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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 405/05 
 
Urteil vom 13. März 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Fessler 
 
Parteien 
T.________, 1953, Beschwerdeführer, vertreten 
durch Fürsprecher Marcus Andreas Sartorius, Bälliz 32, 
3600 Thun, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 9. Mai 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 27. Juli 2000 verneinte die IV-Stelle Bern den Anspruch des T.________ auf eine Rente, was das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 15. Dezember 2000 bestätigte. Mit Urteil vom 21. Januar 2002 hob das Eidgenössische Versicherungsgericht dieses Erkenntnis sowie die Verfügung vom 27. Juli 2000 auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie nach weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung, allenfalls berufliche Eingliederungsmassnahmen, neu verfüge. 
Vom 27. bis 30. Oktober 2003 wurde T.________ im Zentrum für Medizinische Begutachtung (ZMB) orthopädisch und psychiatrisch abgeklärt (Expertise vom 4. Dezember 2003). Vorher war er u.a. vom 21. Oktober bis 15. November 2002 auf der Medizinischen Abteilung des Spitals X.________ untersucht und behandelt worden (Bericht vom 29. November 2002). 
Mit Verfügung vom 23. März 2004 sprach die IV-Stelle T.________ aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 45 % mit Wirkung ab 1. April 1999 eine Viertelsrente samt Zusatzrente für die Ehefrau zu. Mit Einspracheentscheid vom 4. November 2004 bestätigte die Verwaltung die Rente und auch deren Berechnung. 
B. 
Die Beschwerde des T.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 9. Mai 2005 ab, soweit es darauf eintrat. 
C. 
T.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei ihm mit Wirkung ab 1. April 1999 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Auf Ersuchen des Instruktionsrichters hat das ZMB zum Bericht der Medizinischen Abteilung des Spitals X.________ vom 29. November 2002 Stellung genommen. Im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels haben die Parteien Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äussern. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das kantonale Gericht ist auf die Rüge, die IV-Stelle habe zu Unrecht den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art, insbesondere Umschulung, nicht geprüft, implizit mangels Anfechtungsgegenstand nicht eingetreten (vgl. BGE 125 V 414 Erw. 1b). Inwiefern dies Bundesrecht verletzt, wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht näher dargelegt. Hiezu hätte indessen auch deshalb Anlass bestanden, weil in der vorinstanzlichen Beschwerde die Eingliederungsfähigkeit verneint worden war. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Priorität von Eingliederungsmassnahmen vor Rentenleistungen (vgl. Art. 16 ATSG und BGE 126 V 243 Erw. 5, 113 V 28 Erw. 4a, 108 V 212 Erw. 1d sowie Urteil O. vom 26. August 2003 [I 753/02] Erw. 4) dann zwingend die vorgängige Prüfung einer Umschulung verlangt, wenn die versicherte Person eingliederungsfähig ist und ohne allfällige berufliche Massnahmen eine rentenbegründende Invalidität besteht (vgl. BGE 121 V 191 Erw. 4a e contrario; Urteil Z. vom 14. Juni 2005 [I 10/05] Erw. 1.3). Die Frage von Eingliederungsmassnahmen beruflicher Art hat somit ausser Betracht zu bleiben. 
2. 
Entsprechend den Vorgaben im Urteil vom 21. Januar 2002 hat die IV-Stelle den Beschwerdeführer im ZMB u.a. psychiatrisch begutachten lassen. Nach Auffassung des kantonalen Gerichts erlaubt die Expertise der Medizinischen Abklärungsstelle vom 4. Dezember 2002 die zuverlässige Beurteilung von Gesundheitszustand und trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung noch zumutbarer Arbeitsfähigkeit. Danach besteht im Wesentlichen ein cervicothoracales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen mit Discushernie C 5/6, C 6/7 rechts und Th 6/7 rechts sowie eine psychogene Schmerzfehlverarbeitung bei leistungsorientierter narzisstischer Persönlichkeit. Unter Berücksichtigung der psychischen und somatischen Beschwerden beträgt die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Hilfsmechaniker 30 % und ist eine leidensangepasste Tätigkeit von sechs Stunden pro Tag, ganztags mit längeren Pausen ohne erhebliche statische oder dynamische Belastung der Hals- und Brustwirbelsäule zumutbar. 
Aufgrund eines Einkommensvergleichs hat das kantonale Gericht bezogen auf den frühest möglichen Rentenbeginn (1. April 1999) einen Invaliditätsgrad von gerundet 46 % ermittelt. Dies gibt Anspruch auf eine Viertelsrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), allenfalls nach Massgabe der Bestimmungen über die Besitzstandswahrung auf eine halbe Härtefallrente (alt Art. 28 Abs. 1bis IVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2003, sowie lit. d Abs. 2 der Schlussbestimmungen der Änderung vom 21. März 2003 [4. IV-Revision]). 
3. 
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird u.a. vorgebracht, die chronischen körperlichen Beschwerden und der mehrjährige Krankheitsverlauf sowie die fehlgeschlagenen Therapieversuche belegten, dass die psychischen Leiden des Versicherten im Verlaufe der Zeit einen nicht zu unterschätzenden Krankheitswert angenommen hätten. Im ZMB-Gutachten vom 4. Dezember 2003 werde denn auch eine deutliche psychogene Schmerzfehlverarbeitung mit beginnender Verhaltensauffälligkeit, Regressionstendenz und ein schmerzbedingtes Vermeidungsverhalten bei leistungsorientierter narzisstischer Persönlichkeit festgestellt. Nicht ausser Acht zu lassen sei sodann die depressive Entwicklung. Obwohl die Gutachter des ZMB das psychiatrische Ausmass des Schmerzerlebens als nicht nachvollziehbar bezeichneten, erachteten sie ohne nähere Begründung mehr Anstrengungen für eine berufliche Rehabilitation durchaus als zumutbar. Schliesslich habe das kantonale Gericht zwar richtigerweise die neuste Rechtsprechung zu den somatoformen Schmerzstörungen erwähnt, ohne jedoch im konkreten Fall das Vorhandensein der einzelnen Kriterien zu prüfen. Unter Berücksichtigung aller gesundheitlichen Komplikationen in körperlicher und psychischer Hinsicht bestünden auch bei einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt keine angepassten Tätigkeiten oder dann seien sie nicht zumutbar. 
4. 
4.1 Vorliegend kommen dem psychischen Gesundheitszustand und der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit entscheidende Bedeutung für Bestehen und Umfang des Rentenanspruches zu. Es geht letztlich darum, ob und inwiefern vom Beschwerdeführer willensmässig erwartet werden kann, zu arbeiten und einem Erwerb nachzugehen (BGE 127 V 299 Erw. 5a; vgl. auch BGE 131 V 50 Erw. 1.2, 130 V 355 Erw. 2.2.4, 402 Erw. 6.2 in fine). Die Beurteilung dieser Frage hat alle hiefür bedeutsamen ärztlichen Berichte zu berücksichtigen. 
4.2 
4.2.1 Das ZMB-Gutachten vom 4. Dezember 2003, auf welches Vorinstanz und Verwaltung abgestellt haben, listet die medizinischen Unterlagen auf, welche den Experten zur Verfügung standen. Der im Einspracheverfahren ins Recht gelegte Bericht des Spitals X.________, Medizinische Abteilung, vom 29. November 2002 über die stationäre Behandlung vom 21. Oktober bis 15. November 2002 befindet sich nicht darunter. Darin wurde die Diagnose einer leichten bis mittelschweren depressiven Episode (Rückzug-Konservierung, Durchschlafstörungen, innerlich empfundener Druck, Gedankenkreisen) gestellt. Hiezu wurde ausgeführt, eine neue depressive Entwicklung, ausgelöst durch die chronischen Schmerzen und die pychosoziale Belastungssituation, wirkten sich ungünstig als Chronifizierungsfaktoren aus. Die Wiedereingliederung in das Berufsleben nach vierjähriger Arbeitsunfähigkeit wurde als unwahrscheinlich bezeichnet. Es wurde eine psychotherapeutische Begleitung empfohlen, was vom Versicherten «jedoch - wieder dem psychoprotektiven Anteil der Beschwerden entsprechend - gekränkt zurückgewiesen» worden sei. Im Bericht vom 29. November 2002 wird sodann ein stationärer Aufenthalt in der Rheumatologischen Klinik des Spitals X.________ vom 23. Oktober bis 1. November 2001 erwähnt. Das bei dieser Gelegenheit erstellte psychiatrische Konsilium schlug eine kognitive Verhaltenstherapie sowie eine antidepressive Therapie vor. 
Der Bericht vom 29. November 2002 äussert sich nicht zur Arbeitsfähigkeit. Er wirft jedoch die Frage einer (allenfalls therapierbaren) Depression von Krankheitswert auf. Hiezu wird im ZMB-Gutachten vom 4. Dezember 2003 einzig ausgeführt, der Explorand verneine «eine depressive Symptomatik im Sinne von Lustlosigkeit, Freudlosigkeit, Leere, Anhedonie und anderes». 
4.2.2 Gemäss der letztinstanzlich eingeholten Stellungnahme des ZMB vom 22. November 2005 ändert der Bericht der Medizinischen Abteilung des Spitals X.________ vom 29. November 2002 an der psychiatrischen Beurteilung in der Expertise vom 4. Dezember 2003 nichts. Danach besteht keine anhaltende oder rezidivierende Depression zumindest mittelschwerer Ausprägung, ebenso keine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Weder bestehen wesentliche emotionale Konflikte noch eine ausgeprägte psychische Belastungssituation. Die Schmerzen lassen sich mit den organisch nachgewiesenen Grunddiagnosen erklären; die psychogenen Anteile sind lediglich sekundär. 
Die Feststellungen und Schlussfolgerungen im ZMB-Bericht vom 22. November 2005 sind nachvollziehbar und überzeugend. Was der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers dagegen vorbringt, sticht nicht. Insbesondere brauchen die Morbiditätskriterien nach BGE 130 V 352 nicht geprüft zu werden, wenn nicht klinisch-diagnostisch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder ein vergleichbares Leiden im Sinne eines anerkannten und gebräuchlichen Klassifikationssystems ausgewiesen ist (vgl. BGE 130 V 396). Dass im massgebenden Prüfungszeitraum bis zum Einspracheentscheid vom 4. November 2004 (SVR 2005 AHV Nr. 9 S. 31 Erw. 1.1.3) der psychische Gesundheitszustand mit antidepressiver Medikation und/oder Psychotherapie verbessert oder zumindest stabil gehalten werden konnte, steht im Übrigen ausser Frage. Solchen Massnahmen hat sich der Beschwerdeführer im Rahmen der Schadenminderungspflicht zu jeder Zeit zu unterziehen. 
4.3 Nach dem Gesagten haben kantonales Gericht und IV-Stelle zu Recht auf die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit im ZMB-Gutachten vom 4. Dezember 2003 abgestellt. Die Ermittlung des Invaliditätsgrades von gerundet 46 % durch die Vorinstanz ist nicht bestritten. Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung von Amtes wegen (BGE 110 V 53). 
5. 
Als unterlegene Partei hat der Beschwerdeführer grundsätzlich keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 OG e contrario). Es besteht kein Anlass, in Anwendung des Verursacherprinzips (Art. 159 Abs. 5 OG in Verbindung mit Art. 156 Abs. 6 OG und Art. 135 OG) von dieser Regel abzuweichen. Insbesondere bedeutet der Umstand allein, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht beim ZMB einen ergänzenden Bericht eingeholt hat, nicht, dass IV-Stelle und kantonales Gericht in schuldhafter Weise den Untersuchungsgrundsatz nach Art. 43 Abs. 1 ATSG und Art. 61 lit. c ATSG verletzt hätten. Die Zusprechung einer Parteientschädigung rechtfertigte sich lediglich bei sehr rudimentären Abklärungen. Davon kann hier nicht gesprochen werden (nicht veröffentlichtes Urteil J. vom 20. November 1997 [U 87/97]). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 13. März 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: