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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
U 461/06 
 
Urteil vom 12. Januar 2007 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger, 
Gerichtsschreiberin Heine. 
 
Parteien 
M.________, 1976, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich, Münchhaldenstrasse 24, 8008 Zürich, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 16. August 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1976 geborene M.________ arbeitete vom 9. Juli 2002 bis 29. Dezember 2003 in der Firma X.________ als Betriebsarbeiterin und war bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 11. Januar 2004 zog sie sich bei einem Auffahrunfall eine Stauchung der Wirbelsäule zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggelder). Nach einem Bericht des Spitals I.________ vom 3. September 2004 und einer biomechanischen Kurzbeurteilung der Arbeitsgruppe Z.________ vom 29. September 2004 stellte die SUVA mit Verfügung vom 6. Dezember 2004 die laufenden Versicherungsleistungen ab dem 31. Dezember 2004 ein und verneinte einen Anspruch auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. März 2005 fest. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 16. August 2006). 
C. 
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren stellen, die SUVA sei, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids, zu verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen weiterhin zu erbringen. 
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
 
2. 
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung (Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im Allgemeinen (BGE 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung (BGE 116 V 157 Erw. 3a) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw. 1c; vgl. auch BGE 125 V 352 ff. Erw. 3 mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
2.2 Die Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen (ohne organisch nachweisbare Unfallfolgeschäden) hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 366 Erw. 6a und 382 Erw. 4b dargelegten Rechtsprechung mit ihrer fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 99 Erw. 2a, 119 V 335, 117 V 359 und 382 f. Erw. 4b; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437, 2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 Erw. 2). Von diesem Grundsatz ist abzuweichen, wenn die zum typischen Beschwerdebild eines HWS-Schleudertraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber unmittelbar nach dem Unfall ganz in den Hintergrund treten oder die physischen Beschwerden im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten Kausalität praxisgemäss unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE 115 V 133 ff. vorzunehmen (BGE 123 V 99 Erw. 2a; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437 [Urteil W. vom 18. Juni 2002, U 164/01]). 
3. 
3.1 Mit Blick auf die Aktenlage und die Parteivorbringen besteht kein Anlass, den vorinstanzlich in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen bejahten (teilweisen) natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 11. Januar 2004 und dem über den 31. Dezember 2004 hinaus fortdauernden, die Leistungsfähigkeit einschränkenden somatoformen Beschwerdebild der Versicherten letztinstanzlich erneut der richterlichen Überprüfung zu unterziehen (BGE 110 V 53 Erw. 4b). Zu beurteilen bleibt die - einzig - umstrittene Adäquanz des Kausalzusammenhangs. 
3.2 Aus den Akten geht hervor, dass unmittelbar nach dem Unfall (Arztzeugnis UVG vom 23. Januar 2004) die depressiv klagende Versicherte Schmerzen im HWS- und LWS-Bereich beschrieb, wobei sie aufgetretene chronische Rückenschmerzen bekannte. Es wurden weder eine Wirbelsäulen-Klopfdolenz noch neurologische Defizite festgestellt; auch die Röntgenbilder ergaben keine Hinweise auf eine strukturelle Läsion. Die diagnostizierte leichte HWS-Distorsion führte weder zu einer dauernden Behandlungsbedürftigkeit noch zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Die in der Folge durchgeführte kreisärztliche Untersuchung des Dr. med. O.________ vom 3. März 2004 zeichnete das Bild einer überforderten Patientin, welche nach dem Unfall einen totalen Zusammenbruch erlitt, wobei die zentrale Problematik mit hoher Wahrscheinlichkeit psychosomatisch war. Diese Diagnose wurde auch im Kurzbericht des Spitals I.________ vom 25. Juni 2004 bestätigt: generalisiertes Schmerzsyndrom, Menorrhagie unklarer Ätiologie, mittelgradige depressive Episode. Im Bericht vom 3. September 2004 hielten die Ärzte des Spitals I.________ fest, dass die Patientin unter einem generalisierten Schmerzsyndrom, ausgelöst nach HWS-Distorsionstrauma (R52.1), und einer mittelgradigen depressiven Episode (F 32.1) leide. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die zum typischen Beschwerdebild nach Schleudertrauma der HWS auftretenden Beeinträchtigungen anfänglich zwar teilweise vorhanden waren, schon kurz nach dem Unfall und im Verlauf der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum Beurteilungszeitpunkt gesamthaft jedoch nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben und damit ganz in den Hintergrund getreten sind. Die Adäquanzbeurteilung hat daher nicht nach den für Schleudertrauma und schleudertraumaähnliche Verletzungen der HWS (BGE 117 V 359 ff: RKUV 2000 Nr. U 395 S. 317 Erw. 3: SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67), sondern nach den für psychische Unfallfolgen (BGE 115 V 133 ff.) geltenden Regeln zu erfolgen (BGE 123 V 99 Erw. 2A; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437). Daran vermögen auch die Ausführungen des Prof. Dr. med. S.________ nichts zu ändern. Im Gegenteil wird anhand der anamnestischen Angaben im Bericht vom 19. September 2005 deutlich, dass bereits vor dem Auffahrunfall psychosomatisch orientierte Beschwerden vorhanden waren und auftretende Thoraxschmerzen jeweils mit Atmungsbehinderungen einhergingen und bereits damals panikartige Ängste auslösten. Auch der darin enthaltene Hinweis auf die Ausführungen des Dr. med. H.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 10. November 2004, erlauben keine andere Schlussfolgerung, da Dr. med. H.________ explizit als Diagnose ein generalisiertes Schmerzsyndrom mit einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Störung stellte. 
4. 
4.1 Einfache Auffahrunfälle werden im Rahmen der Adäquanzbeurteilung in der Regel als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Unfällen qualifiziert (RKUV 2005 Nr. U 549 S. 237 Erw. 5.1.2). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs wäre daher zu bejahen, wenn ein einzelnes der in die Beurteilung einzubeziehenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt wäre oder mehrere der zu berücksichtigenden Kriterien gegeben wären (BGE 115 V 140 Erw. 6c/bb). 
4.2 Der Unfall vom 11. Januar 2004 hat sich nicht unter besonders dramatischen Begleiterscheinungen ereignet noch war er - objektiv betrachtet (RKUV 1999 Nr. U 335 S. 209 Erw. 3b/cc; vgl auch RKUV 2000 Nr. U 394 S. 313) - von besonderer Eindrücklichkeit. Er hatte auch keine schweren Verletzungen oder Verletzungen besonderer Art zur Folge. Die Diagnose eines Schleudertraumas oder einer schleudertraumaähnlichen Verletzung der HWS vermag die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzung und insbesondere ihre erfahrungsgemässe Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, für sich allein nicht zu begründen. Es bedarf hiezu einer besonderen Schwere der für das Schleudertrauma typischen Beschwerden oder besonderer Umstände, welche das Beschwerdebild beeinflussen können (Urteile S. vom 10. Februar 2006, U 79/05, C. vom 28. April 2005, U 386/04, D. vom 4. September 2003, U 371/02, T. vom 6. Februar 2002, U 61/00, und D. vom 16. August 2001, U 21/01). Diese können beispielsweise in einer beim Unfall eingenommenen besonderen Körperhaltung und den dadurch bewirkten Komplikationen bestehen (RKUV 2003 Nr. U 489 S. 361 Erw. 4.3 mit Hinweisen). Solche Umstände sind hier nicht gegeben. Nicht erfüllt ist sodann das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung. Die primäre Unfallbehandlung beschränkte sich auf ambulante Physiotherapie, welche schon nach kurzer Zeit eingestellt wurde. Während des Aufenthaltes im Spital I.________ wurden nebst physio- und ergotherapeutischen Massnahmen eine psychologische Betreuung durchgeführt. In der Folge waren es somatoforme Beschwerden und psychische Beeinträchtigungen, welche zu weiteren Untersuchungen und Behandlungen Anlass gaben. Auch wenn später erneut kurzfristig physiotherapeutische Massnahmen durchgeführt wurden, handelte es sich insgesamt nicht um eine kontinuierliche, mit einer gewissen Planmässigkeit auf die Verbesserung des Gesundheitszustandes gerichtete ärztliche Behandlung von ungewöhnlich langer Dauer (Urteile N. vom 14. März 2005, U 82/04, P. vom 24. September 2003, U 361/02, und S. vom 8. April 2002, U 357/01). Im Vordergrund stand die Behandlung eines weitgehend psychisch bedingten Schmerzsyndroms, was bei der Adäquanzbeurteilung unberücksichtigt zu bleiben hat (Urteil S. vom 10. Februar 2006, U 79/05). Von einer ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert hat, kann ebenso wenig gesprochen werden wie von einem schwierigen Heilungsverlauf und massiven Komplikationen. Vielmehr war es die psychische Symptomatik, welche zu einem protrahierten Heilungsverlauf geführt hat. Soweit eine physisch bedingte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bestanden hat, war sie nicht erheblicher Natur. Schliesslich ist auch das Kriterium der körperlichen Dauerschmerzen zu verneinen, weil die Beschwerdeführerin nur über leichte und gelegentliche Nacken- und Kopfschmerzen geklagt hatte. Da somit weder eines der für die Adäquanzbeurteilung massgebenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt ist noch mehrere der zu berücksichtigenden Kriterien gegeben sind, ist die Unfalladäquanz der geltend gemachten Beschwerden zu verneinen. 
5. 
Der Einspracheentscheid der SUVA, mit welchem die Heilkosten- und Taggeldleistungen per 31. Dezember 2004 eingestellt wurden, besteht mithin zu Recht, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. Mangels einer Unfallkausalität der bestehenden Beeinträchtigungen erweisen sich auch die Begehren um Zusprechung weiterer Leistungen als unbegründet. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt. 
Luzern, 12. Januar 2007 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: