Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_309/2023
Urteil vom 11. Oktober 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Donzallaz,
Bundesrichterinnen Hänni, Ryter,
Bundesrichter Kradolfer,
Gerichtsschreiber Zollinger.
Verfahrensbeteiligte
Stadt Winterthur,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Prof. Dr. Andreas Abegg
und/oder Prof. Dr. Goran Seferovic,
gegen
Zürcher Verkehrsverbund (ZVV),
handelnd durch den Verkehrsrat,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Verbundfahrplan 2022-2023,
Beschwerde gegen den Beschluss Nr. 357 des
Regierungsrats des Kantons Zürich vom 29. März 2023.
Sachverhalt:
A.
Der Verkehrsrat des Zürcher Verkehrsverbunds stimmte mit Beschluss vom 1. Juli 2021 den gegenüber dem Verbundfahrplan 2021 vorgenommenen Angebotsänderungen für die Fahrpläne 2022 und 2023 zu und ermächtigte die Direktion des Zürcher Verkehrsverbunds, die entsprechenden Fahrpläne zu erstellen und den Gemeinden in rekursfähiger Form zu eröffnen. Mit Schreiben vom 23. August 2021 eröffnete der Zürcher Verkehrsverbund den politischen Gemeinden im Kanton Zürich, darunter der Stadt Winterthur, diesen Beschluss sowie den Verbundfahrplan 2022-2023.
B.
Gegen die Verfügung vom 23. August 2021 erhob die Stadt Winterthur am 10. September 2021 Rekurs beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Sie verlangte im Wesentlichen, es sei der Zürcher Verkehrsverbund zu verpflichten, auf den Angebotsabbau auf der Buslinie W10 zu verzichten und das Angebot analog dem Fahrplan 2021 weiterzuführen sowie die Kosten dieses Angebots zu übernehmen.
Mit Beschluss Nr. 357 vom 29. März 2023 wies der Regierungsrat den Rekurs der Stadt Winterthur ab, soweit dieser nicht gegenstandslos war. Er erwog, der Zürcher Verkehrsverbund habe im Rahmen des Fahrplanverfahrens die Anhörungs- und Mitwirkungsrechte der Gemeinden und Transportunternehmen gewahrt. Es liege keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. In materieller Hinsicht kam der Regierungsrat zum Schluss, dass trotz der strittigen Taktreduktion auf der Buslinie W10 das erforderliche gesetzliche Minimum eingehalten werde. Mit Bezug auf die durch die Einführung von Tempo 30 verursachten Mehrkosten lehnte der Regierungsrat die Überwälzung auf den Zürcher Verkehrsverbund mit der Begründung ab, dass die Stadt Winterthur als Strasseneigentümerin im Hinblick auf den Strassenlärm als Zustandsverursacherin gelte, weshalb sie auch die unmittelbaren und mittelbaren Kosten zu tragen habe, die sich aus den Lärmsanierungsmassnahmen (Tempo 30) ergäben.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 26. Mai 2023 gelangt die Stadt Winterthur gegen den Regierungsratsbeschluss Nr. 357 vom 29. März 2023 an das Bundesgericht. Sie beantragt, es sei festzustellen, dass der Zürcher Verkehrsverbund das rechtliche Gehör der Stadt Winterthur verletzt habe. Der angefochtene Beschluss sei aufzuheben.
Der Regierungsrat beantragt, es sei die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werde. Der Zürcher Verkehrsverbund (nachfolgend: Beschwerdegegner) schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen (Art. 29 Abs. 1 BGG) und mit freier Kognition (vgl. BGE 147 I 89 E. 1; 146 II 276 E. 1).
1.1. Im vorliegenden Verfahren ist ein Beschluss des Regierungsrats angefochten. Der Beschluss stellt zwar einen Entscheid in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts dar (vgl. Art. 82 lit. a BGG). Beim Regierungsrat handelt es sich jedoch um keine Vorinstanz im Sinne von Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 BGG.
1.1.1. Gemäss § 44 Abs. 1 lit. e des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG/ZH; LS 175.2) ist die Beschwerde an das Verwaltungsgericht gegen Anordnungen des Verkehrsrats über die Ausgestaltung der Grundversorgung und die Festlegung der übrigen Verkehrsangebote unzulässig. Unbesehen dieser kantonalen Bestimmung ist die Frage, ob der Ausschluss des Gerichtszugangs zulässig ist, nicht nach dem kantonalen Recht, sondern aufgrund der Einheit des Verfahrens gestützt auf Bundesrecht zu beurteilen (vgl. Art. 111 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 86 Abs. 3 BGG). Das kantonale Recht darf bei der Beschränkung des Zugangs zum Gericht nicht strenger sein als die Regelung im Bundesgerichtsgesetz (vgl. BGE 149 I 146 E. 3.4.1; 144 I 43 E. 2.1; 141 II 307 E. 6.1). Ob die kantonalrechtliche Beschränkung des Gerichtszugangs gemäss § 44 Abs. 1 lit. e VRG/ZH der Regelung von Art. 86 Abs. 3 BGG standhält, liess das Bundesgericht bisher ausdrücklich offen (vgl. Urteil 2C_218/2009 vom 21. Oktober 2009 E. 1.2).
1.1.2. Für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter können die Kantone gemäss Art. 86 Abs. 3 BGG anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen. Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff "Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter" zu verstehen ist, wird in den Materialien zwar nicht näher erläutert. Art. 86 Abs. 3 BGG ist nach der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung jedoch restriktiv auszulegen und anzuwenden (vgl. BGE 149 I 146 E. 3.3.2; 147 I 1 E. 3.3.2). Der politische Charakter der Angelegenheit muss offensichtlich sein. Dass die Sache eine politische Bedeutung hat, genügt nicht. Diese muss vielmehr unzweifelhaft im Vordergrund stehen und mögliche, auf dem Spiel stehende individuelle Interessen in den Hintergrund treten lassen (vgl. BGE 147 I 1 E. 3.3.2; 141 I 172 E. 4.4.1; 136 I 42 E. 1.5.4 ["si l'aspect politique prévaut sans discussion"]). Der Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung kann wegen des politischen Inhalts eines Entscheids oder seines politischen Umfelds infrage kommen (vgl. BGE 147 I 1 E. 3.3.2; vgl. auch BGE 141 I 172 E. 4.4.2). Mit Art. 86 Abs. 3 BGG soll den Kantonen namentlich die Möglichkeit eingeräumt werden, nicht justiziable, politisch bedeutsame Verwaltungsakte des Parlaments von der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung auszunehmen (vgl. BGE 136 II 436 E. 1.2). Folglich ist der Begriff des vorwiegend politischen Charakters namentlich durch die fehlende Justiziabilität sowie die spezifische Ausgestaltung der demokratischen Mitwirkungsrechte und die damit verbundenen Aspekte der Gewaltenteilung geprägt. Die Zuständigkeit einer oberen politischen Behörde oder die Einräumung von Ermessen bei der Entscheidfindung sind zwar mögliche Indizien für den politischen Charakter, rechtfertigen für sich allein aber noch nicht eine Ausnahme (vgl. BGE 149 I 146 E. 3.3.3 und E. 3.4.1 f.; Urteile 1C_479/2018 vom 31. Januar 2019 E. 3.2; 2C_266/2018 vom 19. September 2018 E. 4; 8C_353/2013 vom 28. August 2013 E. 6.2).
1.1.3. Der angefochtene Regierungsratsbeschluss überprüft den Beschluss des Verkehrsrats über das Verbundangebot im Sinne von §§ 18 f. des Gesetzes des Kantons Zürich vom 6. März 1988 über den öffentlichen Personenverkehr (PVG/ZH; LS 740.1) für die Verbundfahrplanjahre 2022-2023 (vgl. Bst. A hiervor). Während § 18 PVG/ZH die Grundsätze des Verbundangebots regelt, bestimmt § 19 PVG/ZH das Fahrplanverfahren samt den Anhörungs- und Mitwirkungsrechten. Das Verbundangebot wird in der Verordnung des Kantons Zürich vom 14. Dezember 1988 über das Angebot im öffentlichen Personenverkehr (Angebotsverordnung/ZH; LS 740.3) konkretisiert. Darin werden Angebotsbereiche definiert und der darin jeweils erforderliche Minuten-Takt vorgegeben (vgl. §§ 11-13a Angebotsverordnung/ZH). Die Frage, ob die in §§ 18 f. PVG/ZH vorgegebenen Grundsätze und Verfahrensvorschriften sowie die auf Verordnungsstufe konkretisierten (Minimal-) Vorgaben an das Kursangebot in den jeweiligen Angebotsbereichen eingehalten werden, ist einer gerichtlichen Kontrolle ohne Weiteres zugänglich. Dies gilt insbesondere für die Anforderungen an die Grundversorgung. Innerhalb dieser kantonalrechtlichen Vorgaben verbleibt dem Beschwerdegegner - namentlich mit Blick auf die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung des Fahrplansystems - klarerweise ein Ermessen. Der Umstand, dass dem Beschwerdegegner bei der Ausgestaltung der Grundversorgung im öffentlichen Verkehr und bei der Festlegung der übrigen Verkehrsangebote ein Ermessensspielraum zukommt, ist bei der Beurteilung, ob der Entscheid politischen Charakter hat, allerdings nicht ausschlaggebend (vgl. BGE 149 I 146 E. 3.4).
1.1.4. Dass die Anordnungen des Verkehrsrats über die Ausgestaltung der Grundversorgung und die Festlegung der übrigen Verkehrsangebote durchaus einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind und entgegen der Regelung von § 44 Abs. 1 lit. e VRG/ZH keinen vorwiegend politischen Charakter haben, zeigen auch die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Rügen. Sie bemängelt zunächst eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da unter anderem die Anhörungs- und Mitwirkungsrechte gemäss § 19 PVG/ZH nicht rechtsgenüglich gewahrt worden seien. Sodann beanstandet die Beschwerdeführerin in materieller Hinsicht, dass jene Mehrkosten durch den Beschwerdegegner zu tragen seien, die als Folge der notwendigen Geschwindigkeitsreduktionen (Tempo 30) entstünden, um die bestehende Minuten-Taktfrequenz im öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten. Beide (Rechts-) Fragen lassen sich in einem gerichtlichen Verfahren beantworten und haben eine untergeordnete politische Dimension. Die nicht anfechtbaren Anordnungen des Verkehrsrats gemäss § 44 Abs. 1 lit. e VRG/ZH betreffen überdies auch die Ausgestaltung der Grundversorgung. Den Entscheiden über die Gewährleistung der Grundversorgung im Sinne von § 18 Abs. 1 PVG/ZH kommt aber ebenso kein vorwiegend politischer Charakter zu. Der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Anordnungen des Verkehrsrats im Kanton Zürich ist vor diesem Hintergrund nicht bundesrechtskonform.
1.1.5. Bei der erforderlichen gerichtlichen Kontrolle geht es selbstredend nicht darum, dass das Gericht durch eine isolierte Entscheidung in das Fahrplansystem eingreift und auf diese Weise Verschiebungen im Verbundangebot als austariertes Gesamtsystem bewirkt. Vielmehr hat die gerichtliche Kontrolle sicherzustellen, dass die Anhörungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten hinreichend gewahrt werden und dass übergeordnete Grundsatzfragen, insbesondere mit Blick auf die künftige Fahrplangestaltung oder die
Ausgestaltung der Grundversorgung, geklärt werden können. Soweit eine Kontrolle von Ermessensentscheiden zur Diskussion steht, hat das Verwaltungsgericht zudem zu gewährleisten, dass der Verkehrsrat das Ermessen pflichtgemäss ausübt (vgl. dazu BGE 149 I 146 E. 3.4.1; 137 V 71 E. 5.1). Darüber hinaus ist das Verwaltungsgericht ohne Weiteres in der Lage, den Handlungs- und Ermessensspielraum des Verkehrsrats - gerade mit Blick auf die
Festlegung der übrigen Verkehrsangebote - durch eine Anpassung des Kontrollumfangs und der Kontrolldichte zu respektieren (vgl. Urteil 1D_1/2011 vom 13. April 2011 E. 2.5; vgl. auch Urteil 8C_353/2013 vom 28. August 2013 E. 6.3). Eine gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit der angefochtenen Entscheide verlangt Art. 110 BGG nicht (vgl. BGE 142 II 49 E. 4.4; Urteil 2C_228/2020 vom 21. Juli 2020 E. 3.3.1).
1.2. Nach dem Dargelegten liegt der vorliegenden Angelegenheit kein Entscheid mit vorwiegend politischem Charakter zugrunde. Der Ausschluss der gerichtlichen Überprüfung gemäss § 44 Abs. 1 lit. e VRG/ZH hält der bundesrechtlichen Vorgabe von Art. 86 Abs. 3 BGG nicht stand. Praxisgemäss ist die Angelegenheit an das Verwaltungsgericht zur Behandlung zu überweisen (vgl. BGE 147 I 333 E. 2; 136 I 42 E. 2; 135 II 94 E. 6.2). Damit kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin zur Erhebung der bundesgerichtlichen Beschwerde legitimiert ist (vgl. Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG). Dies erscheint zum jetzigen Zeitpunkt zumindest fraglich (vgl. Urteil 2C_218/2009 vom 21. Oktober 2009 E. 1 und E. 2).
2.
Im Ergebnis ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Die Angelegenheit ist an das Verwaltungsgericht zur Behandlung zu überweisen.
Diesem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG; vgl. Urteil 2C_218/2009 vom 21. Oktober 2009 E. 3). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird nicht eingetreten.
2.
Die Angelegenheit wird an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zur Behandlung überwiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Regierungsrat des Kantons Zürich und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Oktober 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: M. Zollinger