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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_445/2012 
 
Urteil vom 9. Oktober 2012 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
P.________, 
vertreten durch kmu-Krankenversicherung, Bachtelstrasse 5, 8400 Winterthur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 17. April 2012. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
P.________, geboren 1958, arbeitete als Elektromonteur bei der Z.________ AG und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert. Mit Unfallmeldung vom 28. September 2010 teilte die Arbeitgeberin mit, dass er sich am 20. September 2010 im Schlaf durch eine unkontrollierte Bewegung die Schulter ausgerenkt habe. Die SUVA lehnte ihre Leistungspflicht mit Verfügung vom 5. Januar 2011 und Einspracheentscheid vom 22. März 2011 ab mit der Begründung, dass das Geschehen weder als Unfall im Rechtssinne noch als unfallähnliche Körperschädigung zu qualifizieren sei. 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 17. April 2012 gut und stellte fest, dass P.________ im Zusammenhang mit dem Ereignis vom 20. September 2010 die gesetzlichen Leistungen der Unfallversicherung zustünden. 
 
C. 
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides. 
Während P.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Unfallbegriff (Art. 4 ATSG), zur unfallähnlichen Körperschädigung (Art. 9 Abs. 2 UVV) sowie zur Rechtsprechung, wonach die einzelnen Umstände des leistungsbegründenden Geschehens vom Ansprecher glaubhaft zu machen sind (BGE 116 V 136 E. 4b S. 140), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
Aus den Akten ergibt sich, dass sich der Vorfall am 20. September 2010 nachts um 1 Uhr ereignet hat. Auf Anfrage hin führte der Versicherte aus: "Nach intensivem Traum (Kunstturnen Flick flack) habe ich meine Schulter im Bett (nach hinten) ausgekugelt". Anlässlich einer Besprechung mit dem Aussendienstmitarbeiter der SUVA am 29. November 2010 erklärte er, ganz intensiv geträumt zu haben. Er sei als Kind und junger Erwachsener im Kunstturnen gewesen. Im Traum habe er seiner kleinen Tochter zeigen wollen, wie man den Flickflack mache. Vielleicht habe er auch etwas angeben wollen. Er vermute, dass er eine heftige Bewegung mit den Armen nach hinten gemacht habe, genau wie beim Flickflack. Vermutlich sei er an der Bettdecke hängen geblieben, der Seidenanzug sei zu gross. Gemäss Arzt müsse es eine heftige (kräftige) Bewegung gewesen sein. Er habe nirgends angeschlagen, auch keine blauen Flecken oder eine Verstauchung. Er sei erwacht und habe noch seine Frau sagen hören: "Jetzt häsch mi aber verschreckt". Sie habe ihm später erzählt, dass er im Bett immer noch in Rückenlage stark gezittert habe, dann etwa eine halbe Stunde lang nicht mehr auf ihre Fragen geantwortet habe und herumgelaufen sei, vermutlich vor Schmerzen. Dann sei er wieder "voll da" gewesen, habe aber vor Schmerzen weder sitzen noch liegen können. Er habe gedacht, dass er sich vielleicht einen Nerv eingeklemmt habe; die Schmerzen seien unerträglich gewesen. Mit einem Taxi sei er dann zur Notfallstation des Spitals X.________ gefahren. Noch in der gleichen Nacht sei er unter Vollnarkose operiert worden. Er habe zuvor noch nie Probleme mit der linken Schulter gehabt. Den Akten ist weiter zu entnehmen, dass im Spital X.________ zufolge Verdachts auf ein epileptisches Geschehen weitere diesbezügliche Abklärungen veranlasst wurden; deren Ergebnisse sind nicht aktenkundig. Der Versicherte gab dazu an, dass er nicht glaube, einen Epilepsie-Anfall erlitten zu haben, und im Nachhinein bereue, dass er sich überhaupt habe abklären lassen. 
Im Spital X.________ wurde eine dorsale Schulterluxation links mit Impressionsfraktur des Tuberculum minus diagnostiziert und eine Reposition vorgenommen. Der Versicherte war bis zum 22. September 2010 hospitalisiert. Es wurde zunächst eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Oktober 2010 bescheinigt. 
 
4. 
Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist unbestritten und aufgrund der Akten ausgewiesen, dass der Versicherte in der Nacht vom 20. September 2010 um 1 Uhr eine Schulterluxation erlitten habe und im Spital X.________ noch in der selben Nacht die Reposition vorgenommen worden sei. Gestützt auf seine schlüssige und überzeugende Aussage sei davon auszugehen, dass er sich die Schulterluxation zugezogen habe, als er im Traum seiner kleinen Tochter einen Flickflack habe zeigen wollen, und dabei im Schlaf mit dem Arm die dafür typische Ausholbewegung rückwärts ausgeführt habe. Es handle sich bei der diagnostizierten Schulterluxation unbestrittenerweise um eine Körperschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV. Das kantonale Gericht zog weiter in Betracht, dass im Schlaf ausgeführte Bewegungen zwar alltäglich seien, in diesem Zustand jedoch eine bewusste Steuerung beziehungsweise die Kontrolle und Koordination des Körpers unmöglich sei, weshalb ein gesteigertes Schädigungspotential bestehe. Der Versicherte habe glaubhaft dargelegt, dass sich mit dem geschilderten Flickflack-Traum während des Schlafes etwas - mindestens im Sinne eines Auslösefaktors - ereignet habe, das als sinnfällig bezeichnet werden müsse, und sich die Luxation somit nicht unter normalen Bedingungen eingestellt habe. Da die Bewegung im Rahmen einer Situation mit - gegenüber einer alltäglichen Beanspruchung - allgemein gesteigertem Gefährdungspotential erfolgt sei, sei das Erfordernis des äusseren schädigenden Faktors beim Ereignis vom 20. September 2010 erfüllt und es sei demnach von einem unfallähnlichen Mechanismus auszugehen. 
 
5. 
Die Beschwerde führende SUVA bestreitet nicht, dass mit der diagnostizierten Schulterluxation eine Körperschädigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV vorliegt. Indessen macht sie im Wesentlichen geltend, dass beim Schlafen und Träumen kein gesteigertes Schädigungspotential bestehe und daher eine unfallähnliche Körperschädigung von vornherein auszuschliessen sei. Es fehle denn auch am Nachweis, dass sich etwas Sinnfälliges zugetragen habe. 
 
6. 
Nach den insoweit unbestrittenen Erwägungen der Vorinstanz steht fest, dass der Versicherte mitten in der Nacht mit massiven Schmerzen erwacht ist, sich unmittelbar darauf ins Spital begeben hat und dort eine Schulterluxation diagnostiziert worden ist. Es bestand nach Lage der Akten kein Zweifel daran, dass sich der Versicherte die Verletzung im Schlaf zugezogen hatte. Dass es gänzlich unmöglich wäre, sich im Schlaf die Schulter auszukugeln, macht die SUVA nicht geltend. Sie bezweifelt auch nicht, dass der Versicherte zuvor noch nie ein solches Trauma beziehungsweise entsprechende Vorerkrankungen erlitten habe. Schliesslich bemängelt sie auch nicht die Glaubhaftigkeit der Aussage des Versicherten, wonach er im Traum einen Flickflack (vgl. Duden, Band 1, 25. A. 2009: in schneller Folge geturnter Handstandüberschlag) habe ausführen wollen und dabei an der Bettdecke hängen geblieben sei. 
Mit Blick auf die Angaben des Versicherten und die Diagnose des unverzüglich aufgesuchten Arztes ist somit davon auszugehen, dass es im Schlaf zu einer Schulterluxation gekommen ist. In Anbetracht der glaubhaften Schilderung des Versicherten, wonach er im Traum einen Flickflack habe ausführen wollen und dabei an der Bettdecke hängen geblieben sei, ist dem Vorfall eine besondere Sinnfälligkeit nicht abzusprechen. Es ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass es bei dem Geschehen zu einer mehr als physiologisch normalen und psychologisch beherrschten Beanspruchung des Körpers gekommen ist, wofür auch die Verletzung selbst spricht. Im Ergebnis ist daher der Vorinstanz beizupflichten, welche das Ereignis als unfallähnliche Körperschädigung qualifiziert hat. Gleiches müsste im Übrigen rechtsprechungsgemäss auch dann gelten, wenn die Verletzung durch einen epileptischen Anfall verursacht worden wäre (SVR 1998 UV Nr. 22 S. 81), wovon indessen nach den Angaben des Beschwerdegegners nicht auszugehen ist. 
 
7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerde führenden SUVA auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 9. Oktober 2012 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Ursprung 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo