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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 177/02 
 
Urteil vom 10. Januar 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Fessler 
 
Parteien 
E.________, 1957, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Lussi, Rütliweg 9A, 6045 Meggen, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdegegnerin, 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern 
 
(Entscheid vom 18. Februar 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 6. März 1998 verpflichtete die IV-Stelle Luzern das Sozialamt der Gemeinde L.________ zur Rückerstattung von Fr. 18'762.-. Bei dieser Summe handelte es sich um die von der kantonalen Ausgleichskasse ab Oktober 1995 bis November 1997 der Amtsstelle ausbezahlten IV-Kinderrenten für den bei seiner geschiedenen Mutter (E.________) lebenden R.________. Die Rückforderung ergab sich aufgrund einer Meldepflichtverletzung des anspruchsberechtigten Vaters von R.________ (B.________). Mit Entscheid vom 25. Mai 1999 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Verfügung vom 6. März 1998. In Gutheissung der von der Gemeinde L.________ hiegegen erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde hob das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 26. September 2000 Entscheid und Verfügung mit der Begründung auf, dem Sozialamt sei in Bezug auf die fraglichen Rentenleistungen faktisch keine weitergehende Funktion als diejenige einer Inkasso- oder Zahlstelle zugekommen. B.________ war als Mitinteressierter zum Verfahren beigeladen worden. 
 
Mit Schreiben vom 22. Januar 2001 an die Ausgleichskasse ersuchte E.________ um Verzicht auf die Rückforderung. Dabei verwies sie auf das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 26. September 2000, gemäss dem sie die «IV-Leistungen im Betrag von Fr. 18'762.- zurückzahlen» soll. Mit Verfügung vom 11. Juni 2001 lehnte die IV-Stelle das Erlassgesuch mangels grosser Härte ab. 
B. 
Die von E.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 18. Februar 2002 ab. 
C. 
E.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben und sie sei von der Rückerstattungspflicht von Fr. 18'762.- zu befreien. 
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. B.________ als Mitinteressierter und auch das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Der Instruktionsrichter hat bei der IV-Stelle eine Beweisauskunft zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit dem Rückerstattungsverfahren gegen E.________ eingeholt (Stellungnahme der Ausgleichskasse vom 13. Dezember 2002). 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Anfechtungsgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren bilden, formell, Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG und, materiell, die darin geregelten Rechtsverhältnisse. Unter dem Streitgegenstand sind demgegenüber das oder die aufgrund der Beschwerdebegehren tatsächlich angefochtenen, somit als Prozessthema vor den (erst- oder zweitinstanzlichen) Richter gezogenen Rechtsverhältnisse zu verstehen. Was im konkreten Einzelfall den zu beurteilenden Streitgegenstand ausmacht, ist unter Berücksichtigung des materiellrechtlichen Kontextes, des massgeblichen Verfügungsinhaltes und der, in Anbetracht der Beschwerde, konkreten Verfahrenslage zu entscheiden (BGE 125 V 415 Erw. 2a mit Hinweisen). 
 
Im Streit um den Erlass der Rückforderung von unrechtmässig bezogenen Sozialversicherungsleistungen im Besonderen gehört die Frage der Rückerstattung grundsätzlich nicht zum Streitgegenstand, wenn darüber rechtskräftig entschieden worden ist (vgl. BGE 122 V 222 Erw. 2). 
2. 
2.1 Im vorliegenden Fall lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 11. Juni 2001 das Gesuch von E.________ um Erlass der Rückforderung der im Zeitraum Oktober 1995 bis November 1997 zu Unrecht an sie ausgerichteten Kinderrenten der Invalidenversicherung für den bei ihr lebenden Sohn R.________ in der Höhe von Fr. 18'762.- mangels grosser Härte ab. In der dagegen erhobenen Beschwerde machte die Verpflichtete unter anderem geltend, die Rückforderung ergebe sich aufgrund einer Meldepflichtverletzung ihres geschiedenen Exgatten. Es bedeute eine sehr grosse Härte und Ungerechtigkeit, wenn sie die für ihren Sohn bestimmten Rentenbetreffnisse rückerstatten müsse, liege doch der Fehler in keiner Weise bei ihr. In gleichem Sinne äusserte sie sich in der Replik. 
 
Mit diesen Vorbringen bestritt E.________ sinngemäss auch die Rückerstattungspflicht an sich. 
2.2 Das kantonale Gericht hat einzig die Erlassfrage unter dem Gesichtspunkt der von der IV-Stelle verneinten grossen Härte geprüft. Zur Rückerstattungspflicht als solcher hat die Vorinstanz nichts gesagt. Sie ging offensichtlich von einem reinen Erlassstreit aus in der Annahme, die Rückerstattungsfrage sei rechtskräftig entschieden. Die in diesem Verfahren vervollständigten Akten zeigen indessen, dass dem nicht so ist. 
2.2.1 Nachdem das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 26. September 2000 die Rückerstattungspflicht der Gemeinde L.________ verneint hatte, teilte die Ausgleichskasse am 5. Januar 2001 E.________ mit, die Rückzahlung der Kinderrente liege nun bei ihr. In diesem Zusammenhang werde ihr Erlassgesuch vom 21. März 1998 an die IV-Stelle bearbeitet. In der Folge ersuchte E.________ am 22. Januar 2001 um Erlass der Rückforderung von Fr. 18'762.-. 
Mit erwähntem Schreiben vom 21. März 1998 an die IV-Stelle hatte E.________ um Verzicht auf die Rückforderung der Kinderrente ersucht. Zur Begründung führte sie aus, sie habe die Betreffnisse für den Unterhalt ihres Sohnes R.________ verwendet. Eine Rückzahlung sei ihr somit nicht möglich. 
2.2.2 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass E.________ von der an das Sozialamt der Gemeinde L.________ adressierten Verfügung vom 6. März 1998 über die Rückerstattung der von Oktober 1995 bis November 1997 ausbezahlten IV-Kinderrenten für den bei ihr lebenden Sohn R.________ von Fr. 18'762.- Kenntnis gehabt hatte. Obschon sie nicht bei denjenigen Personen und Behörden aufgeführt ist, die eine Kopie von diesem Verwaltungsakt erhalten, ist ihr offenbar eine solche zugestellt worden. Es ist daher von der formgültigen Eröffnung der sie betreffenden Rückerstattungspflicht in der Höhe von Fr. 18'762.- gemäss Verfügung vom 6. März 1998 auszugehen. Das wiederum bedeutet aber auch, dass E.________ mit ihrem «Gesuch um Erlass der Rückforderung der Kinderrente R.________» vom 21. März 1998 diesen Verwaltungsakt rechtzeitig und ebenfalls formgültig angefochten hat. Daran ändert nichts, dass sie das Begehren bei der IV-Stelle einreichte und es als Erlassgesuch bezeichnete, zumal in ihrer Begründung auch eine sinngemässe Bestreitung der Rückerstattungspflicht an sich erblickt werden kann. 
2.3 Aus prozessualen Gründen ist die noch offene Frage, ob eine drittauszahlungsberechtigte Mutter verpflichtet ist, die aufgrund einer Meldepflichtverletzung des anspruchsberechtigten Vaters ihr zu Unrecht ausbezahlten Kinderrenten der Invalidenversicherung rückzuerstatten, zunächst vom kantonalen Gericht zu entscheiden. Zu diesem Zweck ist die Sache in Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses an die Vorinstanz zurückzuweisen. Je nachdem wird das kantonale Gericht erneut über den Erlass der masslich nicht bestrittenen Rückforderung zu befinden haben, wobei es der Beurteilung die dannzumaligen finanziellen Verhältnisse von E.________ zu Grunde zu legen hat (vgl. BGE 107 V 80 Erw. 3b). 
3. 
Nach der Praxis sind Verfahren, in denen gleichzeitig Rückerstattung und Erlass der Rückforderung streitig sind, nicht kostenpflichtig. Dieser Grundsatz muss auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten. Von der Auferlegung von Gerichtskosten ist daher abzusehen. 
Da der angefochtene Entscheid aus formellen Gründen aufzuheben ist, obsiegt die Beschwerdeführerin. Sie hat daher Anspruch auf eine unter anderem nach dem Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung (Art. 159 OG in Verbindung mit Art. 135 OG, Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht und Art. 160 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. 
2. 
Der Entscheid vom 18. Februar 2002 wird aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückgewiesen, damit es über die Rückerstattungspflicht und allenfalls erneut über den Erlass der Rückforderung entscheide. 
3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
4. 
Die IV-Stelle Luzern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 1500.- zu bezahlen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern, B.________ sowie dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 10. Januar 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: