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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_424/2022  
 
 
Urteil vom 11. April 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, alias A.A.________, 
vertreten durch Advokat Markus Trottmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Basel-Stadt, Straf- und Massnahmenvollzug, 
Spiegelgasse 12, 4051 Basel, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Stationäre Massnahme; Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Präsident, vom 23. Februar 2022 (VD.2022.15). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 5. März 2010 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt A.________ alias A.A.________ zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten, deren Vollzug es zugunsten einer stationären Suchtbehandlung aufschob. Zu diesem Zweck wurde A.________ am 19. April 2010 in einer Klinik untergebracht, von wo er sich am 19. Juni 2011 entfernte. Seither galt er als flüchtig, derweil er sich in Deutschland eine neue Existenz aufbaute. 
 
B.  
 
B.a. Aufgrund eines Auslieferungsgesuchs an die deutschen Behörden wurde A.________ am 11. Juni 2021 nach Basel-Stadt überführt und im Untersuchungsgefängnis inhaftiert. Seit dem 16. Juni 2021 befindet er sich im Gefängnis B.________.  
Am 27. September 2021 veranlasste der Straf- und Massnahmenvollzug Basel-Stadt eine Begutachtung von A.________, um die Zweckmässigkeit einer weiteren Suchtbehandlung nach Art. 60 StGB beurteilen zu können. 
 
B.b. Mit Schreiben an den Straf- und Massnahmenvollzug vom 25. Oktober 2021 beantragte A.________, es sei festzustellen, dass die Massnahme nach über zehnjähriger Flucht gescheitert sei, sodass sie infolge Aussichtslosigkeit umgehend aufzuheben und der Vollzug der verbleibenden Reststrafe bedingt aufzuschieben sei. Eventualiter sei die Angelegenheit an das Strafdreiergericht zu überweisen, welches das Urteil vom 5. März 2010 erlassen hatte, damit dieses über die weiteren vollzugsrechtlichen Schritte entscheide.  
Der Straf- und Massnahmenvollzug wies den Antrag um Aufhebung der Massnahme am 11. Januar 2022 und den Eventualantrag auf Überweisung der Angelegenheit an das urteilende Strafdreiergericht am 3. Februar 2022 ab. Gegen beide Verfügungen führte A.________ Rekurs an das Appellationsgericht Basel-Stadt. Im Rahmen der Rekursbegründung beantragte er vorsorglich die sofortige Haftentlassung, weil es an einem Rechtstitel für die Haft mangle und er die ausgesprochene Freiheitsstrafe mittlerweile verbüsst habe. 
Mit Verfügung vom 23. Februar 2022 wies das Appellationsgericht den Antrag auf sofortige Haftentlassung ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, die Verfügung des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 23. Februar 2022 sei aufzuheben und es sei im Sinne einer vorsorglichen Entscheidung die umgehende Haftentlassung anzuordnen. Eventualiter sei die Sache zu neuem Entscheid an das Appellationsgericht zurückzuweisen. Subeventualiter sei festzustellen, dass die Haft von nunmehr bald acht Monaten im Rahmen einer Suchtbehandlung unverhältnismässig sei. A.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. 
 
D.  
Das Appellationsgericht und der Straf- und Massnahmenvollzug verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die angefochtene Verfügung ist kein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Sie schliesst das Verfahren nicht ab, sondern regelt ausschliesslich die Frage der sofortigen Haftentlassung; das Verfahren um Aufhebung der Massnahme resp. auf Überweisung der Angelegenheit an das urteilende Strafdreiergericht ist vor Appellationsgericht hängig. Es liegt mithin ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid gemäss Art. 93 BGG vor. 
Nach Art. 93 BGG ("Andere Vor- und Zwischenentscheide") ist gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide die Beschwerde an das Bundesgericht unter anderem zulässig, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (Abs. 1 lit. a; vgl. dazu BGE 141 IV 289 E. 1.2; 139 IV 113 E. 1; je mit Hinweisen). Ein solcher ist angesichts des bestehenden Freiheitsentzugs evident und zu bejahen. Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg der Hauptsache. Es liegt ein Entscheid über den Vollzug von Strafen und Massnahmen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG vor. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig. Zu ihrer Beurteilung ist die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts zuständig (Urteil 6B_120/2020 vom 24. Februar 2020 E. 3 mit Hinweisen). 
 
2.  
Gegenstand des Verfahrens bildet die Verweigerung der sofortigen Haftentlassung des Beschwerdeführers durch die Vorinstanz. 
 
2.1.  
 
2.1.1. Vorsorgliche Massnahmen ergehen aufgrund einer bloss provisorischen Prüfung der Sach- und Rechtslage. Erforderlich ist eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen. Der zuständigen Behörde steht dabei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Sie ist nicht gehalten, für ihren rein vorsorglichen Entscheid zeitraubende Abklärungen zu treffen, sondern kann sich mit einer summarischen Beurteilung aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Akten begnügen. Die Hauptsachenprognose kann dabei berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig ist (BGE 130 II 149 E. 2.2). Das Bundesgericht kann einen Zwischenentscheid betreffend vorsorgliche Massnahmen nur aufheben, wenn darin wesentliche Interessen und wichtige Gesichtspunkte ausser Acht gelassen oder offensichtlich falsch bewertet wurden und die darin vorgenommene Interessenabwägung jeglicher vernünftiger Grundlage entbehrt (Urteil 6B_120/2020 vom 24. Februar 2020 E. 4.2 mit Hinweis).  
Im Übrigen legt das Bundesgericht seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG und die Behebung des Mangels kann für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 141 IV 249 E. 1.3.1). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 304 E. 1.2). Auf ungenügend begründete Rügen oder appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4). 
 
2.1.2. Nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen beim Bundesgericht anfechtbare Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.6.2). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind (BGE 119 IV 284 E. 5b; Urteil 6B_1080/2020 vom 10. Juni 2021 E. 6.2). Genügt ein Entscheid den genannten Anforderungen nicht, kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; Urteil 6B_790/2021 vom 20. Januar 2021 E. 1.2.7 mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Vorinstanz begründet die Abweisung des Antrags um Haftentlassung damit, dass dadurch das Urteil in der Hauptsache faktisch präjudiziert würde. Ferner habe der Beschwerdeführer durch seine frühere Flucht unter Beweis gestellt, dass er nicht gewillt sei, sich strafrechtlichen Entscheiden zu unterziehen. Er stünde deshalb nicht mehr zur Verfügung, wenn das angeordnete forensisch-psychiatrische Gutachten und gestützt darauf das zuständige Gericht zum Schluss gelangen würden, die stationäre Massnahme (Suchtbehandlung) sei fortzusetzen.  
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass sich aus der angefochtenen Verfügung nicht ergibt, auf welcher Rechtsgrundlage er gegenwärtig in Haft behalten wird. Unter diesen Umständen kann das Bundesgericht deren Rechtmässigkeit nicht überprüfen. Namentlich ist unklar, ob die vom Strafgericht am 5. März 2010 angeordnete Massnahme nach über 10 Jahren der Abwesenheit des Beschwerdeführers überhaupt noch als Grundlage für eine neue Suchtbehandlung dienen kann, zumal sich die Voraussetzungen massgeblich verändert haben dürften. Erst Recht offen ist, unter welchem Rechtstitel die momentane "Abklärungshaft", in der sich der Beschwerdeführer seit nunmehr 8 Monaten befindet, angeordnet wurde. Auch hierzu äussert sich die angefochtene Verfügung nicht. Dies gilt ebenso, soweit darin auf eine abzuwendende Fluchtgefahr Bezug genommen und die Abweisung der Haftentlassung damit begründet wird. Im Übrigen weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass unter der Annahme, der Freiheitsentzug basiere auf der vom Strafgericht am 5. März 2010 angeordneten Massnahme, was unklar ist, eine rund achtmonatige Unterbringung in einer nicht auf Suchtbehandlungen spezialisierten Haftanstalt als unverhältnismässig erscheint, zumal dies dem Zweck der Massnahme widerspricht. Ohnehin scheint der Beschwerdeführer, soweit dies aufgrund der Akten überhaupt zu überprüfen ist, die gesamte Haftdauer erstanden zu haben. 
Nach dem Gesagten ist die angefochtene Verfügung in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben. Eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Verbesserung ist angesichts der Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Beschwerdeführers und der Dauer der bereits erstandenen Haft nicht angezeigt. Da nicht klar ist, wer überhaupt für den Entscheid zuständig ist, haben die zuständigen kantonalen Behörden umgehend eine Überprüfung der Haftvoraussetzungen vorzunehmen oder den Beschwerdeführer sofort aus der Haft zu entlassen. 
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und die Sache zum weiteren Vorgehen im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausgangsgemäss sind keine Gerichtskosten zu erheben und hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung, die seinem Rechtsvertreter auszurichten ist. Damit ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos und abzuschreiben (Art. 64, Art. 66 Abs. 1 und 4, Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Dasselbe gilt aufgrund der Entscheidung in der Sache für den prozessualen Antrag des Beschwerdeführers um vorsorgliche Haftentlassung. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die angefochtene Verfügung wird aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Basel-Stadt entschädigt den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Advokat Markus Trottmann, im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 1'500.--. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Präsident, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. April 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt