Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
4F_4/2024
Urteil vom 9. Februar 2024
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin,
Bundesrichterin Kiss,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Widmer.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Gesuchstellerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Samuel Egli,
Gesuchsgegnerin,
Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer.
Gegenstand
Revision,
Revisionsgesuch gegen das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3. Januar 2024
(4A_538/2023 [Urteil ZOR.2022.56,OZ.2020.7]).
Erwägungen:
1.
1.1. Das Bezirksgericht Lenzburg verpflichtete die Gesuchstellerin mit Urteil vom 13. April 2022 unter anderem, der Gesuchsgegnerin einen Betrag von Fr. 40'840.-- netto nebst Zins zu bezahlen, und beseitigte den von der Gesuchstellerin erhobenen Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamtes X.________.
Eine von der Gesuchstellerin gegen dieses Urteil erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau am 21. September 2023 ab.
Gegen diesen Entscheid erhob die Gesuchstellerin beim Bundesgericht mit einer am 2. November 2023 der Schweizerischen Post übergebenen Eingabe Beschwerde. Mit Urteil vom 3. Januar 2024 (4A_538/2023) trat die Präsidentin der I. zivilrechtlichen Abteilung als Einzelrichterin im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 Abs. 1 lit. a BGG auf die Beschwerde nicht ein, da die Gesuchstellerin die Beschwerdefrist mit ihrer Eingabe vom 2. November 2023 nicht eingehalten habe. Sie führte dazu aus, die Frist für eine Beschwerde an das Bundesgericht habe nach den Bestimmungen von Art. 44 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 BGG am 1. November 2023 geendet. Der 1. November (Allerheiligen) sei am Ort des Sitzes der Beschwerdeführerin kein vom kantonalen Recht anerkannter Feiertag, weshalb die Frist auch mit Rücksicht auf Art. 45 Abs. 1 BGG nicht erst am nächstfolgenden Werktag, dem 2. November 2023, abgelaufen sei. So sei zwar der 1. November (Allerheiligen) nach § 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Arbeitsrecht des Kantons Aargau vom 8. November 2011 [EG ArR; SAR 961.200]) in gewissen Bezirken des Kantons Aargau ein vom kantonalen Recht anerkannter Feiertag. Im Bezirk Lenzburg, wo die Sitzgemeinde der Gesuchstellerin liege, zähle der 1. November gemäss § 6 Abs. 1 lit. a EG ArR jedoch nicht zu den anerkannten Feiertagen. Dementsprechend sei die erst am 2. November 2023 erhobene Beschwerde verspätet.
1.2. Die Gesuchstellerin ersuchte mit Eingabe vom 20. Januar 2024 um Revision des Urteils 4A_538/2023 vom 3. Januar 2023 (im Folgenden: der angefochtene Entscheid). Gleichzeitig beantragte sie, der Vollzug des angefochtenen Entscheids sei nach Art. 126 BGG aufzuschieben.
Auf die Einholung von Vernehmlassungen zum Revisionsgesuch wurde verzichtet.
2.
Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil des Bundesgerichts zu Grunde liegenden Streitsache ist grundsätzlich ausgeschlossen. Das Gericht kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer der in den Art. 121 ff. BGG abschliessend aufgeführten Revisionsgründe vorliegt.
Für das Bundesgericht bestimmte Rechtsschriften haben die Begehren und deren Begründung zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). In einem Gesuch um Revision eines bundesgerichtlichen Urteils muss ein vom Gesetz vorgesehener Revisionsgrund (Art. 121 ff. BGG) genannt und aufgezeigt werden, inwiefern das zu revidierende Urteil an einem entsprechenden Mangel leiden soll. Ansonsten ist auf das Gesuch nicht einzutreten (Urteile 2F_34/2022 vom 13. Dezember 2022 E. 3; 4F_12/2012 vom 18. September 2012; 2F_12/2008 vom 4. Dezember 2008 E. 2.1).
3.
Die Gesuchstellerin wirft dem Bundesgericht zunächst vor, im angefochtenen Entscheid eine offensichtlich unrichtige Rechtsanwendung vorgenommen zu haben. Es habe namentlich verschiedene Bestimmungen der Bundesverfassung und des Bundesgerichtsgesetzes sowie Völkerrecht verletzt. Insbesondere sei das EG ArR nicht zur Berechnung der Beschwerdefrist anwendbar. Überdies zähle der 1. November (Allerheiligen) nach Ziffer 19 des Verzeichnisses der kantonalrechtlichen Feiertage gemäss Artikel 11 des Europäischen Übereinkommens vom 16. Mai 1972 über die Berechnung von Fristen (SR 0.221.122.3; im Folgenden: Europäisches Übereinkommen), zu dessen Zeichnerstaaten die Schweiz gehöre, im ganzen Gebiet des Kantons Aargau zu den gesetzlichen Feiertagen.
Die Gesuchstellerin verkennt damit, dass die Rechtsanwendung bzw. die rechtliche Würdigung des zu beurteilenden Sachverhalts im angefochtenen Urteil nicht mit Revision in Frage gestellt werden kann. Diese dient namentlich nicht dazu, angebliche Rechtsfehler zu korrigieren (vgl. BGE 122 II 17 E. 3; Urteile 4F_7/2023 vom 12. Januar 2024 E. 3; 2F_34/2022 vom 13. Dezember 2022; 4F_13/2021 vom 12. Oktober 2021 E. 1.3).
Mit ihrer Kritik an der Rechtsanwendung im angefochtenen Urteil macht die Gesuchstellerin keinen Revisionsgrund geltend, weshalb darauf nicht eingetreten werden kann.
4.
Die Gesuchstellerin bringt sodann vor, das angefochtene Urteil sei nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG in Revision zu ziehen, da sie mit dem Europäischen Übereinkommen und dem Verzeichnis "Gesetzliche Feiertage" gemäss Art. 11 des Übereinkommens nachträglich erhebliche Tatsachen erfahren und entscheidende Beweismittel aufgefunden habe, die sie im früheren Verfahren nicht habe beibringen können.
Damit verwechselt die Gesuchstellerin Tatsachen und Beweismittel mit Rechtsquellen. Aufgefundene Tatsachen und Beweismittel, wie sie in Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG genannt werden, betreffen die Feststellung des entscheiderheblichen Sachverhalts (vgl. JOHANNA DORMANN, in: Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 15 ff. zu Art. 105 BGG; GRÉGORY BOVEY, in Commentaire de la LTF, 3. Aufl. 2022, N. 25 ff. zu Art. 105 BGG). Demgegenüber dienen Rechtsquellen der Beantwortung der Frage, wie der festgestellte Sachverhalt rechtlich zu beurteilen ist (DORMANN, a.a.O., N. 32 zu Art. 105 BGG; BOVEY, a.a.O., N. 38 f. zu Art. 105 BGG). Eine nachträgliche "Entdeckung" oder ein nachträgliches "Auffinden" von Rechtsquellen erfüllt den Revisionsgrund nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG von vornherein nicht, zumal diese nur eine rechtliche Argumentation stützen könnten, die von derjenigen im angefochtenen Entscheid abweicht, welche mit der Revision indessen nicht in Frage gestellt werden kann (vgl. dazu GRÉGORY BOVEY, in Commentaire de la LTF, 3. Aufl. 2022, N. 16 zu Art. 123 BGG).
Bei der Frage, ob der Tag eines bestimmten Datums ein Feiertag ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die durch die massgebenden Rechtsnormen bzw. Rechtsquellen zu beantworten ist (vgl. Art. 45 Abs. 2 BGG). Das Europäische Übereinkommen und das angerufene Verzeichnis der gesetzlichen Feiertage, das nach der Gesuchstellerin darüber Aufschluss geben soll, ob es sich beim 1. November (Allerheiligen) am Ort ihres Sitzes um einen anerkannten Feiertag handelt, ist somit eine Rechtsquelle und nicht eine Tatsache oder ein Beweismittel, deren nachträgliche Entdeckung einen Revisionsgrund darstellen könnte.
Ein Revisionsgrund nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG liegt nicht vor.
5.
Weiter hält die Gesuchstellerin dafür, im vorliegenden Fall sei der Revisionsgrund von Art. 121 lit. a BGG erfüllt, weil im angefochtenen Entscheid mit einer Besetzung von nur einer Richterin anstatt mit einer Besetzung von "in der Regel" drei Richtern entschieden und damit die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts verletzt worden seien.
Auch damit geht die Gesuchstellerin fehl. Die Präsidentin der I. zivilrechtlichen Abteilung trat gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. a BGG als Einzelrichterin auf die Beschwerde nicht ein, weil sie diese wegen Vorliegens eines Nichteintretensgrundes als offensichtlich unzulässig beurteilte. Die Wahl des vereinfachten Verfahrens (Einzelrichterentscheid) nach Art. 108 BGG war damit Ausfluss ihrer rechtlichen Würdigung der Beschwerde in formeller Hinsicht. Ob die dem Besetzungsentscheid zugrunde liegenden formellrechtlichen Überlegungen zutreffen, kann nicht Gegenstand einer Revision bilden. Die rechtliche Beurteilung der Einzelrichterin, die Beschwerde sei offensichtlich verspätet eingereicht worden und deshalb darauf mit Einzelrichterentscheid im Verfahren nach Art. 108 Abs. 1 lit. a BGG nicht einzutreten, kann nicht mit einem Revisionsgesuch wegen Verletzung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts nach Art. 121 lit. a BGG in Frage gestellt werden (vgl. dazu die Urteile 4F_4/2019 vom 28. Mai 2019 und 4F_16/2018 vom 31. August 2018 E. 2.2, mit Hinweisen).
6.
Die Gesuchstellerin macht sodann geltend, die Revisionsgründe nach Art. 121 lit. b-d BGG seien gegeben, weil die Einzelrichterin der Gesuchsgegnerin "mit ihrem Nichteintreten auf die fristgerechte Beschwerde vom 2. November 2023" mehr oder, ohne dass es das Gesetz erlaube, anderes zugesprochen habe, als diese verlangt habe, weil "alle Anträge der fristgerechten Beschwerde vom 2. November 2023 unbeurteilt geblieben" seien und weil das Gericht in den Akten liegende, für die materielle Beurteilung der Streitsache erhebliche Tatsachen nicht berücksichtigt habe.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Einzelrichterin trat auf die Beschwerde der Gesuchstellerin im Verfahren 4A_538/2023 aufgrund ihrer formellrechtlichen Beurteilung nicht ein. Damit behandelte sie alle in der Beschwerde gestellten Anträge durch Nichteintreten und musste sie, da sie sich mit der Streitsache materiell nicht zu befassen hatte, auch keine die materielle Beurteilung der Streitsache betreffenden, in den Akten liegende erhebliche Tatsachen berücksichtigen. Sodann ist es nicht verständlich, weshalb sie der Gesuchsgegnerin mit ihrem Nichteintretensentscheid im Sinne von Art. 121 lit. b BGG mehr zugesprochen haben soll, als diese verlangt hat.
7.
Das Revisionsgesuch ist damit abzuweisen. Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist ausnahmsweise zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Die Gesuchsgegnerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, da ihr aus dem bundesgerichtlichen Verfahren kein Aufwand entstanden ist (Art. 68 Abs. 1 BGG).
Das Gesuch um Aufschub des Vollzugs des angefochtenen Entscheids wird mit diesem Entscheid in der Sache selbst gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Februar 2024
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jametti
Der Gerichtsschreiber: Widmer