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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5P.166/2005 /bnm 
 
Urteil vom 10. Juni 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges, 
 
gegen 
 
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung V, Unterstrasse 28, 
9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
fürsorgerische Freiheitsentziehung, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Zirkulationsentscheid der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung V, vom 14. April 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ leidet seit dem 13. Lebensjahr an einer psychischen Erkrankung, die zahlreiche Klinikaufenthalte notwendig machte. Er konsumiert zudem regelmässig verschiedene Drogen. 
B. 
Nachdem er in der Nacht auf den 12. Juli 2004 seine Lebenspartnerin mit einem Messer angegriffen und erheblich verletzt hatte, wurde er mangels Hafterstehungsfähigkeit in die kantonale psychiatrische Klinik A.________ eingewiesen. Mit Verfügung vom 12. Juli 2004 ordnete der beigezogene Bezirksarzt die Rückbehaltung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung an. Eine dagegen erhobene Klage zog X.________ anlässlich der mündlichen Verhandlung vor der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen zurück. 
 
Am 25. August 2004 stellte der Rechtsanwalt von X.________ ein Entlassungsgesuch, das von der Klinikleitung am 27. August 2004 abgewiesen wurde. Die hiergegen erhobene Klage wies die Verwaltungsrekurskommission mit Entscheid vom 9. September 2004 ab. 
C. 
Mit Schreiben vom 15. November 2004 liess X.________ durch seinen Rechtsanwalt erneut ein Entlassungsgesuch stellen, welches die Klinikleitung mit Verfügung vom 19. November 2004 abwies. Dagegen erhob X.________ am 22. November 2004 Klage bei der Verwaltungsrekurskommission, was mit Eingabe seines Rechtsanwalts vom 25. November 2004 bekräftigt wurde. Mit Entscheid vom 1. Dezember 2004 wies die Verwaltungsrekurskommission die Klage ab. 
D. 
Am 17. März 2004 stellte der Rechtsanwalt von X.________ ein weiteres Entlassungsgesuch, das nicht näher begründet wurde. In Beantwortung dieses Gesuchs führte die stellvertretende Chefärztin der Klinik A.________ mit Schreiben vom 21. März 2005 aus, X.________ könne zur Zeit nicht entlassen werden. Das Schreiben war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen und eine eingehendere Begründung wurde "in den nächsten Tagen" in Aussicht gestellt. 
 
Mit Eingaben vom 22. März 2005 beantragten sowohl X.________ als auch dessen Rechtsanwalt bei der Verwaltungsrekurskommission klageweise die Aufhebung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. 
Eine Rückfrage bei der stellvertretenden Chefärztin der Klinik A.________ ergab, dass das Schreiben vom 21. März 2005 als Nichteintretensverfügung zu verstehen sei. Mit ergänzendem Schreiben vom 23. März 2005 hielt die Klinik ausdrücklich fest, dass auf das Entlassungsgesuch nicht eingetreten werde. 
 
Mit Eingabe vom 30. März 2005 nahm der Vertreter von X.________ zur Eintretensfrage Stellung und beantragte sinngemäss, die Klinik habe auf das Entlassungsgesuch einzutreten. 
 
Mit Entscheid vom 14. April 2005 wies die Verwaltungsrekurskommission die Klage vom 22. März 2005 ab, soweit sie darauf eintrat. 
E. 
Gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission hat der Rechtsanwalt von X.________ am 11. Mai 2005 sowohl Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit Letzterer verlangt er die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Aus Art. 397a Abs. 3 i.V.m. Art. 397d Abs. 2 und Art. 397e Ziff. 2 ZGB hat die Lehre abgeleitet, dass die Person, welche im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung in eine Anstalt eingewiesen worden ist, grundsätzlich jederzeit ein Gesuch um Entlassung stellen kann (statt vieler: Deschenaux/Steiner, Personnes physiques et tutelle, 4. Aufl., Bern 2001, Rz. 1192 und 1210); dasselbe ergibt sich aus der Botschaft zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung (vgl. BBl 1977 III 38) und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 130 III 729). Der Begriff der Jederzeitigkeit ist demnach bundesrechtlicher Natur, und aus ihm folgt, dass das Rechtsschutzinteresse per se gegeben ist und die Veränderung der Verhältnisse - unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausführungen - keine materielle Voraussetzung für das (erneute) Einreichen eines Entlassungsgesuches darstellt. 
 
Indes steht das Recht, jederzeit die Entlassung zu verlangen, wie jede Rechtsausübung unter dem Vorbehalt des Vertrauensgrundsatzes und des Rechtsmissbrauchsverbots sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben. Diese Maximen sind Teil des kantonalen Prozessrechts, welches grundsätzlich das Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ordnet (vgl. Art. 397e ZGB), obgleich sich der materielle Anspruch, der im kantonalen Verfahren beurteilt wird, aus dem Bundesprivatrecht ergibt; die Verletzung der genannten Maximen kann deshalb nicht mit Berufung gerügt werden (vgl. BGE 111 II 62 E. 3 S. 66 f.; 119 II 89 E. 2c S. 92; 125 III 346, nicht publ. E. 2b). Entsprechend hat das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde entschieden, dass das Recht, jederzeit ein Entlassungsgesuch zu stellen und den gesuchsabweisenden Entscheid gerichtlich beurteilen zu lassen, durch den Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben eingeschränkt werde und deshalb auf Entlassungsgesuche, die in unvernünftigen Abständen gestellt werden, nicht einzutreten sei (BGE 130 III 729). Auf ein unmittelbar oder kurz nach einem abweisenden Entscheid erneut gestelltes Entlassungsgesuch wäre immerhin dann einzutreten, wenn die betroffene Person - was normalerweise keine Eintretensvoraussetzung ist - veränderte Verhältnisse nachweist, die eine Entlassung rechtfertigen. 
 
Nach dem Gesagten ist die Auslegung des bundesrechtlichen Begriffs der jederzeitigen Entlassung berufungsfähig (Art. 43 Abs. 1 OG), während die Rüge, die letzte kantonale Instanz sei zu Unrecht von einer treuwidrigen bzw. querulatorischen Rechtsausübung ausgegangen, mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen ist (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). 
2. 
Der Beschwerdeführer behauptet zunächst eine Verletzung seines Anspruchs auf richterliche Überprüfung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung und ruft in diesem Zusammenhang Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK an. Indes führt er entgegen der aus Art. 90 Abs. 1 lit. b OG fliessenden Rügepflicht nicht aus, inwiefern diese Bestimmungen über diejenigen des Bundesrechts (insbesondere Art. 397d ZGB, ferner auch Art. 397e und Art. 397f ZGB), welche die genannten verfassungs- bzw. konventionsrechtlichen Normen konkretisieren, hinausgehen. Die Verletzung der bundesrechtlichen Bestimmungen ist jedoch mit Berufung geltend zu machen (Art. 43 Abs. 1 OG), weshalb auf die zum Rechtsmittel der Berufung subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist (Art. 84 Abs. 2 OG). 
3. 
Sodann wirft der Beschwerdeführer der Vorinstanz eine Verletzung des Willkürverbots bzw. des Grundsatzes von Treu und Glauben vor (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV). Das Schreiben der Klinik vom 21. März 2005 habe als Verfügung verstanden werden dürfen, und zwar als Abweisungs-, nicht als Nichteintretensverfügung, habe sie doch auf Zurückbehaltung des Beschwerdeführers gelautet und sei demnach materiell argumentiert worden. Er habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass die Verwaltungsrekurskommission ihn anhöre und in der Sache urteile; die nachträgliche Umdeutung des Schreibens vom 21. März 2005 in einen Nichteintretensentscheid sei treuwidrig. 
 
Hinsichtlich der Frage, ob das Schreiben der Klinik vom 21. März 2005 unzulässigerweise in einen Nichteintretensentscheid umgedeutet worden ist, zeigt der Beschwerdeführer entgegen seiner Rügepflicht gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht auf, welche Verfahrensbestimmungen willkürlich angewandt worden sein sollen. Auf die betreffende Rüge kann aber auch deshalb nicht eingetreten werden, weil sie erstmals vor Bundesgericht erhoben worden ist und neue tatsächliche oder rechtliche Vorbringen im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde grundsätzlich unzulässig sind (BGE 118 Ia 20 E. 5a S. 26; 127 I 145 E. 5c/aa S. 160). Eine Ausnahme von diesem Novenverbot besteht dann, wenn erst der angefochtene Entscheid zu den neuen Vorbringen Anlass gibt (BGE 99 Ia 113 E. 4a S. 122), was vorliegend aber nicht zutrifft: Der Beschwerdeführer hätte die betreffende Rüge ohne weiteres bereits im vorinstanzlichen Verfahren einbringen können, war er doch von der Anstaltsleitung am 23. März 2005 darüber orientiert worden, dass das Schreiben vom 21. März 2005 als Nichteintretensentscheid zu verstehen sei, und war er von der Verwaltungsrekurskommission gleichentags dazu aufgefordert worden, zur Eintretensfrage Stellung zu nehmen. Dabei kritisierte er zwar, dass auf das Gesuch nicht eingetreten worden sei, rügte aber mit keinem Wort, die Klinik habe eine zunächst erfolgte Gesuchsabweisung im Nachhinein in einen Nichteintretensentscheid abgeändert. 
 
Bei der anderen Frage, ob die Vorinstanz mit ihrem Nichteintretensentscheid den Anspruch des Beschwerdeführers auf materielle Beurteilung seines Entlassungsgesuchs verletzt hat, ist das Rechtsschutzinteresse an der Behandlung des Gesuchs angesprochen. Zwar regelt das ZGB die Entlassung bzw. deren Modalitäten nicht eigens, sondern erwähnt sie lediglich im Zusammenhang mit der Zuständigkeit der Anstalt (Art. 397b Abs. 3 ZGB) und dem Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der Abweisung eines Entlassungsgesuchs (Art. 397d Abs. 2 ZGB). Der gesetzlichen Regelung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ist indessen immanent, dass Eingewiesene - unter Vorbehalt der genannten Ausnahmen (dazu E. 1) - grundsätzlich jederzeit die Entlassung verlangen können und insoweit auch ein entsprechendes Rechtsschutzinteresse an der materiellen Behandlung des betreffenden Gesuchs besteht. Weil jedoch das Vorhandensein und die Tragweite dieses Interesses für Ansprüche, die im Bundesrecht begründet sind, eine Frage des Bundesrechts ist (vgl. BGE 110 II 352 E. 1b S. 355; 116 II 196 E. 1a S. 198; 119 III 113 E. 3b/aa S. 116; Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Aufl., Bern 2001, Kap. 2 N. 31 und 38 sowie Kap. 7 N. 12) und dessen Verletzung mit Berufung vorzutragen ist (Art. 43 Abs. 1 OG), kann auch in diesem Punkt auf die im Verhältnis zum Rechtsmittel der Berufung subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden (Art. 84 Abs. 2 OG). 
4. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, muss sie als von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG) und dem Beschwerdeführer eine (zufolge Nichteintretens reduzierte) Gerichtsgebühr aufzuerlegen ist (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung V, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. Juni 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: