Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
7B_130/2023
Urteil vom 9. Februar 2024
II. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Hurni,
Gerichtsschreiber Caprara.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Krishna Müller,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Amt für Justizvollzug, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
2. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Strafvollzug in Form von Halbgefangenschaft oder Electronic Monitoring,
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 14. Dezember 2022 (AK.2022.425-AK).
Sachverhalt:
A.
Das Untersuchungsamt Altstätten verurteilte A.________ mit Strafbefehl vom 8. März 2022 wegen Sachentziehung, mehrfacher Nötigung, mehrfachen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen, Verletzung der Verkehrsregeln und mehrfacher Widerhandlung gegen das kantonale Übertretungsstrafgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten und zu einer Busse von Fr. 2'000.--, bzw. zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen bei schuldhafter Nichtbezahlung.
B.
Mit Verfügung vom 5. April 2022 lud das Amt für Justizvollzug des Kantons St. Gallen A.________ zum Strafvollzug in der Strafanstalt B.________ vor.
Das Amt für Justizvollzug wies das Gesuch von A.________ vom 11. April 2022 um Vollzug der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft oder in Form von Electronic Monitoring mit Verfügung vom 18. Oktober 2022 ab, setzte den Strafantritt in der Strafanstalt B.________ auf den 24. November 2022 fest und auferlegte ihm eine Gebühr von Fr. 300.--.
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 14. Dezember 2022 ab.
C.
Dagegen gelangt A.________ mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 14. Dezember 2022 sei aufzuheben. Es sei ihm der Strafvollzug in Form von Halbgefangenschaft oder elektronischer Überwachung zu gewähren. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht wies den Antrag auf aufschiebende Wirkung mit Verfügung vom 25. Januar 2023 ab. Die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen, wurden eingeholt.
Erwägungen:
1.
Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG) und formgerecht (Art. 42 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde eines Verurteilten (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) gegen den kantonal letztinstanzlichen (Art. 80 Abs. 1 BGG), verfahrensabschliessenden Entscheid (Art. 90 BGG) eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 2 BGG) betreffend den Strafvollzug (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG) ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verletze Art. 77b Abs. 1 StGB, indem sie Halbgefangenschaft verweigere. Diese Bestimmung setze eine erhebliche Rückfallgefahr voraus. Die Vorinstanz berücksichtige Vorstrafen, die für den Vollzug der Sanktion nicht von erheblicher Bedeutung seien, wie Diebstahl, Sachentziehung, Sachbeschädigung und Nötigung. Es handle sich um Delikte, welche er vorwiegend im Jahr 2021, d.h. vor Erlass des Strafbefehls vom 8. März 2022, begangen habe. Nicht zu berücksichtigen sei zufolge Unschuldsvermutung das seit dem 23. August 2022 hängige Strafverfahren.
Weiter verlangt der Beschwerdeführer, dass die Veränderung seiner Lebensumstände (die geregelte Arbeit, den Abbruch der Beziehung zu seiner Ex-Freundin, zu deren Nachteil er Delikte begangen habe, den Aufbau einer neuen Beziehung) zu seinen Gunsten gewichtet wird. So sei es nicht übertrieben, dass seine neue Freundin eine innige Beziehung zu seiner Tochter habe. Schliesslich wirke sich ein Straf vollzug desintegrierend aus, weil er seine Arbeitsstelle verlieren würde.
2.2.
2.2.1. Auf Gesuch des Verurteilten hin kann eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als 12 Monaten oder eine nach Anrechnung der Untersuchungshaft verbleibende Reststrafe von nicht mehr als sechs Monaten in der Form der Halbgefangenschaft vollzogen werden, wenn (lit. a) nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte flieht oder weitere Straftaten begeht; und (lit. b) der Verurteilte einer geregelten Arbeit, Ausbildung oder Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgeht (Art. 77b Abs. 1 StGB).
2.2.2. Gemäss Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB kann die Vollzugsbehörde auf Gesuch des Verurteilten hin den Einsatz elektronischer Geräte und deren feste Verbindung mit dem Körper des Verurteilten (elektronische Überwachung) anordnen für den Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen bis zu 12 Monaten. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung kann sie die elektronische Überwachung nur anordnen, wenn (lit. a) nicht zu erwarten ist, dass der Verurteilte flieht oder weitere Straftaten begeht; (lit. b) der Verurteilte über eine dauerhafte Unterkunft verfügt; (lit. c) der Verurteilte einer geregelten Arbeit, Ausbildung oder Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche nachgeht oder ihm eine solche zugewiesen werden kann; (lit. d) die mit dem Verurteilten in derselben Wohnung lebenden erwachsenen Personen zustimmen; und (lit. e) der Verurteilte einem für ihn ausgearbeiteten Vollzugsplan zustimmt.
2.2.3. Das Gesetz sieht die Voraussetzung der fehlenden Rückfallgefahr für beide besondere Vollzugsformen vor. Diese ist in beiden Bestimmungen gleich anzuwenden (Urteile 6B_1261/2021 vom 5. Oktober 2022 E. 2.1; 6B_872/2021 vom 28. Juni 2022 E. 2.2; Cornelia Koller, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 17 zu Art. 79b StGB). Die Rückfallgefahr muss von einer gewissen Bedeutung sein und die zu erwartenden neuen Straftaten müssen eine gewisse Erheblichkeit aufweisen, um eine der genannten besonderen Vollzugsformen auszuschliessen (BGE 145 IV 10 E. 2.2.1; Urteile 6B_1261/2021 vom 5. Oktober 2022 E. 2.2; 6B_872/2021 vom 28. Juni 2022 E. 2.1; 6B_1082/2016 vom 28. Juni 2017 E. 2.1; Cornelia Koller, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 9 zu Art. 77b StGB; Baptiste Viredaz, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2. Aufl. 2021, N. 9 zu Art. 77b StGB). Für die Prognose im Hinblick auf das künftige Verhalten des Verurteilten hat die Vollzugsbehörde namentlich seine Vorstrafen, seine Persönlichkeit, sein Verhalten im Allgemeinen und bei der Arbeit sowie die Umstände, unter denen er leben wird, zu berücksichtigen (BGE 145 IV 10 E. 2.2.1; Urteile 6B_1261/2021 vom 5. Oktober 2022 E. 2.2; 6B_872/2021 vom 28. Juni 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen).
2.3.
2.3.1. Soweit der Beschwerdeführer eine Rechtsverweigerung und eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BV rügt und bemängelt, er habe ein Gesuch um elektronische Überwachung nach Art. 79b StGB gestellt, wozu sich die Vorinstanz nicht geäussert habe, dringt er nicht durch.
Die Vorinstanz nennt in ihrem Entscheid die Voraussetzungen der elektronischen Überwachung gemäss Art. 79b Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Sie lehnt eine solche, gleich wie auch den Vollzug in Halbgefangenschaft nach Art. 77b Abs. 1 StGB, mit der Begründung ab, dass beide Vollzugsformen eine fehlende Rückfallgefahr voraussetzten, eine solche aber beim Beschwerdeführer gegeben sei. Die Vorinstanz verneint damit das Vorliegen der Voraussetzungen nach Art. 77b Abs. 1 lit. a und Art. 79b Abs. 2 lit. a StGB . Eine formelle Rechtsverweigerung oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind nicht ersichtlich, zumal sich der Begriff der fehlenden Rückfallgefahr in beiden Bestimmungen deckt (vgl. E. 2.2.3 hiervor).
2.3.2. Die vorinstanzlichen Ausführungen bieten keinen Anlass zur Kritik. Die Vorinstanz geht zutreffend von einer erheblichen Rückfallgefahr aus, welche der Gewährung der Halbgefangenschaft wie auch der elektronischen Überwachung entgegen steht. Sie berücksichtigt hierbei die aus dem Strafregisterauszug ersichtliche bisherige Delinquenz des Beschwerdeführers, seine Aussagen, nach denen ihm die bisherigen Strafverfahren und die daraus resultierenden Konsequenzen keinen Eindruck gemacht hätten, sowie die psychische Störung bzw. die diesbezüglich fehlende psychiatrische therapeutische Behandlung des Beschwerdeführers.
Nach den vorinstanzlichen Erwägungen wurde der Beschwerdeführer mittels Strafbefehl vom 23. November 2021 (Deliktsbegehung im Zeitraum vom 20. bis 22. August 2021) wegen Diebstahls, Sachentziehung, mehrfacher Sachbeschädigung und Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen mit einer Probezeit von zwei Jahren und zu einer Busse von Fr. 1'000.-- verurteilt. Dennoch delinquierte er vom 14. November bis 19. Dezember 2021 erneut, hierbei in den Bereichen Sachentziehung und Nötigung einschlägig. Der Beschwerdeführer wurde damit sowohl während des bereits laufenden Strafverfahrens, das im Strafbefehl vom 23. November 2021 mündete, sowie auch unmittelbar nach dessen Abschluss wieder straffällig.
Die Vorinstanz attestiert dem Beschwerdeführer ein nicht bloss theoretisches Rückfallrisiko für Nötigungshandlungen in einer Paarbeziehung. Diese Würdigung ist nicht zu beanstanden, nachdem der Beschwerdeführer zweimal kurze Zeit nacheinander wegen entsprechender Delikte verurteilt wurde, welche noch nicht lange zurückliegen. Sodann kann den bisherigen und den zu erwartenden Straftaten die Erheblichkeit nicht abgesprochen werden. Immerhin wurde der Beschwerdeführer mit Strafbefehl vom 8. März 2022 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe, d.h. zu einer empfindlichen Sanktion, verurteilt. Bereits der dortige ausgesprochene unbedingte Strafvollzug legt eine schlechte Prognose hinsichtlich zukünftiger Delinquenz nahe.
Auch die Arbeitstätigkeit des Beschwerdeführers bezieht die Vorinstanz in ihre Beurteilung ein. Sie berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bei seinem Bruder als Hilfskoch arbeitet. Nach ihren Ausführungen darf der Beschwerdeführer mit einer Wiederanstellung nach dem Strafvollzug rechnen, wenn er derart wichtig für die C.________ GmbH sei. Gegen letzteren Punkt wendet der Beschwerdeführer nichts ein.
Sodann wertet die Vorinstanz die neue Partnerschaft, welche im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids erst sechs Wochen dauerte, zu Recht als kurz und damit nicht als stabilisierenden Faktor.
Schliesslich leidet der Beschwerdeführer nach den vorinstanzlichen Feststellungen an einer wahnhaften Störung und depressiven Symptomen. Seine Freundin habe sich im Oktober 2020 von ihm getrennt und er berichte von einem Suizidversuch im Jahr 2021. Nach der Trennung habe er seine Ex-Freundin zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Telefonanrufen, Textnachrichten und E-Mails belästigt. In der Folge sei er als hoch suizidgefährdet und fremdgefährlich eingestuft worden, weswegen er fürsorgerisch untergebracht worden sei. Am Anfang der Behandlung vom 29. November bis 14. Dezember 2021 sei er sehr angespannt sowie seine Wahrnehmung und sein Denken extrem stark auf die Liebe zu seiner Ex-Freundin eingeengt gewesen. Dennoch fehlt gemäss der Vorinstanz ein Beleg, wonach er sich psychiatrisch behandeln lässt. Der Beschwerdeführer stehe bloss in regelmässigem Kontakt mit seinem Hausarzt.
Was an diesen vorinstanzlichen Erwägungen nicht korrekt sein soll, ist nicht ersichtlich.
2.4. Hinsichtlich des neuen Strafverfahrens, welches gegen den Beschwerdeführer hängig ist, verweist die Vorinstanz richtigerweise auf die Unschuldsvermutung. Wenn sie ausführt, auch das neue Verfahren sei für die Rückfallgefahr und die Prognose zu berücksichtigen, verstösst dies noch nicht gegen die Unschuldsvermutung. Denn dieses hängige Verfahren ist für ihren Entscheid im Ergebnis nicht ausschlaggebend. Aus ihren Erwägungen ergibt sich vielmehr, dass die anderen genannten Punkte (vgl. E. 2.3 hiervor) aus ihrer Sicht ausreichen, um dem Beschwerdeführer ein erhebliches Rückfallrisiko zu bescheinigen, welches die Halbgefangenschaft und elektronische Überwachung als Vollzugsformen ausschliesst. Das hängige Verfahren rundet lediglich das Gesamtbild ab. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt nicht vor.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Februar 2024
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Abrecht
Der Gerichtsschreiber: Caprara