Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
[AZA] 
C 299/99 Vr 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Grünvogel 
 
Urteil vom 11. April 2000  
 
in Sachen 
 
Staatssekretariat für Wirtschaft, Abteilung Arbeitsmarkt 
und Arbeitslosenversicherung, Bundesgasse 8, Bern, Be- 
schwerdeführer, 
gegen 
 
W.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechts- 
anwalt E.________, 
und 
 
Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Appenzell 
 
    A.- Die Firma W.________ AG (im Folgenden Firma), 
Appenzell, bezog für die Zeit vom 1. Januar bis 28. Februar 
1997 sowie vom 1. November 1997 bis 31. März 1998 Kurzar- 
beitsentschädigung. 
    Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 
1999 Staatssekretariat für Wirtschaft, nachfolgend seco) 
führte am 8. Oktober 1998 bei der Firma eine Arbeitgeber- 
kontrolle durch. Dabei nahmen die Revisoren diverse Akten 
zur weiteren Prüfung nach Bern mit. Die uneingeschrieben 
erfolgte Rücksendung dieser Belege erreichte die Firma nie. 
Damit gingen all jene Urkunden unwiederbringlich verloren, 
von welchen keine Kopien vorhanden waren, nämlich die ge- 
samten Lohnlisten der Monate Februar bis Oktober 1997, das 
Lohnjournal 1997, die Lohnkarten-Rekapitulation 1997, die 
SUVA-Jahreslohnabrechnung 1997, die Firmen-Rekapitulation 
1997, die Abrechnung der Jahreslohnsumme für die kollektive 
Krankentaggeld-Abrechnung, die Deklarationen der Betriebs- 
haftpflicht und für die UVG-Versicherung sowie die Abrech- 
nung der im Stundenlohn beschäftigten Personen. Nicht davon 
betroffen waren dagegen insbesondere die von der Firma dem 
seco zur Verfügung gestellten Arbeitsrapporte, von diesem 
im provisorischen Bericht vom 20. Oktober 1998 näher als 
Tagesrapporte bezeichnet. 
    Nach Erhalt des definitiven Berichtes des seco vom 
11. Dezember 1998 verpflichtete die Arbeitslosenkasse des 
Kantons Appenzell I.Rh. die Firma mit Verfügung vom 17. De- 
zember 1998, die für die Zeit vom 1. Januar bis 26. Februar 
1997 sowie vom 1. November 1997 bis 31. März 1998 bereits 
ausbezahlten Kurzarbeitsentschädigungen im Betrag von 
Fr. 125'235.- zurückzuerstatten. 
 
    B.- Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantons- 
gericht Appenzell I.Rh. gut und wies die Sache unter Aufhe- 
bung der Verfügung vom 17. Dezember 1998 an die Kasse zur 
Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen zurück (Entscheid 
vom 8. Juni 1999). 
 
    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt das seco 
die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragen. 
    Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Vernehmlas- 
sung. Die Firma schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge- 
richtsbeschwerde. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- a) Nach Art. 95 Abs. 1 AVIG muss die Kasse Leis- 
tungen der Versicherung, auf die der Empfänger keinen An- 
spruch hatte, zurückfordern. Gemäss einem allgemeinen 
Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung 
eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegen- 
stand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, 
in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und 
ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 122 V 
21 Erw. 3a, 173 Erw. 4a, 271 Erw. 2, 368 Erw. 3, 119 V 183 
Erw. 3a, 477 Erw. 1, je mit Hinweisen). Die für die Wieder- 
erwägung formell rechtskräftiger Verfügungen massgebenden 
Voraussetzungen gelten auch mit Bezug auf die Rückerstat- 
tung zu Unrecht bezogener Geldleistungen der Arbeitslosen- 
versicherung gemäss Art. 95 AVIG (BGE 122 V 272 Erw. 2, 110 
V 179 Erw. 2a mit Hinweisen; SVR 1995 ALV Nr. 53 S. 162 
Erw. 3a), und zwar unbesehen darum, ob sie förmlich oder 
formlos zugesprochen worden sind (BGE 122 V 369 oben, 111 V 
332 Erw. 1; ARV 1995 Nr. 12 S. 64 Erw. 2b). Eine zweifel- 
lose Unrichtigkeit liegt nicht nur vor, wenn die in Wieder- 
erwägung zu ziehende Verfügung auf Grund falscher oder un- 
zutreffender Rechtsregeln erlassen wurde, sondern auch, 
wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig ange- 
wandt wurden (ARV 1996/1997 Nr. 28 S. 158 Erw. 3c). 
 
    b) Laut Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren 
normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit eingestellt 
ist, unter den in der Bestimmung aufgeführten Voraussetzun- 
gen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Keinen Anspruch 
auf Kurzarbeitsentschädigung haben nach Art. 31 Abs. 3 
lit. a AVIG Arbeitnehmer, deren Arbeitsausfall nicht be- 
stimmbar oder deren Arbeitszeit nicht ausreichend kontrol- 
lierbar ist. Ein geltend gemachter Arbeitsausfall ist erst 
dann genügend kontrollierbar, wenn für jeden einzelnen Tag 
die geleistete Arbeitszeit überprüfbar ist. Nur auf diese 
Weise ist Gewähr geboten, dass die an gewissen Tagen ge- 
leistete Überzeit, welche innerhalb der Abrechnungsperiode 
auszugleichen ist (vgl. Gerhards, Kommentar zum AVIG, 
Bd. I, N. 5 zu Art. 31), bei der Feststellung des monat- 
lichen Arbeitsausfalls Berücksichtigung findet. Fehlen 
geeignete Unterlagen zum Arbeitszeitnachweis, können diese 
weder durch die nachträgliche Befragung der betroffenen 
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch anderer Personen 
ersetzt werden, da nicht anzunehmen ist, dass diese aus dem 
Gedächtnis detailliert Auskunft zu den fraglichen Arbeits- 
zeiten geben können. Entsprechend hält Art. 46b AVIV fest, 
dass für die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsaus- 
falles eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle vorausgesetzt 
ist (Abs. 1), die der Arbeitgeber zudem während fünf Jahren 
aufzubewahren hat (Abs. 2). 
 
    2.- Streitig ist im Wesentlichen, ob die Arbeitszeit 
ausreichend kontrollierbar im Sinne von Art. 31 Abs. 3 
lit. a AVIG ist. 
 
    a) Dies lässt sich in Übereinstimmung mit der Vorin- 
stanz anhand der vorhandenen Akten nicht abschliessend be- 
urteilen. Ob die sowohl von der Beschwerdegegnerin als auch 
vom seco im provisorischen Bericht vom 20. Oktober 1998 zur 
Arbeitgeberkontrolle als Tagesrapporte bezeichneten Auf- 
zeichnungen hiezu geeignet sind, ist unklar, scheint es 
sich dabei doch um Regie-Rapporte zu handeln, die den der 
Kundschaft verrechenbaren Arbeitsaufwand ausweisen, welcher 
in der Gartenbaubranche mit der tatsächlich insgesamt ge- 
leisteten Arbeitszeit nicht identisch zu sein braucht. Zu- 
sätzlich ist nicht erstellt, ob diese Rapporte - den Aus- 
führungen der Beschwerdegegnerin folgend - anders als jene 
von nicht von der Kurzarbeitszeit betroffenen Arbeiterinnen 
und Arbeitnehmern lückenlos aufbewahrt worden sind. Beja- 
hendenenfalls fragt sich weiter, wie der Umstand zu erklä- 
ren ist, dass auf den einzelnen Berichten gleichzeitig Ar- 
beitsstunden als qualifizierter Gärtner, Facharbeiter, für 
Gartenarbeiten und in einem Fall gar zusätzlich als Gärt- 
nermeister aufgeführt werden, ohne dass - vorausgesetzt der 
Rapport erfasst mehrere Arbeiter - eine Aufschlüsselung auf 
die einzelnen Personen stattgefunden hat, sodass von einer 
Arbeitszeitkontrolle für die von der Kurzarbeitszeit be- 
troffenen Personen gesprochen werden kann. Hiezu bedarf es 
zusätzlicher Abklärungen. 
    Die weiteren in den Akten liegenden Dokumente (insbe- 
sondere die Lohnlisten und -abrechnungen) sind dagegen zur 
Arbeitszeitkontrolle von vornherein nicht geeignet. 
    Welche der anlässlich der Rücksendung untergegangenen 
Schriftstücke hiezu geeignet waren, ist sodann nicht er- 
stellt, zumal lediglich bekannt ist, was unter "Lohnlisten" 
zu verstehen ist. 
 
    b) Somit bedarf es zusätzlicher Beweiserhebungen. Da- 
bei ist insbesondere auch abzuklären, ob mit den bei der 
Rücksendung vom seco an die Beschwerdegegnerin verschwunde- 
nen Dokumenten der Arbeitsausfall hätte bewiesen werden 
können. Dies dürfte sich - wie auch die Frage nach der Ge- 
eignetheit der Rapporte als Arbeitszeitnachweis - durch den 
Beizug entsprechender Dokumente aus anderen Zeitperioden 
und die förmliche Befragung von Zeugen erstellen lassen. Da 
für Letzteres ein Gericht über die geeigneteren Mittel ver- 
fügt, erweist es sich als sachgerecht, nicht die Verwal- 
tung, sondern das kantonale Gericht mit den weiteren Abklä- 
rungen zu betrauen. 
 
    3.- Sollten sich die Dokumente als für die Arbeits- 
zeitkontrolle ungeeignet erweisen, war die Auszahlung der 
Kurzarbeitsentschädigung zweifellos unrichtig (Erw. 1a in 
fine). Ergibt sich dagegen, dass die Dokumente zur Kontrol- 
le geeignet waren, oder lässt sich die Tauglichkeit der 
ohne Verschulden der Beschwerdeführerin untergegangenen 
Akten nicht mehr feststellen, ist nur die Ausrichtung der 
Kurzarbeitsentschädigung in dem von der Vorinstanz in 
Erwägung 3d umschriebenen Umfang zweifellos unrichtig. Da- 
ran ändern die letztinstanzlichen Vorbringen der Beschwer- 
degegnerin nichts. Das kantonale Gericht wird den entspre- 
chenden Rückforderungsbetrag unter Mitwirkung der Parteien 
festsetzen. In beiden Fällen wird es zusätzlich prüfen, ob 
die Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (vgl. hiezu 
in Erw. 1a hievor zitierte Rechtsprechung). 
 
    4.- Nachdem das Kantonale Arbeitsamt Appenzell I.Rh. 
die Anrechenbarkeit des Arbeitszeitausfalles seinerzeit 
nicht beanstandet hat (Art. 36 Abs. 1 und 4 in Verbindung 
mit Art. 33 AVIG), ist dies - entgegen der vorinstanzlichen 
Auffassung - im Rahmen der Wiedererwägung und damit auch 
vom kantonalen Gericht mangels Zuständigkeit und da keine 
Anzeichen für Unrichtigkeit vorliegen, nicht mehr zu über- 
prüfen. 
 
    5.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem 
Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin An- 
spruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 135 in 
Verbindung mit Art. 159 Abs. 3 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe- 
    schwerde wird der Entscheid das Kantonsgerichts Appen- 
    zell I.Rh. vom 8. Juni 1999 aufgehoben und die Sache 
    an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie, nach er- 
    folgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die 
    Beschwerde neu entscheide. Im Übrigen wird die Verwal- 
    tungsgerichtsbeschwerde abgewiesen. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Das seco hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren 
    vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Par- 
    teientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehr- 
    wertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht 
    Appenzell I.Rh., der Kantonalen Arbeitslosenkasse 
    Appenzell I.Rh. und dem Kantonalen Arbeitsamt Appen- 
    zell I.Rh. zugestellt. 
 
 
Luzern, 11. April 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: