Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
4A_266/2023
Urteil vom 11. Oktober 2023
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Hohl, Kiss,
Gerichtsschreiber Stähle.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Aebi,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Paul Thaler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Theorie der doppelrelevanten Tatsachen; Zwischenentscheid,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 20. April 2023 (LB230008-O/U).
Sachverhalt:
A.
B.________ (Kläger, Beschwerdegegner) war Mieter einer Liegenschaft an der U.________strasse in V.________ und führte dort das Restaurant Lotus Garden. Per 1. Juni 2018 "übernahm" A.________ (Beklagte, Beschwerdeführerin) das Restaurant zu einem "Übernahmepreis" von Fr. 150'000.--. Die Parteien einigten sich auf einen Zahlungsmechanismus, der unter anderem vorsah, dass die Beklagte dem Kläger die Kreditkarteneinnahmen aus dem Restaurantbetrieb in Anrechnung an den "Übernahmepreis" überweist.
Per Ende September 2019 kündigte die Vermieterin den Mietvertrag mit dem Kläger und schloss mit der Beklagten einen neuen Mietvertrag ab. Der Kläger kam bis Ende September 2019 gegenüber der Vermieterin für den Mietzins auf.
B.
Am 23. August 2022 reichte der Kläger beim Bezirksgericht Hinwil eine Klage gegen die Beklagte ein. Er machte geltend, der "Übernahmepreis" von Fr. 150'000.-- sei noch nicht vollständig getilgt worden, und verlangte von der Beklagten die Bezahlung des (angeblich) ausstehenden Betrags von Fr. 91'374.53. Ausserdem begehrte er die Rückzahlung der von ihm nach der "Übernahme" bis zum 30. September 2019 beglichenen Mietzinsen und Nebenkosten in Höhe von insgesamt Fr. 58'800.-- und Fr. 17'405.70.
Mit Eingabe vom 13. Oktober 2022 stellte die Beklagte unter anderem den Antrag, auf die Klage sei mangels sachlicher und örtlicher Zuständigkeit des Bezirksgerichts Hinwil nicht einzutreten.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2023 trat das Bezirksgericht auf die Klage ein.
Die hiergegen von der Beklagten eingereichte Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 20. April 2023 ab.
C.
Die Beklagte verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts und der Beschluss des Bezirksgerichts (soweit nicht die Höhe der Gerichtskosten betreffend) seien aufzuheben. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Hinwil sei zu verneinen und es sei nicht auf die Klage einzutreten. Eventualiter sei die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts Hinwil "teilweise" zu verneinen und "teilweise" auf die Klage nicht einzutreten.
Das Obergericht verzichtete auf Vernehmlassung. Der Kläger begehrt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde ist zulässig gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide, welche die Zuständigkeit oder den Ausstand betreffen (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die sofortige Beschwerde nur unter den alternativen Voraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG gegeben (BGE 144 III 475 E. 1 mit Hinweisen).
2.
2.1. Der vorinstanzlichen Rechtsmittelbelehrung zufolge soll es sich beim angefochtenen Urteil um einen "Zwischenentscheid im Sinne von Art. 92 BGG" handeln. Dies trifft nicht zu:
2.2. Im kantonalen Verfahren war umstritten, ob die vom Beschwerdegegner eingegebene Klage eine solche "aus Miete" ist. Gemäss Art. 33 ZPO wäre in diesem Fall das Gericht am Ort der gelegenen Sache (V.________) und nach § 21 Abs. 1 lit. a GOG/ZH (LS 211.1) das Mietgericht zuständig.
So argumentiert die Beschwerdeführerin. Dementsprechend hält sie das Bezirksgericht Hinwil sowohl in örtlicher als auch in sachlicher Hinsicht für unzuständig.
Der Beschwerdegegner stellt sich dagegen auf den Standpunkt, dass er keine mietrechtlichen Ansprüche, sondern vertragliche Ansprüche aus dem "Übernahmevertrag" geltend mache. Die besonderen Zuständigkeitsregeln für Streitigkeiten aus Miete (Art. 33 ZPO; § 21 Abs. 1 lit. a GOG/ZH) seien nicht anwendbar und seine Klage am Bezirksgericht Hinwil sei zulässig.
2.3. Das Bezirksgericht erwog, die Vorbringen des Beschwerdegegners zur Zuständigkeit seien "auch für die Beurteilung der Begründetheit der Forderung von Relevanz". Es gehe um "doppelrelevante Tatsachen", die im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung "als wahr zu unterstellen" seien, zumal sie nicht auf Anhieb fadenscheinig erschienen. Hänge nämlich die Zuständigkeit des Gerichts von der Natur des Anspruchs ab (etwa bei Miet- oder Arbeitsverhältnissen), so sei für die Zuständigkeitsfrage "primär auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch sowie dessen Begründung abzustellen".
In der Folge prüfte das Bezirksgericht gestützt auf den "als wahr unterstellten" Tatsachenvortrag des Beschwerdegegners, ob es sich um eine Klage aus Miete im Sinne von Art. 33 ZPO und § 21 Abs. 1 lit. a GOG/ZH handelt. Es verneinte dies und bejahte folglich seine Zuständigkeit.
2.4. Das Obergericht schützte diesen Entscheid, wobei es ebenfalls ausdrücklich von der "Theorie der doppelrelevanten Tatsachen" ausging. Es betonte, dass doppelrelevante Tatsachen im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung "nicht bewiesen" werden müssten. Vielmehr werde auf Grundlage der als wahr unterstellten Behauptungen und Anträge des Klägers über die Zuständigkeit entschieden.
Die Vorinstanz erachtete folglich "für die Zuständigkeitsfrage [...] die Sachdarstellung des Klägers" als massgebend, hielt diese für "schlüssig" und bestätigte den Beschluss des Bezirksgerichts.
2.5. Als doppelrelevant werden Tatsachen bezeichnet, von denen sowohl die Zulässigkeit einer Klage als auch ihre materielle Begründetheit abhängt. Sie werden - soweit der klägerische Tatsachenvortrag nicht auf Anhieb fadenscheinig oder inkohärent erscheint - für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage als wahr unterstellt und erst im Moment der materiellen Prüfung des eingeklagten Anspruchs untersucht. Das Gericht muss im Eintretensstadium einzig prüfen, ob die Behauptungen des Klägers schlüssig sind und demnach in rechtlicher Hinsicht den Schluss auf den von diesem angerufenen Gerichtsstand zulassen (im Einzelnen BGE 147 III 159 E. 2.1.2; 142 III 466 E. 4.1; 141 III 294 E. 5.1 f.).
Der Entscheid, mit dem ein Gericht die klägerischen Vorbringen als schlüssig betrachtet, um auf die Klage nach der Theorie der doppelrelevanten Tatsachen eintreten zu können, ist kein Zwischenentscheid nach Art. 92 BGG, weil die Zuständigkeitsfrage darin nicht effektiv entschieden ist (BGE 147 III 159 E. 3). Dies gilt gleichermassen für entsprechende Entscheide der Erstinstanz im Klageverfahren wie auch für entsprechende Entscheide der zweiten Instanz, mit denen die Sache an die Erstinstanz zurückgewiesen wird, um die Klage zu behandeln, oder mit denen ein erstinstanzlicher Entscheid, auf die Klage einzutreten, bestätigt wird. Dies ist ständige Rechtsprechung (BGE 147 III 159 E. 3; Urteile 4A_410/2023, 4A_412/2023 und 4A_414/2023, je vom 20. September 2023 E. 3; 4A_219/2023 vom 9. Mai 2023 E. 2.1; 4A_393/2022 vom 26. April 2023 E. 1.1; 4A_429/2020 vom 5. Mai 2021 E. 2).
2.6. Das angefochtene Urteil stellt demnach keinen Entscheid über die Zuständigkeit im Sinne von Art. 92 BGG, sondern einen Zwischenentscheid gemäss Art. 93 BGG dar.
Wohl ist in der Rechtsmittelbelehrung von einem "Zwischenentscheid im Sinne von Art. 92 BGG" die Rede. Indes bindet die falsche Rechtsmittelbelehrung des Obergerichts das Bundesgericht nicht, und sie schafft insbesondere kein Rechtsmittel, das gemäss Gesetz nicht gegeben ist (BGE 140 III 571 E. 1.2; 135 III 470 E. 1.2). Vorliegend ergibt sich die Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Rechtsmittelbelehrung aus BGE 147 III 159 E. 3, mithin aus der in der amtlichen Sammlung veröffentlichten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wovon die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin Kenntnis haben muss (Urteil 4A_573/2021 vom 17. Mai 2022 E. 4; vgl. auch BGE 134 III 534 E. 3.2.3.3).
Es bleibt daher dabei, dass die Beschwerde nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 BGG zulässig ist.
3.
Gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide nach Art. 93 BGG ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG). Es obliegt der beschwerdeführenden Partei, darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich in die Augen springt (BGE 142 III 798 E. 2.2).
Die Beschwerdeführerin äussert sich nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG. Dass diese gegeben wären, springt auch nicht offensichtlich ins Auge.
4.
Nach dem Gesagten kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (siehe Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Oktober 2023
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jametti
Der Gerichtsschreiber: Stähle