Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_372/2022
Urteil vom 12. Oktober 2022
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grunder.
Verfahrensbeteiligte
AXA Versicherungen AG,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Frey,
Beschwerdeführerin,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin,
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Kälin,
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. April 2022 (UV.2021.00059).
Sachverhalt:
A.
Der 1962 geborene A.________ ist seit 1. September 2004 als Leiter der Berufsbildungsschule B.________ angestellt und dadurch bei der AXA Winterthur Versicherungen AG (im Folgenden: AXA) gegen die Folgen von Unfällen obligatorisch versichert. Im September 2018 arbeitete er im Rahmen eines Sabbaticals in verschiedenen Bereichen bei der Bahn C.________ AG, deren Mitarbeiter von Gesetzes wegen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert sind (vgl. Art. 66 Abs. 1 lit. g UVG). Am 21. September 2018 geriet A.________ beim Lenken einer Strassenwalze zu nahe an eine Böschung, rutschte ab, stürzte und zog sich diverse Verletzungen zu (unter anderem eine Commotio cerebri, vgl. Kurzaustrittsbericht des Spitals D.________ vom 25. September 2018). Am 24. Juni 2019 ersuchte die AXA die Suva, die Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung zu übernehmen. Mit Verfügung vom 2. Juni 2020 verneinte die Suva eine Leistungspflicht. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, gemäss § 20 Abs. 4 der Mittel- und Berufsschullehrervollzugsverordnung (MBVVO) des Kantons Zürich habe A.________ bei der Bahn C.________ AG Frondienst geleistet, wobei es sich um einen von der Berufsbildungsschule B.________ bezahlten, fachbezogenen Einsatz gehandelt habe. Daher sei A.________ nicht Arbeitnehmer der Bahn C.________ AG im Sinne des Gesetzes gewesen, weshalb die AXA für die gesundheitlichen Folgen des Unfalls vom 21. September 2018 aufzukommen habe. Die Einsprache der AXA wies die Suva ab (Einspracheentscheid vom 29. Januar 2021).
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde der AXA mit dem Begehren, die Suva habe dem Versicherten die gesetzlichen Leistungen auszurichten, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Urteil vom 7. April 2022).
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die AXA beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils sei die Suva zu verpflichten, A.________ hinsichtlich der Folgen des Unfalls vom 21. September 2018 die gesetzlichen Leistungen auszurichten.
Das Bundegericht führt keinen Schriftenwechsel durch.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5; 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist insbesondere nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1).
1.2. Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden und das Bundesgericht ist nicht an den vorinstanzlichen Entscheid gebunden (Art. 97 Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 3 BGG). Bildet hingegen - wie vorliegend - einzig die Frage der Versicherungsdeckung Gegenstand des angefochtenen Entscheids, handelt es sich nicht um eine Streitigkeit über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen und die Ausnahmebestimmungen von Art. 97 Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 3 BGG kommen nicht zur Anwendung (BGE 135 V 412 E. 1.2.2; Urteil 8C_114/2020 vom 3. Juni 2020 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 146 V 195, aber in: SVR 2020 UV Nr. 39 S. 155). Das Bundesgericht kann somit die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nur im Rahmen von Art. 105 Abs. 1 und 2 (in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1) BGG überprüfen und legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG), wie etwa der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 61 lit. c ATSG, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie in Bezug auf den Unfall vom 21. September 2018 eine Versicherungsdeckung nach UVG durch die Beschwerdegegnerin gemäss deren Verfügung verneinte. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob A.________ als Arbeitnehmer der Bahn C.________ AG zu betrachten ist.
2.2. Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung des Streitgegenstandes zu berücksichtigenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargestellt. Danach sind gemäss Art. 1a Abs. 1 lit. a UVG die in der Schweiz beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten, Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen, obligatorisch versichert. Art. 1 UVV sieht vor, dass als Arbeitnehmer nach Art. 1a Abs. 1 des Gesetzes gilt, wer eine unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne der Bundesgesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) ausübt.
2.3. Weiter hat die Vorinstanz die Rechtsprechung richtig zitiert, wonach als Arbeitnehmer gilt, wer, ohne ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen zu müssen, zum Zwecke eines Erwerbs oder einer Ausbildung dauernd oder vorübergehend für einen Arbeitgeber tätig ist, dem er mehr oder weniger untergeordnet ist. Dies betrifft somit vor allem Personen, die einen Arbeitsvertrag im Sinne der Art. 319 ff. OR haben oder die einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis unterstehen. Allerdings stellt das Vorliegen eines Arbeitsvertrages keine Voraussetzung für die Anerkennung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Art. 1a UVG dar. Diese ist daher jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist zu beachten, dass das UVG im Interesse eines umfassenden Versicherungsschutzes auch Personen einschliesst, deren Tätigkeit mangels Erwerbsabsicht nicht als Arbeitnehmertätigkeit einzustufen wäre, wie beispielsweise Volontär- oder Praktikantenverhältnisse, bei welchen der für ein eigentliches Arbeitsverhältnis typische Lohn in der Regel weder vereinbart noch üblich ist. Wo die unselbstständige Tätigkeit ihrer Natur nach nicht auf die Erzielung eines Einkommens, sondern auf Ausbildung gerichtet ist, kann eine Lohnabrede somit kein ausschlaggebendes Kriterium für oder gegen den Unfallversicherungsschutz sein. Von der obligatorischen Unfallversicherung werden somit auch Tätigkeiten erfasst, die die Begriffsmerkmale des Arbeitnehmers nicht vollumfänglich erfüllen. Der Begriff des Arbeitnehmers gemäss Art. 1a Abs. 1 UVG ist damit weiter als im Arbeitsvertragsrecht (BGE 147 V 268 E. 4.3 mit Hinweisen).
2.4. Da sich der zur Diskussion stehende Unfall am 21. September 2018 ereignet hat, gelangt das seit 1. Januar 2017 geltende Recht zur Anwendung (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des UVG vom 25. September 2015, AS 2016 4375, 4387).
3.
3.1.
3.1.1. Die Vorinstanz hat festgestellt, A.________ habe im Zeitpunkt des Unfalles vom 21. September 2018 bei der Berufsbildungsschule B.________ bezahlten, fachbezogenen Weiterbildungsurlaub im Sinne von § 20 Abs. 4 der MBVVO bezogen und bei der Bahn C.________ AG Freiwilligenarbeit im Rahmen eines vom 10. bis 30. September 2018 geplanten Einsatzes geleistet. Eine Entlöhnung für diese Tätigkeit sei nicht vereinbart worden, die Bahn C.________ AG sei jedoch für eine einfache Unterkunft und für Verpflegung aufgekommen und habe ein Freibillet pro Woche mit einem Gegenwert von Fr. 90.- ausgehändigt. A.________ habe somit kein eigenes wirtschaftliches Risiko getragen.
3.1.2. Weiter hat das kantonale Gericht festgehalten, am Unfalltag habe A.________ bei den Aushubarbeiten für eine neue Remise mitgewirkt, wobei er als Hilfskraft bei drei Facharbeitern eingeteilt gewesen sei. Er habe sich im Vorfeld des Einsatzes schriftlich verpflichtet, sich strikte an die Bedingungen und Regeln für Baueinsätze an der Furka-Berg-Strecke zu halten, konkret etwa den Anordnungen der Verantwortlichen Folge zu leisten, die Arbeitszeiten einzuhalten, Sorgfaltspflichten im Umgang mit Werkzeugen und Geräten zu wahren sowie die Sicherheitsvorschriften zu beachten. Damit habe unstrittig ein Subordinationsverhältnis vorgelegen.
3.1.3. Weiter hat die Vorinstanz nach Darstellung einschlägiger Kasuistik erkannt, A.________ könne im Rahmen seiner Tätigkeit für die Bahn C.________ AG nicht als Arbeitnehmer im unfallrechtlichen Sinne angesehen werden. Bei dem geplanten dreiwöchigen Einsatz zu einem Vollzeitpensum handle es sich zwar um etwas mehr als eine blosse Handreichung. Dessen Stellenwert sei jedoch nicht annähernd mit dem Fall der Schülerin gemäss BGE 115 V 55 vergleichbar, die über Jahre regelmässig einen wesentlichen Anteil der in einem Reitstall anfallenden Arbeiten übernommen habe. Eine künftige Erwerbsarbeit im Kontext des Einsatzes, wie sie bei einem Arbeitsversuch als Erwerbsmotiv gelten könne, sei nie zur Diskussion gestanden. Stattdessen habe A.________ weiterhin sein Gehalt von rund Fr. 180'000.- bei der Berufsbildungsschule B.________ bezogen, die ihn auf seinen Wunsch für die Dauer des vorgesehenen Sabbaticals beurlaubt habe, wobei die Eisenbahn gemäss eigenen Angaben sein Hobby und ihm Ausgleich zu keiner Erwerbstätigkeit gewesen sei. Gesamthaft erscheine wenig plausibel, dass er bestrebt gewesen sei, Kost (Kantine), Logis (Massenlager) und drei Freibillette bei der Bahn C.________ AG gegen sein hohes Gehalt einzutauschen. Das Sabbatical habe einzig und allein dem Zweck gedient, praktische Erfahrungen im Bereich der Eisenbahntechnik, die A.________ als Lehrer, aber auch persönlich besonders interessiert habe, zu sammeln. Eine spezifische berufliche Veränderung habe er nicht angestrebt. Daran ändere nichts, dass das Sabbatical unter dem Titel Intensivweiterbildung von der Berufsbildungsschule B.________ genehmigt worden sei.
3.2.
3.2.1. Was die Beschwerdeführerin in erster Linie vorbringt, trifft den entscheidwesentlichen Punkt nicht. Entgegen ihren Darlegungen hatte, wie das kantonale Gericht zutreffend hervorgehoben hat, das ehemalige Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG; heute: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) das Erwerbsmotiv der Schülerin gemäss BGE 115 V 55 ausdrücklich nur für die erhaltenen Reitstunden bejaht, nicht aber für Kost und Logis. Das EVG habe zudem hervorgehoben, dass im Regelfall mehr oder weniger ausgeübte Freizeitbeschäftigungen und Handreichungen Jugendlicher nicht ausreichten, um ein Arbeitsverhältnis im Sinne des UVG zu begründen. Von solchen gelegentlichen Diensten könne in dem zu beurteilenden Fall angesichts der Intensität und Regelmässigkeit sowie des Umfangs der erbrachten Arbeitsleistungen jedoch nicht mehr gesprochen werden. So habe die Schülerin am Mittwochnachmittag sowie an Wochenenden und in den Ferien ab 1983 bis zum Unfall im August 1985 ständig im Stall gearbeitet. Daraus hat das kantonale Gericht gefolgert, es sei daran zu erinnern, dass noch nicht obligatorisch versichert ist, wer nur aus Gefälligkeit kurzfristig für einen anderen tätig wird, auch wenn er dafür in irgendeiner Form entschädigt wird. Dem ist beizupflichten.
3.2.2. Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, in der vorinstanzlich zitierten Kausuistik finde sich kein Fall, in dem die Eigenschaft als Arbeitnehmer gemäss UVG gesondert geprüft worden sei, auch nicht in BGE 115 V 55. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass nicht nachvollziehbar ist, inwieweit und unabhängig von welchen Umständen die Eigenschaft als Arbeitnehmer gesondert beurteilt werden soll. Jedenfalls ist kein naheliegendes Argument zu erkennen, von der ständigen Rechtsprechung, wie sie die Vorinstanz dargestellt hat, abzuweichen. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts diente der geplante Einsatz bei der Bahn C.________ AG alleine der Weiterbildung und nicht dazu, eine neue Erwerbstätigkeit anzustreben, wie die Beschwerdeführerin, ohne stichhaltige Gründe zu nennen, geltend macht. Auch ist nicht ersichtlich, weshalb der Umstand, dass Lehrpersonen gemäss dem Lehrerpersonalgesetz des Kantons Zürich zu Weiterbildungen verpflichtet sind, für den vorliegenden Sachverhalt von Belang sein sollte. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.
4.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Oktober 2022
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Wirthlin
Der Gerichtsschreiber: Grunder