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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 772/05 
 
Urteil vom 13. März 2006 
III. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin Durizzo 
 
Parteien 
S.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten 
durch die Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG, Monbijoustrasse 68, 3007 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 21. September 2005) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Mit Verfügung vom 26. Mai 2004 und Einspracheentscheid vom 4. Mai 2005 lehnte die IV-Stelle Bern u.a. gestützt auf ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 27. Januar 2004 ein Rentengesuch vom 10. Januar 2000 der S.________, geboren 1964, unter Hinweis auf einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad ab. 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 21. September 2005 ab. 
C. 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei eine rheumatologische sowie psychiatrische Begutachtung zu veranlassen. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zu den Voraussetzungen und zum Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen und in der ab 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Fassung) sowie zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4 mit Hinweisen; vgl. auch AHI 2002 S. 70 Erw. 4b/cc) und zum Beweiswert von medizinischen Berichten (BGE 125 V 352 Erw. 3, 122 V 160 Erw. 1c mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass das von der IV-Stelle eingeholte Gutachten der MEDAS vom 27. Januar 2004 zwar den Anforderungen der Rechtsprechung genüge. Jedoch müsse an der dort getroffenen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit von 60 % gezweifelt werden angesichts der Tatsache, dass die Versicherte nach Auffassung der behandelnden Ärzte sowie des Vertrauensarztes der Pensionskasse X.________ zu 100 % arbeitsunfähig sei. 
3. 
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin an einer somatoformen Schmerzstörung leidet. Aus den Akten geht hervor, dass die Pensionskasse X.________ die Beschwerdeführerin auf Antrag ihres Vertrauensarztes Prof. Dr. med. M.________, Spital Y._______, zunächst provisorisch und im Mai 2002 definitiv pensioniert hat (Berichte des Prof. Dr. med. M.________ vom 24. Juni 1999, 16. Mai 2002, 9. Juli 2004). Der behandelnde Hausarzt Dr. med. R.________, Allgemeine Medizin FMH, ist der Ansicht, die Beschwerdeführerin sei seit Dezember 1998 zu 100 % arbeitsunfähig (Berichte vom 27. Januar 2000, 23. April 2002, 28. Juni 2002, 14. Juni 2004). Dr. med. K.________, Innere Medizin FMH, ging nach einer konsiliarischen Untersuchung am 15. Mai 1999 davon aus, dass die Versicherte kaum mehr arbeitsfähig werde (Berichte vom 18. Juni 1999, 20. Juni 2004). Nach einer ersten Begutachtung durch die MEDAS im November 2000 (Gutachten vom 20. Februar 2001) prüfte die IV-Stelle Bern die berufliche Eingliederung, stellte jedoch mit Schlussbericht vom 15. Februar 2002 fest, dass entsprechende Massnahmen keinerlei Chancen auf Erfolg hätten. Des Weiteren wurde die Versicherte vom 2. April bis zum 2. Juli 2001 durch Frau Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, behandelt, welche ihr gemäss Bericht vom 8. Mai 2002 ebenfalls eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit attestierte. Demgegenüber schätzten die MEDAS-Gutachter die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als Küchenangestellte auf 60 %; in anderen körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeiten bestehe ebenfalls eine Einschränkung von 40 %. Sie diagnostizierten dabei eine leichte depressive Episode (ICD-10 F32.0), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) sowie ein chronisches lumbovertebrales Schmerzsyndrom (ICD-10 M54.5) bei/mit Wirbelsäulenfehlform/-fehlhaltung und muskulärer Dysbalance und allgemeiner Dekonditionierung (Gutachten vom 27. Januar 2004). 
4. 
Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit können in gleicher Weise wie körperliche Gesundheitsschäden eine Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 ATSG bewirken. Nicht als Folgen eines psychischen Gesundheitsschadens und damit invalidenversicherungsrechtlich nicht als relevant gelten Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, die verbleibende Leistungsfähigkeit zu verwerten, abwenden könnte; das Mass des Forderbaren wird dabei weitgehend objektiv bestimmt (BGE 102 V 165; AHI 2001 S. 228 Erw. 2b mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 V 298 Erw. 4c in fine). 
Die Annahme eines psychischen Gesundheitsschadens, so auch einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, setzt zunächst eine fachärztlich (psychiatrisch) gestellte Diagnose nach einem wissenschaftlich anerkannten Klassifikationssystem voraus (BGE 130 V 398 ff. Erw. 5.3 und Erw. 6). Wie jede andere psychische Beeinträchtigung begründet indes auch eine diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung als solche noch keine Invalidität. Vielmehr besteht eine Vermutung, dass die somatoforme Schmerzstörung oder ihre Folgen mit einer zumutbaren Willensanstrengung überwindbar sind. Bestimmte Umstände, welche die Schmerzbewältigung intensiv und konstant behindern, können den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess unzumutbar machen, weil die versicherte Person alsdann nicht über die für den Umgang mit den Schmerzen notwendigen Ressourcen verfügt. Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, entscheidet sich im Einzelfall anhand verschiedener Kriterien. Im Vordergrund steht die Feststellung einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer. Massgebend sein können auch weitere Faktoren, so: chronische körperliche Begleiterkrankungen; ein mehrjähriger, chronifizierter Krankheitsverlauf mit unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerdauernde Rückbildung; ein sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens; ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr beeinflussbarer innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn; "Flucht in die Krankheit"); das Scheitern einer konsequent durchgeführten ambulanten oder stationären Behandlung (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) trotz kooperativer Haltung der versicherten Person (BGE 130 V 352). Je mehr dieser Kriterien zutreffen und je ausgeprägter sich die entsprechenden Befunde darstellen, desto eher sind - ausnahmsweise - die Voraussetzungen für eine zumutbare Willensanstrengung zu verneinen (Meyer-Blaser, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in der Sozialversicherung, in: Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, St. Gallen 2003, S. 77). 
Beruht die Leistungseinschränkung auf Aggravation oder einer ähnlichen Konstellation, liegt regelmässig keine versicherte Gesundheitsschädigung vor (siehe Meyer-Blaser, a.a.O., S. 92 f.). Eine solche Ausgangslage ist etwa gegeben, wenn: eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese besteht; intensive Schmerzen angegeben werden, deren Charakterisierung jedoch vage bleibt; keine medizinische Behandlung und Therapie in Anspruch genommen wird; demonstrativ vorgetragene Klagen auf den Sachverständigen unglaubwürdig wirken; schwere Einschränkungen im Alltag behauptet werden, das psychosoziale Umfeld jedoch weitgehend intakt ist (siehe Kopp/Willi/Klipstein, Im Graubereich zwischen Körper, Psyche und sozialen Schwierigkeiten, in: Schweizerische Medizinische Wochenschrift 1997, S. 1434, mit Hinweis auf eine grundlegende Untersuchung von Winckler und Foerster; zum Ganzen: BGE 131 V 49). 
5. 
Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung begründet demnach nicht ohne weiteres eine Invalidität, weshalb die unter diesem Titel erfolgte vorzeitige Pensionierung invalidenversicherungsrechtlich nicht präjudizierend sein kann. Dass es der Versicherten an den notwendigen Ressourcen, trotz ihrer Schmerzen einer Arbeit nachzugehen, fehlen würde, ist nach den medizinischen Akten nicht dargetan. Ein psychisches Leiden von erheblicher Schwere, welches den Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess als unzumutbar erscheinen liesse, ist nicht ausgewiesen. Die MEDAS-Gutachter diagnostizierten eine leichte depressive Episode. Die drei Jahre vorher nur differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogene somatoforme Schmerzstörung bestätigten die Experten nunmehr aufgrund der Unfähigkeit, sich Konflikten anzunehmen. Wenn nun aber die Beschwerdeführerin - trotz ärztlicher Aufklärung bezüglich dieser Zusammenhänge - die "damaligen medizinischen Empfehlungen offenbar nicht befolgt" hat, lässt sich darin kein unüberwindbarer Leidenszustand erblicken. Aus dem Bericht der vormals behandelnden Psychiaterin Frau Dr. med. C.________ vom 8. Mai 2002 ergibt sich nichts anderes. Auch mit Blick auf die übrigen in Betracht zu ziehenden Kriterien ist nicht ersichtlich, weshalb es der Beschwerdeführerin unzumutbar sein soll, eine Teilerwerbstätigkeit aufzunehmen. Den Berichten, auf welche sie sich zur Begründung ihres Standpunkts beruft, lässt sich zu dieser Frage nichts Konkretes entnehmen. Prof. Dr. med. M.________ führt zuletzt am 9. Juli 2004 aus, dass die Versicherte trotz der gut gemeinten Therapievorschläge der MEDAS-Ärzte keine Besserung des Gesundheitszustandes erlebt habe und deshalb keiner ausserhäuslichen Tätigkeit mehr nachgegangen sei. Gemäss Bericht des Dr. med. K.________ vom 20. Juni 2004 ist die Beschwerdeführerin aus somatischer Sicht zweifelsfrei arbeitsfähig, in ihrem subjektiven Krankheitsverständnis jedoch zu 100 % arbeitsunfähig. Letztes ist nach der dargelegten Rechtsprechung für die Annahme einer rentenbegründenden Invalidität nicht massgeblich. Der behandelnde Hausarzt Dr. med. R.________ übernimmt diese Sichtweise, wenn er ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Schmerzen den Haushalt nur zeitweise zu führen vermöge und eine Arbeitsfähigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt überhaupt nicht bestehe (zuletzt im Bericht vom 14. Juni 2004). Damit ist eine invalidisierende somatoforme Schmerzstörung nicht ausgewiesen. Die von der Beschwerdeführerin angebrachten Zweifel an der Zuverlässigkeit des MEDAS-Gutachtens vom 27. Januar 2004, auf welches sich Verwaltung und Vorinstanz zur Beurteilung des Rentengesuchs stützen, sind daher unbegründet. Weitere Abklärungen sind nicht erforderlich. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 13. März 2006 
 
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
 
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: