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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.115/2004 
6S.297/2004 /bri 
 
Urteil vom 10. Dezember 2004 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Heimgartner. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Werner Bodenmann, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld, 
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld. 
 
Gegenstand 
6P.115/2004 
Art. 8, 9 und 29 Abs. 2 BV (Strafverfahren; rechtliches Gehör, Willkür, Verletzung des Gebotes der Rechts-gleichheit) 
 
6S.297/2004 
Strafzumessung Art. 63 StGB (mehrfache schwere Widerhandlung gegen das BetmG), 
 
staatsrechtliche Beschwerde (6P.115/2004) und Nichtig-keitsbeschwerde (6S.297/2004) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Januar 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Anfangs 2001 teilte die Kantonspolizei Aargau der Kantonspolizei Thurgau mit, zwei vermutlich im Raum Mittelthurgau wohnhafte Per-sonen seien bei Telefonüberwachungen erfasst worden. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie Handel mit Heroin betreiben würden. Gleiche Hinweise lieferten auch die Kantonspolizei Solothurn und die Stadtpolizei Bern. Das kantonale Untersuchungsrichteramt Thurgau liess darauf den Fernmeldeverkehr der entsprechenden Telefonan-schlüsse überwachen. Der Verdacht erhärtete sich, und in der Folge wurde die Untersuchung auf zwei weitere Personen ausgedehnt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau erhob am 15. Januar 2003 gegen X.________ und die übrigen Beteiligten unter anderem Anklage wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz als mehrfach schweren Fall und mehrfacher Geldwäscherei. 
B. 
Auf Berufung hin verurteilte das Obergericht des Kantons Thurgau X.________ am 22. Januar 2004 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 und 2 lit. a-c BetmG) und mehrfacher Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 1 StGB) zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren. 
C. 
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. 
 
Das Obergericht des Kantons Thurgau beantragt in seinen Gegen-bemerkungen die Abweisung der Beschwerden. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Eine staatsrechtliche Beschwerde ist zu begründen. Gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift die wesentlichen Tat-sachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Der Beschwerdeführer hat darzulegen, wel-ches verfassungsmässige Individualrecht seiner Ansicht nach verletzt worden ist; auf nicht substantiierte Rügen und auf bloss allgemein gehaltene, rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 125 I 492 E. 1a/cc mit Hinweisen). 
2. 
2.1 Das Obergericht lehnte den Antrag des Beschwerdeführers ab, wonach sämtliche Befragungsprotokolle, namentlich diejenigen betref-fend Y.________, beizuziehen seien. Zur Begründung führte es aus, die vorhandenen Akten, insbesondere die Aussagen des Beschwerde-führers, stellten eine rechtsgenügliche Grundlage für eine Verurteilung dar. Im Übrigen seien sämtliche Aktenstücke, welche relevant seien, beigezogen worden. 
2.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und Art. 9 BV. Zur Begründung bringt er vor, das Obergericht habe einerseits auf den Beizug der Befragungsprotokolle von Y.________ verzichtet und andererseits den massgebenden Sachverhalt hin-sichtlich der Organisationsstruktur offensichtlich falsch festgestellt. Es sei damit zu Unrecht davon ausgegangen, dass er eine führende Rolle innerhalb des Gesamtgefüges der Organisation innegehabt habe. 
2.3 Gemäss dem in Art. 29 Abs. 2 BV beziehungsweise Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör hat der Betroffene das Recht, sich vor dem Erlass eines in seine Rechtsstellung eingrei-fenden Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen ge-hört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen). Das Beweisverfahren kann jedoch ge-schlossen werden, wenn die gestellten Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen oder offensichtlich untauglich sind oder wenn der Richter, ohne dabei geradezu in Willkür zu verfallen, annehmen darf, die verlangten zusätzlichen Beweisvorkehren würden am relevanten Beweisergebnis voraussichtlich nichts mehr ändern (so genannte antizipierte oder vorweggenommene Beweiswürdigung, vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/cc mit Hinweisen). 
2.4 Auf die Beschwerde kann nicht eingetreten werden, soweit die Kritik des Beschwerdeführers appellatorischer Natur ist, und er im Rahmen pauschaler Vorbringen lediglich seine Sicht der Dinge der-jenigen der letzten kantonalen Instanz gegenüberstellt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn er es als "kaum nachvollziehbar" bezeichnet, wieso sich ein Mitglied der Führungscrew einer Gruppe überwiegend im Streckmittelhandel betätige, wenn er als "Boss" der Gruppe quasi "gefahrlos" im Hintergrund Drogengeschäfte abwickeln könne. Dasselbe gilt für das Vorbringen, es sei "absolut unwahr-scheinlich, dass ein Mitglied der Führungscrew Drogen bei sich zu Hause bunkere". 
2.5 Das Obergericht stützte sich hinsichtlich der Funktion des Be-schwerdeführers darauf ab, dass er sich selber als "Chef" bezeichnet hatte. So habe er auch anlässlich der Verhandlung vor Obergericht ausgeführt, dass er sicherlich keine untergeordnete Rolle einge-nommen habe. Zudem sei er auch von Mittätern mit "Chef" um-schrieben worden. Das Obergericht stützte sich somit nicht nur auf seine Äusserungen, sondern auch auf die Aussagen anderer Betei-ligter. Weiter zog es in Betracht, dass der Beschwerdeführer in der Regel über die Geschäfte informiert war. 
2.6 Unter diesen Umständen erscheint die Folgerung, der Be-schwerdeführer habe zur Führung der Gruppe gehört, nicht unhaltbar. Auch die Feststellung, der Beschwerdeführer habe Aufträge erteilt, die einzelnen Geschäfte organisiert, und über ihn seien auch die finan-ziellen Transaktionen gelaufen, stellen - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - keinen Widerspruch zu dieser Schlussfolgerung dar. Die Führungsrolle einer Bande lässt sich ohne Weiteres mit den genannten ausführenden Tätigkeiten vereinbaren. Daraus ergibt sich, dass das Obergericht keine weiteren Beweise mehr erheben musste, um die Stellung des Beschwerdeführers innerhalb der Gruppe festzustellen. Die Rüge des Beschwerdeführers ist somit in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
3. 
Der Beschwerdeführer macht einen Verstoss gegen das aus Art. 8 BV fliessende Gebot der Rechtsgleichheit geltend, weil das Obergericht ihn ohne ersichtlichen Grund viel härter als die Mitangeklagten bestraft habe. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Eine unzulässige Ungleich-behandlung ist in aller Regel nur durch Verletzung der in Art. 63 StGB festgesetzten Grundsätze möglich und deshalb - von hier nicht gege-benen Ausnahmen abgesehen - mit der Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen (BGE 116 IV 92 zu Art. 4 aBV; Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997 Art. 63 N 25; Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003, Art. 63 N 161). 
4. 
Zusammenfassend ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
5. 
Der Beschwerdeführer macht in verschiedener Hinsicht eine Ver-letzung von Art. 63 StGB geltend. Zunächst bringt er vor, es sei nicht klar, welche Drogenmenge die Vorinstanz als massgebend erachte. In den Ausführungen zum Schuldpunkt werde ausgeführt, es sei von einem Handel mit 7,52 kg reinem Heroin auszugehen. Bei der Strafzu-messung sei demgegenüber von einer Menge von 3,5 bis maximal 8,5 kg reinem Heroin die Rede. 
5.1 Die Vorinstanz stellte auf die Aussagen des Beschwerdeführers anlässlich der Berufungsverhandlung ab, wonach die Menge Heroin zwischen 3,5 bis maximal 8,5 kg betragen habe. Die Vorinstanz ging in der Folge bei der Strafzumessung zugunsten des Beschwerdeführers von einer Menge von 3.5 kg aus, wobei sie allerdings zu seinen Lasten berücksichtigte, dass er - insbesondere durch die Rücknahme nach Diesel riechenden Stoffes - mehrfach mit dem Heroin gehandelt hat. Aus diesem Grund stehen die angenommenen 3,5 kg reinen Heroins nicht in einem Widerspruch zu den - unter Berücksichtigung des mehrfachen Handels - errechneten 7,52 kg. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet. 
6. 
Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Heroinlieferungen, welche er wegen Dieselgeruchs zurücknehmen musste, bei der Bestimmung der relevanten Drogenmenge nicht zu berücksichtigen seien, nachdem ohnehin zweifelsfrei feststehe, dass ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 BetmG gegeben sei. 
Die Vorinstanz ging davon aus, dass die wiederholt zurück-genommenen und wieder in Umlauf gebrachten Heroinlieferungen mit Dieselgeruch hinsichtlich der massgebenden Menge grundsätzlich zu berücksichtigen seien. 
Der Auffassung des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden. Die verschiedenen zurückgenommenen Heroinlieferungen mit Diesel-geruch hatte die Vorinstanz deshalb bei der Berechnung der Menge und damit auch bei der Strafzumessung je einzeln zu berücksichtigen, weil der Beschwerdeführer damit jedes Mal eine Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. BetmG beging. 
7. 
Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz habe die wegen Dieselgeruchs zurückgenommenen Heroinlieferungen nicht nur bei der Berechnung der Menge, sondern auch bei der Beurteilung seiner kriminellen Energie und damit doppelt berücksichtigt. 
7.1 Das sog. Doppelverwertungsverbot besagt, dass Umstände, die zur Anwendung eines höheren bzw. tieferen Strafrahmens führen, innerhalb des geänderten Strafrahmens nicht noch einmal als Straf-erhöhungs- oder Strafminderungsgrund berücksichtigt werden dürfen. Ansonsten würde dem Täter der gleiche Umstand zweimal zur Last gelegt oder zugute gehalten. Indes darf der Richter zusätzlich berücksichtigen, in welchem Ausmass ein qualifizierender oder privi-legierender Tatumstand gegeben ist. Der Richter verfeinert damit nur die Wertung, die der Gesetzgeber mit der Festsetzung des Straf-rahmens vorgezeichnet hat (Urteil 6P.90/2004 vom 5. November 2004, E. 5.2 mit Hinweisen; Wiprächtiger, a.a.O., Art. 63 N 57). 
7.2 Die Vorinstanz führte aus, der Beschwerdeführer habe hinsichtlich der anerkannten Menge von 3,5 kg reinem Heroin eine besonders intensive bzw. kriminelle Energie entwickelt, weil er sich nicht mit der Einfuhr oder Lagerung oder Weitergabe begnügt, sondern den gesam-ten Handel organisiert und überwacht habe. Unabhängig von der gehandelten Drogenmenge ist das Verschulden je nach Organi-sations- und Überwachungsgrad, welches im zu beurteilenden Fall in hohem Masse gegeben war, verschieden zu gewichten. Eine Doppel-verwertung ist somit nicht ersichtlich, was zur Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde auch in diesem Punkt führt. 
8. 
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Begrün-dungspflicht. Die Vorinstanz führe zwar die einzelnen Tat- und Täter-komponenten auf, gehe jedoch nicht weiter darauf ein, wie oder in welchem Ausmass sie die einzelnen Umstände gewichtet habe. Dies betreffe insbesondere seine Geständnisbereitschaft und seine Funk-tion innerhalb des Gefüges. 
 
Die Vorinstanz hat die Strafzumessung sorgfältig vorgenommen und die wesentlichen schuldrelevanten Tat- und Täterkomponenten so ausführlich erörtert, dass festgestellt werden kann, ob alle rechtlich massgebenden Gesichtspunkte berücksichtigt und wie sie gewichtet wurden. Sie hat zutreffend die Geständnisbereitschaft des Be-schwerdeführers bloss relativierend berücksichtigt. Entgegen seiner Auffassung ist der Strafrichter nicht verpflichtet, im Urteil in Prozenten anzugeben, inwieweit er die relevanten Kriterien berücksichtigt hat (Wiprächtiger, a.a.O., Art. 63 N 147). Im Übrigen mass sie der Funktion des Beschwerdeführers innerhalb des Gefüges bei der Strafzu-messung zu Recht erhebliche Bedeutung zu. Die Rüge der Verletzung von Art. 63 StGB erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. 
III. Kosten 
9. 
Entsprechend diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerde-führer in beiden Verfahren die Kosten vor Bundesgericht zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf ein-zutreten ist. 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf ein-zutreten ist. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 4'000.-- wird dem Be-schwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und dem Obergericht des Kantons Thurgau schrift-lich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. Dezember 2004 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: