Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 809/05
Urteil vom 12. Juni 2006
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ursprung, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Schön; Gerichtsschreiber Fessler
Parteien
F.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Leimbacher, Hauptstrasse 51, 5330 Zurzach,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 20. September 2005)
Sachverhalt:
A.
Die 1970 geborene F.________ arbeitete ab 1. März 1991 als Spitalgehilfin im Regionalen Krankenheim X.________. Wegen einer malignen Hyperthyreose war sie ab 21. Mai 1991 zu 50 %, auf Grund von Hüftbeschwerden (Femurkopfnekrose beidseits) ab 20. Dezember 1991 vollständig arbeitsunfähig. Am 30. November 1993 endete das Arbeitsverhältnis. Im Zeitraum August 1993 bis Juli 1995 absolvierte F.________ einen Deutschkurs sowie eine einjährige Handelsschule, wofür die Invalidenversicherung unter dem Titel Umschulung aufkam.
Im Oktober 1995 ersuchte F.________ die Invalidenversicherung um eine Rente. Nach Abklärungen sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Aargau mit Verfügung vom 26. August 1996 auf Grund einer Erwerbsunfähigkeit von 56 % ab 1. Juli 1995 eine halbe einfache Invalidenrente zu. 1998 und 2001 wurde die Rente bestätigt (Mitteilungen vom 8. Oktober 1998 und 2. November 2001).
Am 26. Mai 1998 gebar F.________ eine Tochter und am 22. April 2001 einen Sohn. Dementsprechend sprach ihr die IV-Stelle ab 1. Mai 1998 sowie ab 1. April 2001 jeweils eine Kinderrente zu (Verfügungen vom 13. Juli 1998 und 18. Mai 2001).
Im Juni 2004 leitete die IV-Stelle ein weiteres Revisionsverfahren ein. Nach Abklärung der gesundheitlichen und hauswirtschaftlichen Verhältnisse hob sie mit Verfügung vom 6. Januar 2005 die Rente auf Ende des der Zustellung des Entscheids folgenden Monats auf. Sie betrachtete die Versicherte nach der Geburt der Kinder 1998 und 2001 neu als im Gesundheitsfall zu 70 % ausserhäuslich erwerbstätige Hausfrau. Mit Einspracheentscheid vom 27. April 2005 bestätigte die IV-Stelle die Rentenaufhebung auf Ende Februar 2005.
B.
Die Beschwerde der F.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 20. September 2005 ab.
C.
F.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Einspracheentscheid seien aufzuheben; im Weitern sei ihr die volle unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Kantonales Gericht, IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist die vom kantonalen Gericht bei einem Invaliditätsgrad von gerundet 39 % bestätigte revisionsweise Aufhebung der halben Rente auf Ende Februar 2005 gemäss Einspracheentscheid vom 27. April 2005.
2.
2.1 Bei der Zusprechung der halben Rente mit Verfügung vom 26. August 1996 galt die Versicherte als ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voll Erwerbstätige. Dementsprechend wurde die Invalidität nach der Einkommensvergleichsmethode bemessen (vgl. BGE 128 V 30 Erw. 1 und BGE 130 V 348 f. Erw. 3.4). Die Geburt der Kinder im Mai 1998 und April 2001 stellt dann eine im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen dar, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen (BGE 130 V 349 Erw. 3.5 mit Hinweisen), wenn die Versicherte neu als im Gesundheitsfall teilerwerbstätige Hausfrau zu betrachten ist (BGE 130 V 350 Erw. 3.5 in fine, 117 V 199 Erw. 3b). Diesfalls ist die Invalidität nach der gemischten Methode zu bemessen (vgl. dazu BGE 125 V 148 ff. Erw. 2 in Verbindung mit BGE 130 V 393 und Urteil E. vom 13. Dezember 2005 [I 156/04]).
2.2 Das kantonale Gericht ist in sorgfältiger Würdigung der für die Statusfrage wesentlichen Umstände (persönliche und familiäre Verhältnisse, Alter der Kinder, berufliche Situation des Ehemannes) unter Berücksichtigung der Vorbringen in der Beschwerde zum Ergebnis gelangt, die Versicherte würde ohne gesundheitliche Beeinträchtigung neben dem Haushalt im zeitlichen Umfang von 70 % eines Normalarbeitspensums im Gesundheitsbereich tätig sein. Die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerung der Vorinstanz überzeugen. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird denn auch nicht näher begründet, weshalb die Beschwerdeführerin im Gesundheitsfall voll erwerbstätig wäre. Die Invalidität bemisst sich somit neu nach der gemischten Methode. Eine Bindung an die frühere Invaliditätsschätzung insbesondere in erwerblicher Hinsicht besteht nicht (vgl. RKUV 2005 Nr. U 533 S. 41 [U 339/03] Erw. 3.2 und AHI 2002 S. 164 [I 652/00]; Urteil L. vom 3. November 2005 [I 485/05] Erw. 5.1.1).
3.
3.1 Die Ermittlung des Invaliditätsgrades im erwerblichen Bereich nach der Einkommensvergleichsmethode ist nicht bestritten. Dabei ist jedoch Folgendes zu beachten: Unter dem Valideneinkommen ist jenes Einkommen zu verstehen, welches die versicherte Person als Gesunde tatsächlich erzielen würde (ZAK 1992 S. 92 Erw. 4a, 1961 S. 367). Die Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen. Massgebend ist, was die versicherte Person aufgrund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Weiterentwicklung, soweit hiefür hinreichend konkrete Anhaltspunkte bestehen (Kursbesuche, Aufnahme eines Studiums etc.), zu erwarten gehabt hätte (BGE 96 V 29, ZAK 1985 S. 635 Erw. 3a sowie RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 f. Erw. 3b; vgl. auch EVGE 1968 S. 93 Erw. 2a). Da nach empirischer Feststellung in der Regel die bisherige Tätigkeit im Gesundheitsfall weitergeführt worden wäre, ist Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Valideneinkommens häufig der zuletzt erzielte, der Teuerung sowie der realen Einkommensentwicklung angepasste Verdienst (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 101 Erw. 3b am Ende; vgl. auch ZAK 1990 S. 519 Erw. 3c; Urteil M. vom 29. August 2002 [I 97/00] Erw. 1.2 in Verbindung mit BGE 130 V 343).
Diesen Grundsätzen widerspricht es, vorliegend das Valideneinkommen auf der Grundlage der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2002 des Bundesamtes für Statistik zu bestimmen (vgl. dazu BGE 126 V 77 Erw. 3b/bb, 124 V 321). Die Versicherte war vom 1. September 1988 bis 31. Oktober 1990 angestellte Pflegehelferin im Alters- und Pflegeheim National in Ennetbaden. Bei ihrem Weggang wurde ihr ein in jeder Beziehung gutes Zeugnis ausgestellt. Ab 1. März 1991 arbeitete sie als Spitalgehilfin im Regionalen Krankenheim Baden. Diese Stelle musste sie aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Die Tatsache allein, dass die Erwerbsaufgabe bereits vor einiger Zeit erfolgte, rechtfertigt entgegen der Vorinstanz nicht, für die Ermittlung des Valideneinkommens Tabellenlöhne heranzuziehen. Es sind keine Umstände ersichtlich, welche für die Annahme sprächen, die Versicherte hätte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung die Stelle im Krankenheim Baden aufgegeben.
Gemäss Fragebogen für den Arbeitgeber vom 1. Februar 1993 hätte die Beschwerdeführerin in diesem Jahr bei einem 100 %-Arbeitspensum Fr. 50'983.50 verdient. Diese Summe ist an die seitherigen Lohnerhöhungen bis 2005, mit denen sie hätte rechnen können, anzupassen. Mit Blick auf die Nominallohnentwicklung 1993/94 bis 2003/04 im Bereich «Unterrichtswesen; Gesundheits- und Sozialwesen; sonstige öffentliche Dienstleistungen; persönliche Dienstleistungen» von durchschnittlich mehr als 1,1 % im Jahr (Die Volkswirtschaft 8/1999 S. 28 und 5-2006 S. 87, je Tabelle B10.2) ist nicht auszuschliessen, dass der Verdienst 2005 mehr als das vom kantonalen Gericht ermittelte Valideneinkommen von Fr. 55'066.- betragen hätte. Unter der Annahme eines Lohnzuwachses von 1 % jährlich beispielsweise ergäbe sich ein ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erzielbares Einkommen von Fr. 56'881.-. Wird der Einkommensvergleich mit diesem höheren Valideneinkommen durchgeführt, resultiert bei unveränderten übrigen Bemessungsfaktoren ein Invaliditätsgrad von rund 39,9 % oder gerundet 40 % (BGE 130 V 121), was Anspruch auf eine Viertelsrente gibt (Art. 28 Abs. 1 IVG).
3.2 Beim Invalideneinkommen wird einzig vorgebracht, der Gesundheitszustand habe sich eher verschlechtert als verbessert. Von den fünf als Beleg hiefür angeführten ärztlichen Berichte wurden zwei nach der Verfügung vom 6. Januar 2005 und drei erst nach dem Einspracheentscheid vom 27. April 2005 erstellt. In der vom Rechtsvertreter der Versicherten eingeholten «Stellungnahme zur Aufhebung der Rente» vom 19. Januar 2005 äusserte sich der behandelnde Arzt Dr. med. M.________ vom Kantonsspital B._______ dahingehend, am Zustand habe sich seit den vergangenen Jahren kaum mehr etwas geändert, ausser dass die Beeinträchtigung der Hüftfunktion und auch die sekundären Störungen im Bereich der LWS allmählich zunähmen. Es sei deshalb insgesamt eher mit einer Zunahme der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zu rechnen. Auf Grund dieser fachärztlichen Aussagen sowie der übrigen medizinischen Unterlagen ist eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit bis zum den Prüfungszeitraum begrenzenden Einspracheentscheid vom 27. April 2005 (SVR 2005 AHV Nr. 9 S. 31 Erw. 1.1.3) zu verneinen. Wie es sich für die Zeit danach verhält, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
3.3 Die Behinderung im Haushalt haben kantonales Gericht und IV-Stelle gestützt auf den «Bericht über die Abklärung an Ort und Stelle» vom 15. November 2004 auf 22 % festgesetzt. Gegen diese Einschätzung wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Wesentlichen dasselbe vorgebracht, wie bereits in der vorinstanzlichen Beschwerde. Eine Auseinandersetzung mit den ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz zu diesem Punkt findet nicht statt. Insbesondere bleibt unerwähnt, dass in die Beurteilung der Abklärungsperson massgeblich die eigenen Aussagen der Versicherten im «Fragebogen zur Rentenabklärung betreffend Erwerbstätigkeit/Haushalt» vom 12. Juli 2004 Eingang gefunden hatten, was von IV-Stelle und kantonalem Gericht bei der Prüfung zu Recht mitberücksichtigt wurde. Ebenfalls wird nichts zur zumutbaren Mithilfe des Ehegatten im Haushalt gesagt (Schadenminderungspflicht: BGE 130 V 101 Erw. 3.3.3 mit Hinweisen).
Die vorinstanzlichen Erwägungen, auf die im Grundsatz verwiesen werden kann, vermögen in einem Punkt nicht restlos zu überzeugen. Zur Position «Verschiedenes» wird ausgeführt, es seien keine Haustiere vorhanden, Weiterbildung oder künstlerische Tätigkeiten würden keine betrieben und die Versicherte habe noch nie (andere) Handarbeiten gemacht. Es fragt sich, ob dieser Bereich, der immerhin 10 % des gesamten Haushalts ausmacht, überhaupt besteht und bei der Bemessung der Invalidität in diesem Aufgabenbereich zu berücksichtigen ist.
3.4 Erst bei feststehenden Valideneinkommen (Erw. 3.1) und Behinderung im Aufgabenbereich Haushalt (Erw. 3.3) kann die streitige Rentenaufhebung oder allenfalls -herabsetzung abschliessend beurteilt werden. In diesem Sinne ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise begründet.
4.
Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdeführerin nach Massgabe ihres teilweisen Obsiegens Anspruch auf eine u.a. nach dem Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung (Art. 159 OG in Verbindung mit Art. 135 OG, Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht und Art. 160 OG). Im Übrigen kann dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung entsprochen werden (Art. 152 Abs. 2 OG). Die Beschwerdeführerin wird indessen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie dazu im Stande ist (Art. 152 Abs. 3 OG). Das Gesuch um Befreiung von den Gerichtskosten ist zufolge Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 134 OG) gegenstandslos.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. September 2005 und der Einspracheentscheid vom 27. April 2005 aufgehoben werden und die Sache an die IV-Stelle des Kantons Aargau zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne von Erw. 3.4 verfahre.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung (einschliesslich Mehrwertsteuer) von Fr. 800.- zu bezahlen.
4.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Markus Leimbacher, Zurzach, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse der Betrag von Fr. 600.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
5.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hat die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses festzusetzen.
6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 12. Juni 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: