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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.441/2005 /blb 
 
Urteil vom 9. Februar 2006 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber von Roten. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Art. 9 und Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege; Bedürftigkeit), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 3. November 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ (Ehefrau), Jahrgang 1958, und Y.________ (Ehemann), Jahrgang 1951, heirateten 1984. Sie wurden Eltern dreier Söhne, geboren in den Jahren 1984, 1990 und 1994. Die Ehegatten leben seit Oktober 1998 getrennt. Am 10. November 2004 klagte der Ehemann auf Scheidung der Ehe und auf gerichtliche Regelung der Scheidungsfolgen. Die Ehefrau beantragte ebenfalls die Scheidung der Ehe und die gerichtliche Regelung des Scheidungsfolgen. Beide Ehegatten haben ihren Scheidungswillen unterschriftlich bestätigt. 
B. 
Am 8. April 2005 stellte die Ehefrau ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das Scheidungsverfahren. Der Präsident 2 im Gerichtskreis III Aarberg-Büren-Erlach wies das Gesuch ab (Entscheid vom 15. September 2005). Den dagegen eingelegten Rekurs der Ehefrau wies das Obergericht (Appellationshof, 1. Zivilkammer) des Kantons Bern ab mit der Begründung, es sei fraglich, ob die Ehefrau mit ihrem Überschuss über dem zivilprozessualen Zwangsbedarf von monatlich Fr. 217.55 die anfallenden Anwalts- und Verfahrenskosten innerhalb von zwei Jahren zu tilgen vermöge, doch sei der Vorinstanz zuzustimmen, dass der Ehemann auf Grund summarischer Prüfung seiner Einkommens- und Ausgabenverhältnisse in der Lage sei, nebst den eigenen auch die Prozesskosten seiner Ehefrau zu bezahlen (Entscheid vom 3. November 2005). 
C. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Ehefrau dem Bundesgericht, den obergerichtlichen Rekursentscheid aufzuheben. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Das Obergericht hat die Akten zugestellt, auf eine Vernehmlassung aber verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Eine Verletzung ihres verfassungsmässigen Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege erblickt die Beschwerdeführerin darin, dass das Obergericht ihre Bedürftigkeit unter Hinweis auf die finanziellen Verhältnisse ihres Ehemannes und dessen Prozesskostenvorschusspflicht verneint hat (S. 9 ff. Ziff. 3 der Beschwerdeschrift). 
1.1 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, und ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist. Die Rechtsprechung hat diesen bereits aus Art. 4 aBV abgeleiteten Anspruch in einer reichen Praxis konkretisiert und anhand von materiellen Kriterien umschrieben (zuletzt: BGE 131 I 350 E. 3.1 S. 355). Danach sind für die Bestimmung der Bedürftigkeit die Mittel des Gesuchstellers sowie die Mittel von ihm gegenüber unterstützungspflichtigen Personen (z.B. Eltern oder Ehegatte) massgeblich. Die Pflicht des Staates, der bedürftigen Partei für einen nicht aussichtslosen Prozess die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, geht der Beistands- und Beitragspflicht aus Familienrecht nach (BGE 85 I 1 E. 3 S. 4 ff.; 119 Ia 11 E. 3a S. 12 und 134 E. 4 S. 135; 127 I 202 E. 3b S. 205). Das Bundesgericht prüft frei, ob die Kriterien zur Bestimmung der Bedürftigkeit zutreffend gewählt und die Vorschriften des Bundesrechts über die Prozesskostenvorschusspflicht richtig angewendet worden sind, während seine Prüfungsbefugnis in Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen und die Anwendung kantonalen Rechts auf Willkür beschränkt ist (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181 und BGE 127 I 202 E. 3a und b S. 205 f.). 
1.2 Auf Grund ihrer Subsidiarität kann die unentgeltliche Rechtspflege vom bedürftigen Ehegatten nur beansprucht werden, wenn der andere Ehegatte einen Prozesskostenvorschuss - die sog. provisio ad litem - zu leisten nicht in der Lage oder der ihm auferlegte Vorschuss nicht oder nur mit aussergewöhnlichen Schwierigkeiten einbringlich ist (Bühler/Spühler, Berner Kommentar, 1980, N. 306 zu aArt. 145 ZGB). Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin kann die Leistung des Prozesskostenvorschusses - je nach Bedürfnis des berechtigten und Leistungsfähigkeit des verpflichteten Ehegatten - auch in Raten bewilligt werden (Bühler/Spühler, a.a.O., N. 284 zu aArt. 145 ZGB; Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, 1999, N. 38a Abs. 2 zu Art. 159 ZGB; ablehnend: Bräm, Zürcher Kommentar, 1998, N. 135 Abs. 2 zu Art. 159 ZGB). In seinem die Rechtsprechung ändernden Leiturteil BGE 85 I 1 Nr. 1 hat das Bundesgericht ausdrücklich auf die Möglichkeit der Ratenzahlung hingewiesen. Im Einzelfall sei abzuklären, "ob, was verbleibt, genügt, um die Sicherheit, allfällig in Raten zu erbringen" (BGE 85 I 1 E. 3 S. 6). Hinsichtlich der Ratenzahlung des prozesskostenvorschusspflichtigen Ehegatten gelten die gleichen Grundsätze, wie für den gesuchstellenden Ehegatten, der selber in der Lage ist, die bei ihm mutmasslich anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten ratenweise zu bezahlen. Der über den zivilprozessualen Zwangsbedarf hinausgehende Betrag muss in Beziehung gesetzt werden zu den im konkreten Fall zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten (z.B. BGE 118 Ia 369 E. 4a S. 370 f.; 109 Ia 5 E. 3a S. 8 f.). Nach der vom Bundesgericht bestätigten kantonalen Praxis sollte es der nicht geringfügige Überschuss dem Gesuchsteller ermöglichen, die Kosten bei weniger aufwändigen Prozessen innert Jahresfrist, bei kostspieligen Prozessen innert zweier Jahre zu tilgen (Bühler, Die Prozessarmut, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S. 131 ff., S. 185; Bohnet, Jurisprudence fédérale et neuchâteloise en matière d'assistance judiciaire, Neuchâtel 1997, S. 16 Pkt. 3, je mit Hinweis auf die nicht veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesgerichts). 
1.3 Das Obergericht hat festgestellt, der Ehemann sei auf Grund einer summarischen Prüfung der Einkommens- und Ausgabenverhältnisse (unter Hinweis auf act. 71) in der Lage, nebst seinen eigenen für die Prozesskosten der Beschwerdeführerin aufzukommen (E. 10 S. 5). Beim verwiesenen act. 71 handelt es sich um die "Berechnungstabelle für Unterhaltsbeiträge", erstellt am 7. Juni 2005. Danach beträgt das monatliche Einkommen des Ehemannes Fr. 9'855.-- bei einem Notbedarf von Fr. 4'208.--. Mit der Differenz von Fr. 5'647.-- bezahlt der Ehemann seiner Ehefrau mit den beiden noch unmündigen Kindern monatlich Fr. 4'030.50 (E. 6 S. 3 des angefochtenen Entscheids). Es verbleibt ihm ein Überschuss von Fr. 1'616.50 pro Monat. Diesen Überschuss kann der Ehemann der Beschwerdeführerin für die Abzahlung ihrer, aber auch zur Deckung der eigenen Prozesskosten zur Verfügung stellen, da im Rahmen vorsorglicher Massnahmen während des Scheidungsverfahrens ein Prozentzuschlag auf dem um die Steuerlast erweiterten Notbedarf nicht gewährt wird (vgl. BGE 123 III 1 E. 3b/bb S. 4). 
1.4 Obwohl weder die Scheidung streitig ist noch in finanzieller Hinsicht besondere Abklärungsbedürfnisse bestehen, behauptet die Beschwerdeführerin, es handle sich um ein kostspieliges Verfahren mit anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten von ca. Fr. 15'000.--. Sie widerspricht damit der Kostenschätzung des Kreisgerichtspräsidenten, ohne substantiierte Willkürrügen zu erheben (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; vgl. BGE 125 I 71 E. 1c S. 76). Es ist deshalb von einem auf die Beschwerdeführerin entfallenden Anteil an Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- und Anwaltskosten von Fr. 6'300.-- auszugehen, insgesamt somit von Fr. 8'800.-- oder rund Fr. 17'500.-- für beide Parteien. Hinzuzählen sind die Kosten der Beschwerdeführerin für das Verfahren der unentgeltlichen Rechtspflege, die sie auf rund Fr. 2'000.-- (Gerichts- und Anwaltskosten) beziffert. Die zu erwartenden Prozesskosten im Scheidungsverfahren können damit willkürfrei auf rund Fr. 20'000.-- für beide Parteien geschätzt werden. 
1.5 Mit seinem Einkommensfreibetrag von rund Fr. 1'600.-- vermag der Ehemann die mutmasslichen Gerichts- und Anwaltskosten von rund Fr. 20'000.-- in dreizehn Monatsraten zu bevorschussen. Es verletzt unter diesen Umständen kein Verfassungsrecht, dass das Obergericht die Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin verneint und die Beschwerdeführerin auf die Prozesskostenvorschusspflicht des Ehemannes verwiesen hat. 
2. 
Die Beschwerdeführerin rügt die Bemessung des ihr und ihren Kindern zustehenden Bedarfs als willkürlich. Sie macht geltend, es bestehe kein Überschuss von monatlich Fr. 217.55, sondern ein Fehlbetrag von Fr. 819.25 (recte: Fr. 519.25). Ihre Willkürrügen betreffen die Krankenkassenprämien und die zusätzlichen Kosten für die Fremdbetreuung der Kinder (S. 6 ff. Ziff. 2 der Beschwerdeschrift). 
Das Obergericht hat nicht angenommen, die Beschwerdeführerin könne mit Fr. 217.55 die zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten bestreiten. Die Willkürrügen der Beschwerdeführerin sind deshalb einzig vor dem Hintergrund der Prozesskostenvorschusspflicht zu sehen. Sie haben nur insofern Bedeutung, als ein zu tief festgesetzter Bedarf der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder die Unterhaltspflicht des Ehemannes erhöht und den ihm verbleibenden Überschuss vermindert. Sollten sich die Willkürrügen als begründet erweisen, wäre anzunehmen, der Ehemann sei längerfristig ausserstande, die zu erwartenden Prozesskosten in Raten zu bevorschussen. Nur unter diesem Blickwinkel könnte sich eine willkürliche Bemessung des Unterhaltsbedarfs auf den angefochtenen Entscheid auswirken. Weitergehend ist auf die Rügen nicht einzutreten, zumal das Willkürverbot für sich allein keine geschützte Rechtsstellung nach Art. 88 OG verschafft (BGE 131 I 366 E. 2.6 S. 371). 
Die Beschwerdeführerin verlangt, dass zusätzliche Kosten der Krankenkasse von Fr. 130.80 - nämlich Fr. 335.80 statt Fr. 205.-- - und zusätzlich die Kosten für die Fremdbetreuung der Kinder von Fr. 606.--, insgesamt also zusätzlich Fr. 736.80 im monatlichen Unterhaltsbedarf zu berücksichtigen seien. Der vom Obergericht errechnete Überschuss Fr. 217.55 würde sich damit in einen Fehlbetrag von Fr. 519.25 pro Monat verwandeln. Selbst wenn diese zusätzlichen Kosten ausgewiesen und vom Ehemann zu tragen wären, vermöchte der Ehemann seiner Prozesskostenvorschusspflicht nachzukommen. Sein Freibetrag von rund Fr. 1'600.-- verminderte sich zwar auf rund Fr. 1'000.--, doch genügte auch dieser Betrag, die geschätzten Prozesskosten von rund Fr. 20'000.-- innert einer Frist von weniger als zwei Jahren zu bezahlen. Der angefochtene Entscheid verstösst auch unter diesem Blickwinkel nicht gegen Verfassungsrecht. 
3. 
Aus den dargelegten Gründen muss die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist. Die Beschwerdeführerin wird damit kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Das Obergericht hat die massgebende Rechtsgrundlage einlässlich erläutert und sämtliche Einwände ausführlich behandelt. Unter diesen Umständen konnte den Rügen der Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV (E. 1) und den Willkürrügen (E. 2 hiervor) von Beginn an kein Erfolg beschieden sein. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege muss wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abgewiesen werden (Art. 152 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 9. Februar 2006 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: