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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_555/2008/don 
 
Urteil vom 10. Dezember 2008 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, 
nebenamtlicher Bundesrichter Riemer, 
Gerichtsschreiber Gysel. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwältin Birgit Biedermann, 
 
gegen 
 
Obergericht des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als Rekursinstanz). 
 
Gegenstand 
Konkursamtliche Liquidation einer Erbschaft, 
 
Beschwerde in Zivilsachen gegen den Entscheid vom 15. Juli 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Am 12. März 2008 ordnete der Amtsgerichtspräsident von B.________ im Sinne von Art. 193 Abs. 1 und 2 SchKG an, dass gestützt auf Art. 573 Abs. 1 ZGB (Ausschlagung durch alle nächsten gesetzlichen Erben) die Erbschaft der am 24. November 2007 verstorbenen C.________ (im summarischen Verfahren) konkursamtlich liquidiert werde. Mit Eingabe vom 20. März 2008 wandte sich X.________, die aufgrund eines eigenen Begehrens verbeiständete Schwester der Erblasserin, persönlich an das Amtsgericht und erklärte, sie bestreite, die Erbschaft ausgeschlagen zu haben. X.________ beauftragte in der Folge Rechtsanwältin Z.________ mit der Vertretung ihrer Interessen, und mit Eingabe vom 16. Mai 2008 an das Amtsgericht B.________ liess sie durch diese beantragen, den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten vom 12. März 2008 aufzuheben. Die Eingabe wurde als Rekurs betrachtet und zur Behandlung an das Obergericht des Kantons Luzern weitergeleitet. 
Das Obergericht (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission) wies am 15. Juli 2008 den Rekurs ab und bestätigte den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten vom 12. März 2008. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 25. August 2008 beantragt X.________, den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten von B.________ vom 12. März 2008 und den diesen bestätigenden obergerichtlichen Entscheid vom 15. Juli 2008 aufzuheben. Gleichzeitig ersucht sie darum, ihr für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
Das Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen. 
Durch Präsidialverfügung vom 1. Oktober 2008 ist der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Mit Beschwerde in Zivilsachen kann einzig der Entscheid der letzten kantonalen Instanz, hier somit der Entscheid des Obergerichts, angefochten werden (Art. 75 Abs. 1 BGG). Diesem liegt die Anordnung der konkursamtlichen Liquidation eines Nachlasses (Art. 193 Abs. 2 SchKG) zugrunde, so dass es sich um einen Entscheid in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen im Sinne von Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG handelt. Bei Entscheiden des Konkursgerichts steht die Beschwerde in Zivilsachen unabhängig vom Streitwert offen (Art. 74 Abs. 2 lit. d BGG). Auf die vorliegende Beschwerde ist demnach ohne weiteres einzutreten. 
 
2. 
2.1 Das Obergericht hält dafür, der erstinstanzliche Richter sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Erbschaft der Schwester der Beschwerdeführerin von dieser rechtsgültig ausgeschlagen worden sei. Im Einzelnen erklärt es, für die Beschwerdeführerin bestehe eine Beistandschaft nach Art. 394 ZGB mit Einkommens- und Vermögensverwaltung. Es stehe fest, dass sowohl die Erwachsenen- und Kindesschutzkommission der Stadt E.________ (am 26. Februar 2008) als auch das Regierungsstatthalteramt von E.________ (am 29. Februar 2008) im Sinne von Art. 422 Ziff. 5 ZGB der Ausschlagung der Erbschaft zugestimmt hätten. Den Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe gar keine Möglichkeit gehabt, gegen die ihr nie eröffneten Verfügungen der genannten Instanzen Beschwerde zu führen, und angesichts dieser Verfahrensmängel seien jene als nichtig anzusehen, so dass lediglich eine nichtbindende Ausschlagungserklärung der Beiständin vorliege, hat das Obergericht verworfen: Es räumt ein, dass die Zustimmungsverfügungen nicht eröffnet worden und insoweit ohne rechtliche Wirkung geblieben seien. Am 13. Mai 2008 habe die Beschwerdeführerin indessen Einsicht in die Akten genommen und dabei von den beiden Verfügungen Kenntnis erhalten. Unter diesen Umständen könne nicht mehr die Rede davon sein, dass eine Mitteilung überhaupt fehle. Auch könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Zustimmungsverfügungen nicht existierten. Deren Eröffnung auf dem Weg der Gewährung der Akteneinsicht sei zwar mit einem Mangel behaftet, doch bewirke dies nicht automatisch ihre Nichtigkeit, sondern gemäss der Regel blosse Anfechtbarkeit; den Parteien dürfe aus einer mangelhaften Eröffnung allerdings kein Nachteil erwachsen. Das Obergericht hält sodann fest, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihre Rechtsvertreterin mit der Kenntnisnahme von den beiden Zustimmungsverfügungen die notwendigen Schritte gegen diese hätte ergreifen müssen, wobei sie zugleich hätte darum ersuchen können, dem Rekurs aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Dass die Zustimmungsverfügungen keine Rechtsmittelbelehrung enthalten hätten und der Anspruch auf Rechtsmittelbelehrung im Kanton Bern ein verfassungsmässiges Recht sei, ändere daran nichts. Die Beschwerdeführerin mache selbst nicht geltend, dass sie gegen die beiden Zustimmungsverfügungen vorgegangen sei; da diese somit in Rechtskraft erwachsen seien, sei die Ausschlagungserklärung der Beiständin gültig. Eine Erklärung dieser Art sei entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin unwiderruflich. Zum Hinweis auf Art. 196 SchKG (Einstellung der konkursamtlichen Liquidation bei nachträglichem Antritt der Erbschaft) bemerkt das Obergericht, dass die Beschwerdeführerin für eine entsprechende Annahmeerklärung der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde und der zuständigen Aufsichtsbehörde bedurft hätte und eine solche hier nicht vorliege. 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, es habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) missachtet und im Sinne von Art. 9 BV die Bestimmung von Art. 26 Abs. 2 der Berner Kantonsverfassung (KV) sowie die Art. 49 und 52 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes willkürlich ausgelegt. Den Ausführungen des Obergerichts hält sie entgegen, die Gewährung von Akteneinsicht könne nicht als Ersatz für die formgerechte Eröffnung von Verfügungen gelten, was hier umso mehr zutreffe, als die Akteneinsicht durch die Erwachsenen- und Kindesschutzkommission der Stadt E.________ und damit bezüglich der ausschlaggebenden Zustimmungserklärung der Regierungsstatthalterin als Aufsichtsbehörde nicht einmal durch die verfügende Instanz gewährt worden sei. Da die fraglichen Verfügungen jedenfalls vor dem 13. Mai 2008 (dem Zeitpunkt der Akteneinsicht) keine rechtliche Wirkung hätten entfalten können, hätte am 12. März 2008 die konkursamtliche Liquidation nicht angeordnet werden dürfen; spätestens aber im Zeitpunkt, da sie, die Beschwerdeführerin, die Nichtigkeit im Rahmen des Rekurses geltend gemacht habe, wäre diese von der Vorinstanz zu beachten gewesen, was zur Gutheissung des Rekurses hätte führen müssen. Es könne nicht Sinn der von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Praxis zur Nichtigkeit sein, dass eine Einsicht in die Akten zur Folge haben soll, dass nicht eröffnete Verfügungen bloss noch anfechtbar wären. Hinzu komme, dass die in Frage stehenden Verfügungen keine Begründung und auch keine Rechtsmittelbelehrung enthalten hätten, obschon gemäss Art. 26 Abs. 2 KV darauf ein verfassungsrechtlicher Anspruch bestehe. Die angeführten schwerwiegenden Mängel seien durch die gewährte Akteneinsicht auch nicht teilweise geheilt worden und würden auch nicht etwa durch ein grobes Fehlverhalten aufgewogen, das ihr, der Beschwerdeführerin, vorzuwerfen wäre. Sie habe ihre Rechte mit einem Rechtsmittel im Rahmen der angeordneten konkursamtlichen Liquidation wahren müssen und habe umgehend nach Kenntnisnahme von den Zustimmungserklärungen deren Nichtigkeit geltend gemacht. Dass sie jene als lediglich anfechtbar hätte beurteilen und entsprechend ein separates Anfechtungsverfahren hätte anheben müssen, sei aufgrund der den Zustimmungsverfügungen anhaftenden schwerwiegenden Mängel weder gerechtfertigt noch zumutbar. Für den Fall, dass in der gewährten Akteneinsicht eine (mangelhafte) Eröffnung erblickt werden wollte, wendet die Beschwerdeführerin ein, dass ihr aus einer solchen kein Nachteil erwachsen dürfte, dies jedoch der Fall wäre, wenn sie im Sinne der Auffassung des Obergerichts zwei parallele Verfahren hätte führen müssen, das eine zur Anfechtung der Zustimmungserklärungen - wobei wegen der fehlenden Eröffnung der Erklärungen beider Behörden nur noch eine kantonale Instanz, das Obergericht, zur Verfügung gestanden hätte -, das andere als Rechtsmittelverfahren gegen die Anordnung der konkursamtlichen Liquidation. Hinzu komme, dass sie zur Wahrung ihrer Rechte im Sinne von Art. 576 ZGB beim Teilungsamt vorsorglich die Verlängerung der Ausschlagungsfrist habe verlangen müssen. 
 
3. 
3.1 Als elementares Prinzip ergibt sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) unter anderem das Gebot, einen Entscheid den direkt betroffenen Personen zu eröffnen (BGE 133 I 201 E. 2.1 S. 204; vgl. auch JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Auflage, Bern 2008, S. 857 f.). Je nach den Umständen kann eine Gehörsverletzung zur Nichtigkeit des fehlerhaften Entscheids führen; geht es um eine fehlerhafte Zustellung, darf diese auf jeden Fall für die betroffene Partei keinen Nachteil zur Folge haben (BGE 129 I 361 E. 2.1 S. 363 f.; 122 I 97 E. 3a/aa S. 99; je mit Hinweisen). 
 
3.2 Fest steht, dass die Zustimmung der Erwachsenen- und Kindesschutzkommission der Stadt E.________ vom 26. Februar 2008 zu der von der Beiständin der Beschwerdeführerin abgegebenen Ausschlagungserklärung und auch die entsprechende Zustimmungserklärung der Regierungsstatthalterin vom 29. Februar 2008 der Beschwerdeführerin nicht eröffnet wurden. Wie die erstgenannte Verfügung enthielt ebenso die zweite weder eine Begründung noch eine Rechtsmittelbelehrung. Kenntnis von den beiden Verfügungen erhielt die Beschwerdeführerin nach den vorinstanzlichen Feststellungen erst am 13. Mai 2008 - anlässlich der von der Erwachsenen- und Kindesschutzkommission der Stadt E.________ gewährten Akteneinsicht. Bis zu jenem Zeitpunkt vermochten die fraglichen Verfügungen unter den gegebenen Umständen ohnehin keine Rechtswirkung zu entfalten (vgl. BGE 122 I 97 E. 3b S. 100; 101 II 149 E. 4b S. 152). Ausserdem ist dadurch, dass die beiden Zustimmungsverfügungen nicht in ordentlicher Form eröffnet und ferner weder begründet noch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen wurden, der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör, d.h. ein grundlegendes Parteirecht, in so schwerwiegender Weise verletzt worden, dass die Verfügungen nichtig sind (vgl. BGE 129 I 361 E. 2.1 S. 364; 101 II 149 E. 4b S. 152). Die Anordnung der konkursamtlichen Liquidation, die der Amtsgerichtspräsident am 12. März 2008 getroffen hatte, beruhte somit auf vollkommen unwirksamen Rechtsakten und ist daher zwangsläufig ihrerseits nichtig. 
Entfaltete die konkursrichterliche Anordnung demnach von Anfang an keine Wirkungen, ist der Frage, welches die Folgen der Kenntnisnahme der Beschwerdeführerin von den beiden Zustimmungsverfügungen anlässlich der Akteneinsicht vom 13. Mai 2008 für sie gewesen seien, die Grundlage entzogen. Da sodann nach dem Gesagten davon auszugehen ist, dass keine rechtsgültige Ausschlagungserklärung der Beiständin vorliegt, ist - unter Vorbehalt eines allfälligen Widerrufs - die Erklärung der Beschwerdeführerin, die Erbschaft nicht auszuschlagen, zu beachten: Eine urteilsfähige verbeiständete Person kann Handlungen des Beistandes rechtswirksam durchkreuzen, solange die für letztere allenfalls erforderliche behördliche Genehmigung nicht in gültiger Form vorliegt (dazu BGE 115 V 244 E. 3b/bb S. 250; 85 II 233 S. 235; 71 II 18 S. 20; HANS MICHAEL RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 2. Auflage, Bern 1997, § 6 N. 50 f.). 
 
4. 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten gutzuheissen, und der Entscheid des Obergerichts, der die vom Amtsgerichtspräsidenten angeordnete konkursamtliche Liquidation bestätigt, ist aufzuheben. Bei diesem Ausgang ist hier von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen ist der Kanton Luzern zu verpflichten, die Beschwerdeführerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da die Beschwerdeführerin diese Entschädigung ohne Zweifel ausbezahlt erhalten wird, ist ihr Armenrechtsgesuch in jeder Hinsicht gegenstandslos. 
 
5. 
Bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens ist die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen (Art. 67 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als Rekursinstanz) vom 15. Juli 2008 aufgehoben. 
 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Luzern wird verpflichtet, die Beschwerdeführerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als Rekursinstanz) zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission als Rekursinstanz) schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 10. Dezember 2008 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident : Der Gerichtsschreiber: 
 
Raselli Gysel