Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_610/2021
Urteil vom 11. März 2022
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichterin Hänni,
Bundesrichter Beusch,
Bundesrichter Hartmann,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Stauffacher,
gegen
Migrationsamt des Kantons Thurgau, Langfeldstrasse 53a, 8510 Frauenfeld,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld.
Gegenstand
Haftüberprüfung im Rahmen des Dublin-Verfahrens,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. Juni 2021 (VG.2021.56/E, VG.2021.77/E).
Sachverhalt:
A.
A.________ (geb. 1993) ist algerischer Staatsangehöriger. Er stellte am 11. November 2020 ein Asylgesuch, auf welches das Staatssekretariat für Migration (SEM) am 7. Dezember 2020 nicht eintrat; es wies A.________ gleichzeitig in den zuständigen Dublin-Staat Belgien weg. Die belgischen Behörden hatten der Rückübernahme am gleichen Tag zugestimmt. Das Bundesverwaltungsgericht verfügte am 22. Dezember 2020 superprovisorisch einen Vollzugsstopp; es trat auf die gegen den Entscheid des SEM eingereichte Beschwerde am 4. Januar 2021 nicht ein und hob den Vollzugsstopp wieder auf.
B.
B.a. Am 22. Februar 2021 nahm das Migrationsamt des Kantons Thurgau A.________ ab dem 26. Februar 2021 für sechs Wochen in eine Dublin-Ausschaffungshaft (Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG [SR 142.20]). Am 8. März 2021 verweigerte A.________ den Rückflug nach Belgien. Gegen die Haftverfügung gelangte er mit einem Haftprüfungsgesuch an das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau, welches seine Festhaltung am 20. März 2021 für rechtmässig und angemessen befand.
B.b. Am 26. März 2021 nahm das Migrationsamt des Kantons Thurgau A.________ ab dem 8. April 2021 für sechs Wochen in eine Dublin-Renitenzhaft (Art. 76a Abs. 4 AIG), nachdem ursprünglich ein begleiteter Rückflug nach Belgien für den 12. April 2021 gebucht worden war. Auf ein Haftprüfungsgesuch von A.________ hin bestätigte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau am 12. April 2021 die Zulässigkeit und Angemessenheit der Haft. Am 4. Mai 2021 weigerte sich A.________, den für seine Rückführung erforderlichen Covid-19-Test durchführen zu lassen. Er wurde am 12. Mai 2021 aus der Haft entlassen, da keine Vollzugsmöglichkeit mehr für eine kontrollierte Rückführung nach Belgien bestand.
B.c. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau vereinigte die Beschwerdeverfahren gegen die beiden Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts und hiess am 30. Juni 2021 die Beschwerde gegen die Dublin-Ausschaffungshaft (Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG; B.a.) gut, soweit sie nicht gegenstandslos geworden war; es hob den Entscheid des Zwangmassnahmengerichts vom 20. März 2021 auf und stellte fest, dass das Migrationsamt die Dublin-Ausschaffungshaft zu Unrecht angeordnet hatte (Verfahren VG.2021.56). Die Beschwerde gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 12. April 2021 bezüglich der Dublin-Renitenzhaft (Art. 76a Abs. 4 AIG; B.b.) wies es ab, soweit sie nicht gegenstandslos geworden war (Verfahren VG.2021.77).
C.
A.________ beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. Juni 2021 in den Ziffern 3 (Abweisung der Beschwerde im Verfahren VG.2021.77 [Dublin-Renitenzhaft]) und 4 (Verfahrenskosten im Verfahren VG.2021.77 [Dublin-Renitenzhaft]) des Dispositivs aufzuheben; es sei die Rechtswidrigkeit, Unangemessenheit und Völkerrechtswidrigkeit der angeordneten Haft festzustellen. Ziffer 6 des Dispositivs des angefochtenen Entscheids (Abweisung des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung im Verfahren VG.2021.77 [Dubin-Renitenzhaft]) sei aufzuheben und es seien die Vorinstanz und das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau anzuweisen, Rechtsanwalt Matthias Stauffacher als unentgeltlichen Rechtsbeistand einzusetzen und angemessen zu entschädigen. Allenfalls sei die Sache zur "vertieften Abklärung und Neubeurteilung" an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht A.________ um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
A.________ macht im Wesentlichen geltend, die gegen ihn angeordnete Dublin-Renitenzhaft (Art. 76a Abs. 4 AIG) verstosse gegen Art. 5 EMRK und Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013 S. 31 ff.; Dublin-III-Verordnung). Im Übrigen würde sie - wie jede Dublin-Haft - eine erhebliche Untertauchensgefahr voraussetzen, welche bei ihm nicht gegeben sei, da er in seine Heimat zurückkehren wolle. Seine Festhaltung sei zudem unverhältnismässig. Ihm sei schliesslich zu Unrecht die unentgeltliche Rechtsverbeiständung durch seinen Rechtsvertreter mit der Begründung verweigert worden, dass hierfür nur im kantonalen Anwaltsregister eingetragene Rechtsanwälte berücksichtigt werden könnten.
Das Migrationsamt, das Zwangsmassnahmengericht und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen. A.________ hat in Kenntnis der Stellungnahmen an seinen Anträgen und Ausführungen festgehalten.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid betreffend Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (BGE 147 II 49 E. 1 mit Hinweisen) : Wegen des mit der Anordnung ausländerrechtlicher Administrativhaft verbundenen schweren Eingriffs in die persönliche Freiheit kommt dem entsprechenden Freiheitsentzug eigenständige Bedeutung zu; die Haft erscheint nicht als bloss untergeordnete Vollzugsmassnahme zur Wegweisung, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG der Beschwerde nicht entgegensteht (BGE 147 II 49 E. 1; 142 I 135 E. 1.1.3; Urteil 2C_280/2021 vom 22. April 2021 E. 1). Es handelt sich bei der Dublin-Haft praxisgemäss auch nicht um einen Entscheid "auf dem Gebiet des Asyls" im Sinne von Art. 83 lit. d BGG (BGE 142 I 135 E. 1.1.3).
1.2. Der Beschwerdeführer befindet sich heute nicht mehr in Haft. Das Bundesgericht tritt indessen - trotz Haftentlassung oder eines Verlängerungsentscheids, welcher die ursprünglich angefochtene Haftverfügung ablöst (vgl. BGE 139 I 206 E. 1.2.1 - 1.2.3) - auf Beschwerden gegen die Genehmigung der ausländerrechtlichen Festhaltung durch den Haftrichter bzw. den entsprechenden kantonalen Rechtsmittelentscheid ein, wenn der Betroffene rechtsgenügend begründet (vgl. Art. 42 BGG) und in vertretbarer Weise ("griefs défendables") die Verletzung einer Garantie der EMRK rügt (BGE 147 II 49 E. 1.2.1) - er etwa, wie hier, geltend macht, ihm sei die Freiheit "nicht auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise" entzogen worden (vgl. BGE 143 I 437 E. 3.3). Die diesbezüglichen Feststellungsanträge des Beschwerdeführers sind zulässig (vgl. BGE 142 I 135 E. 3.4 in fine). Da auch alle weiteren Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde einzutreten (vgl. Art. 89 Abs. 1; Art. 86 Abs. 1 lit. d; Art. 90; Art. 100 Abs. 1; Art. 42 und Art. 106 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Die Inhaftierung einer Person im Rahmen eines Dublin-Verfahrens ist erlaubt, wenn sie die Sicherstellung des Überstellungsverfahrens in den zuständigen Dublin-Staat bezweckt (vgl. Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung in Verbindung mit dem Bundesbeschluss vom 26. September 2014 über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung [EU] Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist [AS 2015 1841 ff.]). Die Voraussetzungen dazu bestimmen sich im Rahmen von Art. 28 der Dublin-III-Verordnung nach Art. 76a AIG (vgl. CONSTANTIN HRUSCHKA/SERAINA NUFER, Erste Erfahrungen mit der neuen Dublin-Haft, in: Jusletter 22. Mai 2017 Rz. 2; vgl. auch Art. 1 Abs. 3, Art. 4, Art. 5 und Art. 6 des Abkommens vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags [Dublin-Assoziierungsabkommen; DAA; SR 0.142.392.68]).
2.2. Nach Art. 28 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung dürfen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch die Dublin-III-Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt. Die Staaten können zur Sicherung des Überstellungsverfahrens eine gesuchstellende Person im Rahmen einer Einzelfallprüfung festhalten, wenn (1) eine
erhebliche
Fluchtgefahr besteht, (2) die freiheitsentziehende Massnahme sich als
verhältnismässigerweist und (3)
weniger einschneidende Massnahmen unwirksamerscheinen (Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung). Als Fluchtgefahr bezeichnet die Dublin-III-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zur Annahme Anlass geben, dass sich ein Gesuchsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem durch Flucht entziehen könnte (Art. 2 lit. n Dublin-III-Verordnung). Die einzelnen Staaten sind verpflichtet, in einer zwingenden Vorschrift mit allgemeiner Geltung die Kriterien zu nennen, auf denen die Gründe beruhen, die zu dieser Annahme Anlass geben. Fehlen die entsprechenden Vorschriften im nationalen Recht, ist eine Festhaltung im Rahmen von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung unzulässig (vgl. das Urteil des EuGH vom 15. März 2017 C-528/15
Al Chodor; hierzu auch: THOMAS HUGI YAR, Die Dublin-Haft auf dem Prüfstand, in: Asyl 4/2017 S. 28 ff.).
2.3.
2.3.1. Die Dublin-Haft hat - wie jeder Freiheitsentzug (Art. 31 BV i.V.m. Art. 10 Abs. 2 und Art. 36 BV ) - so kurz wie möglich zu sein. Sie darf nicht länger dauern, als dies bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt im Hinblick auf die Dublin-Überstellung abschliessen zu können (Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin-III-Verordnung). Die Verordnung gibt zeitliche Abläufe vor, welche einzuhalten sind, andernfalls die betroffene Person nicht länger festgehalten werden darf (Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 4 Dublin-III-Verordnung).
2.3.2. Art. 28 der Dublin-III-Verordnung sieht zwei Inhaftierungsmöglichkeiten zur Sicherung der Überstellung vor: Einerseits die
Haft vor bzw. während der Zuständigkeitsbestimmung (also vor der positiven oder negativen Antwort des angefragten Staates) und andererseits die
Haft zur Sicherung der Überstellung, nachdem der angefragte Staat seine Zuständigkeit ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt hat. Befindet sich der Gesuchsteller während der Zuständigkeitsbestimmung in Haft, darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab dem Antrag auf Schutz nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäss dieser Verordnung durchführt, ersucht in solchen Fällen um eine dringende Antwort; diese hat innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Übernahmegesuchs zu erfolgen. Geht innerhalb dieser Frist keine Antwort ein, wird vermutet, dass der angefragte Mitgliedstaat dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch entsprochen hat, was für ihn die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für ihre Ankunft zu treffen (Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 2 Dublin-III-Verordnung).
2.3.3. Befindet sich der Antragsteller nach Art. 28 der Dublin-III-Verordnung in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder vom Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung im Rahmen von Art. 27 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten (Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 Dublin-III-Verordnung). Eine durch die Behörden nicht ausgeschöpfte zeitliche Vorgabe kann nicht auf eine spätere Phase der Dublin-III-Haft übertragen werden (vgl. GREGOR CHATTON/LAURENT MERZ, in: Nguyen/Amarelle [Hrsg.], Code annoté des droit des migrations, Volume II: Loi sur les étrangers, 2017, N. 18 und N. 20 ad Art. 76a LEtr).
3.
3.1. Die Schweiz hat die Dublin-III-Haftregeln in Art. 76a (materielles Recht) bzw. Art. 80a (Verfahren) AIG umgesetzt. Diese Bestimmungen sind in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen im Sinne des zu übernehmenden bzw. übernommenen Sekundärrechts der Europäischen Union auszulegen (vgl. Art. 1 Abs. 3 DAA; BGE 143 I 437 E. 3.1; 142 I 135 E. 4.1; 140 II 74 E. 2.3; vgl. zur Inkorporation: BGE 143 II 361 E. 3.3; HRUSCHKA/NUFER, a.a.O., Rz. 2). Art. 76a Abs. 3 AIG konkretisiert die zeitlichen Vorgaben von Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 der Dublin-III-Verordnung. Danach kann die betroffene Person in Haft belassen oder in Haft genommen werden ab Haftanordnung für die Dauer von höchstens (a.) sieben Wochen während der Vorbereitung des Entscheids über die Zuständigkeit zur Beurteilung des Asylgesuchs; dazu gehört das Stellen des Übernahmeersuchens an den anderen Dublin-Staat, die Wartefrist bis zu dessen Antwort oder bis zu seiner stillschweigenden Annahme sowie die Abfassung des Entscheids und dessen Eröffnung (SEM, Weisungen und Erläuterungen, I. Ausländerbereich [Weisungen AIG], Stand 15. Dezember 2021, Ziff. 9.9.2); (b.) bis zu fünf Wochen während des Remonstrationsverfahrens (SEM, Weisungen AIG, a.a.O., Ziff. 9.9.2.1; vgl. CONSTANTIN HRUSCHKA, Dublin-Remonstrationsverfahren: Ein Instrument zur Umgehung der Dublin-Fristen?, in: Asyl 1/2017 S. 10 ff.) und (c.) sechs Wochen zur Sicherstellung des Vollzugs zwischen der Eröffnung des Weg- oder Ausweisungsentscheids beziehungsweise nach Beendigung der aufschiebenden Wirkung eines allfällig eingereichten Rechtsmittels gegen einen erstinstanzlich ergangenen Weg- oder Ausweisungsentscheid und der Überstellung der betroffenen Person an den zuständigen Dublin-Staat (SEM, Weisungen AIG, a.a.O., Ziff. 9.9.3). Daneben sieht Art. 76a Abs. 4 AIG eine Haft für renitente Personen vor, welche bis zu drei Monaten dauern kann (vgl. SEM, Weisungen AIG, a.a.O., Ziff. 9.9.3.1).
3.2. Die schweizerische Umsetzungsgesetzgebung zu Art. 28 der Dublin-III-Verordnung ist in der Doktrin nicht unbestritten geblieben; insbesondere werden die um eine Woche längere
Dublin-Haft für die Vorbereitung und Durchführung des Überstellungsverfahrens (vgl. CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 19 ad Art. 76a LEtr; ANDREAS ZÜND, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5. Aufl. 2019, N. 4 zu Art. 76a AIG; HRUSCHKA/NUFER, a.a.O., Rz. 5; BAHAR IREM CATAK KANBER, Die ausländerrechtliche Administrativhaft, Bern 2017, S. 136 ff.), die Festhaltung während des
Remonstrationsverfahrens (vgl. ZÜND, a.a.O., N. 5 zu Art. 76a AIG; HRUSCHKA/NUFER, a.a.O., Rz. 6; vermittelnde Lösung bei CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 23 ff. ad Art. 76a LEtr) und die
Haft bei Renitenz (CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 30 ad Art. 76a LEtr; ZÜND, a.a.O., N. 6 zu Art. 76a AIG; CATAK KANBER, a.a.O., S. 138 f.; MARTIN BUSINGER, Ausländerrechtliche Haft, Diss. Zürich 2015, S. 137 f.) als potentiell unionsrechtswidrig kritisiert.
4.
4.1. Umstritten ist vorliegend nur (noch) die am 26. März 2021 gestützt auf Art. 76a Abs. 4 AIG angeordnete Dublin-Renitenzhaft. Danach kann eine Person, die sich weigert, ein Transportmittel zur Durchführung der Überstellung in den zuständigen Dublin-Staat zu besteigen, oder in anderer Art und Weise durch ihr persönliches Verhalten die Überstellung verhindert, in Haft genommen werden, sofern die Anordnung der Haft nach Absatz 3 lit. c AIG (Dublin-Ausschaffungshaft) nicht mehr möglich ist und eine weniger einschneidende Massnahme nicht zum Ziel führt. Die Haft darf nur solange dauern, bis die erneute Überstellung möglich ist, jedoch höchstens sechs Wochen. Sie kann mit Zustimmung der richterlichen Behörde indessen bis zu drei Monaten verlängert werden, sofern die betroffene Person weiterhin nicht bereit ist, ihr Verhalten zu ändern.
4.2.
4.2.1. Der EuGH hat die in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung erwähnte Haftdauer (vgl. vorstehende E. 2.3.3) und deren Berechnung im Urteil
Amayry (Urteil vom 13. September 2017 C-60/16) konkretisiert; dieser Entscheid ist bei der Auslegung der nationalen Haftbestimmungen auch in der Schweiz zu berücksichtigen (vgl. vorstehende E. 3) : Die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb der die Überstellung einer in Haft genommenen Person erfolgen muss, gilt nach der Auslegung des EuGH für den Fall, dass sich die Person bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden angeführten Ereignisse - stillschweigende oder ausdrückliche Annahme des Auf- bzw. Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder Zeitpunkt, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäss Art. 27 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung keine aufschiebende Wirkung mehr hat - eintritt (Randnr. 39). Die betroffene Person kann nicht für einen Zeitraum in Haft genommen werden, der die Dauer von sechs Wochen erheblich überschreitet, da sich aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung ergibt, dass dieser Zeitraum - u.a. weil es sich bei dem mit dieser Verordnung eingeführten Verfahren zur Überstellung zwischen den Mitgliedstaaten um ein vereinfachtes Verfahren handelt - grundsätzlich ausreichend ist, um den zuständigen Behörden die Überstellung zu erlauben (Randnr. 45). Eine Haftdauer von zwei Monaten kann in Anbetracht des Beurteilungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten beim Erlass von Massnahmen zur Durchführung des Unionsrechts verfügen, nicht als zwangsläufig übermässig lange gelten, wobei die Angemessenheit der Haftdauer im Hinblick auf die Merkmale des Einzelfalls jedoch von der zuständigen Behörde unter Kontrolle der nationalen Gerichte geprüft werden muss (Randnr. 47). Für den Fall, dass nach der Inhaftnahme die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder die Überprüfung nach Art. 27 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung wegfällt, darf die Haft nach Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 der Dublin-III-Verordnung nicht länger als sechs Wochen ab diesem Zeitpunkt aufrechterhalten werden (Randnr. 48).
4.2.2. Art. 28 der Dublin-III-Verordnung sei deshalb - so der EuGH - dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für höchstens zwei Monate aufrechterhalten werden darf, nicht entgegensteht, soweit zum einen die Haftdauer den für die Zwecke des Überstellungsverfahrens erforderlichen Zeitraum, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen dieses Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist, nicht übersteigt und zum anderen diese Haftdauer gegebenenfalls nicht länger ist als sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Art. 28 der Dublin-III-Verordnung steht jedoch - so der EuGH weiter - einer nationalen Regelung entgegen, die es in einer solchen Situation (Inhaftierung nach Zustimmung des ersuchten Staats) erlaubt, die Haft während drei bzw. zwölf Monaten aufrechtzuerhalten, in denen die Überstellung tatsächlich vorgenommen werden kann (Urteil
Amayry, a.a.O., Randnr. 49).
4.2.3. Der EuGH qualifizierte gestützt hierauf eine im schwedischen Recht vorgesehene zweimonatige Haft zur "Vorbereitung der Durchführung und Durchführung einer Entscheidung über eine Zurück- oder Ausweisung" als dublinrechtlich grundsätzlich (noch) zulässig, die Verlängerung der Haft bei "schwerwiegenden Gründen" bzw. "mangelnder Kooperation des Ausländers oder deshalb, weil die Beschaffung der erforderlichen Dokumente Zeit braucht" auf 3 bzw. 12 Monate als mit Art. 28 der Dublin-III-Verordnung nicht mehr vereinbar. Im Ergebnis ergibt sich aus dem Urteil
Amayry somit, dass - je nach den konkreten Umständen - im Dublin-Verfahren eine Inhaftierung bis zu zwei Monaten zulässig sein kann, wenn die Person sich zum Zeitpunkt der Annahme des Übernahmeersuchens nicht in Haft befindet. Für den Fall der Ergreifung eines Rechtsmittels gegen den erstinstanzlichen Wegweisungsentscheid läuft die Frist von sechs Wochen ab Beendigung der aufschiebenden Wirkung; in diesem Fall kann sich die Haftdauer - im Rahmen des Urteils
Amayry bis zu 2 Monaten (Randnr. 47) - um den Zeitraum verlängern, der zwischen der Annahme des Gesuchs durch den anderen Dublin-Staat und der Beendigung der aufschiebenden Wirkung liegt; spätestens sechs Wochen nach der Annahme des Gesuchs bzw. dem Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels ist die Haft jedoch zu beenden. Erfolgt die Inhaftnahme erst nach Annahme des Gesuchs, berechnet sich die Haftdauer von maximal sechs Wochen ab der Inhaftnahme bzw. ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs, ohne dass zuvor, d.h. nach Annahme des Gesuchs um Aufnahme, erlittene Hafttage anzurechnen sind (vgl. ZÜND, a.a.O., N. 4 zu Art. 76a AIG; Urteil 2C_199/2018 vom 9. Juli 2018 E. 8).
4.2.4. Die Festhaltungsmöglichkeit ist somit ab
Wegfall der aufschiebenden Wirkung bzw. der
Vollziehbarkeit des Überstellungsentscheids dublinrechtlich auf sechs Wochen begrenzt (so CONSTANTIN HRUSCHKA, in: SFH [Hrsg.], Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, 3. Aufl. 2021, XIII. Wegweisungsvollzug und Zwangsmassnahmen, S. 531 ff., dort S. 564 ff. [zit. HRUSCHKA, Handbuch]; UEBERSAX/PETRY/HRUSCHKA/FREI/ ERRASS, Migrationsrecht in a nutshell, 2021, S. 281 f.; SARAH PROGIN-THEUERKAUF/ANDREA EGBUNA-JOSS, Europäisches Asylrecht, Rechtsrahmen und Funktionsweise, Bern 2019, S. 182; SARAH PROGIN-THEUERKAUF/CONSTANTIN HRUSCHKA, Die Rechtsprechung des EuGH zum Europäischen Migrationsrecht, in: Achermann et al. [Hrsg.], Jahrbuch für Migrationsrecht 2017/2018, Bern 2018, S. 319 ff., dort S. 329 f.; BUSINGER, a.a.O., 2015, S. 137 f.).
5.
5.1. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau ist in seinem Entscheid davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit Art. 76a Abs. 4 AIG bewusst von den Vorgaben des Dublin-Rechts habe abweichen wollen, weshalb die landesrechtliche Bestimmung der dublinrechtlichen Regelung vorgehe. Er habe mit dieser Regelung vermeiden wollen, dass Überstellungen einzig wegen des persönlichen Verhaltens der betroffenen Personen nicht vollzogen werden könnten. Ohne Art. 76a Abs. 4 AIG könne durch renitentes Verhalten das Dublin-Verfahren vollständig unterlaufen werden (BBl 2014 2675 Ziff. 3.4 [S. 2694 f.] und Ziff. 3.5.1 [S. 2704]). Da die Ausschaffungshaft gemäss Art. 76a Abs. 4 AIG - wie jene nach Art. 76a Abs. 3 AIG - im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK der Sicherstellung des Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens diene, könne der Auffassung des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden, die angeordnete Haft verstosse gegen Art. 5 Ziff. 1 EMRK und sei auch deshalb völkerrechtswidrig.
5.2. Die entsprechende Auffassung verletzt Bundesrecht: In Übereinstimmung mit Art. 27 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111) gehen in der Rechtsanwendung völkerrechtliche Normen widersprechendem Landesrecht vor (BGE 144 I 126 E. 3; 144 II 293 E. 6.3; 142 II 35 E. 3.2; 139 I 16 E. 5.1 S. 28 f.; 138 II 524 E. 5.1 S. 532 f., mit weiteren Hinweisen). Dieser Grundsatz könnte nach einer älteren - weitgehend nicht mehr anwendbaren - Rechtsprechung lediglich allenfalls eine Ausnahme erfahren, wenn der Gesetzgeber bewusst die völkerrechtliche Verpflichtung missachten und insofern die politische Verantwortung hierfür übernehmen will (BGE 99 Ib 39 E. 3 und 4 S. 44 f. ["Schubert"-Praxis]; 138 II 524 E. 5.3.2 S. 534 f.). Die Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung jedoch von Vornherein nicht, wenn - wie hier im Rahmen eines Freiheitsentzugs - menschen- oder freizügigkeitsrechtliche Verpflichtungen der Schweiz infrage stehen (BGE 125 II 417 E. 4d ["PKK"]; 139 I 16 E. 5.1 S. 28 f.; 142 II 35 E. 3.2; STEPHAN BREITENMOSER/ROBERT WEYENET, Europarecht, Unter Einbezug des Verhältnisses Schweiz - EU, 4. Aufl. 2021, N. 1033 f.); diesfalls geht die völkerrechtliche Norm der abweichenden nationalen Regelung gemäss der Rechtsprechung auch dann vor, wenn der schweizerische Gesetzgeber davon abweichen wollte (BGE 142 II 35 E. 3.2). Gemäss Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 DAA werden - das Verfahren nach Art. 4 DAA vorbehalten - die Bestimmungen der Dublin-Verordnung von der Schweiz "akzeptiert, umgesetzt und angewendet" (vgl. TOBIAS JAAG/JULIA HÄNNI, Europarecht, 5. Aufl. 2022, N. 4129b). Die nationalen Bestimmungen sind dementsprechend in Übereinstimmung mit den Vorgaben von Art. 28 Dublin-III-Verordnung in Berücksichtigung der Praxis des EuGH zu dieser Bestimmung auszulegen (so zum Schengenbereich: BGE 146 II 201 E. 4.2 u. 4.3); ist dies nicht möglich, geht Art. 28 Dublin-III-Verordnung dem nationalen Recht vor; es verbleibt kein Raum für die Anwendung der "Schubert"-Praxis (vgl. BREITENMOSER/WEYENETH, a.a.O., N. 1033).
5.3.
5.3.1. Es könnte im Übrigen - selbst wenn es hierauf überhaupt ankäme, was nach dem soeben Dargelegten von Vornherein nicht der Fall ist - nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei Art. 76a Abs. 4 AIG bewusst von den dublinrechtlichen Vorgaben, die für die Schweiz verbindlich sind, hat abweichen wollen (anderer Ansicht: CONSTANTIN HRUSCHKA : Die rechtliche Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben für die Haft in Schengen- und Dublin-Fällen in der Schweiz, in: Breitenmoser/Gless/Lagodny [Hrsg.], Schengen und Dublin in der Praxis, Aktuelle Fragen, 2015, S. 341 ff., dort S. 349 ff. und Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21. Januar 2022 E. 3.3). Für eine allfällige Abweichung vom Vorrang der staatsvertraglichen Verpflichtungen genügt der Verweis auf eine allgemeine Diskussion zu den Vor- und Nachteilen einer nationalen Regelung nicht. Eine Kollision mit übergeordnetem Recht kann nach der Rechtsprechung von Vornherein nur in jenen Fällen "bewusst" oder beabsichtigt sein, wenn in der Beratung der entsprechenden Regelung die völkerrechtlichen Aspekte und Auswirkungen resp. der mögliche Verstoss gegen das Völkerrecht
eingehend thematisiert und erörtert wurden (so BGE 138 II 524 E. 5.3.2 S. 534; 99 lb 39 E. 3 ["consapevole deroga"]).
5.3.2. Dies war hier nicht der Fall: Art. 76a Abs. 4 AIG wurde im Rahmen einer Gesetzesrevision geschaffen, bei der es gerade um die Anpassung des Gesetzes an die Dublin-III-Verordnung ging (BBl 2014 2675 Ziff. 1.2 [S. 2683]; AB N 2014 1252 [Votum Sommaruga]). Bundesrätin Sommaruga erklärte im Parlament ausdrücklich, dass man bei der Haft wegen unkooperativen Verhaltens "noch immer im Rahmen dieser Dublin-III-Verordnung" sei bzw. dass sich diese "mit Dublin III vereinbaren" lasse (AB 2014 N 1319 f.). Man habe sich bei anderen Mitgliedstaaten erkundigt und gesehen, dass sie diese Möglichkeit in ihrem Rechtssystem auch vorgesehen hätten (AB 2014 S 833). Man gehe zwar - so die Bundesrätin weiter - ein "gewisses Risiko" ein, dass es hier eine Reaktion gebe, doch sei dies für die Glaubwürdigkeit des Dublin-Systems und dessen Funktionieren "richtig" (AB 2014 S 833).
5.3.3. Auch in den Räten wurde die Problematik nicht vertieft thematisiert; es wurde nicht im klaren Wissen um die Unvereinbarkeit von Art. 76a Abs. 4 AIG mit Art. 28 Dublin-III-Verordnung entschieden (vgl. AB 2014 N 1247 [Votum von Berichterstatter Pfister]; kritisch AB 2014 N 1317 [Votum John-Calame]). Es war wiederholt lediglich die Rede davon, dass die Regelung weiter gehe, als dies die Dublin-III-Verordnung verlange (AB 2014 N 1317 [Votum Friedl] und 1320 [Votum Pfister]). Auch der Bundesrat hielt in seiner Botschaft fest, dass die Regelung nach Art. 76a Abs. 4 AIG "über die Vorgaben der Dublin-III-Verordnung hinaus" gehe; er hat sie aber nicht als mit der Dublin-III-Verordnung unvereinbar bezeichnet, sondern als für einen "effizienten Vollzug des Dublin-Wegweisungsentscheids" notwendig erachtet (BBl 2014 2675 Ziff. 3.5.1 [S. 2704]). Der Bundesrat hielt ausdrücklich fest, dass die Revision mit den "internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar" sei (BBl 2014 2675 Ziff. 7.1.2 [S. 2724]).
5.3.4. Es wäre gestützt hierauf - soweit dies überhaupt eine Rolle spielt, nachdem die "Schubert"-Praxis keine Anwendung findet - davon auszugehen, dass Bundesrat und Parlament in erster Linie im Rahmen des "Beurteilungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten beim Erlass von Massnahmen zur Durchführung des Unionsrechts" verfügen (vgl. das EuGH-Urteil
Amayry, a.a.O., Randnr. 47), legiferieren wollten. Den entsprechenden Beurteilungsspielraum hat der EuGH im Rahmen der Prüfung einer dem schweizerischen Recht analogen Regelung im Urteil
Amayry definiert und einschränkender verstanden als Bundesrat und Parlament dies bei der Ausarbeitung von Art. 76a Abs. 4 AIG getan haben. Der entsprechende Widerspruch ist damit nachträglich entstanden. Der Gesetzgeber hat nicht bewusst gegen die im Dublin-Recht vorgesehene Regelung legiferieren, sondern hinsichtlich des Umfangs des Beurteilungsspielraums ein gewisses Risiko in Kauf nehmen wollen. Soweit Art. 76a Abs. 4 AIG mit den Vorgaben von Art. 28 der Dublin-III-Verordnung in der Auslegung des EuGH im Urteil
Amayry unvereinbar ist, findet er deshalb keine Anwendung; Art. 28 der Dublin-III-Verordnung geht in diesem Sinn der nationalen Regelung in Art. 76a Abs. 4 AIG vor.
6.
6.1. Im vorliegenden Fall war die angeordnete "Renitenzhaft" (Art. 76a Abs. 4 AIG) damit widerrechtlich: Der Beschwerdeführer stellte am 11. November 2020 im Bundesasylzentrum mit Verfahrensfunktion (BAZmV) in Altstätten ein Asylgesuch. Das SEM fragte die belgischen Behörden am 3. Dezember 2020 bezüglich seiner Übernahme an; diese stimmten dem Gesuch am 7. Dezember 2020 zu. Das SEM trat am gleichen Tag auf das Asylgesuch nicht ein und verfügte die Rückführung im Dublin-Verfahren nach Belgien. Der Beschwerdeführer gelangte hiergegen am 15. Dezember 2020 an das Bundesverwaltungsgericht, welches am 22. Dezember 2020 einen Vollzugsstopp verfügte. Am 4. Januar 2021 trat es auf die Beschwerde nicht ein, womit der Vollzugsstopp entfiel.
6.2. Der Beschwerdeführer befand sich gestützt auf eine erste Haftanordnung vom 26. Februar 2021 bis zum 9. April 2021 in einer bereits von der Vorinstanz als unzulässig bezeichneten Dublin-Ausschaffungshaft im Sinn von Art. 76a Abs. 3 lit. c AIG ("zu Unrecht eine Ausschaffungshaft angeordnet"). Die hier noch umstrittene Haftanordnung (Renitenzhaft) erfolgte am 26. März 2021 ab dem 8. April 2021; am 12. Mai 2021 wurde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen. Zu jenem Zeitpunkt befand er sich bereits seit 6 Wochen in der Dublin-Ausschaffungshaft, weshalb eine weitere Haftanordnung gestützt auf das Urteil
Amayry im Rahmen von Art. 28 der Dublin-III-Verordnung nicht mehr infrage kam, da der Wegweisungsentscheid des SEM seit dem 4. Januar 2021 rechtskräftig und vollziehbar war. Seine Inhaftierung war in Anwendung des Urteils
Amayry nur für sechs Wochen ab seiner Inhaftierung möglich (vgl. E. 4.2.4). Nach dem EuGH ergibt sich aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin-III-Verordnung, dass dieser Zeitraum (d.h. sechs Wochen) - u.a. aufgrund dessen, dass es sich bei dem mit dieser Verordnung eingeführten Verfahren zur Überstellung zwischen den Mitgliedstaaten um ein "vereinfachtes Verfahren" handelt - grundsätzlich ausreichend ist, "damit die zuständigen Behörden die Überstellung vornehmen können" (Randnr. 45). Eine Festhaltung ist während maximal bis zu zwei Monaten möglich, solange das Rechtsmittelverfahren nicht abgeschlossen ist; sobald der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, kann die Haft jedoch nur noch sechs Wochen dauern; dies muss auch gelten, wenn wie hier, bei der Inhaftierung (26. Februar 2021) der Rückführungsentscheid bereits (seit 4. Januar 2021) vollziehbar ist und die Vollziehbarkeit nicht erst während der Inhaftierung eintritt. Es gibt keinen sachlichen Grund, die beiden Situationen (bereits bestehende Vollziehbarkeit bzw. in der Haft erfolgende Vollziehbarkeit) bezüglich der noch zulässigen Haftdauer unterschiedlich zu behandeln.
6.3. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und das angefochtene Urteil aufzuheben, insoweit es die Dublin-Renitenzhaft im konkreten Fall als zulässig bezeichnet. Da sich der Beschwerdeführer nicht mehr in Haft befindet, ist festzustellen, dass die am 26. März 2021 ab dem 8. April 2021 angeordnete Dublin-Renitenzhaft widerrechtlich erfolgt ist. Es kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben, ob zu diesem Zeitpunkt hinreichende konkrete Anzeichen befürchten liessen, dass der Beschwerdeführer sich der Wegweisung entziehen könnte, seine Festhaltung verhältnismässig gewesen wäre und weniger einschneidende Massnahmen sich nicht wirksam hätten anwenden lassen bzw. ob der Beschwerdeführer durch sein persönliches Verhalten die Überstellung verhindert hat.
Es braucht auch die Frage nicht weiter vertieft zu werden, ob die Dublin-Renitenzhaft bereits als solche und in jedem Fall gegen Art. 28 der Dublin-III-Verordnung verstösst, da sie im Dublin-Recht keine Grundlage findet (so etwa HRUSCHKA, Handbuch, a.a.O., S. 566; ZÜND, a.a.O., N. 6 zu Art. 76a AIG; CATAK KANBER, a.a.O., S. 138 f.; BUSINGER, a.a.O., S. 137 f.; CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 30 ad Art. 76a AIG).
7.
7.1. Da der Beschwerdeführer sowohl bezüglich der Dublin-Ausschaffungshaft als auch der Dublin-Renitenzhaft obsiegt, braucht in verfahrensrechtlicher Hinsicht an sich nicht weiter geprüft zu werden, ob das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm seinen ausserkantonalen Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Matthias Stauffacher, Zürich, beizugeben, durch die Vorinstanz zu Recht abgewiesen worden ist oder nicht. Es rechtfertigen sich im Hinblick auf künftige Verfahren diesbezüglich dennoch folgende Hinweise: Art. 29 Abs. 3 BV gewährleistet grundsätzlich kein Recht des Verbeiständeten auf freie Wahl des Rechtsvertreters (vgl. BGE 139 IV 113 E. 1.1). Das Bundesgericht hat zudem festgehalten, dass sich kantonale Regelungen, wonach nur im eigenen Kanton registrierte Anwälte mit amtlichen Mandaten betraut werden können, sachlich begründen lassen und mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar sind (Urteil 2C_590/2018 vom 8. Mai 2019 E. 3.5.2 mit Hinweisen). Gestützt auf den Anspruch auf ein gerechtes Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV) kann jedoch in besonderen Fällen ein Wahlrecht des Verbeiständeten inbezug auf seinen Rechtsvertreter bestehen. Dies ist namentlich der Fall, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt existiert oder der Anwalt sich bereits in einem vorangegangenen Verfahren mit der Sache befasst hat. Liegt eine solche Situation vor, dürfen kantonale Bestimmungen dem Einsetzen eines ausserkantonalen unentgeltlichen Rechtsbeistands nicht entgegenstehen (BGE 113 Ia 69 E. 5c; Urteil 2C_590/2018 vom 8. Mai 2019 E. 3.5.2 mit Hinweisen).
7.2. Im vorliegenden Fall ist entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, wenn ihm in Anwendung von § 81 Abs. 2 VRG/TG (RB 170.1) kein ausserkantonaler Rechtsvertreter beigegeben wurde:
7.2.1. Im Kanton Thurgau sind zahlreiche Anwälte in "Allgemeinpraxis" beratend und prozessierend tätig. Ein Anwalt oder eine Anwältin ist aufgrund ihrer Ausbildung in der Lage, sich die einschlägigen Grundlagen des ausländerrechtlichen Haftrechts zu beschaffen und sich das nötige Wissen anzueignen. Der Umstand, dass ein Rechtsanwalt auf einem Gebiet als Spezialist tätig ist, rechtfertigt für sich allein noch nicht, ihn als amtlichen Rechtsvertreter einzusetzen. Es bestand im Übrigen kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter. Auch kann die Angelegenheit nicht als besonders komplex bezeichnet werden, sodass anzunehmen wäre, dass ein anderer Anwalt sich nicht rasch genug in den Fall hätte einarbeiten können (vgl. Urteil 2C_590/2018 vom 8. Mai 2019 E. 3.5.4).
7.2.2. Auf ein entsprechendes Gesuch hin hätten die kantonalen Behörden dem Beschwerdeführer den Zugang zu einem im Anwaltsregister des Kantons Thurgau eingetragenen Rechtsvertreters unverzüglich ermöglichen müssen (vgl. THOMAS HUGI YAR, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, § 10 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, N.10.40). Hieran ändert nichts, dass sich der Beschwerdeführer im Flughafengefängnis Zürich befunden hat. Der Beschwerdeführer hätte trotz der kantonalen Beschränkung der amtlichen Vertretung auf im Anwaltsregister des Kantons Thurgau eingetragene Anwältinnen und Anwälte wirksam vertreten werden können. Dass andere Kantone keine entsprechende Regelung kennen, führt nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von inhaftierten ausländischen Personen je nach Kanton, sondern ist Ausfluss der kantonalen Verfahrenshoheit und der föderalen Staatsstrukturen. Durch die entsprechende kantonale Regelung wurde auch nicht die erforderliche effiziente Vertretung im Sinne von Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33 EU ("Aufnahmerichtlinie"; i.V.m. Art. 28 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung) infrage gestellt (vgl. hierzu BGE 143 II 361 E. 3).
8.
8.1. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und das angefochtene Urteil im Verfahren VG.2021.77 aufzuheben; es ist festzustellen, dass die am 26. März 2021 ab dem 8. April bis zum 12. Mai 2021 gestützt auf Art. 76a Abs. 4 AIG angeordnete Renitenzhaft widerrechtlich erfolgt ist. Das Verfahren VG.2021.56 (Dublin-Ausschaffungshaft) bildete nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, nachdem der Beschwerdeführer diesbezüglich bereits vor der Vorinstanz obsiegt hat.
8.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten zu erheben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat den obsiegenden Beschwerdeführer gemäss dessen Kostennote zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird dadurch gegenstandslos. Die Vorinstanz hat über die Kosten- und Entschädigungsfrage in den kantonalen Verfahren unter Berücksichtigung des vorliegenden Urteils neu zu befinden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 30. Juni 2021 im Verfahren VG.2021.77 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 26. März ab dem 8. April 2021 angeordnete Renitenzhaft widerrechtlich erfolgt ist.
2.
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
2.2. Der Kanton Thurgau hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'593.-- zu entschädigen.
2.3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.
2.4. Die Sache wird zur Neubeurteilung der Kosten- und Entschädigungsfrage für die kantonalen Verfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.
3.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 11. März 2022
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar