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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5C.162/2005 /bnm 
 
Urteil vom 12. Dezember 2005 
II. Zivilabteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Raselli, Präsident, 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Parteien 
X.________, 
Kläger und Berufungskläger, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Züst, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Beklagte und Berufungsbeklagte, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benedikt Humbel, 
 
Gegenstand 
Anfechtung von Beschlüssen der Stockwerkeigentümergemeinschaft, 
 
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, vom 17. Mai 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ ist Eigentümer einer Stockwerkeinheit in A.________. Er bewohnt im Parterre eine 4½-Zimmer-Wohnung, zu welcher die Garage Nr. ... gehört. 
 
Am 29. April 2003 beschloss die Stockwerkeigentümerversammlung mit vier gegen die eine Stimme des vertretenen X.________, Änderungen bei der Parkierordnung (Schaffung neuer Parkplätze und Benutzungsmodalität dahingehend, dass die bisherigen und die neuen Parkplätze nicht nur von Besuchern, sondern auch von den Stockwerkeigentümern benutzt werden können) und die entsprechende Anpassung der Hausordnung sowie die Verlegung der Briefkästen und die Erstellung eines Veloabstellplatzes an deren bisherigem Standort. 
B. 
Mit Klage vom 27. Mai 2003 verlangte X.________ die Aufhebung bzw. Nichtigerklärung dieser Beschlüsse. Mit Urteilen vom 15. Juni 2004 und 17. Mai 2005 haben sowohl das Bezirksgericht Baden, 3. Abteilung, als auch das Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, die Klage abgewiesen. 
C. 
Mit Bezug auf die Parkierordnung hat X.________ am 24. Juni 2005 Berufung erhoben, im Wesentlichen mit den Begehren um diesbezügliche Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Feststellung der Nichtigkeit bzw. Aufhebung der betreffenden Beschlüsse der Stockwerkeigentümerversammlung. In ihrer Berufungsantwort vom 16. November 2005 hat die Beklagte die Abweisung der Berufung beantragt, soweit darauf einzutreten sei. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Stockwerkeigentum sind grundsätzlich vermögensrechtlicher Natur. Dies gilt nach der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts auch für die Versammlung der Stockwerkeigentümer und die Anfechtung der von ihr gefassten Beschlüsse, obwohl das Gesetz hierfür auf das Vereinsrecht verweist (BGE 108 II 77). Geht die Klage nicht auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, setzt das Bundesgericht den Streitwert von Amtes wegen nach freiem Ermessen fest (Art. 36 Abs. 2 OG). 
Der Kläger macht geltend, zwei bisherige Besucherparkplätze würden neu Stockwerkeigentümern zur Verfügung gestellt. Gehe man von einem monatlichen Mietzins eines Aussenparkplatzes zwischen Fr. 60.-- und Fr. 120.-- aus und setze man als Kapitalwert den zwanzigfachen Betrag der einjährigen Nutzung ein (Art. 36 Abs. 4 und 5 OG), übersteige dies den notwendigen Streitwert von Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG). Selbst wenn man nicht diesem Berechnungsmodus folgen, sondern den Wertzuwachs der nach den klägerischen Behauptungen begünstigten Stockwerkeinheiten als Bemessungsgrundlage heranziehen würde, ist der Berufungsstreitwert offensichtlich erreicht. 
1.2 Dem angefochtenen Urteil gebricht es an einer kohärenten Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 51 Abs. 1 lit. c OG), welche das Bundesgericht seiner Entscheidung zugrunde legen könnte (Art. 63 Abs. 2 OG); aus diesem Grund wäre das angefochtene Urteil an sich ohne weitere Prüfung aufzuheben und zur entsprechenden Vervollständigung an die kantonale Instanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG). Aus verfahrensökonomischen Gründen rechtfertigt sich indes die materielle Behandlung der klägerischen Vorbringen, soweit sich der Sachverhalt aus den vorinstanzlichen Erwägungen sinngemäss erschliessen lässt. 
2. 
2.1 Das Obergericht hat zunächst befunden, mit der beschlossenen Parkplatzbenutzung sei weder eine Zweckänderung verbunden noch stelle sie eine bauliche Massnahme dar; vielmehr würden den Stockwerkeigentümern besondere Nutzungsrechte zugeteilt, was mit einem Mehr nach Köpfen und Wertquoten möglich sei. Die Erstellung neuer Parkplätze stelle eine Verwaltungshandlung im Sinn einer Reglementsänderung dar, die ebenfalls nicht einstimmig erfolgen müsse. 
 
In einem Eventualstandpunkt hatte der Kläger geltend gemacht, die Versammlungsbeschlüsse verstiessen gegen öffentliches Recht, insbesondere gegen die Baubestimmungen der Gemeinde A.________, wonach ein gewisser Teil der Parkplätze fest als Besucherplätze auszuscheiden sei; die Beschlüsse seien daher nichtig oder jedenfalls anfechtbar. Diesbezüglich hat das Obergericht erwogen, nach § 55 Abs. 1 BauG/AG seien bei Erstellung von Bauten genügend Abstellplätze für die Fahrzeuge der Benutzer und Besucher zu schaffen. Als Richtlinien gälten die Normen der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute (§ 25 ABauV/AG); als Richtwert für den Grenzbedarf an Parkfeldern für Wohnbauten sehe die massgebliche Norm SN 640 290 für ein Mehrfamilienhaus ein Parkfeld pro 80 bis 100 m2 Bruttogeschossfläche bzw. mindestens ein Parkfeld pro Wohnung vor. Dazu seien weitere 10% für Besucher auszuscheiden. Zwar habe das alte Baugesetz, unter dessen Geltungsbereich die Baubewilligung vom 5. Oktober 1993 erteilt worden sei, strengere Parkplatzvorschriften der Gemeinde zugelassen. Inwieweit daher § 77 Abs. 2 der BNO A.________ durch die Vorgaben der SN 640 290 derogiert seien, könne aber offen bleiben. Die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Anzahl der Parkplätze seien grundsätzlich verbindliche Normen, die bei der Erstellung von Neubauten zu beachten seien. § 67 Abs. 1 und 2 BauG/AG bzw. § 155a BauG/AG (gemeint: § 155 aBauG/AG) lasse indes Ausnahmen von kommunalen Nutzungsplänen und -vorschriften sowie von kantonalen Nutzungsplänen, Nutzungs-, Bau- und Schutzvorschriften - und damit auch von den Vorschriften betreffend Erstellung von Abstellplätzen - zu, wenn es mit dem öffentlichen Wohl sowie mit Sinn und Zweck der Rechtssätze vereinbar sei und ausserordentliche Verhältnisse vorlägen oder die Anwendung der Pläne oder Vorschriften zu hart wäre. Solche Ausnahmen würden von der zuständigen Behörde im Rahmen der Baubewilligung gemacht. Die Baubewilligung bilde damit die Grundlage für die Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse auf ihre Gesetzeskonformität. Da die Baubewilligung vom 5. Oktober 1993 nicht eingereicht worden sei, könne nicht geprüft werden, ob durch die Reglementsänderung überhaupt ein Verstoss gegen die Baubewilligung und damit gegen öffentliches Recht vorliege. 
2.2 Mit Bezug auf den obergerichtlichen Vorhalt, als tatsächliche Voraussetzung für die Prüfung der Versammlungsbeschlüsse auf Gesetzwidrigkeit hätte der Kläger nachweisen müssen, dass die Baubewilligung keine Ausnahme von der Pflicht zur Erstellung von Besucherparkplätzen enthalten habe, macht der Kläger eine Verletzung von Art. 8 ZGB geltend. Sodann rügt er eine Verletzung von Art. 75 i.V.m. Art. 712 Abs. 2 ZGB (gemeint: Art. 712m Abs. 2 ZGB), indem er dem Obergericht vorwirft, es habe die Verträglichkeit der angefochtenen Beschlüsse mit den kantonalen und kommunalen Baunormen nicht oder zu wenig umfassend geprüft. Gemäss § 55 Abs. 1 und 2 BauG/AG seien genügend Abstellplätze für die Fahrzeuge der Benutzer und Besucher zu schaffen. Diese müssten auf privatem Grund in nützlicher Distanz zur Liegenschaft liegen und dauernd als solche benutzt werden können. Sodann müsse diese Zweckbestimmung nach § 57 BauG/AG erhalten bleiben. Gemäss der BNO der Gemeinde A.________, die während des vorliegenden Verfahrens geändert habe, seien 20% resp. 10% der Parkfelder für Besucher auszuscheiden; für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass zwei bzw. nach der geänderten BNO mindestens ein Besucherparkplatz vorhanden sein müsse. 
2.3 Gemäss Art. 8 ZGB hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, jene Partei das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, die aus ihr Rechte ableitet. Diese Vorschrift wird als Grundregel der Beweislastverteilung im Privatrecht betrachtet. Daraus ergibt sich nach überwiegender Auffassung, dass grundsätzlich das Verhältnis der anwendbaren materiellen Normen für die Beweislastverteilung massgebend ist. Dieses Verhältnis bestimmt im Einzelfall, ob eine rechtsbegründende, rechtsaufhebende bzw. rechtsvernichtende oder rechtshindernde Tatsache zu beweisen ist. Wer einen Anspruch geltend macht, hat die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen. Demgegenüber liegt die Beweislast für die rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei derjenigen Partei, welche den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet (BGE 128 III 271 E. 2a/aa S. 273). 
 
Indem der Kläger einen Verstoss gegen das kantonale bzw. kommunale Baurecht und damit Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Beschlüsse der Stockwerkeigentümerversammlung (Art. 75 i.V.m. Art. 712m Abs. 2 ZGB) geltend machte, stellte er keine Tatsachen-, sondern eine Rechtsbehauptung auf. Diesbezüglich stellt sich die Frage der Beweislastverteilung nicht; vielmehr kommt der Grundsatz der Rechtswendung von Amtes wegen zum Tragen. Art. 8 ZGB bleibt aber insofern relevant, als das Obergericht vom Kläger Tatsachenbeweis für eine Ausnahme von der Pflicht zur Erstellung von Besucherparkplätzen verlangte bzw. jenem zum Vorwurf machte, nicht von sich aus die Baubewilligung eingereicht zu haben, aus der eine allfällige Ausnahmebewilligung ersichtlich gewesen wäre: 
 
Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich sinngemäss, dass bis zu den streitigen Beschlüssen tatsächlich Besucherparkplätze ausgeschieden waren. Insofern bestanden keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der seinerzeitigen Erstellung des Mehrfamilienhauses für die Pflicht zur Erstellung von Besucherparkplätzen eine Ausnahmebewilligung erteilt worden sein könnte. Die Gegenpartei hat im kantonalen Verfahren denn auch keine dahingehenden Behauptungen erhoben. Entscheidend im Zusammenhang mit Art. 8 ZGB ist aber, dass für eine entsprechende Tatsachenbehauptung die Beklagte beweisverpflichtet gewesen wäre, weil es sich um eine rechtshindernde Tatsache gehandelt hätte (Gegenbeweis, wonach kraft Ausnahmebewilligung kein Verstoss gegen die grundsätzliche Pflicht, Besucherparkplätze zu erstellen und zu erhalten, vorliegt und insofern keine Gesetzeswidrigkeit der Beschlüsse gegeben ist). Indem das Obergericht vom Kläger für eine Tatsache, die potentiell von der Gegenseite hätte bewiesen werden müssen, Beweis verlangte bzw. ihm zum Vorwurf machte, nicht von sich aus Beweise erbracht zu haben, hat es gegen Art. 8 ZGB verstossen. 
Ist mangels gegenteiliger Behauptung der Beklagten im kantonalen Verfahren davon auszugehen, dass bei der Errichtung der Baute Besucherparkplätze zu erstellen waren (und solche offenbar auch tatsächlich erstellt wurden), kommt der Grundsatz zum Tragen, wonach diese in ihrer Zweckbestimmung zu erhalten sind (§ 57 Abs. 1 BauG/AG). Würden die Beschlüsse der Stockwerkeigentümerversammlung gegen dieses Zweckerhaltungsgebot verstossen, wären sie gesetzesverletzend und damit anfechtbar im Sinn von Art. 75 i.V.m. Art. 712m Abs. 2 ZGB. Als Voraussetzung für die Beantwortung dieser Rechtsfrage ist jedoch in tatsächlicher Hinsicht abzuklären, ob sämtliche Parkplätze dauerhaft von Stockwerkeigentümern belegt werden, wie dies der Kläger behauptet, oder ob für die massgebliche Anzahl von Plätzen das Gegenteil der Fall ist bzw. höchstens eine sporadische Benutzung stattfindet, die nicht über diejenige gewöhnlicher Besucher hinausgeht. Diesbezüglich enthält das angefochtene Urteil keine Sachverhaltsfeststellungen (Art. 63 Abs. 2 OG) bzw. Beweiswürdigung im Sinn von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
3. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und zur Feststellung des massgeblichen Sachverhaltes sowie zur neuen materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Angesichts des offenen kantonalen Verfahrens kann nicht von einem eigentlichen Obsiegen und Unterliegen im Berufungsverfahren gesprochen werden; vielmehr sind praxisgemäss die Gerichtskosten den Parteien hälftig aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen (Art. 156 Abs. 3 und Art. 159 Abs. 3 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Berufung wird dahingehend gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, vom 17. Mai 2005 aufgehoben und die Sache zur Feststellung des massgeblichen Sachverhalts und zur neuen materiellen Beurteilung an das Obergericht zurückgewiesen wird. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird den Parteien je zur Hälfte auferlegt. 
3. 
Die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren werden wettgeschlagen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 12. Dezember 2005 
Im Namen der II. Zivilabteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: