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[AZA 0] 
1P.45/2000/hzg 
 
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG 
********************************** 
 
10. Februar 2000 
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud, 
Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiber Sigg. 
 
--------- 
 
In Sachen 
B.________, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
Bezirksgericht (Strafgericht) Appenzell, Appenzell, Kriminalkommission des Kantons Appenzell Inner-Rhoden, Kantonsgericht Appenzell Inner-Rhoden, (Abteilung Zivil- und Strafgericht), 
 
betreffend 
Willkür und Art. 6 EMRK 
(Strafverfahren, Nichtgewährung 
der unentgeltlichen Rechtspflege), hat sich ergeben: 
 
A.- Das Bezirksgericht Appenzell sprach B.________ mit Urteil vom 15. November 1999 des Überschreitens der örtlich signalisierten Innerortshöchstgeschwindigkeit um 23 km/h schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 470.--. 
Ausserdem auferlegte es ihm Untersuchungs- und Gerichtskosten von insgesamt Fr. 2'403.-- sowie nachträglich auch die Motivierungskosten von Fr. 800.--. 
 
B.- Gegen dieses Urteil erhob B.________ Berufung beim Kantonsgericht Appenzell Inner-Rhoden. Dieses forderte B.________ am 15. Dezember 1999 auf, bis zum 4. Januar 2000 eine Einschreibgebühr von Fr. 600.-- einzuzahlen, unter der Androhung des Nichteintretens auf das Begehren im Säumnisfall. 
 
Am 16. Dezember 1999 reichte B.________ beim Kantonsgerichtspräsidenten ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ein. Der Präsident des Kantonsgerichts wies das Gesuch mit Präsidialbeschluss vom 20. Dezember 1999 (KE 70/99) ab. 
 
 
C.- B.________ unterliess es, die Einschreibegebühr bis zum 4. Januar 2000 zu bezahlen. Mit Präsidialentscheid vom 18. Januar 2000 (K 12/99) trat das Kantonsgericht auf die Berufung nicht ein und auferlegte B.________ die Entscheidkosten von Fr. 300.--. Den Parteien wurde ein Frist von sieben Tagen gesetzt, innert welcher sie durch einfache Erklärung einen Entscheid des Gerichtes verlangen konnten. 
D.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 25. Januar 2000 stellt B.________ folgende Anträge: 
 
"1. Der Entscheid KE 70/99 des Kantonsgerichtspräsidiums 
vom 20.12.99 sei aufzuheben. Es sei mir 
die unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren 
zu gewähren, unter voller Kosten- und Leistungsfolge 
zu meinen Gunsten. Sollte diese Anordnung 
direkt nicht möglich sein, sei der Fall 
zur Neubeurteilung zurückzuweisen, ebenfalls 
unter voller Kosten- und Leistungsfolge. 
 
2. Der Präsidialentscheid K 12/99 des Kantonsgerichtes 
sei aufzuheben und zur Neubeurteilung 
zurückzuweisen, unter voller Kosten- und Leistungsfolge 
zu meinen Gunsten. 
 
3. Auf Grund Art. 94 OG beantrage ich, als vorsorgliche 
Verfügung sei dieser staatsrechtlichen Beschwerde 
aufschiebende Wirkung für das Verfahren 
stattzugeben.. " 
 
Ebenfalls am 25. Januar 2000 stellte B.________ ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
Das Bezirksgericht Appenzell und die Kriminalkommission des Kantons Appenzell Inner-Rhoden verzichten auf Vernehmlassung. Das Kantonsgericht Appenzell Inner-Rhoden schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Nach Art. 86 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Gemäss Art. 39 Abs. 2 des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes vom 25. April 1999 (GOG; in Kraft seit dem 
26. April 1999) muss in einem Präsidialentscheid, mit welchem auf eine Eingabe nicht eingetreten wird, den Parteien eine Frist von sieben Tagen angesetzt werden, innert welcher durch einfache Erklärung ein Entscheid des Gerichtes verlangt werden kann. Der Präsident des Kantonsgerichts Appenzell hat im angefochtenen Präsidialentscheid vom 18. Januar 2000 den Parteien eine entsprechende Frist angesetzt. Dem Beschwerdeführer stand somit ein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung, um den Präsidialentscheid vom 18. Januar 2000 anzufechten. Bei diesem Entscheid handelt es sich um keinen kantonal letztinstanzlichen Entscheid im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie sich gegen den Präsidialentscheid vom 18. Januar 2000 richtet (Beschwerdeantrag 2). 
 
2.- a) Beim Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, denn gemäss Art. 55 Abs. 2 GOG entscheidet der Präsident endgültig über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. 
Aus Art. 86 Abs. 1 OG folgt demnach nicht, dass die Beschwerde unzulässig wäre, soweit damit der Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 angefochten wird. 
 
b) Nach Art. 87 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 aBV erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben Zwischenentscheide, mit denen einer Partei die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, immer einen nicht wieder gut zu machenden Nachteil zur Folge (BGE 125 I 161 E. 1, mit Hinweisen). 
Der Zulässigkeit der gegen den Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde steht deshalb in dieser Hinsicht nichts entgegen. 
c) Nach Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG wird verlangt, dass ein Beschwerdeführer ein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung seiner Beschwerde und an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides hat. Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet, und dient damit der Prozessökonomie. Das Bundesgericht prüft indessen Beschwerden trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses materiell, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können und an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und sofern diese im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich geprüft werden könnten (BGE 125 I 394 E. 4a, mit Hinweisen). 
 
 
Der Beschwerdeführer selbst behauptet, nach einer rechtskräftigen Abschreibung des Berufungsverfahrens sei die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nutzlos. Weil das Bundesgericht jedoch die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition prüft (BGE 117 Ia 2 E. 1, mit Hinweisen), ist das Bundesgericht trotz dem im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde geltenden Rügeprinzip (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) nicht an die Auffassung des Beschwerdeführers gebunden. 
 
An der Beantwortung der Frage, ob der Präsident des Kantonsgerichts gegen die Bundesverfassung verstossen habe, als er dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege verweigerte, besteht ein öffentliches Interesse. Ebenso kann sich die Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen. Der Präsident des Kantonsgerichts ist nach dem kantonalen Recht befugt, noch vor dem Ablauf der Frist für eine gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege erhobene staatsrechtliche Beschwerde auf die beim Kantonsgericht eingereichte Berufung wegen Nichtbezahlung der Einschreibegebühr nicht einzutreten. Der Präsident des Kantonsgerichts kann damit grundsätzlich in jedem Fall bewirken, dass das aktuelle praktische Interesse an der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wegfällt, bevor das Bundesgericht über die gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege erhobene staatsrechtliche Beschwerde entschieden hat. Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege kann daher im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich geprüft werden. Auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses ist daher zu verzichten. 
 
d) Wegen der vom 18. Dezember bis am 1. Januar laufenden Gerichtsferien (Art. 34 Abs. 1 lit. c OG) ist die am 25. Januar 2000 eingereichte staatsrechtliche Beschwerde auch insoweit innerhalb der 30-tägigen Beschwerdefrist (Art. 89 Abs. 1 OG) erhoben worden, als sie sich gegen den Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 richtet. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist daher soweit einzutreten, als damit der Präsidialentscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege vom 20. Dezember 1999 angefochten wird. 
 
3.- a) Nach Art. 53 Abs. 1 GOG hat eine Partei Anspruch auf Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege, wenn ihr die Mittel fehlen, um neben dem Lebensunterhalt für sich und ihre Familie die Prozesskosten aufzubringen. Der Kantonsgerichtspräsident berechnete für den Beschwerdeführer das monatliche Existenzminimum, wobei er von einem Grundbetrag von Fr. 1'460.-- ausging. Zu diesem Grundbetrag rechnete er weitere Beträge für den Hypothekarzins, Auslagen für Arzt, Arznei, Geburt usw. und für die Steuern hinzu. Das Zwischentotal erhöhte er um 10% und kam damit auf einen anrechenbaren prozessualen Zwangsbedarf von Fr. 3'748. 35. Diesen Betrag zog er vom monatlichen Nettoeinkommen des Beschwerdeführers von Fr. 3'959.-- ab. Das ergab einen monatlichen Einkommensüberschuss von Fr. 210. 65. Der Kantonsgerichtspräsident hielt dem Beschwerdeführer im angefochtenen Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 entgegen, bei einem Einkommensüberschuss von monatlich Fr. 210. 65 könne er die verlangte Einschreibegebühr von Fr. 600.-- innerhalb von drei Monaten bezahlen. Deshalb sei die Voraussetzung der Bedürftigkeit nicht erfüllt, um ihn nach Art. 54 lit. a GOG von der Leistung der Einschreibegebühr zu befreien. 
 
b) Der Beschwerdeführer rügt, es sei willkürlich, die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege damit zu begründen, er könne die Einschreibegebühr innerhalb von drei Monaten aufbringen, ihm aber für die Bezahlung eine Frist vom 15. Dezember 1999 bis zum 4. Januar 2000 anzusetzen. 
 
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Entscheid willkürlich, wenn er an einem inneren Widerspruch leidet (BGE 124 I 11 E. 7e; 121 I 240 E. 1d; je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall setzte der Kantonsgerichtspräsident dem Beschwerdeführer für die Bezahlung der Einschreibegebühr eine Frist von 20 Tagen an. Als der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ersuchte, hielt der Kantonsgerichtspräsident dem Beschwerdeführer im angefochtenen Entscheid entgegen, bei seinen Vermögensverhältnissen könne er die Einschreibegebühr innerhalb von drei Monaten bezahlen. Zugleich unterliess er es aber, eine neue Frist von mindestens drei Monaten, vom 15. Dezember 1999 an gerechnet, anzusetzen. Damit leidet der angefochtene Entscheid vom 20. Dezember 1999 an einem inneren Widerspruch. 
Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts erweist sich der Entscheid als willkürlich. Die staatsrechtliche Beschwerde ist begründet und gutzuheissen, soweit der Präsidialentscheid vom 20. Dezember 1999 angefochten ist. Dieser Entscheid ist aufzuheben. Nicht geprüft werden muss unter diesen Umständen, ob der Kantonsgerichtspräsident den Grundbetrag willkürlich auf Fr. 1'460.-- festsetzte (statt auf Fr. 1'635.--, wie der Beschwerdeführer gestützt auf eine Bescheinigung des Betreibungsamtes verlangt). Ebensowenig braucht im vorliegenden Verfahren entschieden zu werden, ob mit der Aufhebung des Präsidialentscheides vom 20. Dezember 1999 ein Grund geschaffen wird, um das mit dem Präsidialentscheid vom 18. Januar 2000 abgeschlossene Strafverfahren gemäss Art. 151 lit. c des kantonalen Gesetzes vom 27. April 1986 über die Strafprozessordnung (StPO) wieder aufzunehmen. 
 
4.- fehlt im original 
 
5.- Soweit die staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen wird, fällt das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege als gegenstandslos dahin. Indessen ist dem Beschwerdeführer insoweit die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, als auf seine staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten wird (Art. 152 Abs. 1 OG). Auf eine Gerichtsgebühr ist daher zu verzichten. Eine Parteientschädigung fällt ausser Betracht, weil sich der Beschwerdeführer nicht durch einen Anwalt vertreten liess. 
 
Mit dem Entscheid in der Sache selbst wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. 
Der Entscheid des Präsidenten des Kantonsgerichts Appenzell Inner-Rhoden vom 20. Dezember 1999 (KE 70/99) wird aufgehoben. Im Übrigen wird auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten. 
 
2.- Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksgericht (Strafgericht) Appenzell sowie der Kriminalkommission des Kantons Appenzell Inner-Rhoden und dem Kantonsgericht (Abteilung Zivil- und Strafgericht) Appenzell Inner-Rhoden schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
Lausanne, 10. Februar 2000 
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS 
Der Präsident: 
 
Der Gerichtsschreiber: