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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_185/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 9. Juni 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Kneubühler, 
Gerichtsschreiber Stohner. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guido Hensch, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Baden, 
Täfernhof, Mellingerstrasse 207, 5405 Dättwil. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid vom 9. April 2015 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Baden führte gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20). Mit Strafbefehl vom 19. Februar 2015 verurteilte sie ihn wegen rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 150 Tagen. 
A.________ erhob am 27. Februar 2015 Einsprache gegen den Strafbefehl und ersuchte gleichzeitig um Gewährung der amtlichen Verteidigung. Mit Verfügung vom 4. März 2015 wies die Staatsanwaltschaft das Gesuch um Gewährung der amtlichen Verteidigung ab. Diese Verfügung focht A.________ mit Beschwerde vom 16. März 2015 bei der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau an. Mit Entscheid vom 9. April 2015 wies das Obergericht die Beschwerde ab. 
 
B.   
Mit Eingabe vom 18. Mai 2015 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihm sei für das Strafverfahren ein amtlicher Verteidiger zu bestellen. 
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Beschwerdeabweisung. Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer verzichtet auf eine weitere Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid betrifft eine Strafsache i.S.v. Art. 78 Abs. 1 BGG und wurde von einer letzten kantonalen Instanz gefällt (Art. 80 Abs. 1 und 2 BGG). Es handelt sich um einen das Strafverfahren nicht abschliessenden Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil i.S.v. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann. Der Beschwerdeführer, dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgewiesen worden ist, ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege ein Fall einer notwendigen Verteidigung i.S.v. Art. 130 lit. b StPO vor. Gemäss dem Vollzugsbefehl des kantonalen Amts für Justizvollzug vom 11. Februar 2015 werde eine Freiheitsstrafe von acht Monaten vollzogen. Mit dem angefochtenen Strafbefehl vom 19. Februar 2015 drohe ihm eine weitere Freiheitsstrafe von fünf Monaten.  
 
2.2. Gemäss Art. 130 lit. b StPO muss die beschuldigte Person verteidigt werden, wenn ihr eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder eine freiheitsentziehende Massnahme droht.  
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Im Strafverfahren, in welchem der Beschwerdeführer um die Gewährung der amtlichen Verteidigung ersucht, droht die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 150 Tagen, mithin zu einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr. Die Vorstrafen des Beschwerdeführers haben bei der Beurteilung der Frage der notwendigen Verteidigung im hängigen Strafverfahren ausser Betracht zu bleiben. Daran ändert nichts, dass die aus den rechtskräftigen Verurteilungen resultierende Freiheitsstrafe von rund acht Monaten noch nicht vollständig vollzogen ist. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO seien erfüllt, weshalb eine amtliche Verteidigung hätte angeordnet werden müssen.  
 
3.2. Liegt kein Fall notwendiger Verteidigung gemäss Art. 130 StPO vor, ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Zur Wahrung der Interessen der beschuldigten Person ist die Verteidigung namentlich geboten, wenn es sich nicht um einen Bagatellfall handelt und (kumulativ) der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Ein Bagatellfall liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 4 Monaten, eine Geldstrafe von mehr als 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden zu erwarten ist (Art. 132 Abs. 3 StPO). Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO entsprechen weitgehend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur unentgeltlichen Verteidigung gemäss Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (vgl. Urteil 1B_477/2011 vom 4. Januar 2012 E. 2.2).  
Von Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht spricht man in diesem Zusammenhang insbesondere, wenn der objektive oder subjektive Tatbestand umstritten ist und dazu verschiedene Zeugen einvernommen oder Gutachten eingeholt werden müssen. Schwierigkeiten in rechtlicher Hinsicht sind etwa dann anzunehmen, wenn es um komplexe Tatbestände (z.B. Betrug oder Urkundenfälschung) geht, die rechtliche Subsumtion umstritten ist oder die in Frage kommenden Sanktionen strittig sind (vgl. Niklaus Ruckstuhl, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, Art. 132 N. 38 f.). 
 
3.3. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer i.S.v. Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO bedürftig ist und dass es sich angesichts der zu erwartenden Strafe nicht um einen Bagatellfall nach Art. 132 Abs. 2 StPO handelt.  
Die Vorinstanz ist indessen zum Schluss gekommen, die amtliche Verteidigung sei zur Wahrung der Interessen des Beschwerdeführers nicht geboten, weil der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten biete, denen der Beschwerdeführer allein nicht gewachsen wäre. Insbesondere sei der Beschwerdeführer aufgrund mehrerer einschlägiger Vorstrafen (seit seiner erstmaligen Einreise in die Schweiz am 21. August 2006) mit dem Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthalts vertraut und verstehe seiner eigenen Aussage anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 23. September 2014 zufolge die deutsche Sprache. 
Der Beschwerdeführer wendet ein, er sei nigerianischer Staatsangehöriger; entgegen der Behauptung der Vorinstanz sei er der deutschen Sprache zu wenig mächtig, um sich wirksam verteidigen zu können. 
 
3.4. Dem Beschwerdeführer wird von der Staatsanwaltschaft Folgendes vorgeworfen: Mit in Rechtskraft erwachsener Verfügung des Amts für Migration und Integration des Kantons Aargau vom 16. Oktober 2014 sei der Beschwerdeführer aus der Schweiz weggewiesen worden. Trotzdem habe er am 11. Februar 2015 in Künten polizeilich angehalten werden können. Der Beschwerdeführer habe sich in Kenntnis des fehlenden Aufenthaltsrechts wissentlich und willentlich unrechtmässig in der Schweiz aufgehalten.  
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Straffall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten bieten soll. Der Sachverhalt ist klar und grundsätzlich nicht umstritten. Bei der Anwendung von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG auf den vorliegenden Sachverhalt stellen sich keine komplizierten rechtlichen Fragen. Zwar sind die Schwierigkeiten eines Straffalls an den Fähigkeiten der beschuldigten Person zu messen. Selbst wenn der Beschwerdeführer, wie er behauptet, nur über unzureichende Deutschkenntnisse verfügt, ändert dies jedoch nichts Entscheidendes an der Beurteilung. Allfällige Sprachprobleme könnten mit dem Beizug eines Dolmetschers überwunden werden (vgl. Urteil 1B_555/2012 vom 6. Dezember 2012 E. 3.2). 
Die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO sind damit nicht gegeben. Ein Anspruch auf amtliche Verteidigung ergibt sich auch nicht aus Art. 29 Abs. 3 BV oder der EMRK. 
 
4.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer gemäss Art. 66 Abs. 1 BGG grundsätzlich kostenpflichtig. Er ersucht indes um unentgeltliche Rechtspflege. Da die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Guido Hensch wird für das bundesgerichtliche Verfahren als unentgeltlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'000.-- aus der Gerichtskasse entschädigt.  
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Baden und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Juni 2015 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Stohner