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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.69/2005 
6S.199/2005 /gnd 
 
Urteil vom 9. Juni 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiber Monn. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Dr. René Müller, 
Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
6P.69/2005 
Art. 4 aBV (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung) 
 
6S.199/2005 
Beschimpfung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.69/2005) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.199/2005) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, vom 31. März 2005. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
X.________ erhob am 6. April 2003 Privatstrafklage gegen Y.________. Dieser habe ihn am 15. März 2003 mehrmals beschimpft und mit "Nazischwein" und "Sauschwab" betitelt. Der Beklagte sei deshalb nach Art. 173 ff. StGB zu bestrafen und zu einer Genugtuung von mindestens Fr. 1'000.-- zu verurteilen. 
 
Der Präsident des Bezirksgerichts Brugg erkannte am 23. März 2004, in teilweiser Gutheissung der Klage werde der Beklagte der Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen und mit Fr. 400.-- Busse bestraft. Der Antrag auf Zusprechung einer Genugtuung wurde abgewiesen. 
 
Dagegen erhob X.________ Berufung an das Obergericht des Kantons Aargau. Er machte unter anderem geltend, eine "Bagatellbusse" von Fr. 400.-- sei "ein Witz". Zudem beantragte er, die Genugtuung sei "ins Ermessen des Richters zu stellen". Das Obergericht prüfte diese beiden Fragen und kam mit Urteil vom 31. März 2005 zum Schluss, die Berufung werde abgewiesen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
X.________ wendet sich mit Nichtigkeitsbeschwerde vom 24. Mai 2005 und mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. Mai 2005 ans Bundesgericht und beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 31. März 2005 sei aufzuheben. Die Busse sei neu zu beurteilen. Die Betitelung mit "Nazischwein" sei mit einer Genugtuungssumme zu entschädigen. 
2. 
Der Beschwerdeführer ist Privatstrafkläger im Sinne von Art. 270 lit. g BStP. Der öffentliche Ankläger des Kantons Aargau hat sich am kantonalen Verfahren nicht beteiligt. Der Beschwerdeführer ist deshalb zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert. Inwieweit er insbesondere in Bezug auf die Frage der verweigerten Genugtuung zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist, muss nicht weiter geprüft werden, da diese offensichtlich unbegründet ist (s. unten E. 4 - 7). 
3. 
Soweit der Beschwerdeführer auf die Vorakten, seine Berufung und eine im Berufungsverfahren verspätete Eingabe verweist, ist darauf nicht einzutreten. Die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde oder einer Nichtigkeitsbeschwerde muss in derselben enthalten sein (BGE 129 I 113 E. 2.1; 123 IV 42 E. 3a). Verweisungen sind unzulässig. Im Folgenden wird nur auf die Eingaben vom 24. und 27. Mai 2005 abgestellt. 
4. 
Eine staatsrechtliche Beschwerde muss eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht prüft im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 130 I 360 E. 3.2). 
 
Soweit die staatsrechtliche Beschwerde diesen Anforderungen nicht genügt, kann darauf nicht eingetreten werden. Dies gilt insbesondere für die reine Aufzählung der Beschwerdegründe (staatsrechtliche Beschwerde S. 2), aber auch für die Rüge, der Beschwerdegegner und die Ehefrau des Beschwerdeführers seien nicht einvernommen worden (staatsrechtliche Beschwerde S. 7/8). Inwieweit dies für den Ausgang der Sache notwendig gewesen sein könnte, ergibt sich aus der insoweit nicht hinreichend begründeten staatsrechtlichen Beschwerde nicht. 
5. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe im Verfahren vor Bezirksgericht seinen Standpunkt nicht vorbringen können (staats-rechtliche Beschwerde S. 5). Dies trifft nicht zu, denn gemäss den Ausführungen der Vorinstanz wurde er an der Verhandlung vom 23. März 2004 befragt (angefochtener Entscheid S. 2). Im Übrigen konnte er eine begründete Berufung einreichen (§ 218 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau), und er hat dies innert Frist auch getan (angefochtener Entscheid S. 4 E. 1a). Damit wurde sein Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt. Daran vermögen seine Vorbringen, dass er vor Bezirksgericht angeblich "laut protestieren" musste und eine verspätete Eingabe im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt werden konnte (staatsrechtliche Beschwerde S. 5, 6/7), nichts zu ändern. Die staatsrechtliche Beschwerde ist in diesem Punkt als offensichtlich unbegründet abzuweisen. 
6. 
In Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts macht der Beschwerdeführer geltend, es treffe nicht zu, dass er dem Beschwerdegegner einen Anlass zur Beschimpfung gegeben habe (staatsrechtliche Beschwerde S. 7/8). Damit wäre er im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde von vornherein nur zu hören, wenn der angefochtene Entscheid in diesem Punkt willkürlich wäre. Willkür liegt nach der Rechtsprechung jedoch nur vor, wenn der angefochtene Entscheid im bemängelten Punkt offensichtlich unhaltbar ist oder zur tatsächlichen Situation in einem klaren Widerspruch steht (BGE 127 I 54 E. 2b). Der Beschwerdeführer bringt nur appellatorische Kritik vor und legt nicht dar, dass und inwieweit das Obergericht in Willkür verfallen sein könnte. Folglich kann auf die staatsrechtliche Beschwer-de in diesem Punkt nicht eingetreten werden. 
7. 
Da die Berufung unbegründet war, wurden dem Beschwerdeführer die Kosten auferlegt (angefochtener Entscheid S. 9). Inwieweit dies gegen Treu und Glauben verstossen könnte (staatsrechtliche Beschwerde S. 8), ist nicht ersichtlich. 
8. 
Mit Nichtigkeitsbeschwerde kann nur die Verletzung von eidgenössischem Recht geltend gemacht werden (Art. 269 Abs. 1 BStP). Ausführungen zum Sachverhalt und zum kantonalen Verfahren sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 BStP). Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde nicht mit dem eidgenössischen Recht im Sinne von Art. 269 Abs. 1 BStP befasst, kann darauf nicht eingetreten werden. 
9. 
Die Vorinstanz hat sowohl bei der Strafzumessung als auch bei der Frage der Genugtuung darauf abgestellt, dass zwischen den Parteien seit langem ein nachbarschaftlicher Streit herrscht, an welchem der Beschwerdeführer nicht unschuldig ist. Soweit dieser mit der Nichtigkeitsbeschwerde geltend macht, er habe den Beschwerdegegner nicht provoziert, kann darauf nicht eingetreten werden, weil er sich gegen die verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz richtet (s. unten E. 10 und 11). Im Folgenden ist vom Sachverhalt auszugehen, den die Vorinstanz festgestellt hat. 
10. 
In Bezug auf das Strafmass sind die kantonalen Richter davon ausgegangen, dass eine grobe, zutiefst verächtlich machende Entgleisung des Beschwerdegegners vorliege. Dessen Verschulden werde jedoch dadurch gemildert, dass die Beschimpfung im Rahmen eines seit längerer Zeit herrschenden nachbarschaftlichen Streites erfolgt sei, an welchem der Beschwerdeführer nicht unschuldig sei (vgl. dazu auch unten E. 11). Die Busse von Fr. 400.-- stelle keine Bagatellbusse dar, sondern trage den Umständen, insbesondere dem Verschulden, aber auch den eher bescheidenen finanziellen Verhältnissen des Beschwerdegegners angemessen Rechnung (angefochtener Entscheid S. 6). 
 
Bei der Strafzumessung hat der kantonale Sachrichter einen weiten Spielraum des Ermessens. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn der Sachrichter den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn er von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wenn er wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 S. 21 E. 6.1). Wenn man berücksichtigt, dass den Beschwerdeführer am Konflikt zwischen den Parteien ein Mitverschulden trifft und dass der Beschwerdegegner in bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebt, ist die angefochtene Busse von Fr. 400.-- bundesrechtlich nicht zu beanstanden. 
 
Was der Beschwerdeführer vorbringt (vgl. Nichtigkeitsbeschwerde S. 7), dringt nicht durch. Zum einen ist ein Vergleich mit anderen Fällen nicht möglich, weil es bei der Frage des Strafmasses nicht nur auf die ehrverletzende Äusserung als solche, sondern auf die ganzen Umstände des Falles ankommt. Zum anderen macht der Beschwerdeführer zwar geltend, die Täterkomponente sei nicht genügend abgeklärt worden, aber er sagt nicht, auf welche Abklärungen es seiner Ansicht nach angekommen wäre. Welche Abklärungen dies hätten sein können, ist denn auch nicht ersichtlich. In diesem Punkt ist die Nichtigkeitsbeschwerde als unbegründet abzuweisen. 
11. 
In Bezug auf die Genugtuung geht die Vorinstanz davon aus, dass der Beschwerdeführer durch den Ausdruck "Nazischwein" in seiner Persönlichkeit verletzt worden sei. Er habe aber auch in nicht geringem Masse Anlass zur Beschimpfung gegeben. Zwischen den Parteien herrsche seit längerer Zeit ein Nachbarschaftsstreit, der mitunter bis vor Obergericht ausgetragen worden sei. Der Beschwerdeführer sei an der Situation, die schliesslich zur Beschimpfung geführt habe, nicht unschuldig. Er sei durch ein rechts-kräftiges Urteil des Obergerichts verpflichtet gewesen, einen Baum auf eine Höhe von sechs Metern zurückzuschneiden. In diesem Zusam-menhang habe er sich geweigert, ein an ihn gerichtetes Mahnschreiben des Beschwerdegegners entgegenzunehmen. Dieses habe ihm schliesslich durch die Polizei übergeben werden müssen (angefochtener Entscheid S. 7). 
 
Was der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt (vgl. Nichtigkeitsbeschwerde S. 7/8), ist unzulässig. Er behauptet, er habe keinen Anlass zu den Beschimpfungen gegeben. Dies ist nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz unrichtig. 
 
Im Übrigen stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede, dass es den allgemeinen Regeln der Schadenersatzbemessung entspricht, dass das Selbstverschulden des Geschädigten zur Herabsetzung oder zur Ablehnung einer Genugtuungssumme führen kann (Brehm, Berner Kommentar, 2. Auflage, 1998, Art. 49 N 90). Auch in diesem Zusammenhang auferlegt sich das Bundesgericht Zurückhaltung und schreitet zum Beispiel ein, wenn Tatsachen berücksichtigt worden sind, die für den Entscheid keine Rolle spielen, oder sich der angefochtene Entscheid als offensichtlich unbillig oder als in stossender Weise ungerecht erweist (BGE 129 III 715 S. 725 E. 4.4; 128 IV 53 S. 71 E. 7a; 125 III 412 S. 417/418 E. 2a). Angesichts der von der Vorinstanz erwähnten Umstände des vorliegenden Falles ist das Absehen von einer Genugtuung jedenfalls vertretbar. Den Beschwerdeführer trifft an der Eskalation der Angelegenheit ein erhebliches Mitverschulden. Dies lässt das Fehlverhalten des Beschwerdegegners in einem etwas milderen Licht erscheinen. Auch in diesem Punkt ist die Nichtigkeitsbeschwerde als unbegründet abzuweisen. 
12. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Dem Beschwerdegegner muss keine Entschädigung ausgerichtet werden, weil er nicht zur Vernehmlassung aufgefordert wurde und deshalb vor Bundesgericht keine Umtriebe hatte. 
Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 9. Juni 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: