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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_449/2023  
 
 
Urteil vom 9. April 2024  
 
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Ausstand), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 17. Mai 2023 (VSGES.2020.1). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1965 geborene A.________ hatte sich am 5. September 2013 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn traf Abklärungen in erwerblicher sowie medizinischer Hinsicht und holte namentlich das polydisziplinäre Gutachten der ABI Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel, vom 16. Januar 2017 ein. Mit Verfügung vom 14. September 2017 sprach sie A.________ rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 2014 bis 30. November 2015 eine ganze und ab 1. Dezember 2015 bis 31. März 2016 eine halbe Rente zu; ab 1. April 2016 verneinte sie einen Rentenanspruch. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 9. März 2018 (irrtümlich datiert vom 9. März 2017) ab.  
 
A.b. Am 12. Juni 2019 gelangte Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, mit einem "Gesuch um erneute Rentenprüfung" an die IV-Stelle. Er machte geltend, eine im Mai 2019 durchgeführte neuropsychologische Untersuchung im Spital C.________ habe zu neuen Erkenntnissen geführt. Die IV-Stelle überwies das Gesuch nach Einholung medizinischer Berichte am 10. Januar 2020 zur allfälligen Behandlung als Revisionsbegehren betreffend Urteil vom 9. März 2018 an das Versicherungsgericht.  
 
B.  
Das Versicherungsgericht nahm das Schreiben vom 12. Juni 2019 mit Verfügung vom 27. Januar 2020 als Revisionsgesuch entgegen. Mit Verfügung vom 28. Oktober 2020 teilte es A.________ und der IV-Stelle mit, es werde ein polydisziplinäres gerichtliches Gutachten bei der ABI eingeholt, und gab unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme sowohl die vorgesehenen Gutachter wie auch die beabsichtigten Fragen bekannt. Da innert Frist weder Ergänzungsfragen noch Ablehnungsgründe vorgebracht wurden, verfügte das Versicherungsgericht am 20. November 2020 die Erteilung des entsprechenden Auftrags. Das ABI-Gutachten datiert vom 10. Mai 2021 und wurde dem Gericht am 8. November 2021 eingereicht. Dieses stellte das Gutachten den Parteien mit Verfügung vom 26. November 2021 zur Stellungnahme zu. Mit Eingabe vom 3. Februar 2022 liess der inzwischen anwaltlich vertretene A.________ beantragen, es sei nicht auf das ABI-Gutachten abzustellen, sondern ein neues medizinisches Gerichtsgutachten einzuholen, und das neuropsychologische ABI-Gutachten sei der Neuropsychologie des Spitals C.________ zur Stellungnahme zu unterbreiten. Zudem ersuchte er um Durchführung einer Verhandlung nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Im Rahmen der öffentlichen Verhandlung vom 17. Mai 2023 liess A.________ beantragen, es sei ihm in Aufhebung des Urteils vom 9. März 2018 eine über den 1. April 2016 hinausgehende unbefristete Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei ein neues medizinisches Gutachten bei einer nicht vorbefassten Gutachterstelle in Auftrag zu geben. Mit Urteil vom 17. Mai 2023 wies das Versicherungsgericht das Revisionsgesuch ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Sache zur Einholung einer neuen medizinischen Gerichtsexpertise durch eine nicht unzulässige Gutachterstelle sowie zum Neuentscheid über das Revisionsgesuch an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Bundesgericht holt die vorinstanzlichen Akten ein. Einen Schriftenwechsel führt es nicht durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4). 
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie das Revisionsgesuch gestützt auf das ABI-Gutachten vom 10. Mai 2021 abwies. 
 
2.1. Das kantonale Gericht legte dar, es hätten sachliche Gründe dafür bestanden, das im Revisionsverfahren einzuholende Gutachten bei der ABI in Auftrag zu geben, die bereits das Gutachten vom 16. Januar 2017 erstellt habe. So seien aufgrund der im Mai 2019 durchgeführten neuropsychologischen Untersuchung ergänzende Abklärungen in dieser Disziplin erforderlich gewesen, nachdem das erste ABI-Gutachten keine solchen enthalten habe. Um die Möglichkeit abzudecken, dass die neuropsychologische Begutachtung neue Erkenntnisse ergeben sollte, seien sodann auch die im früheren Verfahren beteiligten Fachdisziplinen einbezogen worden. Da es sich mithin nicht um eine voraussetzungslose Neubeurteilung gehandelt habe, sei es sinnvoll erschienen, die bereits früher mit dem Beschwerdeführer befasste Begutachtungsstelle beizuziehen. Die Vorinstanz mass dem Gerichtsgutachten der ABI vom 10. Mai 2021 sodann vollen Beweiswert zu und verneinte gestützt darauf den Nachweis einer zuvor unbekannt gewesenen, vorbestehenden Tatsache als Revisionsgrund für das Urteil vom 9. März 2018.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer rügt, indem die Vorinstanz gestützt auf das ABI-Gutachten vom 10. Mai 2021 das Vorliegen eines Revisionsgrundes verneint habe, beruhe das angefochtene Urteil auf einem unzulässigen Beweismittel und verletze damit Bundesrecht. Das kantonale Gericht hätte zur Beurteilung des Revisionsgesuchs eine andere Gutachterstelle beauftragen müssen, weil die ABI unzulässig vorbefasst gewesen sei. Rechtsprechungsgemäss fehle die Unvoreingenommenheit bei einer Gutachterstelle, wenn diese mit der Prüfung oder objektiven Kontrolle der eigenen früheren Beurteilung betraut werde, wie dies vorliegend der Fall sei.  
 
3.  
 
3.1. Nach der Rechtsprechung gelten für Sachverständige grundsätzlich die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richter und Richterinnen vorgesehen sind. Da sie nicht Mitglied des Gerichts sind, richten sich die Anforderungen zwar nicht nach Art. 30 Abs. 1 BV, sondern nach Art. 29 Abs. 1 BV. Hinsichtlich der Unparteilichkeit und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV indessen ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu (SVR 2018 UV Nr. 28 S. 97, 8C_276/2016 E. 3.1 mit Hinweis). Danach ist Befangenheit anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die in objektiver Weise geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der sachverständigen Person zu erwecken (BGE 148 V 225 E. 3.4; 132 V 93 E. 7.1; vgl. auch BGE 140 III 221 E. 4.1 mit Hinweisen). Dazu genügt nicht, sich schon einmal mit der zu begutachtenden Person befasst zu haben, selbst wenn es dabei für diese zu ungünstigen Schlussfolgerungen kam (BGE 132 V 93 E. 7.2.2 mit Hinweis). Entscheidend ist, dass das Ergebnis der Abklärung (nach wie vor) als offen und nicht vorbestimmt erscheint (SVR 2010 IV Nr. 36 S. 112, 9C_893/2009 E. 1.2.1 mit Hinweisen; Urteil 9C_731/2017 vom 30. November 2017 E. 3.1). Das ist dann nicht der Fall, wenn der Experte die Schlüssigkeit seiner früheren Beurteilung zu überprüfen oder objektiv zu kontrollieren hat (SVR 2009 IV Nr. 16 S. 41, 8C_89/2007 E. 6.2; Urteil 8C_775/2018 vom 24. April 2019 E. 5.1; zum Ganzen: Urteil 8C_353/2023 vom 4. August 2023 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung verlangt gestützt auf den auch für Private geltenden Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 5 Abs. 3 BV; BGE 137 V 394 E. 7.1 mit Hinweisen), dass verfahrensrechtliche Einwendungen so früh wie möglich, das heisst nach Kenntnisnahme eines Mangels bei erster Gelegenheit, vorzubringen sind. Es verstösst gegen Treu und Glauben, Mängel dieser Art erst in einem späteren Verfahrensstadium oder sogar erst in einem nachfolgenden Verfahren geltend zu machen, wenn der Einwand schon vorher hätte festgestellt und gerügt werden können. Wer sich auf das Verfahren einlässt, ohne einen Verfahrensmangel bei erster Gelegenheit vorzubringen, verwirkt in der Regel den Anspruch auf spätere Anrufung der vermeintlich verletzten Verfahrensvorschrift (vgl. Urteil 8C_616/2022 vom 15. März 2023 E. 5.1, nicht publ. in BGE 149 V 91, aber in: SVR 2023 UV Nr. 50 S. 175; BGE 143 V 66 E. 4.3; BGE 135 III 334 E. 2.2; 134 I 20 E. 4.3.1; 132 II 485 E. 4.3; je mit Hinweisen). So sind insbesondere auch verspätet vorgebrachte Ausstandsgründe nicht zu berücksichtigen resp. verwirkt (BGE 143 V 66 E. 4.3; 140 I 271 E. 8.4.5; zum Ganzen: Urteile 9C_344/2020 vom 22. Februar 2021 E. 4.3.2).  
 
4.  
 
4.1. Das Versicherungsgericht verfügte am 28. Oktober 2020, es werde ein polydisziplinäres gerichtliches Gutachten bei der ABI eingeholt, und gab unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme sowohl die vorgesehenen Gutachter wie auch die beabsichtigten Fragen bekannt. Der Beschwerdeführer brachte innert Frist weder Ergänzungsfragen noch Ablehnungsgründe vor. Daran vermag nichts zu ändern, dass die zuständige Sachbearbeiterin der Sozialen Dienste Grenchen am 10. Februar 2021 gegenüber dem Versicherungsgericht allgemeine Bedenken hinsichtlich einer erneuten Begutachtung durch die ABI äusserte. Indem sich der Beschwerdeführer der angeordneten Begutachtung stillschweigend unterzog, verwirkte er den Anspruch auf spätere Geltendmachung verfahrensrechtlicher Einwendungen. Die nach Ablauf von mehr als 15 Monaten in der Stellungnahme zum Gerichtsgutachten vom 3. Februar 2022 und anlässlich der öffentlichen Verhandlung vom 17. Mai 2023 vorgebrachten Befangenheitsgründe sind offensichtlich verspätet und daher nicht zu berücksichtigen (vgl. E. 3.2 hiervor).  
 
4.2. Auch bei rechtzeitiger Geltendmachung der Befangenheitsgründe könnte der Auffassung des Beschwerdeführers, es hätte wegen unzulässiger Vorbefassung der ABI eine andere Gutachterstelle beauftragt werden müssen, nicht gefolgt werden. Die Rüge der Voreingenommenheit der ABI als solcher ist nämlich als pauschales Ausstandsbegehren unzulässig (BGE 137 V 210 E. 1.3.3 mit Hinweis; Urteil 8C_353/2023 vom 4. August 2023 E. 5.2.3). Anhaltspunkte für eine Befangenheit der konkret zur Begutachtung vorgesehenen Sachverständigen zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Zudem legte die Vorinstanz schlüssig dar, dass das ABI-Gutachten vom 16. Januar 2017 keine neuropsychologischen Abklärungen enthalten hatte, weshalb die Neubegutachtung entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht eine Überprüfung der Schlüssigkeit früherer eigener Aussagen darstellte.  
 
4.3. Durfte das kantonale Gericht nach Gesagtem auf das ABI-Gutachten vom 10. Mai 2021 abstellen, hat es zusammenfassend beim vorinstanzlichen Urteil sein Bewenden.  
 
5.  
Die offensichtlich unbegründete Beschwerde wird im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG mit summarischer Begründung und unter Verweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil (Art. 109 Abs. 3 BGG) erledigt. 
 
6.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der unterliegende Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 9. April 2024 
 
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch