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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_851/2010 
 
Urteil vom 11. Januar 2011 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hofer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Pfändungsbetrug sowie Ungehorsam des Schuldners im Betreibungsverfahren, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 18. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wurde wegen mehrfachen betrügerischen Konkurses und Pfändungsbetrugs, Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren sowie wegen Übertretung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz angeklagt. 
 
B. 
Das Bezirksgericht Bremgarten sprach ihn am 20. November 2009 vollumfänglich frei. Das Gericht ging in dubio pro reo davon aus, bei dem fraglichen Guthaben von Fr. 60'000.-- handle es sich um Vermögen, das X.________ während 8 1/2 Jahren (1997 bis Mitte 2006) aus seinem Existenzminimum angespart habe (was Fr. 588.-- pro Monat entspreche). Solche Ersparnisse könnten nicht Tatobjekt gemäss Art. 163 StGB sein, was aber letztlich offen bleiben könne, da der subjektive Tatbestand nicht gegeben sei. Das Existenzminimum sei nämlich zur freien Verfügung belassen worden. Er habe das Geld ansparen und darüber frei verfügen dürfen. Bei Bejahung des objektiven Tatbestands wäre er wegen Sachverhaltsirrtums (Art. 13 Abs. 1 StGB) freizusprechen. Weil dieses Geld somit nicht pfändbar sei, fehle auch der objektive Tatbestand von Art. 323 StGB. Jedenfalls läge auch hier subjektiv Sachverhaltsirrtum vor, da das Geld seiner Ansicht nach nicht pfändbar gewesen sei. 
 
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach ihn auf Berufung der Staatsanwaltschaft am 18. August 2010 von der Übertretung des USG frei, hingegen schuldig des mehrfachen Pfändungsbetrugs (Art. 163 Ziff. 1 StGB) und des mehrfachen Ungehorsams im Betreibungsverfahren (Art. 323 Ziff. 2 StGB). Es bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 75.-- sowie Fr. 800.-- Busse. 
 
C. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und ihn von Schuld und Strafe freizusprechen. 
 
Obergericht und Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerdeschrift vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht, insbesondere auch hinsichtlich eines Willkürvorwurfs (BGE 136 I 229 E. 4.1; 133 IV 286 E. 1). Das Bundesgericht legt die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), wenn sie nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet willkürlich (BGE 133 II 249 E. 1.2.2). Willkür (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4) muss der Beschwerdeführer anhand des angefochtenen Urteils darlegen. Auf appellatorische Kritik ist nicht einzutreten (BGE 136 I 49 E. 1.4.1; 136 II 101 E. 3). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, im Ergebnis nehme die Vorinstanz an, dass ihm im Rahmen der Lohnpfändung die Befugnis zur Vermögensbildung gänzlich entzogen gewesen sei. Es müsse ihm aber freistehen, durch Konsumverzicht zu sparen. Das fragliche Geld sei nicht Tatobjekt und sein Unterlassungsverhalten kein Verheimlichen im Sinne von Art. 163 StGB gewesen. Er habe davon ausgehen dürfen, dass das aus dem Existenzminimum angesparte Geld unpfändbar sei. Deshalb habe er keinen Vorsatz zur Benachteiligung der Gläubiger haben können und wäre folglich bei Annahme einer Pfändbarkeit einem Sachverhaltsirrtum unterlegen. In der Tatsache, dass er eine Pfändung seines Geldes befürchtet habe, liege auch kein Unrechtbewusstsein. Er habe zu Recht angenommen, das Betreibungsamt würde seine Kompetenzen zu seinem Nachteil überschreiten. 
 
Hinsichtlich des Ungehorsams gemäss Art. 323 StGB wäre sein Verhalten bei Annahme einer Pfändbarkeit als Putativnotstand zu qualifizieren. Da er das Begehren der Vollstreckungsbehörde als unrechtmässig eingeschätzt habe, sei ihm nicht zumutbar gewesen, das Geld ihrem Zugriff preiszugeben (Art. 18 Abs. 2 StGB). 
 
2.2 Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer verfüge unbestritten über ein Guthaben in der Höhe von Fr. 60'000.--. Er habe es anlässlich mehrerer Pfändungsvollzüge unterlassen, den Betreibungsbeamten darüber zu informieren. Erst durch das Steueramt habe das Betreibungsamt davon erfahren. Dass das Geld aus Mitteln gebildet worden sein solle, die ihm zur Deckung seines Existenzminimums belassen worden seien, ändere nichts an der Pfändbarkeit. Es könne daher offen bleiben, woher es stamme bzw. ob es aus seinem Existenzminimum angespart worden sei oder nicht. 
 
Verheimlichen könne der Schuldner, wenn er nur einen Teil seines Vermögens angebe, sich im Übrigen aber darüber ausschweige, um so den falschen Anschein zu erwecken, über sein gesamtes Vermögen Auskunft gegeben zu haben. Blosses Schweigen genüge aber nur, wenn es einen betrügerischen Charakter habe, also dazu diene, einen geringeren als den wirklichen Vermögensbestand vorzutäuschen (BGE 102 IV 172 E. 2a; Urteil 6B_403/2009 vom 10. Juli 2009 E. 1.1). Der Schuldner habe insbesondere auch Gegenstände offen zu legen, die seiner Ansicht nach nicht pfändbar seien. Es handle sich um eine umfassende Auskunftspflicht (Art. 91 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG). 
 
Der Beschwerdeführer habe das Geld mit Wissen und Willen in der Absicht verheimlicht, es unter Ausschluss der übrigen Gläubiger seinem Bruder zukommen zu lassen. Da gegen ihn Verlustscheine ausgestellt seien, sei auch die objektive Strafbarkeitsbedingung erfüllt. Sachverhalts- oder Rechtsirrtum lägen nicht vor. 
 
2.3 Gemäss Art. 163 Ziff. 1 StGB macht sich insbesondere strafbar, wer als Schuldner zum Schaden der Gläubiger sein Vermögen zum Scheine vermindert, namentlich Vermögenswerte verheimlicht. 
2.3.1 Der Beschwerdeführer informierte das Betreibungsamt nicht, weil er befürchtete, das Geld würde gepfändet. Somit verheimlichte er vorsätzlich. Die scheinbare Vermögensverminderung durch Verheimlichen eines Vermögenswertes ist eo ipso eine tatbestandsmässige Handlung (BGE 129 IV 68 E. 2.2). 
 
Es ist nicht am Schuldner zu bestimmen, welche Vermögenswerte pfändbar sind und welche nicht. Der Beschwerdeführer wollte eine Pfändung durch die zuständige Behörde verhindern. Er handelte in Kenntnis der Sachlage und kann sich nicht auf Sachverhaltsirrtum berufen. Zur Bestreitung der Pfändbarkeit stand der Rechtsmittelweg offen. Auch ein Verbotsirrtum (Art. 21 StGB) lässt sich nicht begründen. Er verheimlichte, weil er befürchtete, dass die zuständige Behörde das Geld pfänden würde. Das indiziert Unrechtsbewusstsein. Er wäre bei gewissenhafter Überlegung veranlasst gewesen, Erkundigungen einzuziehen. Ein Irrtum war vermeidbar. 
2.3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet, dass es sich bei Geld, das aus dem Existenzminimum angespart worden sei, um ein taugliches Objekt im Sinne des Tatbestands handeln könne. 
 
Ein taugliches Tatobjekt bildet Vermögen, das dem Zugriff der Gläubiger offensteht, nicht aber Vermögen, "das seiner Natur nach oder kraft besonderer Vorschrift der Zwangsvollstreckung entzogen ist" (BGE 103 IV 227 E. 1c S. 233; 114 IV 11 E. 1b; 131 IV 49 E. 1.2). 
 
In BGE 114 IV 11 E. 1b wies das Bundesgericht in Auseinandersetzung mit der zitierten Erwägung aus BGE 103 IV 227 darauf hin, der Zweck der Vorschrift (Art. 164 aStGB) spreche dafür, dass der Schuldner gehalten sei, auch auf im Ausland erzielte Einkünfte und auf im Ausland gelegene Vermögensgegenstände hinzuweisen. Solches Vermögen sei zwar der schweizerischen Zwangsvollstreckung entzogen, könne aber für die Bestimmung des Existenzminimums sowie für die Frage, ob in der Schweiz gelegene Gegenstände unpfändbar seien, eine Rolle spielen. Der Schuldner habe dem pfändenden Beamten jede für eine erfolgreiche Pfändung erforderliche Auskunft zu erteilen. Es sei Sache des Betreibungsbeamten zu entscheiden, ob ein Vermögenswert gepfändet werden könne. Bei Auskunft habe er wenigstens die Möglichkeit, den Angaben nachzugehen. 
 
Hat der Schuldner somit selbst im Ausland liegende und in der Schweiz nicht pfändbare Vermögenswerte anzugeben, muss er auch alle seine Vermögenswerte in der Schweiz angeben, aus welchen Quellen sie auch stammen. Soweit diese Vermögenswerte nicht pfändbar sein sollten, können sie dennoch für die Durchführung des Verfahrens von Bedeutung sein, insbesondere für die Festsetzung des Existenzminimums. Diese Festsetzung beeinflusst das dem Zugriff der Gläubiger offenstehende Vermögen. Das Verheimlichen wirkt sich daher unmittelbar zum Schaden der Gläubiger aus. 
 
Die Auskunftspflicht gemäss Art. 91 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG ist umfassend. Sie erfasst auch Gegenstände, die nach Ansicht des betriebenen Schuldners unpfändbar sind (ANDRÉ E. LEBRECHT, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, Basler Kommentar, 2. Auflage, Basel 2010, Art. 91 N 11). Aus dem Existenzminimum angespartes Geld bildet ein taugliches Tatobjekt im Sinne des Tatbestands von Art. 163 StGB. Die Vorinstanz konnte daher offen lassen, ob das fragliche Geld tatsächlich aus dem Existenzminimum angespart ist oder nicht. 
 
2.4 Gemäss dem Übertretungstatbestand von Art. 323 Ziff. 2 StGB wird wegen Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren mit Busse bestraft, wer als Schuldner seine Vermögensgegenstände, Forderungen und Rechte nicht so weit angibt, als dies zu einer genügenden Pfändung oder zum Vollzug eines Arrestes nötig ist. Es handelt sich insbesondere um Fälle der passiven Renitenz. 
 
Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer habe sich anlässlich der Pfändungsvollzüge vom 26. Januar und 8. Mai 2009 geweigert, nähere Angaben zu seinem Konto zu machen. In der Hauptverhandlung sei er dabei geblieben. Gegen ihn seien Verlustscheine im Betrag von Fr. 56'051,76 ausgestellt. 
 
Wie die Vorinstanz zutreffend annimmt, liegt kein Sachverhaltsirrtum vor. Er wurde auf seine Auskunftspflicht von der zuständigen Behörde hingewiesen. Auch ein Putativnotstand gegenüber der rechtmässig handelnden zuständigen Betreibungsbehörde ist auszuschliessen. 
 
2.5 Die beiden Schuldsprüche sind nicht zu beanstanden. Es kann auf das angefochtene Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
3. 
3.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe die Höhe des Tagessatzes willkürlich bemessen. Er schulde bis zur Erreichung des AHV-Alters "in 4 Jahren" aufgrund des Ehetrennungsurteils vom 26. November 1998 Unterhaltsbeiträge von Fr. 3'000.-- bzw. indexiert von Fr. 3'346.--. Ausgehend von seinem Renteneinkommen von Fr. 4'828.-- und Abzug des Unterhaltsbeitrags von Fr. 3'346.-- sowie eines Pauschalabzugs von 60 - 80 % (nach BGE 134 IV 60) ergebe sich ein Tageseinkommen (Nettoeinkommen geteilt durch 20) von zwischen 15 und 30 Franken. Davon sei der Tagessatz zu berechnen. 
 
3.2 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer verfüge über eine monatliche Rente von Fr. 4'828.--, wovon er einen Teil, ab Pensionierung Fr. 2'000.--, als Unterhaltsbeitrag an seine getrennt lebende Ehefrau zahlen müsse. Nach einem Pauschalabzug für Steuern und Krankenkasse von 20 % ergebe sich ein Nettoeinkommen von Fr. 2'262.-- (Fr. 2'828.-- mal 0,8). Seine Schulden seien aufgrund vorhandener Mittel nicht zu berücksichtigen. Der Tagessatz sei auf Fr. 75.-- festzusetzen (Fr. 2'262.-- geteilt durch 20). 
 
3.3 Nach den vorinstanzlichen Feststellungen arbeitete der Beschwerdeführer bis am 30. September 2009 bei einer Bank "und ist heute pensioniert". Im Urteilszeitpunkt am 18. August 2010 war er "knapp 61 Jahre alt" (angefochtenes Urteil S. 17). Die Vorinstanz geht von einem Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'000.-- aus. 
 
Das Bezirksgericht Bremgarten genehmigte am 26. November 1998 eine Konventionsbestimmung mit der Verpflichtung des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau gestützt auf Art. 163 ZGB ab Rechtskraft des Trennungsurteils monatlich vorschüssig "bis zum Eintritt des Beklagten ins AHV-Alter" Fr. 3'000.-- und "danach Fr. 2'000.--" zu zahlen. Das Urteil ist am 28. Januar 1999 rechtskräftig geworden. 
 
Die Vorinstanz übersieht somit, dass der Beschwerdeführer bis zum Eintritt ins AHV-Alter Fr. 3'000.-- (plus Indexierung) und erst "danach" Fr. 2'000.-- zu zahlen hat. Sie geht von einer aktenwidrigen Feststellung aus. Die Sache ist deshalb zur Neubeurteilung der Höhe des Tagessatzes (vgl. BGE 134 IV 60 E. 6) an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
4. 
Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen (oben E. 3) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. Da der Beschwerdeführer einzig mit seiner Willkürrüge obsiegt, sind ihm die Kosten teilweise aufzuerlegen. Entsprechend hat der Kanton Aargau den Beschwerdeführer zu entschädigen (Art. 68 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. August 2010 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 11. Januar 2011 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Briw