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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
4A_416/2010 
 
Urteil vom 9. September 2010 
I. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss, 
Gerichtsschreiber Luczak. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
alle drei vertreten durch Advokat Simon Rosenthaler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
X.________ AG, 
vertreten durch Fürsprech Konrad Luder, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Spitalhaftung; unentgeltliche Rechtspflege, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn 
vom 2. Juni 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Wie sich aus den Akten ergibt, erhoben A.________ und dessen Kinder B.________ und C.________ (Beschwerdeführer) am 2. Dezember 2009 gegen die X.________ AG (Beschwerdegegnerin) Klage beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn. Sie machen diese für den Tod der Mutter von B.________ und C.________ und Ehefrau von A.________ verantwortlich. Diese sei am 9. Juni 2008 notfallmässig vom Kantonsspital Aarau wegen Suizidalität bei psychotischem Zustandsbild in die X.________ AG, Psychiatrische Dienste, eingewiesen worden unter schriftlicher Erwähnung der bereits bekannten Diagnose, akute schizophrenieforme psychotische Störung, DD wahnhafte Störung. Ohne weitere Abklärung habe die Patientin am Nachmittag des nächsten Tages einen unbegleiteten Spaziergang unternehmen dürfen, von dem sie nicht zurückgekehrt sei. Am 17. Juni 2008 sei sie tot aufgefunden und als Todesursache Suizid durch Ertrinken festgestellt worden. Die Beschwerdeführer verlangten Schadenersatz und Genugtuung im Gesamtbetrag von Fr. 1'294'773.-- gestützt auf § 2 des Gesetzes über die Haftung des Staates, der Gemeinden, der öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten und die Verantwortlichkeit der Behörden, Beamten und öffentlichen Angestellten und Arbeiter vom 26. Juni 1966 (Verantwortlichkeitsgesetz; BGS/SO 124.21) in Verbindung mit § 19 Abs. 1 des Spitalgesetzes vom 12. Mai 2004 (SpiG; BGS/SO 817.11). 
 
B. 
Am 20. April 2010 wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführer Frist zur einlässlichen Klagebegründung und zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 10'000.- bzw. zur Einreichung eines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege unter Androhung von Nichteintreten bei Säumnis gesetzt. Mit Verfügung vom 2. Juni 2010 wies der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und erstreckte die Frist zur Leistung des Kostenvorschusses, wiederum unter Androhung des Nichteintretens bei Säumnis. Die Verfügung ist in Briefform an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführer abgefasst. Sie bezeichnet die Parteien, deren Vertreter sowie das Streitthema "Schadenersatz und Genugtuung" und enthält nebst dem Dispositiv und einer Rechtsmittelbelehrung einzig folgende "Kurzbegründung": 
"Die Kläger mögen wohl bedürftig sein; indessen erscheint die Klage nach vorläufiger Prüfung der Akten als aussichtslos." 
 
C. 
Die Beschwerdeführer haben diesen Entscheid mit Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten angefochten. Sie beantragen die Aufhebung der Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 2. Juni 2010, die Bewilligung des Kostenerlasses und die unentgeltliche Verbeiständung für das verwaltungsrechtliche Klageverfahren, eventuell die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Sachverhaltsabklärung und Entscheidung. Ferner ersuchen sie auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege. Nach Überweisung des Verfahrens an die nach Art. 31 Abs. 1 lit d des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 (BGerR; SR 173.110.131) zuständige I. Zivilabteilung erteilte deren Präsidentin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Die Beschwerdegegnerin hat auf Teilnahme am bundesgerichtlichen Verfahren verzichtet. Die Vorinstanz beantragt in ihrer Vernehmlassung die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführer haben sich nach Zustellung der Vernehmlassung der Vorinstanz, in welcher ihre Bedürftigkeit in Frage gestellt wird, ergänzend dazu geäussert und unter Berufung auf Art. 99 BGG eine aktuelle Verfügung der Ausgleichskasse eingereicht, welche belegt, dass sie auf Ergänzungsleistungen Anspruch haben. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Verfügung, mit der das Gesuch um Bewilligung des Kostenerlasses abgewiesen wurde, ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid, der den Hauptprozess nicht abschliesst. Gegen diesen Zwischenentscheid ist nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131; 126 I 207 E. 2a S. 210 mit Hinweisen). Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu. Gegenstand des angefochtenen Entscheids sind Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche wegen fehlerhafter Behandlung in einem öffentlichen Spital nach dem kantonalen öffentlichen Haftungsrecht. Da solche Entscheide in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zivilrecht stehen, ist dagegen nach Art. 72 Abs. 2 lit. b BGG die Beschwerde in Zivilsachen gegeben (BGE 135 III 329 E. 1.1 S. 331; 133 III 462 E. 2.1 S. 465; vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und Art. 31 Abs. 1 lit. d BGerR). Da der Streitwert der Hauptsache Fr. 30'000.-- übersteigt, steht auch unter diesem Gesichtspunkt einem Eintreten auf die Beschwerde nichts entgegen (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). 
 
2. 
Die Beschwerdeführer rügen die mangelhafte Begründung des angefochtenen Entscheides. Die Vorinstanz lege bloss dar, dass, aber nicht weshalb sie die Klage für aussichtslos halte. Hierfür seien diverse Gründe denkbar: Fehlende formelle Voraussetzungen, offensichtliche Unbegründetheit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, das Fehlen von Haftungsvoraussetzungen, Beweisschwierigkeiten etc. Mangels Angabe von Gründen seien die Beschwerdeführer nicht in der Lage, die abweisende Verfügung materiell anzufechten. Die Vorinstanz habe es versäumt, anhand einer summarischen Beweisaufnahme eine vorläufige Einschätzung der Prozessaussichten vorzunehmen. Der blosse Hinweis, die Klage erscheine "nach vorläufiger Prüfung der Akten" als aussichtslos, sei eine völlig unzulängliche Scheinbegründung. Lasse ein Sachverhalt, wenn auch nur rudimentär, erkennen, dass dem Gesuchsteller gewisse Ansprüche zustehen könnten bzw. nicht geradezu ausgeschlossen seien, sei Aussichtslosigkeit zu verneinen. Damit dieses Kriterium von den Betroffenen nachgeprüft werden könne, sei eine entsprechende Begründung unabdingbar. Der erhobene Vorwurf der Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht, die Frage, ob ein Psychiater die Suizidalität hätte erkennen können und müssen, könne nur anhand eines gerichtlichen Gutachtens unter Berücksichtigung der Krankengeschichte samt Diagnose, der Einweisungsumstände und des Verhaltens der Verstorbenen beantwortet werden. Wie das Gericht implizit zur Auffassung gelangen konnte, Schadenersatzansprüche könnten ausgeschlossen werden, sei schleierhaft. 
 
2.1 Gemäss Art. 112 Abs. 1 BGG müssen Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, unter anderem die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen (lit. b). Das Bundesgericht kann nach Art. 112 Abs. 3 BGG einen Entscheid, der den Anforderungen von Absatz 1 nicht genügt, an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Aus Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG folgt, dass Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, klar den massgeblichen Sachverhalt und die rechtlichen Schlüsse, die daraus gezogen werden, angeben müssen. Dies ist von Bedeutung im Hinblick auf die unterschiedliche Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Sachverhalts- und Rechtsfragen (Art. 95 und Art. 97 BGG). Genügt der angefochtene Entscheid diesen Anforderungen nicht und ist deshalb das Bundesgericht nicht in der Lage, über die Sache zu befinden, ist er nach Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben und die Angelegenheit an die kantonale Behörde zurückzuweisen, damit diese einen Entscheid treffe, der Art. 112 Abs. 1 BGG entspricht (Urteil des Bundesgerichts 1B_61/2008 vom 3. April 2008 E. 2.2 mit Hinweisen). 
 
2.2 Der angefochtene Entscheid entspricht den erwähnten Anforderungen in keiner Weise. Der Kurzbegründung ist einzig zu entnehmen, dass die Bedürftigkeit als ausgewiesen erachtet wurde, der Klage jedoch die Erfolgsaussichten abgesprochen wurden. Aus welchen Gründen die Vorinstanz die Erfolgsaussichten als wesentlich geringer als die Verlustgefahren einschätzt (vgl. hierzu BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.), bleibt im Dunkeln. Es wird nicht ersichtlich, welche Tatsachenbehauptungen der Beschwerdeführer die Vorinstanz für kaum beweisbar erachtete, oder ob sie die behaupteten Tatumstände, sollten sich diese beweisen lassen, für ungeeignet hielt, um daraus jene rechtlichen Schlüsse zu ziehen, aus welchen die Beschwerdeführer ihre Ansprüche ableiten. Das Bundesgericht ist nicht in der Lage, die vorläufige Beurteilung der Vorinstanz nachzuvollziehen und auf ihre Verfassungs- bzw. Bundesrechtskonformität zu überprüfen, denn der angefochtene Entscheid schweigt sich zu den massgeblichen Fragen aus. Im Lichte der angeführten Rechtsprechung ist er deshalb in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben. Die Sache ist an den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen, damit er einen Entscheid treffe, der den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügt. Die Rüge, die mangelnde Begründung verletze den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), erweist sich ebenfalls als offensichtlich begründet. Ihr kommt aber keine Bedeutung zu, da die Sache ohnehin an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. 
 
3. 
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin, die sich der Beschwerde nicht widersetzt und den angefochtenen Entscheid nicht bewirkt hat, kann nicht als unterliegende Partei betrachtet werden. Dem Kanton dürfen in der Regel, von der abzuweichen kein Anlass besteht, keine Gerichtskosten auferlegt werden (Art. 66 Abs. 4 BGG). Praxisgemäss hat er aber den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG; GEISER, in: Basler Kommentar, 2008, N. 22 zu Art. 68 BGG). Bei diesem Verfahrensausgang können die Beschwerdeführer, deren Bedürftigkeit bereits gemäss dem angefochtenen Entscheid, erst recht nach Einreichung der neuen Belege als ausgewiesen erscheint, an sich die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht beanspruchen (Art. 64 BGG). Da beim Kanton Solothurn nicht mit der Uneinbringlichkeit der Entschädigung zu rechnen ist, wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege allerdings obsolet. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Solothurn vom 2. Juni 2010 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Solothurn hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 9. September 2010 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Klett Luczak