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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_207/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. September 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Dähler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
2. Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), Mühlestrasse 2, 3063 Ittigen, 
3. Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Verwaltungsstrafverfahren; Verfolgungsverjährung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 10. Januar 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Bezirksgericht Bülach hatte im Jahre 2014 eine Strafverfügung des Bundesamts für Zivilluftfahrt (BAZL) zu beurteilen, in der es teilweise um den gleichen Sachverhalt wie im heutigen Verfahren ging, nämlich um das nicht korrekte Führen von Flugbüchern zu Flugzeugen der A.________ AG in den Jahren 2010 bis 2012. Es wies am 18. August 2014 die vom BAZL beantragte Bestrafung der AG im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR; SR 313.0) als unzulässig ab, weil es mit verhältnismässigem Aufwand möglich gewesen wäre, die verantwortlichen natürlichen Personen zu ermitteln. 
 
Das BAZL erliess am 17. September 2015 zu einem Teil der fehlenden Eintragungen in den Flugbüchern einen Strafbescheid gegen X.________ als natürliche Person. Dieser erhob Einsprache. 
 
Das BAZL erliess am 22. Oktober 2015 eine Strafverfügung gestützt auf Art. 70 VStrR, worin es 7 fehlende Eintragungen fallen liess und X.________ wegen der 17 verbleibenden mit Fr. 850.-- büsste. Dieser erhob Einsprache, worauf das BAZL die Sache zur gerichtlichen Beurteilung überwies. 
 
B.   
Das Bezirksgericht Bülach bestrafte am 4. Mai 2016 X.________ mit einer Busse von Fr. 4'000.-- wegen mehrfacher fahrlässiger Widerhandlung gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 4 Verordnung der UVEK über die Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen (VLL; SR 748.215.1) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Verordnung über die Rechte und Pflichten des Kommandanten eines Luftfahrzeugs (VLLV; SR 748.225.1) sowie Art. 52a VLL und Art. 91 Abs. 1 lit. i Bundesgesetz über die Luftfahrt (LFG; SR 748.0). X.________ erhob Berufung. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 10. Januar 2017 den bezirksgerichtlichen Schuldspruch und büsste ihn mit Fr. 850.--. 
 
C.   
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben, das Verfahren wegen Verjährung einzustellen, soweit Widerhandlungen vor dem 4. Mai 2012 betroffen seien, ihn wegen der Widerhandlungen vom 6. und 7. Juli 2012 betreffend insgesamt 105 Flugminuten schuldig zu erklären und angemessen zu bestrafen, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens anteilsmässig festzusetzen und jene des vorinstanzlichen den Beschwerdegegnerinnen aufzuerlegen, ihm für den eingestellten Teil des erstinstanzlichen Verfahrens sowie für das vorinstanzliche und das bundesgerichtliche Verfahren angemessen für seine Verteidigerkosten zu entschädigen, eventualiter die Sache unter Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vor- oder die Erstinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer anerkennt den Sachverhalt, wonach noch 17 Flüge zu beurteilen sind, welche er nicht in die Flugbücher eingetragen hatte, davon 15 Flüge vor dem 4. Mai 2012 und 2 Flüge nach diesem Datum, nämlich am 6. und 7. Juli 2012.  
 
Er wendet ein, entgegen der Vorinstanz habe nicht die Strafverfügung des BAZL vom 22. Oktober 2015, sondern erst das Urteil des Bezirksgerichts vom 4. Mai 2016 die 4-jährige Verfolgungsverjährungsfrist unterbrochen, weshalb die vor dem 4. Mai 2012 begangenen Taten verjährt seien. 
 
 
1.2. Die Vorinstanz bezieht sich (wie die Erstinstanz) primär auf BGE 133 IV 112 und nimmt an, das Bundesgericht habe in der Zwischenzeit keine Praxisänderung vorgenommen. Sie kommt mit der Erstinstanz zum Ergebnis, die Verjährungsfrist sei durch die Strafverfügung vom 22. Oktober 2015 unterbrochen worden und die vorgeworfenen Taten zwischen dem 24. Oktober 2011 und dem 7. Juli 2012 seien nicht verjährt (Urteil S. 15).  
 
1.3. Das neue Verjährungsrecht kennt kein Ruhen und keine Unterbrechung der Verjährung mehr. Die Verjährung tritt nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährung ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (Art. 97 Abs. 3 StGB). Es blieb unsicher, ob namentlich Strafverfügungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 VStrR nach dem Willen des Gesetzgebers als erstinstanzliche Urteile im Sinne von aArt. 70 Abs. 3 StPO (bzw. Art. 97 Abs. 3 StGB n.F.) anzusehen sind (BGE 133 IV 112 E. 9.4.3).  
 
Das Bundesgericht entschied, nach dem VStrR habe jeder Strafverfügung (Art. 70 VStrR) zwingend ein Strafbescheid (Art. 64 VStrR) voranzugehen, welcher wie ein Strafmandat (Strafbefehl) auf summarischer Grundlage getroffen werden könne. Die Strafverfügung müsse dagegen einem erstinstanzlichen Urteil ähnlich auf einer umfassenden Grundlage beruhen und in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen werden. Während ein Strafbescheid Parallelen zu einem Strafmandat (Strafbefehl) aufweise, sei die Strafverfügung im Ergebnis einem gerichtlichen Entscheid gleichzustellen und demnach unter den Begriff des erstinstanzlichen Urteils im Sinne von aArt. 70 Abs. 3 StGB (bzw. Art. 97 Abs. 3 StGB) zu subsumieren (BGE 133 IV 112 E. 9.4.4). 
 
1.4. Das Bundesgericht nahm inzwischen keine Praxisänderung vor.  
 
BGE 139 IV 62 prüfte die im Beschwerdeverfahren vertretene Rechtsauffassung, die Verjährung höre bereits mit dem Strafbescheid der Verwaltung zu laufen auf (E. 1.4). Das Bundesgericht lehnte dies ab: werde das Einspracheverfahren übersprungen (Art. 71 VStrR), sei erst der erstinstanzliche Gerichtsentscheid im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu qualifizieren (E. 1.4.5); es sei nicht zu prüfen, ob dies auch gelte, wenn nach dem Strafbescheid eine Strafverfügung ausgefällt werde, "und die Rechtsprechung in diesem Sinne zu ändern wäre" (E. 1.4.6). 
 
BGE 142 IV 11 bezog sich auf BGE 133 IV 112 sowie BGE 139 IV 62 und führte aus, ein Strafbefehl, gegen welchen Einsprache (Art. 354 Abs. 1 StPO) erhoben worden sei, sei kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB (E. 1.2.2). 
 
Im jüngst ergangenen BGE 142 IV 276 E. 5.2 hielt das Bundesgericht fest, in verwaltungsstrafrechtlichen Verfahren konstituiere die Strafverfügung (le prononcé pénal de l'administration), welche dem Strafbescheid (mandat de répression) folge, die massgebende Entscheidung, welche die Verjährung beende (met fin à la prescription; mit Hinweis auf BGE 139 IV 62 E. 1.2). Im verwiesenen Bundesgerichtsentscheid wird BGE 133 IV 112 zitiert, wonach die Strafverfügung (Art. 70 VStrR) der massgebende Entscheid ist, mit welchem die Verjährung endet. 
 
1.5. Der Strafbefehl im Sinne der StPO stellt kein erstinstanzliches Urteil dar. Er ist ein blosser Urteilsvorschlag, der erst ohne gültige Einsprache zum rechtskräftigen Urteil wird (Art. 354 Abs. 3 StPO) und damit das Einverständnis der betroffenen Person voraussetzt (vgl. MARC THOMMEN, Kurzer Prozess - fairer Prozess?, 2013, S. 303 ff.). Hält die Staatsanwaltschaft nach einer Einsprache am Strafbefehl fest, überweist sie die Sache an das erstinstanzliche Gericht, und der Strafbefehl wird zur Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO). Strafbefehl und gerichtliche Beurteilung bilden in diesem Sinne im Fall der Einsprache eine Einheit, die insgesamt als Verfahren erster Instanz bezeichnet werden kann (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, Rz. 1472). Das Einspracheverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren (Urteil 6B_811/2014 vom 13. März 2015 E. 1.4 sowie BGE 140 IV 82 E. 2.6). Der Strafbefehl ist auch kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB (BGE 142 IV 11 E. 1.2.2).  
 
Anders verhält es sich im Verwaltungsstrafverfahren. Wie in BGE 142 IV 11 gestützt auf BGE 133 IV 112 ausgeführt wird, ist die Strafverfügung nach Art. 70 VStrR wie ein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu behandeln. Der beschuldigten Person werden weitgehende Mitwirkungsrechte eingeräumt. Auf Einsprache gegen den (summarischen) Strafbescheid hat die Verwaltung die Sache neu zu prüfen und eine begründete Strafverfügung nach Art. 70 VStrR zu erlassen. Die Strafverfügung muss einem erstinstanzlichen Urteil ähnlich auf einer umfassenden Grundlage beruhen und in einem kontradiktorischen Verfahren erlassen werden. Der Erlass eines Strafbescheids weist damit Parallelen zum Strafbefehl auf, während die Strafverfügung im Ergebnis einem gerichtlichen Entscheid gleichzustellen ist (BGE 142 IV 11 E. 1.2.1). 
 
1.6. Diese differenzierte Betrachtungsweise beruht auf den beiden unterschiedlichen Gesetzen StPO und VStrR sowie einer langjährigen Praxis. BGE 139 IV 62 E. 1.4.6 liess wohl offen, ob die Rechtsprechung "zu ändern wäre". BGE 142 IV 276 E. 5.2 stellte indessen ohne weitere Problematisierung der Rechtsprechung wiederum auf die bisherige Praxis nach BGE 133 IV 112 ab. Das Bundesgericht sah sich mithin nicht veranlasst, eine Praxisänderung tatsächlich ins Auge zu fassen. Eine Praxisänderung erschiene, wie die Erstinstanz annimmt, diskutabel. Doch ist weder aufgrund der zu beurteilenden Fallkonstellation noch der beiden kantonalen Urteile oder der Beschwerdevorbringen ein rechtserheblicher Grund auszumachen, der eine Änderung der langjährigen Rechtsprechung nahelegen würde. Dazu besteht umso weniger Anlass, als der jüngst publizierte BGE 142 IV 276 E. 5.2 die bisherige Praxis gerade fortführt.  
 
Eine Praxisänderung muss sich auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung als zutreffend erachtet worden ist. Eine Praxisänderung lässt sich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht. Einen ernsthaften sachlichen Grund für eine Praxisänderung kann unter anderem die genauere oder vollständigere Kenntnis des gesetzgeberischen Willens darstellen (BGE 141 II 297 E. 5.5.1 mit Hinweisen). 
 
Das Bundesgericht prüfte in BGE 133 IV 112, ob Strafverfügungen (Art. 70 Abs. 1 VStrR) nach dem Willen des Gesetzgebers als erstinstanzliche Urteile im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB anzusehen sind, und bejahte dies (oben E. 1.3). Weder eine bessere Erkenntnis des Gesetzeszweckes noch ernsthafte sachliche Gründe vermögen zurzeit eine Praxisänderung zu begründen. 
 
1.7. Es ist somit auf die bisherige Praxis abzustellen. Die vorinstanzliche Verneinung der Verjährung verletzt kein Bundesrecht.  
 
Der Beschwerdeführer weist darauf hin, das BAZL habe nach der Einsprache am 20. Oktober 2015 gegen den Strafbescheid bereits am 22. Oktober 2015 die Strafverfügung erlassen. Eine tiefgehende Reflexion dürfte hier nicht mehr möglich gewesen sein. Von einer umfassenden Urteilsgrundlage könne keine Rede sein. Eine rechtsfehlerhafte vorinstanzliche Entscheidung ist damit nicht begründet. 
 
Die Beurteilung der Strafe sowie die Entscheidung der Kosten- und Entschädigungsfolgen werden in der Beschwerde hinsichtlich der beantragten Gutheissung thematisiert und nicht als solche als bundesrechtswidrig gerügt. Darauf ist nach dem Verfahrensausgang nicht einzutreten. 
 
2.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Beschwerdeführer sind die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer werden die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. September 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw