwirkend und überdies für einen weit zurückliegenden Zeitraum die Arbeitsfähigkeit zuverlässig zu beurteilen (vgl. Urteil 8C_808/2007 vom 16. Mai 2008 E. 5.4.1 mit Hinweisen).  
 
6.2.1. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin wenden sich weitgehend gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung und stellen damit eine im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1 hievor) unzulässige Kritik dar. Im Lichte der eingangs erwähnten Beweisregeln und Grundsätze zur Beweiswürdigung ist die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und die entsprechende Beweiswürdigung nicht mangelhaft im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG. Die Vorinstanz setzte sich eingehend mit den Akten auseinander und stellte fest, angesichts der Tatsachen, dass die Beschwerdeführerin in der Schweiz nie einer Arbeit nachgegangen sei, dass die psychische Erkrankung (Angsterkrankung, Depression, Somatisierungsstörung) gemäss Bericht der behandelnden Psychiaterin vom 30. November 2012 seit dem Jahre 1994 bestehe, dass diese die Arbeitsfähigkeit demnach derart einschränke, dass die Beschwerdeführerin auch ihren häuslichen und mütterlichen Pflichten nur mit Mühe nachgehen könne, dass die Versicherte auch während ihrer Schwangerschaft - die bei Einreise bereits bestanden hatte - an vielen psychischen und körperlichen Beschwerden gelitten habe, und dass die psychischen Beschwerden nach der Einreise in die Schweiz zu einer mangelnden Integration geführt hätten, sei davon auszugehen, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin schon bei ihrer Einreise in die Schweiz in anspruchsrelevanter Weise beeinträchtigt gewesen sei. In der Beschwerde wird nicht vorgebracht, inwiefern das Sachgericht seinen Ermessensspielraum mit diesen Feststellungen missbraucht oder offensichtlich unhaltbare Schlüsse gezogen, erhebliche Beweise übersehen oder solche willkürlich ausser Acht gelassen hat. Das Bundesgericht ist daher an diese gebunden.  
 
6.2.2. Die Beschwerdeführerin erklärt, sie sei in der Türkei als Schneiderin immer arbeitsfähig gewesen. Diese Behauptung wird indessen durch nichts belegt. Gegebenenfalls hätte sie eine Erwerbstätigkeit im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht zur Abklärung des Sachverhaltes durch Lohnabrechnungen, Steuerbelege, Zeugnisse und ähnliches dokumentieren können. Dem nach Verfügungserlass vorgebrachten Argument einer Erwerbstätigkeit vor der Einreise in die Schweiz steht auch die Auskunft des Ehemannes der Versicherten im Rahmen des sogenannten Ressourcengespräches mit der IV-Stelle vom 12. Januar 2012 gegenüber. Demnach habe sie in der Heimat von ca. 1987 bis zum Jahre 1997 in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Von einer weiteren Erwerbstätigkeit im Anschluss an diese wird nicht berichtet. Die Einreise in die Schweiz erfolgte aber erst im September 2003. Dass beim Erstgespräch unvollständige Angaben gemacht wurden, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet. Es ist daher davon auszugehen, dass diese richtig und umfassend waren und die Versicherte nach dem Jahre 1997 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachging.  
 
6.3. Nachdem die Beschwerdeführerin gemäss verbindlicher vorinstanzlicher Feststellung im Zeitpunkt ihrer Einreise in die Schweiz durch eine psychische Erkrankung erheblich in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war und gemäss Erstaussage ihres Ehemannes seit dem Jahre 1997 auch in ihrem Herkunftsland keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen war, durften Verwaltung und Vorinstanz davon ausgehen, dass schon bei der Einreise im September 2003 eine Invalidität bestand. Ein strikter Beweis dafür ist nicht mehr zu erbringen. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift hat bei dieser Konstellation jedoch nicht die IV-Stelle, sondern die Beschwerdeführerin die Last der Beweislosigkeit zu tragen (E. 5 hievor). Die Beschwerde wird daher abgewiesen.  
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Der unterliegenden Versicherten werden die Gerichtskosten auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann gewährt werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Rechtsanwalt Hermann Rüegg wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. August 2014 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Ursprung 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer