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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 120/06 
 
Urteil vom 10. Mai 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Schön, Frésard, 
Gerichtsschreiber Hadorn. 
 
Parteien 
S.________, 1970, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch ihre Beiständin E.________ 
und diese vertreten durch den Rechtsdienst 
Integration Handicap, Schützenweg 10, 
3014 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 
23. Dezember 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
S.________ (geb. 1970) erhielt mit Verfügung der IV-Stelle Bern vom 20. Januar 1999 ab 1. Februar 1998 auf Grund eines Invaliditätsgrades von 69 % eine ganze IV-Rente zugesprochen. Diese wurde mehrmals bestätigt. Am 7. August 2003 gebar S.________ ein Kind, worauf die IV-Stelle eine Revision vornahm und davon ausging, dass die Versicherte als gesunde Mutter nunmehr zu 100 % als Hausfrau tätig sein würde. Gestützt auf eine Haushaltsabklärung, bei welcher sich eine Einschränkung von 33 % ergab, hob die IV-Stelle die Rente mit Verfügung vom 14. Januar 2005 auf Ende Februar 2005 auf. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. Juli 2005 fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. Dezember 2005 ab. 
C. 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei ihr über den Februar 2005 hinaus weiterhin eine ganze IV-Rente auszurichten. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz 75). Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Gerichtsentscheid am 23. Dezember 2005 und somit vor dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in Kraft gewesenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 1. Juli 2006 bereits hängig war, sind auch die auf diesen Zeitpunkt in Kraft getretenen, für Streitigkeiten um Leistungen der Invalidenversicherung geltenden Anpassungen von Art. 132 und Art. 134 OG gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderungen des IVG nicht anwendbar. Die Beurteilung hat daher mit voller Kognition zu erfolgen, und das Verfahren ist kostenfrei (Art. 132 und Art. 134 OG je in der massgebenden, bis 30. Juni 2006 in Kraft gewesenen Fassung). 
3. 
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften über die Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art. 88a und Art. 29ter IVV) und die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 130 V 343 E. 3.5 f. S. 349 f.), insbesondere zur zeitlichen Vergleichsbasis (BGE 125 V 368 E. 2 S. 369) und zur Frage der anwendbaren Bemessungsmethode (BGE 125 V 146 E. 2c S. 150) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
4. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin über den 1. März 2005 hinaus weiterhin einen Rentenanspruch hat. Dabei geht es einerseits um die Frage, ob die Versicherte als Erwerbstätige oder als Hausfrau einzustufen ist, anderseits darum, ob im zweiten Fall ihr Invaliditätsgrad zu niedrig bemessen wurde. 
4.1 Gemäss den Akten arbeitete die Beschwerdeführerin von 1995 bis 1996 in der Firma X.________ als Hilfsköchin, von 1998 bis Ende 2001 als Hauswirtschaftsmitarbeiterin im Therapiezentrum M._______, danach von März bis November 2002 im Heim A.________ und zuletzt im Hotel L.________. Diese Anstellung war gemäss Auskunft des Arbeitgebers auf den 23. März 2003 befristet. Im April 2003 heiratete sie und brachte im August 2003 einen Sohn zur Welt. Bei einer Haushaltsabklärung gab sie an, dass sie sich auch bei guter Gesundheit nicht vorstellen könne, zur Zeit einer ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine Erwerbsaufnahme käme für sie erst in Frage, wenn der Sohn in den Kindergarten gehe. 
4.2 Während die IV-Stelle und die Vorinstanz auf Grund dieser Aussagen davon ausgingen, dass die Versicherte jetzt nur noch als Hausfrau tätig wäre, lässt die Beschwerdeführerin geltend machen, sie habe ihre Angaben in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse gemacht. In Wirklichkeit sei sie wegen ihrer gesundheitlichen Probleme bereits mit der Erziehung des Sohnes überfordert, weshalb eine Erwerbstätigkeit nicht in Betracht komme. Als Gesunde hingegen würde sie mindestens halbtags arbeiten, zumal ihr Ehemann keine Einkünfte erziele. 
4.3 An Hand der Akten steht fest, dass die Beschwerdeführerin trotz ihrer gesundheitlichen Probleme stets versucht hat, die verbliebene Restarbeitsfähigkeit zu verwerten. Sie konnte denn auch immer wieder arbeiten, obwohl sie eine ganze IV-Rente bezog. Die beiden letzten Stellen im Heim A.________ und im Hotel L.________ verlor sie aus invaliditätsfremden Gründen, wobei die Schwangerschaft ebenfalls keine Rolle gespielt hat. 
Massgeblich sind im Weiteren die prekären finanziellen Verhältnisse in der Familie, insbesondere die fehlenden Einkommen des Ehemannes. War die Versicherte schon als Bezügerin einer ganzen IV-Rente, also mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, jeweils erwerbstätig, ist anzunehmen, dass sie als vollständig Gesunde trotz des Kindes umso mehr halbtags arbeiten würde. Einerseits drängt sie die finanzielle Situation der Familie dazu; anderseits kann sich der arbeitslose Ehemann trotz der unterschiedlichen Auffassung über Erziehungsfragen durchaus um den Sohn kümmern. Die Aussage der Versicherten im Fragebogen zur Haushaltsabklärung, wonach sie nicht arbeiten gehe, bis ihr Sohn im Kindergartenalter stehen werde, ist in diesem Kontext zu sehen. Die Beschwerdeführerin ist mit der Erziehung des Sohnes überfordert, weshalb sie sich nachvollziehbarerweise nicht vorstellen kann, auch noch zu arbeiten. Es ist deshalb entgegen Verwaltung und Vorinstanz anzunehmen, dass die Versicherte als vollständig gesunde Person noch halbtags arbeiten würde. 
4.4 Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin hingegen insoweit, als sie geltend macht, im Erwerbsbereich zu 100 % invalid zu sein. Einen derart hohen Invaliditätsgrad wies sie nie auf. Vielmehr war sie seit längerem zu 69 % invalid geschrieben. Gemäss den übereinstimmenden Angaben des Dr. med. B.________, Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin FMH, im Bericht vom 1. April 2004 sowie des Psychiatriestützpunktes Y.________ vom 8. Juli 2004 ist der Gesundheitszustand stationär geblieben. Es kann daher von einem fortbestehenden Invaliditätsgrad von 69 % im Erwerbsbereich ausgegangen werden. Bei einem Anteil von 50 % am Gesamtinvaliditätsgrad ist demnach ein Wert von 34,5 % in die Berechnung einzubeziehen. 
4.5 Im Bereich Haushalt hat die IV-Stelle einen Invaliditätsgrad von 33 % ermittelt. Nachdem die Beschwerdeführerin hiegegen Einwendungen erhoben hatte, liess die Verwaltung bei den Psychiatrischen Diensten Z.________ einen Bericht vom 23. Juni 2005 einholen. Dieser kommt zum Schluss, dass weder die Feststellungen noch die Anrechnungsfaktoren grundsätzlich anzufechten seien. Sie seien bloss für psychisch Kranke nicht unbedingt geeignet. Zu den besonders umstrittenen Bereichen Haushaltsführung, Ernährung und Kinderbetreuung äussern sich die Dienste dahin, dass die Haushaltsführung mehr als 5 % einnehmen müsste, da die Patientin ihre Planung wegen ihrer Störungen dauernd ändere oder sich nicht daran halte. Bei der Ernährung beständen nur wenige Einschränkungen, habe die Beschwerdeführerin doch diese Arbeiten gelernt. Hingegen nehme die Betreuung des Sohnes mindestens 50 % und nicht nur 20 % der Aufgaben ein. 
4.6 Auf Grund dieser Angaben kann insgesamt am Abklärungsbericht der Verwaltung festgehalten werden. Der Bereich Planung ist mit 5 % Gewichtung auf dem Maximum dessen angesetzt, was der Ermessensspielraum (2-5 %) zulässt. Im Bereich Ernährung drängt sich keine Änderung auf. Bei der Kinderbetreuung ist zu beachten, dass die Gewichtung gemäss Fragebogen höchstens 30 % und nicht, wie von den Psychiatrischen Diensten vorgeschlagen, 50 % betragen kann. Daran ist aus Gründen der Gleichbehandlung festzuhalten. Die Behinderung in diesem Bereich wurde mit 70 % gewichtet, obwohl einerseits der Ehemann, anderseits eine Familienbegleiterin die Versicherte entlasten. Ausserdem schlug die Abklärungsperson vor, einen Krippenplatz zu suchen, was weitere Erleichterung bringen werde. Somit liesse sich der Anteil der Kinderbetreuung höchstens unwesentlich erhöhen. Es braucht indessen keine genaue Zahl ermittelt zu werden. Denn bei einem Anteil des Erwerbsbereichs am Gesamtinvaliditätsgrad von 34,5 % und einem hälftigen Haushaltsanteil von 16,5 % (33 % ./. 2 = 16,5 %) ergibt sich ein Gesamtinvaliditätsgrad von 51 % und somit Anspruch auf eine halbe Rente. Daran würde auch die maximal mögliche höhere Einschätzung im Bereich Kinderführung (70 % Behinderung bei 30 % Gewichtung) nichts ändern. Der Teilinvaliditätsgrad bei 100 % Hausfrauenarbeit würde sich von 14 % auf 21 %, also um 7 % erhöhen, wobei nur die Hälfte in den Gesamtinvaliditätsgrad einfliessen würde. Dieser käme damit auf maximal 54,5 % zu stehen, was ebenfalls einen Anspruch auf eine halbe Rente ergibt. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 23. Dezember 2005 und der Einspracheentscheid vom 18. Juli 2005 aufgehoben werden und festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin ab 1. März 2005 noch Anspruch auf eine halbe IV-Rente hat. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Entschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse X.________ und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 10. Mai 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
i.V.