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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_225/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. Dezember 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Siegenthaler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel, 
2. A.________, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einsprache gegen Strafbefehl; Teilrechtskraft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 9. Dezember 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
X.________ hatte den Fotografen A.________ anlässlich eines Streits um Qualität und Kosten von Modeaufnahmen, die dieser in ihrem Auftrag von ihr gemacht hatte, erfolglos betrieben und ihn am 5. Juni 2012 schliesslich wegen Betrugs und Steuerhinterziehung angezeigt (wobei das entsprechende Verfahren mittels Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft erledigt wurde). Im Gegenzug erhob A.________ am 20. Juni 2012 Strafanzeige gegen X.________ wegen Verleumdung, übler Nachrede, Beschimpfung sowie Erpressung und konstituierte sich im betreffenden Verfahren als Straf- und Zivilkläger. 
 
B.   
Am 4. August 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt das Verfahren gegen X.________ wegen versuchter Erpressung und Ehrverletzung ein, verurteilte sie aber wegen übler Nachrede und Beschimpfung zum Nachteil von A.________ mittels Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 30.-- bei einer Probezeit von 2 Jahren sowie zu einer Busse von Fr. 300.--. Die Forderungen des Privatklägers A.________ auf eine Genugtuung von Fr. 1'500.-- sowie eine Parteientschädigung von Fr. 4'075.60 verwies sie auf den Zivilweg. 
A.________ erhob am 18. August 2014 einerseits Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss vom 4. August 2014, andererseits Einsprache gegen den Strafbefehl gleichen Datums mit dem Antrag, X.________ sei zu verpflichten, ihm die Kosten seiner anwaltlichen Vertretung zu entschädigen. Daraufhin verfügte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 26. August 2014 im Einspracheverfahren, die Strafuntersuchung wegen übler Nachrede und mehrfacher Beschimpfung werde sistiert, da ihr Fortgang vom Beschwerdeverfahren abhänge. 
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die Beschwerde von A.________ am 9. März 2015 teilweise gut, hob die Einstellungsverfügung vom 4. August 2014 hinsichtlich der Ehrverletzungsdelikte auf und wies die Sache zu weiteren Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurück. Diese verfügte in der Folge nicht nur im (ursprünglich eingestellten) Verfahren wegen Ehrverletzung weitere Beweiserhebungen, sondern auch im bereits durch den Strafbefehl vom 4. August 2014 vorläufig abgeschlossenen Verfahren wegen übler Nachrede. Am 24. September 2015 stellte sie das Verfahren gegen X.________ wegen Ehrverletzung schliesslich erneut ein und überwies den (unveränderten) Strafbefehl betreffend üble Nachrede und Beschimpfung mit der Einsprache von A.________ an das Strafgericht. 
Am 31. März 2016 kündigte die Strafgerichtspräsidentin dem Anwalt von X.________ telefonisch an, dass sie die auf den 5. April 2016 anberaumte Verhandlung absetzen werde, da A.________ infolge unbekannten Aufenthalts nicht vorgeladen werden könne, und dass sie beabsichtige, das Verfahren zufolge Rückzugs der Einsprache abzuschreiben. Damit erklärte sich der Rechtsvertreter von X.________ nicht einverstanden. Er vertrat die Ansicht, aufgrund der weiteren Ermittlungen, die auch im Strafbefehlsverfahren noch getätigt worden seien, hätte seiner Klientin erneut die Möglichkeit der Einspracheerhebung gegen den unverändert gebliebenen Strafbefehl eingeräumt werden müssen. Deshalb sei das Verfahren nun nicht abzuschreiben, sondern die Verhandlung durchzuführen und die Angelegenheit materiell zu beurteilen. 
Am 1. April 2016 setzte die Strafgerichtspräsidentin die Verhandlung vom 5. April 2016 ab und kündigte an, A.________ werde auf dem Publikationsweg zu einem neuen Verhandlungstermin geladen. Vor dessen Ansetzen werde über den Antrag von X.________ betreffend Wiederherstellung der Einsprachefrist entschieden. 
Mit Eingabe vom 20. Juli 2016 stellte sich der Anwalt von X.________ auf den Standpunkt, das Strafverfahren gegen seine Mandantin sei inzwischen verjährt und daher einzustellen. Mit Verfügung gleichen Datums trat das Einzelgericht in Strafsachen auf das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist nicht ein und stellte fest, dass der Strafbefehl vom 4. August 2014 gegen X.________ in Rechtskraft erwachsen sei und die beurteilten Delikte daher nicht verjährt seien. 
Die gegen diese Verfügung vom 20. Juli 2016 geführte Beschwerde von X.________ wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 9. Dezember 2016 ab. 
 
C.   
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 9. Dezember 2016 sei aufzuheben. Entsprechend sei das beim Strafgericht des Kantons Basel-Stadt hängige Strafverfahren gegen sie wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung einzustellen und ihr eine Parteientschädigung von Fr. 29'819.95 sowie eine Genugtuung von Fr. 15'000.-- zuzusprechen. Eventualiter sei auf das von ihr beim Strafgericht Basel-Stadt gestellte Restitutionsgesuch vom 31. März 2016 wegen Gegenstandslosigkeit nicht einzutreten und festzustellen, dass der von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 4. August 2014 gegen sie erlassene Strafbefehl nicht in Rechtskraft erwachsen sei, sowie das gegen sie geführte Strafverfahren wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung einzustellen und ihr eine Parteientschädigung von Fr. 29'819.95 sowie eine Genugtuung von Fr. 15'000.-- zuzusprechen. Subeventualiter sei die Angelegenheit im Sinne der Erwägungen an das Strafgericht Basel-Stadt zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, indem die Vorinstanz von einer Teilrechtskraft des Strafbefehls vom 4. August 2014 hinsichtlich Schuldspruch und Strafe ausgehe, verletze sie Art. 354 und 356 StPO i.V.m. Art. 437 StPO sowie Art. 438 StPO. Zur Begründung führt sie aus (Beschwerde, S. 9 ff.), eine Einsprache hemme die Wirksamkeit des gesamten Strafbefehls, eine Teilwirksamkeit respektive Teilrechtskraft sei in den Bestimmungen gemäss Art. 354-356 StPO nicht geregelt. Auch eine partielle Einsprache entfalte keine partielle Wirkung, da eine Teilrechtskraft nur bei der Erhebung eines ordentlichen Rechtsmittels in Frage komme und die Einsprache kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf sei. Bis heute sei kein endgültiger Entscheid seitens des Strafgerichts ergangen; weder seien die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung geladen, noch sei ein schriftliches Urteil eröffnet worden. Infolgedessen könne der Strafbefehl vom 4. August 2014 mangels abschliessender erstinstanzlicher rechtlicher Erkenntnis nicht in Rechtskraft erwachsen sein. Der Beschwerdegegner habe seine Einsprache weder explizit zurückgezogen, noch sei ein fiktiver Rückzug im Sinne von Art. 356 Abs. 4 StPO erfolgt oder über die Einsprache gerichtlich entschieden worden. Der fragliche Strafbefehl sei bis zuletzt einsprachebelastet gewesen und habe deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen können. Somit sei inzwischen die Strafverfolgungsverjährung gemäss Art. 178 Abs. 1 StGB eingetreten und das Verfahren gegen die Beschwerdeführerin einzustellen.  
 
1.2. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.  
 
1.2.1. Zwar bringt die Beschwerdeführerin zutreffend vor, dass die Einsprache kein Rechtsmittel, sondern ein Rechtsbehelf sei und im Falle ihrer Erhebung gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung der gesamte Strafbefehl dahinfalle (BGE 142 IV 11 E. 1.2.2; 140 IV 82 E. 2.6; je mit Hinweis). Allerdings gilt dies nur, soweit die Einsprache Hauptpunkte wie namentlich Schuldspruch und Strafe betrifft. Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen eine Einsprache lediglich in Bezug auf Nebenpunkte erhoben wird, deren Beurteilung keinerlei Einfluss auf Schuldspruch und Strafe mehr haben kann. Bezieht sich eine Einsprache nur auf die Kosten und Entschädigungen oder weitere Nebenfolgen, sieht Art. 356 Abs. 6 StPO das schriftliche Verfahren vor (ausser die Einsprache erhebende Person verlange ausdrücklich eine Verhandlung). Diese Bestimmung impliziert, dass im Falle einer solchen partiellen Einsprache der betreffende Strafbefehl hinsichtlich der übrigen, von den angefochtenen Nebenfolgen unabhängigen Punkte wie Schuldspruch und Strafe in Rechtskraft erwächst und darüber deshalb nicht mehr zu verhandeln ist. Für diese Auslegung spricht insbesondere auch die Botschaft des Bundesrats zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, wonach im Falle einer Einsprache im Sinne von Art. 356 Abs. 6 StPO der Entscheid in Form eines Beschlusses oder einer Verfügung ergehe, da in diesem beschränkten Einspracheverfahren nicht über den Schuldpunkt befunden werde (BBl 2006 1292).  
Die gegenteilige, von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung könnte in Konstellationen wie der vorliegenden dazu führen, dass sich Privatkläger im Falle einer verweigerten Parteientschädigung bei in absehbarer Zeit drohender Verjährung mit der Entscheidung konfrontiert sähen, entweder Einsprache zu erheben und damit allenfalls die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung der Delikte zu riskieren (und in der Folge ebenfalls keine Parteientschädigung zu erhalten), oder auf eine Einsprache (und damit auch auf die verweigerte Parteientschädigung) zu verzichten, um die Verurteilung der beschuldigten Person nicht zu gefährden. Dies kann vom Gesetzgeber so nicht gewollt sein. 
Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie zum Schluss gelangt, der Strafbefehl vom 4. August 2014 sei in Bezug auf Schuld- und Strafpunkt in Rechtskraft erwachsen, weshalb die entsprechenden Delikte nicht verjährt seien. 
 
1.2.2. Nicht zu hören ist die Beschwerdeführerin mit ihrer Argumentation, dass eine solche Auslegung von Art. 356 Abs. 6 StPO in Widerspruch zu Art. 33 StGB stehe, weil sie verhindere, dass es vor Gericht noch zu einer gütlichen Einigung kommen könnte, im Rahmen welcher der Beschwerdegegner seine Strafanträge gegen sie zurückziehen würde (Beschwerde, S. 14 f.). Um die Option einer gütlichen Einigung vor Gericht aufrecht zu erhalten, hätte die Beschwerdeführerin Einsprache gegen den Strafbefehl erheben können. Allein dass sie dies nicht tat und nicht die obige Auslegung von Art. 356 Abs. 6 StPO steht dieser Möglichkeit nun entgegen. Ein Widerspruch zu Art. 33 StGB ist nicht auszumachen.  
 
1.2.3. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei nie ein Rückzug der Einsprache des Beschwerdegegners erfolgt, weder explizit noch fiktiv im Sinne von Art. 356 Abs. 4 StPO (Beschwerde, S. 10), erweist sich im vorliegenden Verfahren als irrelevant. Da der Strafbefehl vom 4. August 2014 hinsichtlich Schuld- und Strafpunkt in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. E. 1.2.1), kann sich ein allfälliger Einspracherückzug nur im noch hängigen Einspracheverfahren bezüglich der dem Beschwerdegegner verweigerten Parteientschädigung auswirken und wird folglich auch in jenem zu beurteilen sein. Vorliegend ist darauf nicht einzugehen.  
Gleiches gilt für die Kritik der Beschwerdeführerin, dass noch immer keine rechtsgültige Vorladung des Beschwerdegegners zu einer Hauptverhandlung erfolgt sei (Beschwerde, S. 12). Auch dieser Einwand betrifft allein das Verfahren betreffend die Einsprache des Beschwerdegegners und bleibt ohne Einfluss auf die Teilrechtskraft des Strafbefehls vom 4. August 2014. 
 
1.3. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin, wonach die Vorinstanz mangels Eintritts einer Teilrechtskraft die Rechtmässigkeit des gesamten Strafbefehls hätte überprüfen müssen und insbesondere eine umfassende Beweiswürdigung hätte vornehmen sollen (vgl. Beschwerde, S. 12 f.).  
 
2.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Kosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. Dezember 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler