Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_220/2023
Urteil vom 10. April 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Denys,
Bundesrichterin van de Graaf,
Bundesrichterin Koch,
Bundesrichter Hurni,
Gerichtsschreiber Caprara.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Zirngast,
Beschwerdeführer,
gegen
Justizvollzug und Wiedereingliederung, Rechtsdienst der Amtsleitung, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Strafvollzug mit Electronic Monitoring; Willkür, Verhältnismässigkeitsprinzip etc.,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichter, vom 22. Dezember 2022 (VB.2022.00550).
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil vom 11. November 2021 sprach das Bezirksgericht Dietikon A.________ wegen Sachbeschädigung schuldig. Es widerrief eine vom Bezirksgericht Zürich mit Urteil vom 1. November 2019 bedingt ausgefällte Freiheitsstrafe von 12 Monaten und bestrafte ihn mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten (unter Anrechnung eines durch Haft erstandenen Tages). Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde im Umfang von 8 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf fünf Jahre festgesetzt. Im Übrigen (8 Monate, abzüglich eines Tages ausgestandener Haft) wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe angeordnet. Das Urteil vom 11. November 2021 erwuchs wie dasjenige vom 1. November 2019 unangefochten in Rechtskraft.
B.
Mit Verfügung vom 27. April 2022 wies das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) des Kantons Zürich ein Gesuch von A.________ vom 10. Februar 2022 um Bewilligung des Strafvollzugs in Form der elektronischen Überwachung (auch: Electronic Monitoring [EM]) ab und lud ihn per 10. August 2022 zum Normalvollzug vor. Dagegen erhob er bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (Justizdirektion) Rekurs. Er beantragte den Vollzug der ausgesprochenen Freiheitsstrafe in Form der elektronischen Überwachung, eventualiter in Form der Halbgefangenschaft.
Die Justizdirektion wies den Rekurs mit Verfügung vom 22. August 2022 ab, soweit sie darauf eintrat, und lud A.________ zum Normalvollzug per 23. November 2022 vor. Eine von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 22. Dezember 2022 ab.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, die Dispositiv-Ziffern I-IV der Verfügung des JuWe vom 27. April 2022 seien aufzuheben und es sei sein Gesuch vom 10. Februar 2022, den Vollzug seiner unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten gemäss Urteil des Bezirksgerichts Dietikon vom 11. November 2021 in Form der elektronischen Überwachung im Sinne von Art. 79b StGB durchzuführen, gutzuheissen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MWST) zulasten des JuWe. Er ersucht um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.
Mit Verfügung vom 15. Februar 2023 wies die Präsidentin der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das JuWe beantragt unter Verweis auf das angefochtene Urteil die Abweisung der Beschwerde und verzichtet auf weitere Ausführungen.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Abweisung seines Gesuchs um Vollzug der unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten in Form der elektronischen Überwachung. In der Hauptsache geht es um den Vollzug von Strafen, wogegen die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Für die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Beschwerde S. 3) besteht kein Raum (Art. 113 ff. BGG). Die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers ist gegeben (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde wurde frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 Abs. 1 BGG) gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG) erhoben. Darauf ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.
1.2. Anfechtungsobjekt bildet einzig das angefochtene Urteil vom 22. Dezember 2022 (Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG ). Auf ausserhalb des Streitgegenstandes liegende Anträge, Rügen und weitere Vorbringen kann daher von vornherein nicht eingetreten werden (Urteil 6B_210/2023 vom 22. März 2023 E. 3). Soweit der Beschwerdeführer die (teilweise) Aufhebung der Verfügung des JuWe vom 27. April 2022 beantragt (Beschwerde S. 2), ist darauf nicht einzutreten.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verweigerung des Vollzugs der Freiheitsstrafe von 8 Monaten in Form der elektronischen Überwachung mit der Begründung, dass die verhängte Gesamtstrafe 16 Monate betrage, verletze Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB. Zum einen widerspreche diese Begründung dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung. Zum anderen seien die für eine unterschiedliche Bemessung der maximalen Strafdauer bei Halbgefangenschaft und elektronischer Überwachung geltend gemachten Gründe nicht stichhaltig. Es sei zudem in spezialpräventiver Hinsicht nicht nachvollziehbar, weshalb jemand, der unter Verweigerung einer günstigen Prognose zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden sei, zum Vollzug mittels elektronischer Überwachung zuzulassen sei, während er [der Beschwerdeführer], der bei einer teilbedingten Freiheitsstrafe 8 Monate zu vollziehen habe, davon ausgeschlossen sein solle. Sinn und Zweck von Art. 79b StGB könne nur sein, den Vollzug einer Freiheitsstrafe bis zu 12 Monaten mittels elektronischer Überwachung zuzulassen, unabhängig davon, ob und mit welcher Dauer zusätzlich eine Freiheitsstrafe bedingt ausgefällt worden sei. Die Weigerung des elektronisch überwachten Vollzugs sei vorliegend unverhältnismässig. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, das Bundesgericht habe seit Inkraftsetzung von Art. 79b StGB am 1. Januar 2018 auf seine bisherige Praxis zwar verwiesen, diese aber noch nicht ausdrücklich bestätigt.
2.2. Das Bundesgericht (die seit dem 1. Juli 2023 in diesem Bereich zuständige II. strafrechtliche Abteilung; vgl. Art. 35a lit. a BGerR [SR 173.110.131]) hat sich vor kurzem im zur amtlichen Publikation bestimmten Urteil 7B_261/2023 vom 18. März 2024 mit der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu den kantonalen Modellversuchen befasst. Diese stellte bei teilbedingten Strafen für die Bemessung der Maximalstrafe von 12 Monaten bei der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) auf die ausgesprochene Gesamtstrafe ab (E. 2.2.2-2.2.4), während bei der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) der unbedingte Teil der ausgesprochenen Freiheitsstrafe als massgebend erachtet wurde (E. 2.2.5). Unter Berücksichtigung der Kritik in der Lehre (E. 2.2.6 f.) und nach Analyse der Begründung der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis (E. 2.3.5 f.) ist das Bundesgericht bei der Auslegung der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung von Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB (E. 2.3.2-2.3.4, E. 2.3.7-2.3.12) zum Ergebnis gekommen, dass ernsthafte und sachliche Gründe vorliegen, die im Sinne einer Änderung der Rechtsprechung für eine gleiche Bemessung der zeitlichen Höchststrafe von 12 Monaten bei den besonderen Vollzugsformen der Halbgefangenschaft und der elektronischen Überwachung sprechen. Demnach ist bei teilbedingten Freiheitsstrafen (Art. 43 StGB) für die Bemessung der Maximalstrafe von 12 Monaten Freiheitsstrafe sowohl bei der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) als auch bei der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) der unbedingt vollziehbare Teil der ausgesprochenen Strafe massgebend (E. 2.4).
2.3. Der Spruchkörper im vorliegenden Verfahren wurde bereits vor der Aufnahme der Tätigkeit der II. strafrechtlichen Abteilung am 1. Juli 2023 zusammengesetzt. Zur Beantwortung der hier zur Diskussion stehenden Rechtsfrage wird auf das zitierte bundesgerichtliche Urteil verwiesen.
2.4. Vorliegend wurde der Beschwerdeführer zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von insgesamt 16 Monaten verurteilt, wovon 8 Monate als unbedingt vollziehbar erklärt wurden (vgl. Sachverhalt A). Folglich erfüllt er die zeitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des elektronisch überwachten Vollzugs nach Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB. Entsprechend erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Vorinstanz wird nach der Rückweisung prüfen müssen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der besonderen Vollzugsform der elektronischen Überwachung nach Art. 79b Abs. 2 StGB erfüllt sind.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 2022 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kanton Zürich trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat jedoch dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 2022 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. April 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Caprara