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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_806/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 9. August 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Unseld. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernhard Isenring, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, Amt für Justizvollzug, Oberer Graben 38, 9001 St. Gallen, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Zulassung zur Halbgefangenschaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 31. Mai 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Kreisgericht Rheintal verurteilte X.________ am 11. September 2013 u.a. wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung und mehrfacher Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und auferlegte ihm in Anwendung von aArt. 67 Abs. 1 StGB ein fünfjähriges Berufsverbot. X.________ wurde am 17. Oktober 2013 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. Er wurde während laufender Probezeit mehrfach einschlägig rückfällig. Das Kreisgericht Wil verurteilte ihn am 11. Juli 2016 wegen mehrfachen (teilweise versuchten) Betrugs, mehrfacher Veruntreuung, Urkundenfälschung und mehrfachen Verstosses gegen das Tätigkeitsverbot, unter Einbezug der widerrufenen Reststrafe von 608 Tagen aus der bedingten Entlassung vom 17. Oktober 2013, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 36 Monaten und gewährte ihm im Umfang von 24 Monaten den bedingten Vollzug bei einer Probezeit von fünf Jahren. Es erteilte X.________ zudem die Weisung, die begonnene ambulante psychotherapeutische Behandlung weiterzuführen, wobei eine Bewährungshilfe zur Überprüfung der Durchführung der Therapie angeordnet wurde. Der Entscheid erwuchs in Rechtskraft. 
 
B.  
X.________ beantragte am 15. Dezember 2016, den vollziehbaren Teil der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft verbüssen zu können. Das Amt für Justizvollzug des Sicherheits- und Justizdepartements des Kantons St. Gallen (AJV) wies das Gesuch mit Verfügung vom 30. März 2017 ab. Eine von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 31. Mai 2017 ab. 
 
C.  
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der Entscheid vom 31. Mai 2017 sei aufzuheben und es sei ihm für den vollziehbaren Teil der vom Kreisgericht Wil am 11. Juli 2016 ausgesprochenen Freiheitsstrafe der Strafvollzug in Form der Halbgefangenschaft zu bewilligen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er stellt zudem ein Gesuch um aufschiebende Wirkung. 
 
D.  
Der Präsident der strafrechtlichen Abteilung hat der Beschwerde mit Verfügung vom 14. Juli 2016 superprovisorisch aufschiebende Wirkung erteilt. Anklagekammer und AJV wurden zur Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung aufgefordert; erstere verzichtete darauf, letztere ersuchte um Abweisung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Voraussetzungen von Art. 77b StGB für die Halbgefangenschaft seien erfüllt. Die Vorinstanz gehe willkürlich davon aus, er habe sich im Zeitpunkt des Therapieunterbruchs ab August 2016 weisungswidrig verhalten und seine Therapiebereitschaft fehle bzw. sei zweifelhaft. Die Staatsanwaltschaft habe gegen den Entscheid des Kreisgerichts Wil vom 11. Juli 2016 Berufung angemeldet, weshalb das Strafurteil erst Anfang Dezember 2016 in Rechtskraft erwachsen sei. Im Zeitpunkt des Therapieunterbruchs habe daher keine rechtskräftige Weisung seitens des Gerichts vorgelegen. Das AJV bzw. die Bewährungshilfe habe nach wie vor keinen offiziellen Auftrag zur konkreten Ausgestaltung der Therapiesitzungen erteilt. Die Vorinstanz bejahe zu Unrecht eine die Halbgefangenschaft ausschliessende Rückfallgefahr. Sie stelle hierfür ausschliesslich auf die Zeit vor Sommer 2015 ab und lasse die seit August 2015 eingetretene Besserung sowie den positiven Therapiebericht unberücksichtigt. Damit spreche sie der vom Kreisgericht Wil bewusst teilbedingt ausgesprochenen Strafe, bei einer Probezeit von fünf Jahren, jegliche Wirkung ab. Unerheblich sei, dass er erst seit Februar 2017 über eine Arbeitsstelle verfüge. Angesichts seiner Vorgeschichte sei es äusserst schwierig gewesen, überhaupt eine Stelle zu finden. Der Stellenverlust wiege daher nicht weniger schwer als bei einer langjährigen Tätigkeit.  
 
1.2. Gemäss Art. 77b Satz 1 StGB wird eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr in der Form der Halbgefangenschaft vollzogen, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Gefangene flieht oder weitere Straftaten begeht. Der Gefangene setzt dabei seine Arbeit oder Ausbildung ausserhalb der Anstalt fort und verbringt die Ruhe- und Freizeit in der Anstalt. Die für diese Vollzugsdauer notwendige Betreuung des Verurteilten ist zu gewährleisten (Art. 77b Satz 2 und 3 StGB).  
Art. 77b StGB setzt für die Zulassung zur Halbgefangenschaft voraus, dass es sich um eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis höchstens einem Jahr handelt und dass keine Flucht- oder Wiederholungsgefahr besteht. Die verurteilte Person muss zudem einer Arbeit nachgehen oder in Ausbildung sein. Diese weitere Voraussetzung ergibt sich direkt aus dem Zweck der Halbgefangenschaft (Urteil 6B_813/2016 vom 25. Januar 2017 E. 2.2.2 mit Hinweis). 
Die Halbgefangenschaft ist seit Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des StGB am 1. Januar 2007 von Bundesrechts wegen als Regelvollzug für kurze Freiheitsstrafen vorgesehen. Sie soll der verurteilten Person ermöglichen, ihren Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu behalten, und so eine Desintegration aus der Arbeitswelt verhindern (Urteil 6B_813/2016 vom 25. Januar 2017 E. 2.2.1 mit Hinweisen). 
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 317 E. 5.4 S. 324 mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375, 317 E. 5.4 S. 324; je mit Hinweisen).  
 
1.4.  
 
1.4.1. Die Vorinstanz geht beim Beschwerdeführer von erheblichen Rückfallrisiken bezüglich seiner bisher gezeigten, sicherheitsrelevanten Delinquenz aus (angefochtener Entscheid E. 3f S. 7 f.). Sie erwägt, der Verurteilung vom 11. September 2013 lägen über Jahre (2004 bis 2010) begangene Straftaten zugrunde, wobei es sich im Wesentlichen um Vermögensdelikte handle. Nach der bedingten Entlassung am 17. Oktober 2013 sei der Beschwerdeführer während laufender Probezeit bereits ab Frühjahr 2014 mit einschlägiger Delinquenz erneut und mehrfach rückfällig geworden. Dabei habe er auch das ihm auferlegte Berufsverbot verletzt. Dessen Verhalten lasse insgesamt auf ausgeprägte Uneinsichtigkeit schliessen und mache insbesondere deutlich, dass bei ihm über Jahre hinweg eine erhebliche kriminelle Energie mit eingeschliffenen Verhaltensmustern vorliege (angefochtener Entscheid E. 3a S. 4). Das nach wie vor täuschende, externalisierende und bagatellisierende Verhaltensmuster des Beschwerdeführers spiegle sich auch im Bericht seines Therapeuten wieder, wonach er diesem gegenüber angegeben habe, der Entscheid des Kreisgerichts Wil habe einen "weitgehenden" Freispruch gebracht. Es erstaune auch, dass im Februar 2017, d.h. bei rechtskräftig angeordneter Weisung, auf einen "offiziellen Auftrag" gewartet worden sein solle, um die Therapie fortzusetzen. Dies lasse an der Therapiemotivation des Beschwerdeführers zumindest zweifeln. Objektive Umstände, dass der Beschwerdeführer tatsächlich verinnerlichte Einsichten in das Unrecht seiner Taten gewonnen und sich persönlich weiterentwickelt habe, seien noch nicht, zumindest noch nicht im für eine Gewährung der Halbgefangenschaft erforderlichen Ausmass erkennbar. Angesichts der langen Therapieunterbrüche könne nicht von gefestigten therapeutischen Inhalten und insbesondere auch nicht von einer engmaschigen Betreuung ausgegangen werden (angefochtener Entscheid E. 3c S. 5 f.).  
Damit hat die Vorinstanz das ihr zustehende Ermessen nicht verletzt, wenn sie eine Rückfallgefahr im Sinne von Art. 77b Satz 1 StGB bejaht. Daran ändert nichts, dass der Beschwerdeführer seit August 2015 (vgl. Beschwerde) bzw. seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im September 2015 (vgl. angefochtenes Urteil E. 3a S. 4) nicht mehr straffällig wurde. 
 
1.4.2. Der Beschwerdeführer beruft sich zu Unrecht darauf, das Kreisgericht Wil habe ihm mit dem Urteil vom 11. Juli 2016 die Halbgefangenschaft ermöglichen wollen. Das Kreisgericht Wil erachtete für die neuen Straftaten eine Strafe von 16 Monaten für angemessen. Es erwog sodann, die einschlägigen Vorstrafen seien straferhöhend zu berücksichtigen. Dies werde dahingehend umgesetzt, dass der noch offene Strafrest von 20 Monaten im vollen Umfang in die neu ausgefällte Gesamtstrafe einbezogen werde, was eine Gesamtfreiheitsstrafe von 36 Monaten ergebe (vgl. Urteil Kreisgericht Wil S. 27). Damit verstiess es gegen Art. 89 Abs. 6 StGB, da eine Gesamtfreiheitsstrafe gemäss dieser Bestimmung nur angeordnet werden kann, wenn aufgrund der neuen Straftat die Voraussetzungen für eine unbedingte Freiheitsstrafe erfüllt sind. Will das Gericht die Strafe für die neuen Straftaten teilbedingt aussprechen, kann es keine Gesamtstrafe bilden (BGE 135 IV 146 E. 2.4.2).  
Das Kreisgericht Wil ordnete bezüglich des Strafrests von 608 Tagen die Rückversetzung des Beschwerdeführers in den Strafvollzug an, womit es von einer ungünstigen Prognose ausging (vgl. Art. 89 Abs. 1 und 2 StGB; Urteil 6B_118/2017 vom 14. Juli 2017 E. 5.2.2 mit Hinweisen). Indem es diesem für die zu Unrecht ausgesprochene Gesamtstrafe im Umfang von 24 Monaten den bedingten Vollzug gewährte, kam es auf diesen Entscheid zumindest teilweise faktisch wieder zurück, was mit Art. 89 Abs. 1 StGB unvereinbar ist. Das Kreisgericht Wil begründete im Urteil vom 11. Juli 2016 sodann nur unzureichend, weshalb beim Beschwerdeführer trotz der einschlägigen Rückfälligkeit während laufender Probezeit und des gleichzeitigen Verstosses gegen das Berufsverbot für die neu auszusprechende Strafe besonders günstige Umstände im Sinne von Art. 42 Abs. 2 StGB vorlagen (siehe dazu etwa BGE 139 IV 270 E. 3.3 S. 277; 134 IV 1 E. 5.3.1 S. 10; Urteile 6B_1321/2016 vom 8. Mai 2017 E. 2.2.2; 6B_258/2015 vom 26. Oktober 2015 E. 2.2.2 mit Hinweisen). Die Vorinstanz war daran bei der Frage, ob dem Beschwerdeführer die Halbgefangenschaft zu bewilligen ist, unter den konkreten Umständen auf jeden Fall nicht gebunden. 
 
1.4.3. Der Beschwerdeführer selber erachtete nach dem Urteil des Kreisgerichts Wil im August 2016 eine Therapie nicht mehr für notwendig. Die am 11. Juli 2016 ausgesprochene Weisung erwuchs spätestens Anfang Dezember 2016 in Rechtskraft. Auch in der Zeit danach bis Anfang Mai 2017 bzw. bis zum vorinstanzlichen Entscheid fand lediglich am 2. Februar 2017 eine Therapiesitzung statt. Nicht zu beanstanden ist daher, wenn die Vorinstanz - trotz der im Schreiben vom 4. Mai 2017 grundsätzlich attestierten Therapiebereitschaft (Beschwerde Ziff. 40 ff. S. 9) - an der Einsicht und Therapiewilligkeit des Beschwerdeführers zweifelt. Dieser wurde nicht zu einer ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB verurteilt. Ihm wurde gestützt auf Art. 94 StGB ausschliesslich die Weisung erteilt, die seit der Entlassung aus der Untersuchungshaft begonnene ambulante Psychotherapie weiterzuführen. Entsprechend dieser Weisung war er verpflichtet, sich weiterhin in Therapie zu begeben. Einer speziellen Auftragserteilung an den Therapeuten durch das AJV bzw. die Bewährungshilfe bedarf es entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht.  
 
1.5. Angesichts der Wiederholungsgefahr durfte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer den Vollzug der Freiheitsstrafe in Halbgefangenschaft verweigern. Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht.  
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. August 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld