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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_819/2017  
 
 
Urteil vom 13. Februar 2018  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A._________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Bischoff, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 29. August 2017 (IV.2016.00377). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach der 1967 geborenen A._________ mit Verfügung vom 3. September 2004 eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab 1. Oktober 2003 zu (Invaliditätsgrad 100 %). Mit Mitteilungen vom 22. April 2005 und 17. Juli 2008 bestätigte sie einen unveränderten Rentenanspruch und Invaliditätsgrad. Im Juli 2013 leitete die Verwaltung erneut ein Revisionsverfahren ein. Nach Abklärungen - insbesondere Einholung des Gutachtens der PMEDA AG Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen (nachfolgend: PMEDA) vom 5. Juni 2014 - und Durchführung des Vorbescheidverfahrens hob sie die Rente mit Verfügung vom 17. Februar 2016 auf Ende März 2016 wiedererwägungsweise auf. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. August 2017 ab. 
 
C.   
A._________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 29. August 2017 und die Verfügung vom 17. Februar 2016 seien aufzuheben. Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Voraussetzungen für die Wiedererwägung der Rentenverfügung vom 3. September 2004 bejaht und die rentenaufhebende Verfügung vom 17. Februar 2016 bestätigt hat.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat korrekt erwogen, dass der Versicherungsträger nach Art. 53 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG auf formell rechtskräftige Verfügungen, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Überprüfung gebildet haben, zurückkommen kann, wenn diese nach damaliger Sach- und Rechtslage zweifellos unrichtig sind, und - was auf periodische Dauerleistungen regelmässig zutrifft (vgl. BGE 119 V 475 E. 1c S. 480 mit Hinweisen) - ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Die Wiedererwägung im Sinne dieser Bestimmung dient der Korrektur einer anfänglich unrichtigen Rechtsanwendung einschliesslich unrichtiger Feststellung im Sinne der Würdigung des Sachverhalts, insbesondere bei einer klaren Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Urteil 8C_336/2017 vom 11. Oktober 2017 E. 3.3). Zweifellose Unrichtigkeit meint dabei, dass kein vernünftiger Zweifel an der (von Beginn weg bestehenden) Unrichtigkeit der Verfügung möglich, also einzig dieser Schluss denkbar ist (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). Soweit ermessensgeprägte Teile der Anspruchsprüfung vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage einschliesslich der Rechtspraxis im Zeitpunkt der rechtskräftigen Leistungszusprechung (BGE 125 V 383 E. 3 S. 389 f.) in vertretbarer Weise beurteilt worden sind, scheidet die Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus (BGE 141 V 405 E. 5.2 S. 414 f.; Urteil 9C_766/2016 vom 3. April 2017 E. 1.1.2 mit diversen Hinweisen). Bei der Annahme zweifelloser Unrichtigkeit im Bereich der invaliditätsmässigen Leistungsvoraussetzungen ist daher Zurückhaltung geboten (SVR 2011 IV Nr. 71 S. 213, 9C_994/2010 E. 3.2.1; Urteile 9C_309/2017 vom 13. Juli 2017 E. 3.2 Abs. 2; 8C_68/2013 vom 14. Mai 2013 E. 3.1 mit weiteren Hinweisen). Ansonsten würde die Wiedererwägung zum Instrument einer voraussetzungslosen Neuprüfung des Anspruchs, was sich nicht mit dem Wesen der Rechtsbeständigkeit formell zugesprochener Dauerleistungen verträgt (Urteil 8C_336/2017 vom 11. Oktober 2017 E. 3.3 mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Feststellungen, welche der Beurteilung der zweifellosen Unrichtigkeit zugrunde liegen, sind tatsächlicher Natur und folglich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. E. 1). Dagegen ist die Auslegung (Konkretisierung) dieses unbestimmten Rechtsbegriffs als Wiedererwägungsvoraussetzung eine grundsätzlich frei prüfbare Rechtsfrage (Art. 95 lit. a BGG; Urteil 9C_309/2017 vom 13. Juli 2017 E. 2.2.2 mit Hinweisen).  
 
2.4.  
 
2.4.1. Nach verbindlicher (E. 1) vorinstanzlicher Feststellung beruhte die Rentenzusprache in medizinischer Hinsicht auf den Berichten verschiedener Fachärzte der Klinik B._________ vom 13. und 25. September 2002, 3. Juli, 9. September, 7. und 21. November 2003, 10. und 19. Februar sowie 3. März 2004, der Klinik C._________ vom 4. Februar 2003, des Dr. med. D._________ vom 27. Dezember 2003 und des Dr. med. E._________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie (undatiert, am 16. Januar 2004 bei der IV-Stelle eingegangen), sowie auf der Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 23. März 2004.  
 
2.4.2. Das kantonale Gericht ist in seiner (retrospektiven) Würdigung dieser Aktenlage zum Schluss gekommen, dass sie den Anforderungen an die Beweiskraft (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) nicht genüge; die von den Dres. med. D._________ und E._________ sowie von Ärzten der Klinik B._________ (im Bericht vom 3. März 2004) attestierte und vom RAD bestätigte vollständige Arbeitsunfähigkeit beruhe im Wesentlichen auf den subjektiven Angaben der Versicherten und entbehre insbesondere hinsichtlich einer Verweistätigkeit einer plausiblen Begründung. Vor diesem Hintergrund erweise sich die Rentenzusprache vom 3. September 2004 als zweifellos unrichtig im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG.  
 
2.4.3. Anders als die Vorinstanz anzunehmen scheint, kann aus dem blossen Umstand, dass im Arztberichtsformular der IV-Stelle (unter lit. B) bei der Frage nach der Arbeitsunfähigkeit explizit nur auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit Bezug genommen wird, nicht geschlossen werden, dass die attestierte Einschränkung keine angepasste Tätigkeit betrifft. Aus den Berichten der Dres. med. D._________ und E._________ sowie der Klinik B._________ vom 3. März 2004 geht klar hervor, dass die behandelnden Ärzte aufgrund der diagnostizierten radikulären Beschwerdesymptomatik bei Status nach Nukleotomie am 3. Juli 2003 von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit ausgingen. Sodann wurde diese Einschätzung aus neurologischer, rheumatologischer und allgemeinmedizinischer Sicht geteilt, und sie beruhte auf einer länger dauernden fachärztlichen Behandlung, die u.a. eine Rückenoperation beinhaltete. Eine auch nur teilweise Arbeitsfähigkeit wurde von keinem Arzt festgehalten. Schliesslich äusserte sich der RAD auf ausdrückliche Nachfrage hin zur Arbeitsfähigkeit für sämtliche ausserhäuslichen Tätigkeiten. Die vorinstanzliche Feststellung, wonach die Prüfung der Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit unterblieben sei, ist nicht haltbar (E. 1).  
Im Zusammenhang mit der Rentenzusprache kann bei der damals gegebenen Aktenlage und unter Berücksichtigung der gebotenen Zurückhaltung hinsichtlich der für die Berentung massgeblichen, mit einem gewissen Ermessen verbundenen Bewertung der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin weder eine klare Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes noch eine sonstige Rechtsverletzung (E. 2.2) ausgemacht werden. Selbst wenn mit der Vorinstanz angenommen wird, dass die bei Erlass der Verfügung vom 3. September 2004 vorhandenen Arztberichte aus heutiger Sicht nicht in allen Teilen überzeugen, kann nicht von einer zweifellosen Unrichtigkeit der Rentenzusprache gesprochen werden (vgl. z.B. Urteile 9C_309/2017 vom 13. Juli 2017 E. 3.1 und 3.2; 8C_265/2016 vom 6. Juni 2016 E. 4). Daran ändert auch die retrospektive Einschätzung des medizinischen Sachverhalts durch die PMEDA-Experten nichts. Das Vorgehen des kantonalen Gerichts im Rahmen der Wiedererwägung kommt einer unzulässigen voraussetzungslosen Neuprüfung des Rentenanspruchs gleich. 
 
2.5. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Rentenaufhebung unter einem anderen Rückkommenstitel (vgl. dazu Urteil 9C_800/2016 vom 9. Mai 2017 E. 2) in Betracht fallen soll, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht; diesbezügliche Weiterungen erübrigen sich. Die Beschwerde ist begründet.  
 
3.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. August 2017 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 17. Februar 2016 werden aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. Februar 2018 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann