Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 892/05
Urteil vom 12. September 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiberin Polla
Parteien
I.________, 1955, Beschwerdeführer, vertreten durch
lic. iur. Hubert Ritzer, Zürcherstrasse 5a, 5402 Baden,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 25. Oktober 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1955 geborene I.________ meldete sich am 7. Mai 2001 unter Hinweis auf seit Mai 2000 bestehende Rückenschmerzen zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen verneinte die IV-Stelle des Kantons Aargau verfügungsweise am 3. Januar 2002 einen Anspruch auf Invalidenrente. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 3. Dezember 2002 insofern gut, als es die Verfügung aufhob und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurückwies. Demgemäss veranlasste die Verwaltung eine medizinische Begutachtung an der RehaClinic X.________ und sprach dem Versicherten mit Verfügung vom 12. Mai 2004 im Wesentlichen gestützt auf die Ergebnisse im Gutachten der RehaClinik vom 29. September 2003 mit Wirkung ab 1. März 2003 eine halbe Invalidenrente (nebst Zusatzrenten) zu. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 31. August 2004 fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des I.________ mit dem Antrag um Zusprechung einer höheren Invalidenrente ab 1. Mai 2002, wobei eine ganzheitliche medizinische Abklärung durch die IV-Stelle zu erfolgen habe, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 25. Oktober 2005).
C.
I.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm ab 1. Mai 2002 eine Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz oder die IV-Stelle zur Vornahme weiterer Abklärungen zurückzuweisen.
Die IV-Stelle und auch das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
1.2 Bei der Prüfung eines schon vor dem Inkrafttreten der 4. IVG-Revision auf den 1. Januar 2004 entstandenen Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung sind die allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln heranzuziehen, gemäss welchen grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts galten. Demzufolge ist ab einem eventuellen Rentenbeginn bis Ende 2003 die Anspruchsberechtigung unter dem Gesichtspunkt der bis dahin geltenden Fassung des IVG, ab 1. Januar 2004 bis zum Erlass des Einspracheentscheides am 31. August 2004 unter jenem der 4. IV-Revision zu beurteilen (vgl. BGE 130 V 445 Erw. 1 mit Hinweisen).
Die im ATSG (in Kraft seit 1. Januar 2003) enthaltenen Formulierungen der Arbeitsunfähigkeit (Art. 6), der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7) und der Invalidität (Art. 8) entsprechen den bisherigen von der Rechtsprechung dazu entwickelten Begriffen (BGE 130 V 343). Nichts geändert hat das ATSG auch an den Voraussetzungen des Rentenbeginns nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG. Gleiches gilt für die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 21. Mai 2003 (4. IV-Revision). Demnach ergibt sich für die vorliegende Beurteilung des Leistungsanspruches trotz Änderung der gesetzlichen Grundlagen inhaltlich keine Änderung (vgl. auch Urteil S. vom 5. Januar 2005 Erw. 1, I 372/04).
1.3 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Beginn des Rentenspruchs (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG; Art. 29ter IVV) sowie die Arbeitsunfähigkeit (BGE 115 V 404, 114 V 286, 111 V 239 Erw. 1b) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt in Bezug auf die Ausführungen zur Aufgabe des Arztes bei der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 f. Erw. 4 mit Hinweisen) und zur Beweiswürdigung (BGE 122 V 160 f. Erw. 1c; vgl. auch BGE 125 V 352 ff. Erw. 3). Darauf wird verwiesen.
1.4 Zu ergänzen ist, dass die Rechtsprechung die Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 29 Abs. 1 IVG als "Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich" definiert hat (BGE 105 V 159 Erw. 2a, 97 V 231 Erw. 2; vgl. Art. 6 ATSG). Bei erwerbstätigen Versicherten wird diese Einbusse ohne Rücksicht darauf bestimmt, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf das erzielbare Einkommen auswirkt. Den Bezugspunkt der für den Rentenbeginn relevanten Arbeitsunfähigkeit bildet einzig der bisherige Beruf, wobei die Arbeitsunfähigkeit auf der Grundlage der medizinischen Stellungnahmen zu beurteilen ist. (BGE 130 V 99 Erw. 3.2 mit Hinweisen).
Für die Eröffnung der einjährigen Wartezeit muss die Arbeitsunfähigkeit ein gewisses Mass erreichen, sie muss erheblich sein. Nach der Gerichtspraxis ist eine Verminderung des funktionellen Leistungsvermögens im bisherigen Beruf von mindestens 20 % vorausgesetzt (AHI 1998 S. 124 Erw. 3c; vgl. auch BGE 129 V 419 unten). Im Weiteren muss die effektive Aufgabe der angestammten Tätigkeit oder eine wesentliche Reduktion des Arbeitspensums nicht notwendigerweise mit dem Eintritt einer im Sinne von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG erheblichen Arbeitsunfähigkeit zusammenfallen. Es kann durchaus sein, dass allenfalls nach entsprechenden betrieblichen Anpassungen die fragliche Tätigkeit trotz medizinischer Kontraindikation noch für eine bestimmte Zeit weiter ausgeübt wurde (nicht publizierte Erw. 4b und c des Urteils BGE 120 V 421, veröffentlicht in SVR 1995 IV Nr. 52 S. 146 Erw. 4b und c; Urteil K. vom 26. März 2004 Erw. 3.1, I 19/04).
Ein wesentlicher Unterbruch der Arbeitsunfähigkeit kann nur dann angenommen werden, wenn während mindestens 30 aufeinanderfolgenden Tagen eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsfähigkeit bestand, ohne Rücksicht auf die Entlöhnung. Ein gescheiterter Arbeitsversuch unterbricht grundsätzlich die Arbeitsunfähigkeit nicht, selbst wenn er länger als 30 Tage dauert (EVGE 1963 S. 290; Urteil A. vom 19. September 2000 Erw. 1, I 247/00; unveröffentlichtes Urteil H. vom 26. Juni 2001 Erw. 1, I 34/01, mit Hinweis).
2.
Streitig und zu prüfen ist letztinstanzlich einzig der Beginn des dem Beschwerdeführer zu Recht unstrittig zustehenden Anspruchs auf eine halbe Invalidenrente.
2.1 Der Hausart Dr. med. W.________, Innere Medizin, diagnostizierte ein chronisch-rezidivierendes thorako-lumbo-spondylogenes Syndrom bei grösserer prolabierender Diskushernie L1/2 mit deutlicher thekaler Impression, deutlicher medianer Diskushernie L4/5 mit ventraler Eindellung des Thekalsackes, Fehlhaltung, Fehlform der Wirbelsäule, bei weitgehend sakralisiertem LWK 5, Spondylarthrose, muskulärer Insuffizienz und Verdacht auf eine funktionelle Überlagerung. Er schätzte den Versicherten ab dem 1. September 2000 zu 100 % arbeitsunfähig (Bericht vom 19. November 2000). Dr. med. A.________, bei welchem sich der Versicherte im Rahmen eines Gutachtensauftrags seiner Krankenkasse am 14. August 2001 spezialärztlich untersuchen liess, fand ein nicht objektivierbares Panvertebralsyndrom und hielt die Arbeitsfähigkeit nicht für eingeschränkt (Arztbericht vom 5. Oktober 2001). Anlässlich der Untersuchung im Assessment-Center der RehaClinik X.________ am 26. Juni 2003 wurde wegen des bestehenden chronischen lumbovertebralen Schmerzsyndroms - in Berücksichtigung der aktenkundigen Langzeitbeobachtung (des behandelnden Arztes Dr. med. L.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie) und der aktuellen klinischen Präsentation - für die zuletzt ausgeübte Bürotätigkeit oder eine wechselbelastende Tätigkeit von einer mindestens 50%igen Arbeitsfähigkeit ausgegangen (Gutachten vom 29. September 2003).
2.2 Auf Grund dieser Angaben und unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer bis März 2002 in einem Vollzeitpensum bei seiner letzten Arbeitgeberin tätig war, gingen Verwaltung und Vorinstanz vom Rentenbeginn ab 1. März 2003 aus. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird hiegegen vorgebracht, die Absenzenliste der Q.________ GmbH, (vom 9. Dezember 2003) zeige, dass der Versicherte seit August 2000 bis Oktober 2002 vollumfänglich krank gewesen sei, sodass er ab Oktober 2000 bis Oktober 2002 gestützt auf entsprechende Zeugnisse des Hausarztes Taggeldleistungen der Krankenkasse erhalten habe, weshalb der Rentenbeginn auf den 1. Mai 2002 festzulegen sei.
2.3 Zwischen der Absenzenliste der früheren Arbeitgeberin vom 9. Dezember 2003 und ihren Angaben im "Fragebogen Arbeitgeber" vom 5. Dezember 2003 bestehen Widersprüche. Gemäss "Bestätigung" vom 9. Dezember 2005 wäre der Versicherte von September 2000 bis Oktober 2002 voll arbeitsunfähig gewesen. Im Fragebogen hingegen wird unter Ziffer 11 mit Bezug auf die Arbeitszeit nach Eintritt des Gesundheitsschadens angegeben, der Beschwerdeführer arbeite seit März 2002 drei Stunden pro Tag und fünf Tage pro Woche. Eine Arbeitsunfähigkeit im Umfang von 100 % wird im Jahr 2002 hingegen lediglich für die Zeit vom 18. Februar bis 3. März 2002 ausgewiesen. Auf Grund dieser unklaren und widersprüchlichen schriftlichen Angaben der Firma und im Lichte der in Erw. 1.4 zitierten Rechtsprechung, wonach die medizinischen Stellungnahmen Grundlage für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit bilden, stellen die Angaben der Firma zur Arbeitsfähigkeit keine voll beweiskräftige Entscheidungsgrundlage dar. Mit Blick auf die gesamte medizinische Aktenlage überzeugen die Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns als März 2003 nicht. Der Hausarzt Dr. med. W.________ attestierte zwar ab 1. September 2000 eine volle Arbeitsunfähigkeit, ohne dies jedoch zu begründen. Noch am 18. August 2000 ging Dr. med. L.________ von einer vollen Arbeitsfähigkeit aus. Ebenso erachtete der Gutachter Dr. med. A.________ den Versicherten rund ein Jahr später in seiner Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt (Gutachten vom 20. August 2001). Auf die wenig aussagekräftige Schätzung des Dr. med. W.________ ist daher nicht abzustellen. Überdies ist bei Stellungnahmen von Hausärzten grundsätzlich der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass diese mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/cc mit Hinweisen). Zusätzliche medizinische Abklärungen erübrigen sich vor diesem Hintergrund. Eine medizinisch begründete (zeitlich und masslich genügende) Arbeitsunfähigkeit, die das Wartejahr bereits im Mai 2001 eröffnet hätte und somit den beantragten Rentenbeginn im Mai 2002 begründen würde, ist demnach gestützt auf die vorliegenden Akten nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgewiesen. Damit hat es beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 12. September 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: