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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_42/2022  
 
 
Urteil vom 13. April 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Zanotelli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. November 2021 (IV.2021.00086). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________, geboren 1981, war als Teamleiter Finance bei der B.________ GmbH beschäftigt. Im März 2018 meldete er sich unter Hinweis auf eine (unfallbedingte) Arbeitsunfähigkeit ab 24. Oktober 2017 (zunächst zu 100 %, ab 6. Dezember 2017 zu 75 % und ab Januar 2018 zu 50 %) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Der ab Herbst 2017 behandelnde Hausarzt hatte eine Abklärung der Schwindelbeschwerden, aber auch kardiologische und gastroenterologische Untersuchungen veranlasst. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle MEDAS estimed, Zug, vom 27. September 2020 ein. Mit Verfügung vom 5. Januar 2021 lehnte sie einen Anspruch auf eine Invalidenrente ab. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 19. November 2021 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sei ihm nach ergänzenden Abklärungen ab 1. Oktober 2018 eine Invalidenrente zuzusprechen. 
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die von der IV-Stelle am 5. Januar 2021 verfügte Rentenablehnung bestätigte. Zur Frage stehen dabei der Umfang der dem Beschwerdeführer verbliebenen Arbeitsfähigkeit sowie die erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung. Umstritten ist insbesondere auch, ob ein befristeter Rentenanspruch bestanden hätte. 
 
3.  
Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar. 
 
4.  
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), zur Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zur Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Regeln über den Beweiswert eines ärztlichen Berichts oder Gutachtens (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis). Zu ergänzen ist, dass auf ein versicherungsexternes Gutachten praxisgemäss abzustellen ist, sofern nicht konkrete Indizien gegen dessen Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb). Die unterschiedliche Natur von Behandlungsauftrag der therapeutisch tätigen (Fach-) Person einerseits und Begutachtungsauftrag des amtlich bestellten fachmedizinischen Experten anderseits (BGE 124 I 170 E. 4) lässt es rechtsprechungsgemäss nicht zu, ein Administrativ- oder Gerichtsgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Arztpersonen beziehungsweise Therapiekräfte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen sich eine abweichende Beurteilung aufdrängt, weil diese wichtige - und nicht rein subjektiver Interpretation entspringende - Aspekte benennen, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben sind (BGE 135 V 465 E. 4.5; 125 V 351 E. 3b/cc; SVR 2017 IV Nr. 7 S. 19, 9C_793/2015 E. 4.1; Urteile 8C_630/2020 vom 28. Januar 2021 E. 4.2.1; 8C_370/2020 vom 15. Oktober 2020 E. 7.2). 
 
5.  
 
5.1. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen ist gestützt auf das voll beweiskräftige estimed-Gutachten eine allein neurologisch durch Schwindel und chronische Kopfschmerzen begründete (und angesichts des unauffälligen kognitiven Leistungsprofils wohlwollend eingeschätzte) Arbeitsunfähigkeit von 30 % ausgewiesen. Es sei diesbezüglich von einer unveränderten Situation seit Ablauf des Wartejahrs ab Oktober 2018 auszugehen. Die Arbeitsfähigkeitsbescheinigung gelte sowohl für die angestammte als auch für jede andere leidensangepasste Tätigkeit. Unter Verzicht auf eine Ermittlung der Vergleichseinkommen im Einzelnen schloss das kantonale Gericht auf einen Invaliditätsgrad von ebenfalls 30 %, zumal sich die Gewährung eines leidensbedingten Abzuges nicht rechtfertige.  
 
5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, insbesondere durch eine Fatigue eingeschränkt zu sein. Diese sei im estimed-Gutachten unberücksichtigt geblieben oder zumindest nicht hinreichend gewürdigt worden. Sie lasse auch eine Verwertung seiner Restarbeitsfähigkeit in der angestammten anspruchsvollen Tätigkeit nicht zu. Sein Versuch, diese im 50 %-Pensum weiterzuführen, sei gescheitert und es sei ihm gekündigt worden. Zudem könne jedenfalls nicht von einer lediglich um 30 % eingeschränkten Arbeitsfähigkeit bereits ab Oktober 2018 ausgegangen werden, sondern es müsste diesbezüglich auf die in den echtzeitlichen Berichten bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten abgestellt werden. Da eine Wiederaufnahme der angestammten Tätigkeit ausgeschlossen sei, hätte die Vorinstanz zudem auf einen Einkommensvergleich nicht verzichten dürfen.  
 
6.  
 
6.1. Was zunächst die geltend gemachte Fatigue betrifft, stellte die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich fest, die internistische Teilgutachterin habe als Ursache für den geltend gemachten erhöhten Schlafbedarf eine - labormässig festgestellte, durch medikamentöse Substitution schnell und einfach behandelbare - Schilddrüsenerkrankung in Betracht gezogen, aufgrund der Schilderung der Beschwerden im Einzelnen aber verworfen. Bei der neuropsychologischen Testung durch die estimed habe sich ein gutes bis teilweise sogar überdurchschnittliches kognitives Leistungsprofil gezeigt. Hinweise auf Leistungseinbrüche hätten sich nicht ergeben, woran die vegetativen Zeichen für die Anstrengung (geröteter Kopf) und zunehmenden Kopfschmerzen am Ende der Untersuchung nichts ändern könnten. Schliesslich habe auch der psychiatrische Teilgutachter keine diesbezügliche Diagnose stellen können. Inwiefern diese Feststellungen offensichtlich unrichtig wären beziehungsweise die Vorinstanz in diesem Zusammenhang die zu beachtenden Beweiswürdigungsregeln verletzt haben könnte, wird beschwerdeweise nicht dargetan und ist nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere auch insoweit, als der Beschwerdeführer geltend macht, die Fatigue sei anlässlich der neuropsychologischen Untersuchungen durch seine behandelnden Ärzte bestätigt worden. So zeigte sich namentlich auch anlässlich der Abklärungen im Spital C.________ ein unauffälliges kognitives Leistungsprofil. Dass die behandelnden Ärzte die subjektiv angegebenen Müdigkeitsbeschwerden einer Diagnose hätten zuordnen können beziehungsweise sich zu einer allenfalls dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit geäussert haben sollten, worauf sich die Gutachter ihrerseits zu Unrecht nicht näher eingelassen hätten, lässt sich nicht ersehen. Anlässlich der gutachtlichen Abklärung wurde diesbezüglich namentlich auch eine krankheitswertige psychiatrische Diagnose ausgeschlossen. Dass Dr. med. D.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, die den Beschwerdeführer vom 10. Juni bis 20. Oktober 2020 behandelte, in ihrem Bericht vom 15. Oktober 2020 objektive Aspekte benannt hätte, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben wären, wird beschwerdeweise nicht geltend gemacht und lässt sich nicht ersehen. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auf das estimed-Gutachten abstellte und gestützt darauf eine über die dort bescheinigte Arbeitsunfähigkeit von 30 % hinausgehende, zusätzlich durch eine Fatigue bedingte Einschränkung als nicht ausgewiesen erachtete.  
 
6.2. Die Gutachter äusserten sich im Einzelnen nicht retrospektiv zum Verlauf, vermochten indessen jedenfalls die ab Mitte 2019 bescheinigte volle Arbeitsunfähigkeit nicht zu bestätigen. Gemäss Vorinstanz ist unter Berücksichtigung der vorbestehenden medizinischen Akten von einer unveränderten Befundlage und damit davon auszugehen, dass die Arbeitsunfähigkeit den gutachtlich attestierten Umfang von 30 % nie überstiegen habe. Inwiefern sie diesbezüglich offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellungen getroffen haben sollte, ist nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere insoweit, als sich im Bericht des Hausarztes Dr. med. E.________ vom 11. August 2018, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, keine Begründung für die damals bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten (100 % ab 28. September 2017, 75 % ab 1. Dezember 2017 beziehungsweise 50 % ab 1. Januar 2018) findet und sich in den Akten auch hinsichtlich des weiteren Verlaufs keine schlüssigen Hinweise für eine entsprechende erhebliche Veränderung des geklagten Beschwerdebildes entnehmen lassen. Soweit der Beschwerdeführer aus der hausärztlichen Stellungnahme und aus einzelnen späteren subjektiven Angaben über einen positiven Verlauf im Sinne einer Abnahme der Kopfschmerzen und des Schwindels beziehungsweise einer Verbesserung hinsichtlich der Müdigkeit sowie des Schlafbedürfnisses einen wenigstens rückwirkend befristeten Rentenanspruch ableiten will, vermag er damit nicht durchzudringen.  
 
6.3. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer wegen ungenügender Leistungsfähigkeit im Februar 2019 gekündigt worden sei, lässt die vorinstanzlich festgestellte Zumutbarkeit eines 70%-Pensums in der angestammten oder einer anderen leidensangepassten Tätigkeit nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen. Auch vermag der Beschwerdeführer mit seinem Einwand, er sei weder damals noch später in der Lage gewesen, die ihm gutachtlich bescheinigte Restarbeitsfähigkeit zu verwerten, nicht durchzudringen, zumal dies in den medizinischen Akten keine Stütze findet. Angesichts der vorinstanzlich festgestellten Zumutbarkeit eines 70 %Pensums in der angestammten Tätigkeit sind schliesslich auch die Erwägungen des kantonalen Gerichts zu den erwerblichen Auswirkungen mit dem Ergebnis eines rentenausschliessenden Invaliditätsgrades nicht zu beanstanden. Daran änderte selbst die zusätzliche Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer beantragten leidensbedingten Abzuges von 10 % auf der Seite des nach Eintritt der Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch zu erzielenden Verdienstes (Invalideneinkommen) nichts. Auf seine diesbezüglichen Vorbringen ist daher im Einzelnen nicht näher einzugehen.  
 
6.4. Zusammengefasst lassen sich die von der Vorinstanz festgestellte Arbeitsunfähigkeit von 30 % und der daraus abgeleitete rentenausschliessende Invaliditätsgrad nicht beanstanden.  
 
7.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 13. April 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo